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Göttinger
Autor*innen
Wolfgang Bittner
Lesung
in der Torhaus-Galerie /
Lesung
aus seinem nach wie vor hochaktuellen Debütroman: "der Aufsteiger"
Bittner hat in mehrfacher Hinsicht einen politischen Roman geschrieben. Als Journalist zu seinen politischen Auffassungen zu stehen und trotz Anfeindungen und negativen Folgen die Wahrheit zu schreiben. Das allein wäre schon als politisches Thema genug. Aber Bittner nimmt nahezu jede Möglichkeit in der fortlaufenden Handlung wahr, um politische Inhalte auszubreiten, einzuflechten anzudeuten. Das Beispiel einer 1.Mai-Rede über die Heller die Hauptfigur des Romans einen Bericht schreiben will, ist dasseher noch brachial deutlich. Ein DGB-Vorsitzender zieht dermaßen vom Leder, dass es nur so kracht. "Die Regierung ist zum Erfüllungsgehilfen der Wirtschaftslobby geworden (...) der Siegeszug des ungebremsten Kapitalismus... ....Die Spekulanten verzocken unser Geld .....ein Viertel der Bevölkerung am Rande oder unterhalt des Existenzminimums, allein über eine Million von Hartz IV...." (S.97) Gleichzeitig tauchen Nazis als Störer auf. Dann wird die Abwiegelei des Polizeileiters beschrieben, der keine organisierte Störung von Nazis, sondern nur Äußerungen kritischer Einzelmeinungen gesehen haben will. Diese Sichtweise wird durch Hellers Zeitungsarbeit in der Öffentlichkeit schärfstens korrigiert. Das gefällt dem Herausgeber des "Tagblatt" nicht und irgendwann muß Heller gehen. (der Autor hat sicher nicht dabei ans Göttinger Tageblatt und dessen Fotograf Heller gedacht! Es ist immer wieder von der Ortschaft O. die Rede, unweit von der Küste, vielleicht Oldenburg) Der Kampf um journalistische Ehrlichkeit, wie auch die Bennenung von Nazis und Hintermännern, die Aufdeckung ihrer Täterschaft bei Anschlägen, gegen alle Beschönigungen und Vertuschungsversuche zieht sich als Linie im Buch durch. Auffälligerweise wird zwar die Aufdeckung von Naziaktivitäten und deren strafrechtliche Verfolgung (der Autor ist Jurist!) kontinuierlich in die Geschichte eingebaut aber die Argumente der Nazis, die zu "geschlossenen rechtsradikalen Weltbildern" führende Ideologie wird nicht immer mit Gegenargumenten aufgelöst. Das scheint bedenklich wenn z.B. der emotionale Ausbruch eines Unternehmers mit geschlossenem rechtsradikalen Weltbild beschrieben wird. Dies lässt nicht nur Heller, sondern auch den Leser ratlos zurück, denn es taucht niemand auf, der detailliert dagegen argumentiert (134 ff). Die meisten LeserInnen des Romans werden immun sein gegen die beschriebenen Naziplattheiten. Jedoch befällt einen Unwohlsein bei der Annahme, dass diese Plattheiten genau die Denke einer großen Masse Menschen ist, ohne dass man sie mit einfachen Gegenerklärungen erreichen könnte. Die im Roman geweckte Hoffnung, dass das Problem durch die Auswechslung des korrupten Polizeichefs (auch noch mit Hilfe des BKA) gelöst werden könne, ist vermutlich in sich selbst illusiorisch aber ignoriert auch, dass dadurch die rassistischen Grundstimmungen in der Bevölkerung nicht beseitigt werden. Auch aufklärende Zeitungsartikel können hier nur einen begrenzten Beitrag leisten. Was die Einflechtung politischer Themen insgesamt angeht, so könnte man eine lange Liste derjenigen Themen erstellen, die Bittner in seinem Roman anspricht: Uni, Studenten, akademischer Karrierismus (mit der verdienstvollen Erinnerung an die >>Antrittsrede Schillers in Jena, deren Kritik an den verschleierten materiellen Interessen vieler Professoren heute fast noch aktueller als damals ist.) Das Thema Afghanistan und die Traumatisierung von Soldaten wird eingeflochten im Gespräch mit einer Gasthauswirtin. Oder: auf dem Weg Hellers zwischen Apotheke, Museum und Altenheim wird kurzerhand über zwei Buchseiten hinweg eine Analyse der Adelsherrschaft früherer Zeiten eingeschoben "der ganze Kontinent war lückenlos von irgendwelchen adeligen Gaunern, Erpressern und Kriegstreibern besetzt." dassHeller als Hauptfigur des Romans Chefredakteur einer Lokalzeitung wird, ergibt sich die Möglichkeit auch das Thema Nahverkehr und Privatisierungspolitik einzuflechten. (44) Bebauungspläne, und überall "Kungelei und Vetternwirtschaft". Dass der Sohn Hellers sich in Westafrika aufhält verschafft die Gelegenheit, ihn eine lange Email an den Vater schreiben zu lassen, mit einer Kritik an der Entwicklungshilfepolitik in der die Verschleuderung von Steuergeldern für das aufwändige Leben von Diplomaten im auswärtigen Dienst beschrieben wird und "wie skrupellos die Ressourcen dieser Länder zum Nachteil der Bevölkerung ausgebeutet werden." Und so könnten weitere Textstellen dieser Art aneinandergereiht werden, die immer wieder eingeflochten sind in den Beschreibungen z.B. von Treffen mit Freunden, Parties oder intimen Zweierbegebenheiten. Am Anfang des Buches ist ein Nachdenken Hellers über sein Schicksal zu lesen: "Sein Engagement war ihm nie von Vorteil gewesen hatte ihn auch jetzt wieder ins Abseits gebracht und ihn seine Stelle gekostet ... Ein Gen-Defekt dachte er, eine Art Gerechtigkeiswahn, womöglich eine psychische Störung ..." (S. 17) Damit rührt der Buchinhalt an ein merkwürdiges Phänomen, das auftritt, wenn einfache aber grundlegende Wahrheiten so laut und deutlich geäußert werden, dass eine Reaktion darauf nur der Schrei nach Veränderung sein kann. Wer Angst vor einer Auflösung bisheriger Ordnung hat, muß dies als peinlichen Druck empfinden und wendet seine Emotionen oftmals gegen den Verkünder der Wahrheit. Die Abwehr kommt jedoch oft eher verdeckt daher mit einer Bemerkung wie, "das ist doch alles etwas einfach dargestellt zu undifferenziert". Wenn aus dem Gesagten nur die Konsequenz einer umwälzenden Veränderung gezogen werden kann, müssen diejenigen, die diese Änderung nicht wollen, das Gesagte bekämpfen. So kann es kommen, dass der Verkünder der Wahrheit immer und immer wieder alleine dasteht und unter den Reaktionen zu leiden hat, so wie sie Bittner an seiner Romanfigur Heller beschreibt. Heller hat sogar Angst darüber depressiv zu werden. Sollte ein Leser nun auf die Idee kommen, in Bittners Roman ein gerüttelt Maß Autobiographisches zu vermuten, wird er darüber stolpern, dass Bittner solcherlei Ansinnen ahnend im Roman selbst kommentiert: als Heller über die Begegnung mit einer Schriftstellerin berichtet sagt er zu seiner Gesprächspartnerin u.a. : "Begehen Sie nicht den Fehler, die Autorin mit der Protagonistin gleichzusetzen." (47) Doch dann fällt der Fortgang des Romans dieser Abwehr in den Rücken, denn genau diese Autorin von der die Rede war hat in autobiographischer Weise intime Erlebnisse mit Heller in ihren neuesten Roman eingebaut. Das lässt einen dann rätselratend zurück, wie es wohl Bittner mit Autobiographischem hält. Veranstaltung und Werkstattgespräch
mit Wolfgang Bittner:
12.12.12 /Der verdi-Ortsverein Göttingen lud ein zu einem Vortrag von Wolfgang Bittner "Vom Schreiben leben" am 10. Dezember um 20 Uhr im APEX.Zugrunde liegt sein Buch "Beruf: Schriftsteller – Was man wissen muss, wenn man vom Schreiben leben will?" Die gängige Literatur
der Gegenwart ist weitgehend "gesellschaftskonform", das Widerständige,
wie es beispielsweise früher bei Andersch, Böll oder Sehers
zu finden war, sei lange vorbei. Wer aus dem gesellschaftlichen Konsens
ausbreche, wie z.B. Martin Walser oder Günter Grass, so Bittner,
sei der Zurechtweisung und gesellschaftlichen Sanktionen ausgesetzt. |