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Bewegungslabor "Lebendige Physik"

Warum nicht mal man den Physikunterricht in die Turnhalle verlegen, um dort die Gesetze der Mechanik am eigenen Körper zu erleben und mit ihnen zu experimentieren? Das Spielen mit und Erforschen von Kräften auf der Grundlage der Tanzform Contact Improvisation kann Lehrplaninhalte veranschaulichen und sinnlich erfahrbar machen.Im Rahmen des internationalen Festivals Contact meets Contemporary in Göttingen wird dieses interdisziplinäre Konzept vorgestellt. TänzerInnen treffen auf PhysiklehrerInnen, beide können voneinander profitieren und ihre jeweilige Disziplin aus einem neuen Blickwinkel betrachten. Keine Angst, niemand muss körperliche Höchstleistungen vollbringen, aber bequeme Trainingskleidung ist von Vorteil.

Ort: Uni-Sportzentrum, Sprangerweg 2, Göttingen
Zeit: Dienstag, 27. Juli, 15 -17 Uhr,
im Anschluss Möglichkeit zum Austausch bis 18.30 Uhr

Wer möchte, ist herzlich eingeladen noch zu bleiben, mit uns zu essen und sich abends bei der "Jam" die angewandte Physik in Aktion anzusehen. (Essen und Jam gegen einen Unkostenbeitrag von 10 €).

Seminarsprache: Englisch und Deutsch
Kosten: 20 €, Studierende 10 €
Anmeldung: email an heikepourian@hotmail.com
Leitung: Heike Pourian, Dipl. Kulturpädagogin, Nürnberg,

Was ist Contact Improvisation?
Der Contact Improvisation, einer Duettform des zeitgenössischen Tanzes liegt das Interesse zugrunde, die physikalischen Gesetzmäßigkeiten von Körpern in Bewegung zu erforschen. Aneinanderlehnen, Balancen finden, sich gegenseitig durch den Raum schieben, rollen, schleudern, tragen, Gewicht geben und nehmen, Raumebenen, Hebel und Impuls für die gemeinsame Bewegung nutzen…Das Ganze kann - muss aber nicht – äußerst athletisch und dynamisch werden. Nicht zufällig heißt der 1978 entstandene Film, der die Entstehung der Contact Improvisation dokumentiert, "Fall After Newton – or how does it feel to be the apple?". Es geht also zunächst einmal weder um die Ästhetik besonders eleganter Bewegungen, noch um Tanz als Ausdrucksform, sondern um Bewegung pur – also Mechanik. Und das ist Physik.

Lernen mit allen Sinnen
Dass es erstrebenswert ist, mehrere Sinne am Lernen zu beteiligen, ist unumstritten. Wer vom "Lernen mit allen Sinnen" spricht, denkt meist an eine Verknüpfung von visuellen und auditiven Informationen. Das könnte z.B. ein Vortrag sein, der mit anschaulichem Bildmaterial ergänzt wird, eventuell gibt es auch noch einen Gegenstand zum Anfassen, ein Modell, das herumgegeben wird und den haptischen, den Tastsinn ansprechen soll. Geruchs- und Geschmackssinn werden im Klassenzimmer wenig angesprochen, es gibt einfach nicht so viele Lerninhalte, bei denen das Gustatorische oder Olfaktorische eine große Rolle spielen könnte - oder mögliche Verknüpfungen sind einfach noch nicht erkannt und erforscht worden. Der kinästhetische, also der Bewegungssinn hat seine Nische vor allem im Sportunterricht, was sich in den letzten Jahren dadurch ein bißchen ändert, dass mancherorts das sogenannte "szenische Lernen" seinen Platz im Unterricht findet: Schülerinnen und Schüler verkörpern Elektronen, rennen durchs Klassenzimmer und gegen Widerstände an, sie reichen sich als Atome die Hände und gehen allerlei molekulare Verbindungen ein. Sie stellen also dar, was sie lernen sollen, haben es selbst erlebt und werden es sich deshalb auf einer anderen Ebene merken, als etwas, das sie lediglich gelesen oder gehört haben.

Die Idee des Bewegungslabors ist noch simpler. Sie beruht auf der Tatsache, dass physikalische Gesetze allgegenwärtig sind. Die SchülerInnen müssen also gar nicht so tun, als seien sie ein Körper, auf den die Schwerkraft wirkt, sie müssen es nur spüren (was nicht unbedingt leichter ist) und können dann beginnen zu erforschen, was passiert, wenn sie stehen, liegen, kippen, fallen ….
Das Bewegungslabor dient also nicht dem Veranschaulichen durch didaktische "Tricks", sondern stellt eine echte, unmittelbare Forschungssituation dar.

Das "Labor" als Lernform Ein Großteil des Unterrichts an unseren Schulen funktioniert so, dass SchülerInnen Tatsachen präsentiert werden, die sie dann lernen, verstehen, wiedergeben und anwenden sollen. Im Falle der Pluralbildung im Englischen und der Eckdaten der französischen Revolution mag das ein sinnvolles Vorgehen sein.

Andere Inhalte können sich Lernende durch eigenes Forschen erschließen. So können wir zum Beispiel bei Stoffen wie Anatomie oder Mechanik für den Prozess des Lernens den unglaublichen Vorteil nutzen, dass sie unmittelbar mit den SchülerInnen zu tun haben. Nicht nur das Skelett im Biosaal, sondern jedeR einzelne SchülerIn der Klasse verfügt über eine Elle und eine Speiche. Wenn ich nun also Elle und Speiche an meinem Arm ertaste und dabei das Handgelenk bewege, kann ich begreifen, warum diese Knochen so und nicht anders geformt sind. Sie müssen um einander rotieren können.

Und die Schwerkraft wirkt nicht nur auf einen theoretisch "gegebenen Körper A", sondern auf uns alle. Wenn ich stehe, kann ich das wahrnehmen. Schlicht und einfach am Druck meiner Fußsohlen gegen den Boden. Wenn ich Gewicht verlagere, verändert sich dieser Druck. Was passiert wenn ich mich hinlege, gehe, mich anlehne, jemanden trage? Schon bin ich mitten im Forschen und erfahre mehr über die Gesetze der Mechanik als jedes Schaubild mir vermitteln könnte – weil ich es ganz einfach am eigenen Leib erfahre.Es geht zunächst einmal um das Themengebiet Kräfte: Betrag, Angriffspunkt, Richtung, Kraft und Gegenkraft, Kräftegleichgewicht, Ersatzkraft - also Inhalte aus dem ersten Jahr Physik.Das Bewegungslabor ist kein fertiges Konzept oder Modul, das nach einem ganz Schema durchgeführt wird. Es will vielmehr einen Raum schaffen, in denen sich Schülerinnen von (passiv) zu Belehrenden in (aktiv) Lernende verwandeln können.

Der Begründer der Contact Improvisation, Steve Paxton, wird so zitiert: You can’t teach Contact Improvisation, the dance is the teacher." Ob das so zutrifft oder nicht, hängt meiner Ansicht nach sehr davon ab, wie ich meine Rolle als Lehrerin verstehe. Im Bewegungslabor geht es mir darum, Dinge anzustoßen, indem ich auf Bewegungen und Kräfte aufmerksam zu machen, die uns vertraut sind, denen wir aber nie besondere Aufmerksamkeit schenken. Aus dem genaueren Hinsehen entsteht ein Bewusstsein, aus diesem Bewusstsein entstehen Fragen und Neugier, das weckt den Forschergeist und der ebnet den Weg zu Erkenntnis – oder zu neuen Fragen, was ja oft viel aufregender ist als Antworten. Und es ist befriedigender, etwas selber herausfinden anstatt fertige Erkenntnisse präsentiert zu bekommen. Wenn das Labor in vollem Gange ist, gehen die SchülerInnen in Kleingruppen ihren eigenen Fragen nach und präsentieren sie am Ende . Ich stehe ihnen nur noch beratend zur Seite und kann auf manche der aufkommenden Fragen selber keine Antwort geben.

Kontakt

Heike Pourian
Dipl. Kulturpädagogin
Winner Zeile 15
90482 Nürnberg
0911 - 366 802 14
heikepourian@hotmail.com