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AKW-Betreiber flüchten vor der Verantwortung

16.12.14 Die Aufspaltung von E-On ist vergleichbar mit der Übertragung von Schuldenlasten auf die Allgemeinheit im Bankenbereich. Die Schuld für den Radioaktiv-Müll wird in eine eigene Firma ausgelagert. Zynischerweise will sich der Konzern zum Verdienen in der Zukunft mit Alternativenergien beshäftigen und sich so auch noch Reinwaschen. Der Göttinger Arbeitskreis gegen Atomenergie hat diese üble Strategie und die der anderen AKW-Betreiber im Detail auseinanderdenommen. Wir dokumentieren dessen Text:

 

Der vergoldete Atomausstieg

AKW-Betreiber überziehen Bund und Länder mit Klagen und stehlen sich aus der Verantwortung für den Atommüll

Anfang Dezember gab der Energiekonzern E.on bekannt, dass er gedenke, sich künftig intensiver um erneuerbare Energiegewinnung zu kümmern. Das kam ein bisschen sehr spät, dennoch dürfte kaum jemand etwas dagegen haben. Aber dass E.on diesen Schritt damit verbindet, das herkömmliche Geschäft mit Kohle- und Atomstrom in ein neues Unternehmen zu überführen, lässt nichts Gutes ahnen. Der entscheidende Grund dafür dürfte sein, dass man in diesem Bereich finanzielle Risiken erwartet, die man am Ende doch lieber dem Steuerzahler überlässt. Zusammen mit den derzeit laufenden Milliardenklagen gegen den Atomausstieg verdichtet sich das Bild von verantwortungslosen Konzernen, die sich selbst den Atomausstieg noch vergolden lassen wollen und sich dann rechtzeitig mit ihren Gewinnen vom Acker machen.

In den 1960er und 1970er Jahren sind die AKW-Betreiber mit Milliardenbeträgen aus dem Forschungsetat gepäppelt worden. Gleichzeitig schuf der Staat die günstigen Rahmenbedingungen, in denen eine machtvolle kerntechnische Industrie entstehen und große Gewinne erwirtschaften konnte. Jahrzehntelang verdienten sich Firmen wie Siemens mit dem Bau von AKW und die großen Energieversorger mit dem Verkauf von Atomstrom goldene Nasen – rund eine Million Euro warf der Volllastbetrieb eines einzigen AKW täglich ab. Jetzt, wo ihre Party zu Ende gehen soll, ziehen sie vor Gericht, um Schadensersatz für die abgeschalteten AKWs zu erstreiten. Ihre Chancen stehen dabei nicht einmal schlecht.

Streitwert 5,5 Milliarden Euro

Mit mehr als 20 Klagen, darunter allein neun Verfassungsbeschwerden, gehen RWE, E.on und Vattenfall derzeit gegen Bund und Länder vor. Ihre Klagen richten sich unter anderem gegen die Stilllegung von Atomkraftwerken infolge der Fukushima-Katastrophe, gegen die Brennelementesteuer und gegen das im vergangenen Jahr verabschiedete Endlagersuchgesetz. Der Streitwert ist erst in einigen Fällen beziffert – nach vorläufigen Schätzungen geht es um die stattliche Summe von rund 5,5 Milliarden Euro.

Allein die Klage von Vattenfall vor dem Internationalen Zentrum für die Beilegung von Investitionsschutzstreitigkeiten (ICSID) in den USA hat einen Streitwert von 4,7 Milliarden Euro – genau sind es 4.675.903.975,32 Euro zuzüglich Zinsen. Der schwedische Staatskonzern will mit dieser Summe für die Abschaltung seiner Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel entschädigt werden. Dabei waren die beiden Atomkraftwerke nach Bränden und anderen Unfällen schon Jahre vor Fukushima heruntergefahren worden. Die Bundesregierung hat inzwischen eine Klageerwiderung eingereicht. Sie schätzt, dass dieses Verfahren noch mehrere Jahre läuft.

386 Millionen (E.on) beziehungsweise 235 Millionen Euro (RWE) Schadenersatz wollen diese beiden Konzerne von Bund und Ländern wegen der vorzeitigen Stilllegung der AKW Isar 1 (Bayern), Biblis A und B (Hessen) sowie Unterweser (Niedersachsen). Eine Woche nach Beginn der Fukushima-Katastrophe am

11. März 2011 hatten die Behörden alle deutschen Atomkraftwerke zunächst einem Stresstest unterzogen. Die sieben ältesten Reaktoren wurden daraufhin per schriftlicher Verfügung stillgelegt. Im Juni erfolgte die endgültige Abschaltung dieser AKW. Der Bundestag stimmte mit großer Mehrheit für einen Atomausstieg bis 2022. Die Betreiber halten all das jedoch für einen rechtswidrigen Eingriff in ihre Eigentumsrechte. Kein Geld für neue Endlagersuche

Mit Klagen gegen mehrere Bundesländer drängen die Konzerne auch auf Freistellung von Kosten, die für die Umrüstung von Zwischenlagern an den AKW-Standorten entstehen. Das 2013 verabschiedete Endlagersuchgesetz schreibt fest, dass Castorbehälter mit Abfällen aus der Wiederaufarbeitung künftig nicht mehr nach Gorleben gebracht werden dürfen, um den Salzstock im Wendland nicht noch weiter als Endlagerstandort zu zementieren. Die 26 Behälter, die ab 2016 aus Frankreich und Großbritannien zurückkommen, sollen deshalb in andere Zwischenlager an den AKW-Standorten. Eine Einigung zwischen den Bundesländern darüber gibt es aber immer noch nicht. Die Betreiber argumentieren nun, die Entscheidung gegen Gorleben sei aus politischen Gründen erfolgt, das dortige Zwischenlager sei bestens für die Aufnahme weiterer Castoren geeignet.

Eine neue Endlagersuche wollen die Konzerne, immerhin ja Verursacher des Atommülls, ebenfalls nicht bezahlen. In seinem aktuellen Unternehmensbericht kündigt E.on Rechtsmittel gegen entsprechende Kostenbescheide an. Es sei "nicht verfassungsgemäß", dass die Kosten der Standortsuche für ein atomares Endlager an die Betreiber der AKWs weitergegeben würden. Dies gelte, "solange sich Gorleben nicht als ungeeignet erwiesen hat". RWE kündigte inzwischen an, in dieser Sache ebenfalls rechtliche Schritte zu prüfen. Hintergrund ist hier, dass die Konzerne bereits knapp zwei Milliarden Euro in die Untersuchung des Gorlebener Salzstocks gesteckt haben. An der technischen Eignung Gorlebens gibt es erhebliche Zweifel, vor allem aber ist der Standort durch Jahrzehnte langes Lügen und Betrügen politisch verbrannt. Die Betreiber schert das alles nicht, sie wollen ein Endlager in Gorleben durchsetzen.

Erfolg vor Gericht

Bereits entschieden ist ein erster Rechtsstreit um die Brennelementesteuer. Das Finanzgericht Hamburg verfügte kürzlich die vorläufige Rückzahlung von 2,2 Milliarden Euro an E.on und RWE. Dass die Energiekonzerne vor Gericht relativ gute Aussichten haben, ist auch ein Erfolg ihrer jahrelangen Lobbyarbeit. Zwar hatten sie 2000 mit der damaligen rot-grünen Bundesregierung einen Atomkonsens vereinbart, der befristete Restlaufzeiten für die AKWs vorsah. Doch die Tinte unter dem Vertrag war noch nicht trocken, da inszenierten sie bereits Hinterzimmer- und Medienkampagnen, um den (halbherzigen) Atomausstieg rückgängig zu machen. Mit Erfolg: Union und FDP verlängerten die Laufzeiten wieder, als sie in Berlin ans Ruder kamen. Der Preis dafür war die Einführung einer Brennelementesteuer, die bestehen blieb, als Bundeskanzlerin Merkel nach Fukushima ihre Pirouette drehte und den Ausstieg aus dem Ausstieg wieder rückgängig machte. Da dies nun nicht mehr im Konsens erfolgte, sehen die Konzerne gute juristische Gründe für Schadensersatzforderungen. Dass sie damit gegen etwas klagen, dem sie vor 14 Jahren im Prinzip zugestimmt haben, stört sie nicht.

Es ist leider kaum zu erwarten, dass die Richter in den anstehenden Prozessen die politischen Spielchen der Konzerne mit berücksichtigen. Schon gar nicht bei dem quasi geheimen Vattenfall-Verfahren in den USA. Die ICSID-Verhandlungen (internationales Schiedsgericht) sind weder transparent noch rechtsstaatlich und die "Richter" in keiner Weise demokratisch legitimiert. Politisch aber gilt: Wer wie sie den Konsensvertrag zum Atomausstieg so massiv bricht, wer den Ausbau der erneuerbaren Energien als Ersatz für die Atomenergie so massiv bekämpft hat, darf nicht auch noch Regresszahlungen aus Steuergeldern bekommen.

Drücken vor der Haftung

Der Staat muss finanziell ohnehin noch genug bluten, wenn es um die Finanzierung der Schadens- und Entsorgungskosten der Atomwirtschaft geht, nachdem er schon viele Milliarden an Subventionen in den Aufbau und Betrieb der Atomwirtschaft gesteckt hat. Atomkonzerne bauen die Drohkulisse mit den milliardenschweren Schadensersatzforderungen unter anderem auf, um dann einen "Kompromiss" anzubieten, der sie endgültig aus der Haftung für die Abbau- und Lagerkosten für den Atommüll entlässt. Leider erfolgreich haben E.on und RWE dies schon bei den "Ewigkeitslasten" des Kohle- und Erzbergbaus im Ruhrgebiet gemacht: einige Jahrzehnte satt verdient, und die Folgekosten für Jahrhunderte der Allgemeinheit aufgehalst.

Das dreiste Verhalten der AKW-Konzerne darf nicht ohne politische Konsequenzen bleiben. Mit Blick auf die Endlagersuche muss das Standortauswahlgesetz umgehend novelliert werden. Die Endlager-Kommission, welche die eigentliche Suche vorbereiten soll, muss in neuer Besetzung und mit neuem Auftrag antreten. Vertreter der AKW-Betreiber, die gegen die neu eröffnete Endlagersuche gerichtlich vorgehen, haben in dem Gremium nichts mehr zu suchen.

Zudem ist es überfällig, den Konzernen, die sich ohne Gegenleistung auf Kosten der Steuerzahler bereichern wollen, die rote Karte zu zeigen. Alle – jeder einzelne Strom- und Gaskunde, der Bund, die Länder und die Kommunen – sollten spätestens jetzt die vertraglichen Beziehungen mit denjenigen kündigen, die den Hals nicht voll kriegen.

Die "Vorsorge" der Betreiber

Nach dem Atomgesetz sind die Betreiber der Atomanlagen verpflichtet, Vorsorge für den Abbau der Anlagen und die Lagerung des radioaktiven Hochrisikomülls zu treffen. Wie sie das machen, ist bisher völlig den Betreibern überlassen. Es gibt nur eine Vorschrift aus dem Handelsrecht, die besagt, dass ein Betrieb für zukünftig zu erwartende Kosten Rückstellungen in der Bilanz vornehmen muss. Aber das bedeutet lediglich, dass der steuerliche Gewinn sich um die Rückstellungen vermindert – also ein Steuersparmodell. Keine Betreibergesellschaft hat bisher echte Rücklagen gebildet, sie sind formal arm wie Kirchenmäuse, weil die Gewinne immer sofort an den Mutterkonzern überwiesen werden. Denn den Energieversorgern war das Risiko durch den Betrieb der AKWs immer viel zu groß. Sie haben für jedes AKW eine separate Firma gegründet, die mit dem Mutterkonzern durch einen Gewinnabführungsvertrag verbunden ist.

Am Beispiel des AKW Grohnde heißt das:

Die Firma "Gemeinschaftskernkraftwerk Grohnde GmbH & Co. OHG" hat zwar Rückstellungen in Höhe von 1,5 Mrd. Euro gebildet, aber Rücklagen z.B. in Form von Wertpapieren gibt es nur ca. 0,2 Mrd. – der Rest des jahrzehntelang aufgelaufenen Gewinns ist beim Mutterkonzern E.on gelandet. Der verdient damit Geld durch Firmenaufkäufe und Börsengeschäfte. Die Gewinne daraus hat E.on über luxemburgische Briefkastenfirmen geleitet, um sich der Steuerpflicht in Deutschland zu entziehen. Falls die Betreibergesellschaft eines AKWs pleite geht, sind die Mutterkonzerne allerdings durch eine sogenannte Patronatserklärung aus dem ersten Atomausstieg daran gebunden, die Verpflichtungen zu übernehmen – allerdings nur bis zum 27. April 2022, danach dürfen dann wieder diejenigen ran, die ihre Steuern in Deutschland zahlen. Durch die angekündigte Aufspaltung des E.on-Konzerns verschärft sich die Situation noch weiter. Zwar geisterte durch die Presse, dass E.on "14,5 Milliarden Euro in der Hinterhand hält, um Atomkraftwerke rückzubauen und die Lagerung von Atommüll zu gewährleisten" (n-tv, 1.12.2014), aber da handelt es sich wieder nur um die Rückstellungen.

Das Vermögen des Konzerns besteht hauptsächlich aus "Sachanlagen", also dem jeweils aktuellen Wert von Grundstücken, Kraftwerken und Leitungen. Angesichts eines Schuldenberges von 31 Mrd. Euro sieht dieser "Buchwert" in Höhe von derzeit 50 Mrd. Euro gar nicht so gewaltig aus. Und dieser "Buchwert" verringert sich jährlich um die Abschreibungen, also den angenommenen Wertverlust z.B. durch Alterung. Im letzten Jahr betrug dieser Wertverlust 4 Mrd. Euro. Die neue Altlasten-Abteilung der E.on könnte bis 2022 allein durch diesen Wertverlust den größten Teil ihres "Vermögens" verlieren. Man kann also nicht ernsthaft erwarten, dass der in den Firmenbüchern auftauchende Wert der AKWs und Kohlekraftwerken genutzt werden kann, um ihren Abriss zu finanzieren. Und die lukrativeren Beteiligungen, beispielsweise an Windkraftanlagen in Texas, die mit den Gewinnen aus dem AKW-Geschäft finanziert worden sind, dürften durch die Konzernspaltung in einer anderen Firma verschwunden sein. Denn darum geht es bei E.ons Aufspaltung letztendlich: Die guten Geschäfte der Zukunft zu sichern, die Hinterlassenschaften der Vergangenheit loszuwerden.

Das Geld muss gesichert werden

Insgesamt befinden sich für Rückbau- und Lagerungskosten 35,9 Milliarden Euro als Rückstellungen in den Bilanzen von E.on, RWE, EnBW und Vattenfall. Dieses Geld ist weder ausreichend – schon jetzt werden die Kosten deutlich höher geschätzt –, noch ist es "insolvenzsicher", wie Umweltgruppen und sogar das Umweltbundesamt kritisieren. Es ist daher dringender denn je, endlich eine alte Forderung der Anti-Atom-Bewegung gesetzlich umzusetzen: dass die "Rückstellungen" der AKW-Betreiber in einen öffentlich verwalteten Fonds eingezahlt werden. Und zwar ohne dass die Konzerne aus der Verantwortung entlassen werden. Wenn die 35,9 Milliarden nicht ausreichen, muss weiteres Geld fließen. Auch wenn es aus lukrativen Windmühlen in Texas stammt.

Göttinger Arbeitskreis gegen Atomenergie Anti-Atom-Initiative Göttingen