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Geschichte: Deportation mit der Bahn

Zug der Erinnerung
Gedenkkundgebung auf dem Bahnhofvorplatz
Das Unternehmen Deutsche Bahn und seine Probleme mit der Geschichte
> Für eine neue regionale Gedenk - und Erinnerungskultur
> 9. November

Das Unternehmen Deutsche Bahn und seine Probleme mit der Geschichte

Gedenkkundgebung am Bahnhof
23. Juli 2007, 16 Uhr, Bahnhofsvorplatz.Kundgebung der Initiative „Zug der Erinnerung“ (Regionalgruppe Göttingen www.zug-der-erinnerung.eu ) zum Gedenken an die Deportation der Göttinger Jüdinnen und Juden vor 65 Jahren . unterstützende Gruppen: Jüdische Gemeinde Göttingen, Lagergemeinschaft und KZ-Gedenkstätte Moringen, VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten), OLAfA (Offene Linke - Alles für Alle) Geschichtswerkstatt Göttingen, Fantifa, Basisgruppe Geschichte

Gedenkkundgebung auf dem Göttinger Bahnhofsvorplatz. Vor einem Transparent mit der Aufschrift „In Gedenken an die Deportierten. 1941-45. Kein Vergessen“ wurden die Namen der 248 Holocaust-Opfer aus Göttingen und Umland verlesen. Brennende Kerzen formten die Zahl 248.

Hier sind nur uniformierte Polizei und Bahnpolizei ( = Bundespolizei) zu sehen, im Bahnhof standen noch 3 Zivilpolizisten.

Kritik an Überwachung durch Staatsschutz
Die Initiative kritisierte scharf, dass die unter anderem von der Jüdischen Gemeinde und der KZ-Gedenkstätte Moringen unterstützte Kundgebung von mehreren Zivilpolizisten des Staatsschutzes überwacht wurde. „Das ist ein Unding“, erklärte die Initiative. „Es ist skandalös, wenn die Polizei offenbar sogar im Gedenken an NS-Opfer staatsfeindliche und demokratiegefährdende Umtriebe sieht.“
Die Kundgebung machte auch auf den „Zug der Erinnerung“ aufmerksam, der voraussichtlich Ende November in Göttingen Station machen und dann im Rahmen der alljährlichen Veranstaltungsreihe „Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus – 27. Januar“ zu besichtigen sein wird. Der Zug soll im kommenden Herbst und Winter auf der Strecke der früheren Deportationen der Reichsbahn verkehren und die deutschen Wohnorte der von den Nazis verschleppten und ermordeten jüdischen Kinder ansteuern. Eine mobile Ausstellung, die das Deportationsschicksal in mehreren Waggons darstellt, will insbesondere Jugendliche zur Spurensuche nach örtlichen Lebenszeugnissen der mehr als 12.000 deportierten Kinder anregen. Die Ausstellung versucht aber nicht nur, die Geschichte dieser Kinder zu erzählen und den Opfern ein Gesicht und einen Namen zu geben, sondern es geht auch um das reibungslose bürokratische System, das die Deportationen möglich machte. Es geht um die Verantwortung, die Menschen und Institutionen wie die Reichsbahn und ihr Folgeunternehmen Deutsche Bahn übernehmen müssen. Es ist wichtig, an den Orten an die Deportationen zuerinnern, an denen sie stattgefunden haben, also auch an den Bahnhöfen.

Bahn lehnt Ausstellung über Deportation ab und blockiert Protestaktionen dazu
30.1.07 / Seit letztem Jahr dauert die Auseinandersetzung zwischen Deutscher Bahn AG und der Initiative von Beate Klarsfeld, die inzwischen mehrere Unterstützergruppen in deutschen Städten gefunden hat. In Frankreich wurde eine Ausstellung Beate Klarsfelds ohne Einschränkungen in den Bahnhöfen gezeigt. Die Bahn AG hierzulande jedoch weigert sich beharrlich, einer Ausstellung über die Deportationen während des Hitler-Regimes angemessene Aufmerksamkeit zu ermöglichen und will das Thema sanft übergehen bzw. in "ruhigere Bereiche" verlegen. Zur Abwehr der Forderungen gab es sogar den Versuch der Bahn, stattdessen eine selbst gestaltete Ausstellung aufzubauen - jedenfalls wollte der Chef der Bahn AG Mehdorn keinesfalls die Ausstellung von Serge und Beate Klarsfeld übernehmen. Am Gedenktag zur Befreiung des KZ Auschwitz am 27.1. fanden nun Aktionen in deutschen Bahnhöfen statt. Offensichtlich auch in Göttingen -

Presseerklärung einer "Initiative Elftausend jüdische Kinder; Göttingen" 29.1.07
"Anlässlich des 27. Januar, des Holocaust-Gedenktages, fanden bundesweit Aktionen auf Bahnhöfen statt. Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Deutschen Bahn sich nach wie vor weigert, auf ihren Bahnhöfen die Ausstellung über 11 000 deportierte jüdische Kinder aus Frankreich zu zeigen.
Auch in Göttingen wurde mit einer improvisierten Ausstellung und 900 verteilten Broschüren über das Schicksal von insgesamt drei Millionen Deportierter aufgeklärt , die die Deutsche Reichsbahn über ihr Schienennetz in die Konzentration- und Vernichtungslager transportierte.
Dass die Deutsche Bahn anscheinend kein Interesse hat, an die Millionen Menschen zu erinnern, die durch das Vorgängerunternehmen der Deutschen Bahn meist in den sicheren Tod deportiert wurden, zeigte sich heute auch im Göttinger Bahnhof.
Schon im Vorfeld wurden alle Bahnbedienstete schriftlich angewiesen, das Erinnern im Bahnhof konsequent zu unterbinden. Diese Order des Bahnvorstandes konnten die Bahnbediensteten in Göttingen nur teilweise umsetzen. Während insgesamt 900 Infobroschüren an Reisende im Bahnhof meist problemlos verteilt werden konnten, gingen die Bahnmitarbeiter gegen die an einen Bauzaun angebrachte Ausstellung rabiat vor. Die Bilder von nach Auschwitz deportierter jüdischer Kinder wurden von einem Bahnangestellten abgerissen. Personen, die sich schützend vor die Bilder stellten, wurden weggeschubst. Gegen eine Aktivistin wurde ein Hausverbot ausgesprochen.
Das Verhalten der Bahnbediensteten stieß auch bei Reisenden auf Unverständnis, die die verteilten Broschüren mit großem Interesse entgegennahmen."

Wir haben von goest aus die "Medienbetreuung" der Deutschen Bahn AG am 29.1.07 um eine Stellungnahme gebeten,bislang aber keine Antwort erhalten.

 

Text des Flugblattes das bei der Kundgebung verteilt wurde:

Die Deportation der Jüdinnen und Juden war getarnt als Umsiedlungsaktion zum Arbeitseinsatz im Osten, in Wahrheit aber geplant als Teil der „Endlösung der Judenfrage“, der Ausrottung aller jüdischen Menschen in Europa. Nach den Beschlüssen der „Wannseekonferenz“ am 21. Januar 1942 begann im März 1942 reichsweit der Abtransport der jüdischen Bevölkerung – vom Reichssicherheitshauptamt unter Heydrich und Eichmann in Berlin zentral gesteuert und von der Deutschen Reichsbahn koordiniert.

Kaserniert in „Judensammelhäusern“
In Göttingen lebten zu dieser Zeit noch ungefähr hundert Juden und Jüdinnen. Die meisten von ihnen waren bereits zusammengepfercht worden in den so genannten „Judensammelhäusern“ Weender Landstraße 5b und 26, Weender Straße 1, Planckstraße 12 und Keplerstraße 3. Von diesen wurden am Morgen des 26. März 1942 nahezu alle unter 65- Jährigen und einige etwas ältere Familienangehörige – bekannt sind 79 Namen – zur Deportation abgeholt. Unter ihnen waren elf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene; der Jüngste war drei Jahre alt. Abgesehen von einem Gepäckstück pro Person mussten sie alles, was sie noch besaßen, stehen und liegen lassen.
Von Göttingen aus ins Warschauer Ghetto
Vom Göttinger Bahnhof aus wurden sie zusammen mit weiteren Juden und Jüdinnen aus dem Umland zunächst nach Hildesheim transportiert, wo man ihnen alle Wertsachen abnahm. Die nächste Station war das Sammellager Ahlem bei Hannover. Dort blieben sie bis zum 31. März und wurden dann gemeinsam mit fast 400 weiteren LeidensgefährtInnen aus den Regierungsbezirken Hannover und Hildesheim über das Zwangsarbeitslager Trawniki in das Warschauer Ghetto deportiert. Ab Sommer 1942 wurden die meisten von ihnen in das Vernichtungslager Treblinka abgeschoben und dort ermordet, einige dürften im Warschauer Ghetto bei dessen Liquidierung im Frühjahr 1943 umgebracht worden sein. Niemand von ihnen hat überlebt.
Zweite Deportation am 21. Juli 1942
Die Zurückgebliebenen, 31 an der Zahl – überwiegend Männer und Frauen zwischen 70 und 90, zwei sogar über 90 –, wurden vier Monate später am 21. Juli 1942 in gleicher Weise erfasst und in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Aus diesem Transport kamen nur drei zurück, von denen eine Person kurz nach der Befreiung an den Folgen der Deportation starb. Alle anderen wurden ermordet, teils in Theresienstadt, teils in Auschwitz.
Göttingen fast „judenrein“
Damit war Göttingen fast „judenrein“ gemacht, wie es in der Sprache des Nazi-Regimes hieß. Im Oktober 1942 wurden nur noch neun jüdische EinwohnerInnen registriert, die wegen ihrer nichtjüdischen EhepartnerInnen zunächst verschont blieben. Ab Ende 1944 hielt dieser Schutz aber nur noch begrenzt. Vier von ihnen wurden im Dezember 1944 bzw. noch im Februar 1945 nach Theresienstadt deportiert; eine der Frauen nahm sich vor dem Abtransport selbst das Leben. Nur vier Menschen überlebten in Göttingen, dank des Einsatzes ihrer PartnerInnen.
Und die Göttinger Bürgerinnen und Bürger haben weggeschaut
Wie viele BürgerInnen in unserer Stadt diese Deportationen ihrer jüdischen MitbürgerInnen zur Kenntnis genommen haben, lässt sich heute kaum mehr ermitteln. Manche haben sich an dem von ihnen zurückgelassenen Eigentum bereichert. Das ist aktenkundig. Im Übrigen aber fehlen Berichte von ZeitzeugInnen, die über die näheren Umstände des 26. März und 21. Juli 1942 Auskunft geben könnten.