Günter J.Schäfer TELEKOMMUNIKATIONSKULTUR - REDUZIERTE KULTUR 1. Wenn mir ein Haar
besonders lang wächst, Die
Millionenbeträge für Öffentlichkeitsarbeit und Propaganda zwecks Durchsetzung
der neuen Telekommunikationstechniken (1) tragen dazu bei, daß
der Eindruck entsteht, es stünde vor allem eine Ausweitung der Kommunikationsmöglichkeiten
bevor und in der Industriepropaganda wird der Austausch von Telefaxen
etc. als eine "Zunahme an Kommunikation" in der Gesellschaft
gewertet. Kritische Stimmen weisen auf die Beschränktheit dieser Sichtweise
und mögliche negative Auswirkungen für die Kommunikationskultur hin, falls
es zur einer Dominanz technischer Kommunikation
kommen sollte. Diese warnenden Stimmen werden mit medialer Macht (Fernsehwerbung,
Kinospots, Großplakatanzeigen, Ganzseiten-Annoncen in Tageszeitungen und
Zeitschriften für BTX und ISDN etc.) - von Herstellerindustrie und Bundespost
plattzuwalzen versucht. Der folgende Beitrag
soll daher vor allem der kritischen Sicht zu mehr Beachtung verhelfen.
Der
Zweckenthusiasmus über die Entwicklung der Welt zu einem telekommunikativen,
globalen Dorf, über Erreichbarkeit an jedem Ort und zu jeder Zeit etc.,
verdrängt systematisch einen Vergleich zwischen reduzierter technischer
Kommunikation einerseits und der Komplexität direkt-menschlicher Kommunikation
andererseits. Auf diesen Unterschied gilt es zu insistieren. So wie in
der Diskussion über "Künstliche Intelligenz" (KI),
natürlichsprachlichen "Mensch-Maschinen-Dialog"
usw. der prinzipiellen Unterschied von Mensch und Maschine zu reflektieren
ist, geht es nun darum, auf dem prinzipiellen Unterschied zwischen medialer
und direkter Kommunikation zu beharren. Josef Weizenbaum hat in seiner
Kritik an den KI-Fanatikern sehr früh darauf
hingewiesen, daß menschliche Intelligenz nicht losgelöst von der Körperlichkeit
des Menschen begriffen werden darf. Erich Fromm meinte, das Problem bestünde
wohl weniger darin, daß Maschinen wie Menschen
werden könnten, sondern eher, daß Menschen auf
Maschinen reduziert würden. In diesem Sinne gilt es zu verhindern, daß
der Kommunikationsbegriff abstraktifizierend
auf "Informationsaustausch" oder gar "Datenaustausch"
verkürzt und damit auf die Stufe von Maschinenkommunikation gestellt wird.
Menschliche Kommunikationskultur ist komplex, kontextabhängig und körpergebunden.
Ein
bei der deutschen Bundespost beliebtes Werbebild
ist die Großmutter, die mit ihrem Enkelkind am Bild-Telefon spricht. Im
Fernsehn wurde der Bundespostminister Schwarz-Schilling einmal
befragt, worin denn die Vorteile der Glasfaserverkabelung für die Bevölkerung
lägen. Ihm fiel nicht besseres ein, als auf
dieses Beispiel mit Großmutter und Enkelkind am Bildtelefon hinzuweisen.
Angenommen, es bestünde die Wahl zwischen Brief, Telefon, Bildtelefon
oder gar keinem Kontakt, dann erlaubt das Bildtelefon sicher die höchtentwickeltste
technische Kommunikation. Aber dennoch stellt sie nur eine Annäherung
an prinzipielle Grenzen der technischen Kommunikationsform dar. Dies wird
deutlich, wenn der Telekommunikation die kommunikativen Möglichkeiten
eines ganz normalen Besuches der Großmutter gegenübergestellt werden.
Das Enkelchen könnte sich auf den Schoß der Großmutter setzen,
die Großmutter könnte dem Enkel schweigend beim Spielen zusehen, ohne
daß der Gebührenzähler rattert und zu "möglichst viel
Kommunikation in kurzer Zeit" zwingt. Und was sind schon tausend
Bildtelefon-Küsse gegen einen echten? Technische
Kommunikation erfaßt nur einen Teil der Spannbreite
menschlicher Ausdrucks- und Rezeptionsmöglichkeiten. Ein kulturelles Übergewicht
dieser selektionierten Kommunkationsform könnte
zu einer Verarmung menschlicher Kommunikationskultur führen, wenn andere
Kommunikationsformen so wenig praktiziert würden, daß
sie zusehens "auszutrocknen" drohen.
Auch innerhalb der Palette von Telekommunikation gibt es bedenkenswerte
Substitutionsprozesse. Z.B. wird die "Kunst des Briefeschreibens"
durch die digitalisierte Instant-communication
verdrängt. Die kulturelle Bedeutung läßt sich
vielleicht mit dem Hinweis auf die Buch-Veröffentlichung von Briefwechseln
bekannter Persönlichkeiten erhellen. Mensch stelle sich vor, anstelle
der Briefwechsel von Kafka gäbe es die "Gesammelte Ausgabe der Kafka-Telefaxe" ! Nun
werden auch neue Ausdrucksformen durch Telekommunikation und "neue
Medien" wie auch Computer- und Videokunst ausprobiert. Weil hier
der Eindruck entsteht, daß lediglich das Feld
künstlerischer Darstellung durch neue Techniken erweitert würde, muß darauf hingewiesen werden, daß
ein wichtiges Motiv für die finanzielle Förderung solcher Kunstrichtungen
darin besteht, soziale "Aktzeptanz"
für neue Medien zu schaffen und eine Ideensammlung für die Produktgestaltung
in der Telekommunikation zu erhalten. Letztlich bleibt "Medienkunst"
und "Telekommunikationskunst" den gleichen prinzipiellen Beschränkungen
technischer Kommunikation unterworfen. Telekommunikation
beschränkt sich auf Text-, Daten-, Bild- und Tonübertragungen. Die Kommunikationsmöglichkeiten
auf diesem speziellen Sektor der gesamten Kommunikationsformen-Palette
werden durch TK erheblich gesteigert. Dies darf
nicht den Blick darauf verstellen, was verloren geht, wenn technische
Kommunikation zur dominanten Komunikationsform
in einer Gesellschaft würde. Die Frage "Was wäre die Gesellschaft
ohne Telefon?" z.B. wäre demnach zu ergänzen um die Frage "Was
wäre die Gesellschaft, wenn das Telefon noch weiter den direkten menschlichen
Kontakt verdrängt?". 2. Annäherung an prinzipielle
Grenzen Gegenüber
der Textübertragung gibt das Fernsprechen zusätzliche Ausdrucksmöglichkeiten
durch Veränderung der Lautstärke, Betonung, Stimmklang, Dialogverhalten
wie gegenseitiges Unterbrechen, Schweigen, Pausen, Tonkommunikation durch
Räuspern, Stöhnen, Ausrufe (oho, aha) oder Laute wie "mmh",
"tz,tz,tz"
usw.. Nun läßt sich das auch im Text schreiben,
die Artikulationsmöglichkeiten der Geräusche umfaßt
aber mehr als im Text möglich ist. So kann zwar ähnlich der Comic-Sprache
z.B. "räusper,räusper"
geschrieben oder sicherheitshalber einmal vermerkt werden "das ist
ironische gemeint", aber Ironie, Zynismus, Trauer oder Freude, wie
sie mit einer Stimme ausgedrückt werden können ist differenzierbarer.
Weinen und Lachen sind textlich nicht reproduzierbare Tonkommunikation,
auch wenn hochentwickelte Sprachfähigkeit eine Situation sehr intensiv
textlich, bzw. verbal darstellen kann. Auch Sprechgeschwindigkeit und
Hintergrundgeräusche können Informationsgehalt besitzen. Hintergrundgeräusche
gehören zum "Kontext" und führen dazu, daß
Aussagen anders interpretiert werden. Wenn im Hintergrund Schreibmaschinengeklapper
zu hören ist, stellt das einen anderen Kontext dar als leise Musik, Glockenläuten
oder Kindergeschrei. Beim
Fernsprechen bleibt eine Vielzahl von Ausdrucksformen, vor allem die visuelle
Kommunikation ausgespart. Zwar kann z.B. parallel zum Fernsprechen ein
Telefax mit einer Zeichnung oder einem Foto verschickt werden aber der
durch Mimik und Gesten begleitete Dialog ist beim Fernsprechen nicht möglich.
Die Weiterentwicklung zum Bildtelefon erlaubt auch nonverbale, mimische
Kommunikation, die Körpersprache als Kommunikationsform bleibt dabei aufgrund
des technisch vorgegebenen Bildausschnittes meist auf den Kopf bzw. das
Gesicht beschränkt. Nun könnte der Bildausschnitt so groß gewählt werden,
daß auch die Gesten der Hände oder der gesamte Körper sichtbar
wäre. Dann könnten weitere Möglichkeiten der visuellen Körpersprache zur
Geltung kommen. Beim
Bildtelefon ist die Zahl der KommunikationspartnerInnen
zumeist auf eine Person beschränkt, die Zusammenschaltung mehrerer KommunikationspartnerInnen erfordert eine Videokonferenz.
Dabei ist allerdings auch die Zahl der TeilnehmerInnen
technisch begrenzt, weil die Größe der Bildschirme nur das Einblenden
einer bestimmten Anzahl von Portraitbildern erlaubt. Die Videokonferenz,
gegenwärtig wohl die komplexeste Kommunikationssituation auf technischer
Basis, ist jedoch auch nur eine Annäherung an prinzipielle Grenzen. All
jene Kommunikationsmöglichkeiten, die an die gleichzeitige Anwesenheit
der Personen am gleichen Ort gebunden sind, bleiben ausgespart. Bestimmte
Kommunikationssituationen wie z.B. ein "Arbeitsessen" oder der
"Waldspaziergang" sind telekommunikativ nicht herstellbar, weil
sie an Körperlichkeit gebunden sind. Die Gestaltung des Kommunikationskontextes
ist bereits Kommunikation, denn sie signalisiert eine bestimmte Absicht,
in welcher Weise kommuniziert werden soll. Spezifische Kommunikationssituationen
herzustellen gehört zu den kulturellen Errungenschaften der Gesellschaft.
Sie sind in vielen Fällen an Körperlichkeit wie dingliche Umgebung gebunden
also prinzipiell nicht telekommunikativ herstellbar, ein Verzicht darauf
würde einen kulturellen Verlust darstellen. Fühlen,
Berühren, Händedruck, Umarmung, Riechen, Schmecken, sich Gegenstände reichen,
das alles kann nicht telekommunikativ kommuniziert werden. Sinnlich wahrnehmbare
Umgebungseinflüsse wie Licht, Temperatur, Luft etc. sind bei räumlich
getrennten KommunikationspartnerInnen meist
unterschiedlich, bilden unterschiedliche Umgebungen und Kommunikations-"Kontexte".
Hier besteht im Übrigen die Möglichkeit eine Verbindung zu sprachtheoretischen
Überlegungen bezüglich der Kontextabhängigkeiten beim Sinnverstehen herzustellen.
"Kontextabhängigkeit" und "Entsinnlichung der Kommunikation"
sind wichtige Stichworte, entlang deren die kritische Betrachtung der
Telekommunikation weiterentwickelt werden müßte. 3. Die einsame Masse
der TelefoniererInnen Die
Betrachtung einer Kommunikationstechnik und ihrer prinzipiellen Grenzen
ist eine Sache, die möglichen Folgen bei einer massenhaften Ausbreitung
dieser Kommunikationstechnik ist eine andere. Dem vom Erfinder präsentierten,
einzeln dastehenden Auto vermochte man nicht die strukturellen Folgen
anzusehen, die seine massenhafte Anwendung mit sich bringen würde. Ähnlich
verhielt es sich mit Fernseher und Telefon und ähnlich wird es mit den
übrigen Telekommunikationstechniken werden. Die
Auswirkungen des Telefons auf die alltägliche Kommunikationskultur sind
Vorboten derjenigen Auswirkungen die mit den neuen Informations- und Kommunikationstechniken
auf uns zukommen. Da die Telekommunikation auch technisch gesehen z.B.
mit BTX (2) und ISDN auf dem Telefonnetz aufbaut, bietet sich an, strukturelle
und soziale Folgenabschätzungen mit der Analyse des Telefonierens zu beginnen.
Dies kann hier nicht systematisch geleistet, sondern nur durch einige
Beispiele veranschaulicht werden. -
Ökonomisierung der Kommunikation: ein kommerzielles voice-box-System
hebt als Vorteil hervor, daß lange Redepausen
beim Besprechen der voice-box automatisch eliminiert
werden. Da die Sprachspeicher digital arbeiten, ist die Pausen-Eliminierung
nurmehr eine Softwarefrage. -
Es gibt Leute, die wohnen ein paar hundert Meter voneinander entfernt
und führen z.T. endlose Beziehungsgespräche am Telefon. Das Telefon ist
für einige zu einem "Beziehungsapparat" geworden, der reale
Treffen mit anderen Menschen ersetzt. Aus der daraus entstehenden Unbefriedigtheit
entsteht evtl. die bereits alltagssprachlich typisierte "Telefonitis". -
Nahezu jedes Treffen wird heutzutage durch ein Telefonat vorher angekündigt,
vielen fällt es schwer, sich vorzustellen, daß
dies früher auch ohne Telefon ging. Beziehungen, Treffen werden durch
telekommunikative Vorarbeit komplexer verplanbar. -
Anrufbeantworter entwickeln gegenwärtig eine Vielfalt von Reaktionen.
Einige Leute scheuen sich, auf einen Anrufbeantworter zu sprechen, andererseits
gibt es kreative Umgangsweisen: Einige bespielen den fremden Anrufbeantworter
mit Radiomusik, geben ihren eigenen Anrufbeantwortertext ein etc..
Einige verstecken sich hinter dem Anrufbeantworter, benutzen ihn als einen
Schutz vor überraschenden Anrufen. -
Ein bayrischer Kriminalobermeister des Polizeipräsidiums München weigerte
sich, einen Zeugen persönlich zu befragen und holte sich die Genehmigung
für eine telefonische Befragung, weil der Zeuge Aids-infiziert war. Die
allzeitige Erreichbarkeit durch das Telefon: dem Telefon wird es gestattet,
nahezu jede Lebenssituation zu stören. Wer seinen Urlaub einmal ohne Telefon
verbracht hat und auch nicht telefonisch erreichbar war vermerkt dies
meist als einen wichtigen Aspekt der Erholung. Zukünftig wird dier
Erreichbarkeit nicht mehr auf Büro, Privatwohnung incl. Schlafzimmer,
Bad und Toilette beschränkt bleiben, sondern durch Mobilfunk, Bündelfunk,
etc. auch die Erreichbarkeit im Auto oder durch kleine Mobilfunktelefone
in der Westentasche bzw. Handtasche überall ermöglichen. "Telefonterror"
ist inzwischen schon zu einer kriminellen Kategorie geworden. 1987 wurde
in Foix (Südfrankreich) ein Mann zu zwei Wochen haft
verurteilt, weil er seine geschiedene Frau ein Jahr täglich bis zu 50 mal angerufen hatte. Er mußte
außerdem eine Strafe zahlen wegen "Benützung des Telefons als Verfolgungswerkzeug".
Der Knopffabrikant Erwin Friedl war vier Jahre einem anonymen Telefonterror
ausgesetzt und nach seinem dritten Herzinfarkt 1985 verstorben. Die Ehefrau
machte damals öffentlich den Psychodruck des Telefonterrors dafür verantwortlich.
Es ist unglaublich, daß es Leute gibt, die eher
sterben als sich dazu entschließen das Telefon abzumelden. Kleinere
und größere Tricks zwecks Abkoppelung von der Telefonerreichbarkeit sind
z.B.: der Hörer wird daneben gelegt oder die
Klingel wird leise gedreht und der Apparat in den Kühlschrank gestellt
(eine wahre Begebenheit in meinem Bekanntenkreis). Die Beschädigung von
privaten Telefonapparaten aufgrund gezielter Aggression, das Herausreißen
der Telefonleitung, das an die Wand geworfene Telefon sind durchaus eine
sozialpsychologische Untersuchung wert. Die
beste Parodie auf die allzeitige Erreichbarkeit ist in einem Film von
Woody Allen zu sehen, wo einer der handelnden Personen bei jedem Szenenwechsel
irgendjemanden anruft und ihm mitteilt, wie lange er nun unter der jetzigen
Nummer zu erreichen ist, unter welcher Nummer er danach bis wieviel Uhr
zu erreichen ist und so weiter. Eine fast ebenso gute ungewollte Ironie
war in einem amerikanischen Serienkrimi zu sehen: zwei Typen prügeln sich,
aber als das Telefon klingelt unterbrechen sie sofort die Prügelei und
widmen sich dem Telefonat. Im
folgenden soll durch
Beispiele illustriert werden, in welchem Maße
das Telefonieren auch Einfluß auf sexuell motiviertes
Verhalten haben kann: -
An einer Schulbehörde in New York haben Angestellte und Lehrer im Jahr
1988 auf Kosten der Stadt New York für 18.000 Dollar die Nummern von Telefonsex-Anbietern
angewählt. -1987
hatte der britische Rechnungshof aufgedeckt, daß
die Beamten des Umweltministeriums in drei Monaten 1300 mal von ihren
Dienstapparaten Telefonsex-Nummern wie z.B. von "Sexy Samantha",
"Kurven-Colette" etc. angerufen hatten. -
Sexuelle Belästigungen über das Telefon ist für die meisten Frauen eine
bekannte Sache. Peinlich für den Rektor der Washingtoner Universität,
daß er dabei erwischt wurde, weil ein caller-identification-Gerät eingeschaltet war. -
In Holland bekommen Telefonsex-Anbieter pro Anruf-Einheit 22,5 Pfennig,
ein Unternehmen offenbarte 1988, daß es jährlich
ca. 120 Millionen DM dabei umsetze. Kein Wunder, daß
1987 ca. 30000 Anträge von Telefon-Sex-AnbieterInnen
bei der niederländischen Post vorlagen, allerdings konnten nur 2000 "06-Anschlüsse"
vergeben werden. Die häufige Anwahl der sogenannten "06-Anschlüsse"
hat die holländischen Betriebe bereits dazu veranlaßt, die Anwahl solcher Nummern durch entprechende Programmierung ihrer Telefon- Nebenstellenanlagen
zu sperren. -
In Deutschland verklagte eine Frau ihren zahlungsunwilligen Telefon-Sex-Kunden,
wurde aber vom Oberlandesgericht Hamm abgewiesen, weil "gegen die
guten Sitten verstoße" (OLG Hamm, Aktenzeichen:
1 WS 354/88). -
In Bahrain genügte allein die sanfte, erotische Stimme einer Ansagerin
auf Band, die im Rahmen einer Kampagne des Hilton
Hotels für französische Produkte Werbung machte, um einen Telefonansturm
von tausenden Anrufern auszulösen. Die Regierung von Bahrain kappte die
Leitung nach zwei einhalb Tagen, um der großen Telefonanfrage ein Ende zu machen.
4. Flurbereinigung und
Kanalisierung Man
kann unterstellen, daß infolge einer sich ausbreitenden
Terminalisierung (3) auch die Häufigkeit der
Netzkontakte steigt. Dabei werden ehemals komplexe Sitationen direkter menschlicher Kommunikation in das Korsett
einer technischen Kommunikationsform gepresst. Bei der Gestaltung von
BTX-Angeboten wird die Kommunikation auf formale Grundmuster reduziert,
die ökonomisch Sinn machen. Diejenige "Kommunikation", die zum
Erreichen von ökonomischen Zwecken funktional gestaltet ist kann jedoch
zugleich in sozialer Hinsicht eine Verarmung der Kommunikation sein. Bei
direkt menschlichen Kontakten finden stets auch nichtfunktionale Begegnungen
statt, die quasi nebenbei oder zufällig erfolgen, die ungeplant sind aber
dennoch ein wichtiger Bestandteil der Kommunikationskultur darstellen.
Gruppentreffen, Tagungen, Schulen, Universitäten, Lebensmittelläden, Kaufhäuser
und Kommunale Ämter z.B. sind Kommunikationsorte an denen nicht nur im
Sinne der formalen Zweckbestimmung dieser Orte funktionale Kommunikation
stattfindet. Nebenbei findet dort mehr statt. Auf Tagungen sind es die
Flurgespräche und abendlichen Zusammentreffen, im Lebensmittelladen sind
es Gespräche zwischen Nachbarn oder zwischen zufällig zusammentreffenden
Personen. Oft genug findet das eigentlich relevante soziale Leben und
die entsprechende Kommunikation außerhalb der offiziellen Zweckbestimmung
des jeweiligen Kommunikationsortes statt. Die Betriebssoziologie hat diese
Erkenntnis bereits insofern aufgegriffen, als sie nun auch "informelle
Kommunikation" produktiv im Sinne des Unternehmens nutzen und einer
funktionalen Beeinflussung zugänglich machen möchte (4). Bei
der Entwicklung von technischen Kommunikationssystemen in den Alltagssituationen
wird von einem verengten Effektiviätsbegriff
ausgegangen und es findet eine Reduzierung auf funktionale Notwendigkeiten
statt. Die kommunikative Situation, die viele ungeplante Nischen für zufällige,
freie Kommunikation läßt wird z.B. bei BTX von
ihren nicht-funktionalen Bestandteilen "gereinigt". Die kommunikative
Situation "Einkaufengehen" wird bei elektronischen Bestellsystemen
im BTX auf die "Kommunikation" zwischen Kunde und Kaufhauscomputer
reduziert. Dabei wird die zentrale Funktion des Einkaufens, das Auswählen
und Bestellen der Ware erfüllt, die Bezahlung kann ebenfalls durch Mensch-Maschine-"Dialog"
erfolgen, so daß der gesamte Einkaufsvorgang
ohne Kontakt mit Menschen abgewickelt werden kann, ausgenommen die physische
Anlieferung der Ware durch Lieferanten. Für eine sehr eingeschränkte funktionalistische
Betrachtungsweise gilt das als ökonomisch optimale Lösung, wenn es gelingt,
den Einkaufsakt mit minimalem Zeit- und Energieaufwand durchzuführen.
Überschreitet man aber die betriebswirtschaftlichen Denkgrenzen, dann
wird die soziale Verarmung der Situation erkennbar. Die Reduzierung auf
funktionale Kommunikation läßt kein Platz für
die zufällige Begegnung von Körpern, Augenkontakten, Händen, für die körperlich-sinnliche
Erfahrung von Räumen, Gerüchen, Licht, Geräuschen usw.. Selbst die bereits funktional durchgeplanten Fußgängerzonen
mit ihrer flurbereinigten Architektur sind im Vergleich mit den Bestell-Systemen
im Bildschirmtext geradezu noch ein Dschungel sozialer Komplexität. Es
kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Man kann das vielleicht am Beispiel öffentlicher
Treffpunkte erklären. Nimmt man die Plätze und Orte (z.B Marktplätze aber auch Fußgängerzonen), die sozusagen am
Rande funktionaler Tätigkeiten des Alltags zu sozialen Treffpunkten geworden
sind, so werden diese durch eine Übertragung funktionaler Tätigkeiten
auf das elektronische Medium ausgedünnt; die Anzahl der Gelegenheiten
wird reduziert, bei denen sich Menschen aufgrund von Alltagserledigungen
irgendwo gemeinsam aufhalten. Angenommen z.B. daß
sich Telearbeitsplätze ausbreiten, dann entfiele das Zusammentreffen von
Menschen bei der Arbeit und damit auch die gesamte "informelle"
soziale Kommunikation an diesem Ort. Bei
Videokonferenzen ist nach der Beendigung des Gesprächs jede/r plötzlich
wieder für sich allein, es gibt kein Händedruck, kein gemeinsames Kaffetrinken
o.ä., kein Flurgespräch nach Abschluß des offiziellen
Teils. Ähnlich ist es auch beim Fernunterricht: das was in einer herkömmlichen
Unterrichtsklasse stattfindet, ist sehr viel mehr als Informationsvermittlung
und Lernen, es finden menschliche Kontakte statt. Im Fernunterricht bleibt
nur das Funktionale übrig, die Menschen werden reduziert auf "Lernende".
Die Ausdünnung der sozialen Treffpunkte wird vielleicht erst dann als
Problem erkannt, wenn umfangreiche Forschungsprogramme dies als "sozialhygienischen"
Mangel nachweisen. Als "Gestaltungsmaßnahme" ist dann allerdings
zu befürchten, daß eine computergestützte Partnervermittlung mit BTX entwickelt
wird, damit die Erfüllung der "Funktion Bevölkerungswachstums"
wieder sichergestellt ist (5). Anmerkungen 1) In der BRD wurden in den letzten Jahren allein
von der Bundespost schätzungsweise 60 Millionen DM für die Positivdarstellung
neuer Telekom-Techniken ausgegeben. 2) "BTX" ist die deutsche Fassung
des international gebräuchlicheren Begriffes "Videotext", in
Deutschland ist der Begriff "Videotext" allerdings für die von
Fernsehsendern verbreiteten Textseiten üblich, die dem normalen Fernsehsignal
aufgesattelt werden. 3) Unter "Terminalisierung"
der Gesellschaft ist die Ausbreitung von Endgeräten innerhalb von Computernetzen
zu verstehen. 4) Dabei wird zwischen "formeller"
und "informeller" Betriebsstruktur gesprochen, wobei die informelle
Struktur aus den sozialen Gruppen besteht, die sich jenseits der offiziellen
Betriebsorganisation herausbilden, also Freundschaften, Feindschaften,
Gruppenbildungen, Hierarchien etc. 5) Ein abschreckendes Beispiel für diese Denkweise
ist dokumentiert durch das Buch von Böckelmann/Nahr, Eine Planungsstudie für Vermittlugnsdienste
im Alltag, Berlin 1981, Vgl. dort z.B. S.181 den Vorschlag, die "Alltagsaktivität:
Partnersuche für besondere Gelegenheiten" auf einen computerisierten
Vermittlungsdienst zu übertragen. |