Günter
J. Schäfer
DAS
TERMINAL ALS TOR ZUR KÜNSTLICHEN WELT
UNIVERSELLE
INFORMATIONS- UND KOMMUNIKATIONSNETZE
Bisher
gilt Telefonieren als "Individualkommunikation", Zeitung lesen
hingegen als "Massenkommunikation". Wenn (wie bei BTX) Zeitungstexte
über das Telefonnetz aus einer Datenbank abgerufen werden können, wird
diese elektronische Zeitung zwar nur in einem einzigen Exemplar produziert,
kann aber von sehr vielen Menschen gleichzeitig gelesen werden. Die Bildschirmzeitung
wäre die elektronische Form des Massenkommunikationsmittels "Zeitung".
Die individuelle Auswahl findet bisher durch die Wahl der Zeitung oder
Zeitschrift statt. Bei der Fernabfrage von einer Textdatenbank können
die LeserInnen nun aber auch gezielt aus unterschiedlichen
elektronischen Zeitungen einzelne Artikel abfragen und sich eine "Zeitung"
individuell nach Gusto zusammensetzen.
Im
digitalisierten Telefonnetz (ISDN) können nicht nur Texte, sondern auch
Töne und Bilder (eingeschränkt auch bewegte Bilder) über die
bereits vorhanden Telefonkabel übertragen werden. In einem zukünftigen
Glasfaser-Telefonnetz könnten sogar Filme individuell aus Filmdatenbanken
ausgewählt und über eine Datenleitung auf den heimischen Bildschirm geholt
werden. In den selben Netzen kann eine Person
gezielt eine andere anwählen und "Individualkommunikation" betreiben,
z.B. einen Videofilm überspielen oder über Bildtelefon kommunizieren.
Ein
universelles Informations- und Kommunikationsnetz (IuK-Netz) auf digitaler
Basis kann prinzipiell nur computerverständliche Signale übertragen. Texte,
Töne, Bilder und Filme müssen daher in Daten umgewandelt, also unterschiedslos
in gleichartige computerverständliche Signale zerlegt werden. Sie lassen
sich dann per Kabel, Richtfunk oder Satellit digital übertragen aber auch
wie andere Daten in Computern speichern und verarbeiten.
ZENSUR,
FÄLSCHUNG UND ZUGRIFFSBESCHRÄNKUNGEN
Bilder,
Texte und Töne werden bei der Digitalisierung in kleinste Informationseinheiten
aufgelöst und diese Bauelemente können am Computer auch in ihrer Zusammensetzung
verändert oder einzeln gelöscht werden; informationelle Produkte lassen
sich im digitalisierten Zustand wie knetbare Masse bearbeiten. Ein Textverarbeitungsprogramm
erlaubt z.B. die Veränderung eines Textes dadurch, daß
per Knopfdruck ein Wort im gesamten Text durch ein anderes ersetzt wird,
Textteile lassen sich verschieben wie Spielkarten auf einem Tisch, Größe
und Typ der Schrift läßt sich am geschriebenen
Text nachträglich verändern, beim Layout auf dem Bildschirm schließlich
kann die gesamte Textgestalt im digitalen Zustand umgemodelt werden.
Ähnlich
"knetbar" sind digitale Bilder und Töne. Information macht sich
von den materiellen Trägern herkömmlicher Signaldarstellung unabhängig,
wird verflüssigt. Metamorphosen per Knopfdruck erzeugen ein neues Orginal, die neue Form läßt nicht
die alte erkennen.
Die
Inhalte eines gedruckten Buches, eines gemalten Bildes, eines Photos sind dagegen relativ unveränderlich. Für Manipulationen,
wie sie durch Photomontagen oder Schnitte bei
Filmen und Tonaufnahmen bekannt sind, werden bei digitalisierter Verarbeitung
die Möglichkeiten erheblich ausgeweitet. Ist ein Text, ein Bild oder ein
Ton erst einmal digitalisiert, lassen sie sich mit einer bisher nie dagewesenen
Leichtigkeit verändern bzw. verfälschen. Wir sind m.E. bereits heute durch
die digitalisierte Bildverarbeitung an einem Punkt angelangt, wo es sinnvoll
scheint, in einem Manifest zur Wahrheit in der Bildberichterstattung aufzurufen.
Wenn
digitale Übertragungs- und Vermittlungsnetze (Computernetze) zu universellen
Medienträgern werden, bietet sich die Möglichkeit, systematische Zugriffsbeschränkungen
zu veranlassen. Durch Programmierung in Datenbank- oder Vermittlungsrechnern
könnte ein einzelnes Endgerät oder eine Gruppe von Endgeräten vom Empfang
bestimmter Medien für einen definierten Zeitraum ausgeschlossen werden.
Ebenso kann die Beschränkung auch das Telefonieren, das Absenden von elektronischen
Briefen im Mailboxsystem, BTX oder Telefaxen betreffen. In diese Richtung
weisen folgende beispielhafte Erfahrungen: a) Mithilfe des Vermittlungscomputers
in Telefonnebenstellenanlagen kann heutzutage der Nummernkreis eingeschränkt
werden, der von einem bestimmten Benutzer angewählt werden darf, b) gibt
es Schubladenvorschriften bei der Telekom für die systematische Abschaltung
von TelefonteilnehmerInnen im Krisenfall, c)
der Abruf der BTX-Informationen des Chaos-Computer-Club an öffentlichen
BTX-Terminals wurde zeitweise gesperrt, weil sich die Post über deren
Kapriolen geärgert hatte.
Wenn
die Terminalbenutzung mit einer maschinell lesbaren Identitätskarte gekoppelt
wird, was z.B. im öffentlichen Netz bei Telefonkarten mit online-Abbuchung
der Gebühren schon passiert, dann kann die Zugriffsbeschränkung so eingerichtet
werden, daß nur eine bestimmte Person an einem
bestimmten Terminal oder an allen Terminals automatisch abgewiesen wird.
KÜNSTLICHE
REALITÄT
Instrumente
zur Digitalisierung stellen gleichzeitig die technischen Mittel für die
künstliche Erzeugung von Bildern, Tönen und Filmen bereit. Die Nabelschnur
zur abgebildeten Realität wird endgültig zerschnitten, wenn es gar kein
Abbild mehr gibt, sondern das Bild vollständig künstlich erzeugt, quasi
nach Programmierbefehlen "errechnet" wurde.
Der
Unterschied zwischen Abbildungen und computererzeugten Bildern bzw. Filmen
(Computeranimationen) läßt sich gegenwärtig
noch daran erkennen, daß computererzeugte Bilder
noch kleine Ecken und Kanten haben und bei Computeranimationen fallen
die ruckartigen Bewegungen auf. Ziel bei der Weiterentwicklung der digitalen
Bildverarbeitung und Computeranimation ist es, Photoqualität
und fließende Bewegungen zu erreichen; es ist nur eine Frage der Zeit
bis Rechnerleistung und Software soweit entwickelt sind, daß
dies gelingt. So liegt es bereits im Bereich des Denkbaren, daß
der Nachrichtensprecher von einer Computeranimation ersetzt wird, die
Mundbewegungen zu ebenfalls künstlich erzeugten Sprachlauten modelliert
und im laufenden Bild synchron hinzugefügt werden. Können wir bei dieser
Entwicklung vielleicht irgendwann nicht mehr unterscheiden, ob irgendeine
PolitikerIn tatsächlich mit der Kamera aufgenommen wurde oder
nur eine Computersimulation ist?
INTERAKTION
MIT MODELLWELTEN
Mittels
Computerprogrammen können künstliche Bilder und Töne nicht nur das Abbilden
der Welt ersetzen; mehr noch: Wir können mit dieser künstlichen Welt interagieren.
Im Bereich Sprachverarbeitung können nicht nur Texte vom Computer in Tonsprache
verwandelt werden, sondern "intelligente" Computerprogramme
ermöglichen den selbständigen Dialog des Programmes mit einem menschlichen
Partner. Der natürlichsprachliche Dialog mit dem Computerprogramm ist keine
Sensation mehr, lediglich die dazu benötigte Rechnerkapazität beschränkt
noch dessen Anwendungen.
Beispiel
für die Interaktionsmöglichkeiten zwischen einer künstlichen Modellwelt
und dem "Endgerätebenutzer" ist der Eingriff mit einem Sensorhandschuh
in die künstliche Bilderwelt: man sieht auf einem Bildschirm oder in einer
Brille z.B. ein Büro, die eigenen Arm- und Handbewegungen werden in Bewegungen
eines künstlichen Arms übertragen, der sich in der künstlichen Welt befindet,
so daß ich einen Aktenschrank mit diesem Kunstarm
öffnen, eine Akte herausholen, aufschlagen und dann auf dem Bildschirm
lesen kann. Verbreitete Interaktionsformen mit Modellwelten sind computergesteuerte
Videospiele und Anwendungen in der Architektur und Raumplanung, bei denen
jeder gewünschte Spaziergang durch ein noch nicht gebautes Gebäude simuliert
werden kann.
Wenn
in einem universellen IuK-Netz Computer und Datenbanken angeschlossen
sind, die "intelligente" Interaktion mit menschlichen Dialogpartnern
ermöglichen, dann wird das Terminal für den einzelnen Engerätebenutzer
zum Eingangstor in eine phantastische, informationelle Welt zu deren Teil
er wird und in der er sich verlieren kann, wenn er sich auf den "Mensch-Maschine-Dialog"
einläßt.
In
diesem Zusammenhang ist mir aufgefallen, daß
das Thema "Wirklichkeitswechsel", d.h. Wechsel zwischen unmittelbarer
und medialer Wirklichkeit in letzter Zeit häufig literarisch und filmisch
aufgegriffen wird (Unendliche Geschichte, Purple
Rose of Cairo). Die
philosophische Frage "Was ist wirklich?" erhält durch die Erzeugung
von Kunstwelten praktische Alltagsrelevanz.
ÜBERWACHUNG
UND KONTROLLE IM UNIVERSALNETZ
Wenn
im Kommunikationsrechner spezielle Eigenschaften der NutzerInnen
bekannt sind, kann sich die computergesteuerte Interaktion auch automatisch
auf die speziellen Eigenschaften dieser Personen einstellen. Von einigen
Anwendungen "intelligenter" Programme im Bürobereich ist bekannt,
daß sie sowohl die Such- und Dialogstrategie als auch die
typischen Fehler der BenutzerInnen speichern
und analysieren, um daraus ein Simulationsmodell ihres Benutzers zu konstruieren.
Kombiniert mit psychologisch intendierten Analyseprogrammen käme dies
einer erschreckend weit gehenden Persönlichkeitskontrolle gleich.
Aber
nicht erst ab diesem Punkt könnte das universelle Informations- und Kommunikationsnetz
auch zum Überwachungssystem werden. Die Benutzung von Terminals für eine
zunehmende Zahl von Alltagsaktivitäten erzeugt in computerisierten Systemen
beträchtliche Mengen von personenbezogenen Daten über Zeitpunkt und Art
der Aktivitäten im Netz. Sowohl die Auswahl beim Medienkonsum als auch
die Anwahl von Partnern in der Individualkommunikation laufen in einem
Universalnetz über Vermittlungsrechner, d.h. sämtliche Aktivitäten hinterlassen
eine Datenspur. Die Auswahl von Fernseh- und Hörfunkprogrammes würde genauso
registrierbar wie heute schon die Telefonverbindungsdaten.
Die
automatische Erfassung von personenbezogenen Alltagsdaten wird durch die
Einführung von maschinenlesbaren Identitätskarten bei der Terminalbenutzung
erleichtert. Sie erlauben die personenbezogenen Nutzungsdaten unabhängig
davon zu erfassen, ob das wohnungseigene Terminal, ein fremdes oder z.B.
ein öffentliches Terminal benutzt wird.
ELEKTRONISCHE
ÖFFENTLICHKEIT UND KOMMUNIKATIONSORTE IM NIRGENDWO
Schon
das Telefonnetz legt einen virtuellen Kommunikationsort über die Welt,
der überall und nirgends existiert. Wenn Personen, die sich an verschiedenen
Orten befinden, gleichzeitig miteinander sprechen oder Texte austauschen
können, wie bei Telefonkonferenzschaltungen, bei Videokonferenzen oder
den "schwarzen Brettern" in Mailboxsystemen bzw. BTX, dann befindet
sich der gemeinsame Kommunikationsort im Nirgendwo der Übertragungsnetze.
Wer im Mailboxsystem eine Text-Nachricht "ans Schwarze Brett hängt",
macht diese Nachricht im elektronischen System öffentlich. Andere, die
darauf reagieren, indem sie z.B. einen Kommentar dazu schicken, schaffen
eine öffentliche Auseinandersetzung, die viele gleichzeitig verfolgen
und in die sie mit eigenen Beiträgen eingreifen können. Gleichzeitig können
die TeilnehmerInnen gezielt Kontakt miteinander
aufnehmen, wenn sie nicht (wie üblich) anonym bleiben. Eine Diskussion
mit zahlreichen, räumlich voneinander unabhängigen TeilnehmerInnen, das ist eine absolut neue Form von Öffentlichkeit.
Praktisch untersucht werden kann diese Form gegenwärtig anhand des französischen
BTX-Systems "Teletel", wo die Leute
des Nachts im Netz "spazieren gehen" und Unterhaltung suchen.
Die
Problematik dieses Ersatzes für direkte menschliche Kommunikation besteht
- sehr knapp formuliert - in der Reduzierung von Kommunikationskultur
auf das, "was durch die Leitung paßt".
Kontextabhängigkeit, Körperlichkeit, Sinnlichkeit in der Kommunikation
kommen zu kurz, bzw. stoßen an prinzipielle Grenzen des Mediums: Menschliche
Kommunikation ist mehr als Datenaustausch.
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