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Göttinger Betriebsexpress e.V. (GBE)

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Göttinger Betriebsexpress Nr. 181 (Ausgabe vom 28. Februar 2007)

Sartorius: Hecht oder Karpfen im globalen Teich?
Novelis (Alcan): Globalisierung verkehrt
...siehe Novelis
Sozialstaat: Grundeinkommen für Alle
Diskussionsveranstaltung Grundeinkommen: 6.3.07
Uni-Klinikum I: Spare’, spare’ – Häusle baue’
Uni-Klinikum II: Personalversammlung!?
Gewerkschaftsbosse: Prima Klima bei der Gewerkschaft
Arbeitslosengeld II Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen
Cinemaxx: Cinemaxx gegen Tarifvertrag
Buchvorstellung und Vortrag: Zwangsarbeit im Landkreis Göttingen 1939 bis 1945

Sartorius: Hecht oder Karpfen im globalen Teich?

In der letzten Woche herrschte große Aufregung bei den 1.800 Göttinger KollegInnen von Sartorius. Morgens an den Werkstoren hingen überraschend Einladungen zu einer Informationsveranstaltung der Geschäftsleitung am Nachmittag. Die Gerüchte kochten natürlich hoch und alle stürmten an den nächstgelegenen PC, um zu erfahren, was da los ist. Grund der Aufregung: Sartorius hat die französische Aktiengesellschaft Stedim S.A. gekauft, die im Biotechnologiebereich tätig ist.

Nun hat Sartorius schon mehrfach in den letzten Jahren Firmen übernommen, ohne dass es all zuviel Aufregung gab. Aber ein Blick in die Pressemitteilungen zeigt, dass es doch ein wenig 'aufregender' ist. Erstens mal ist der Brocken, den Sartorius da schlucken möchte, recht groß. Das Unternehmen hat einen Jahresumsatz von 91 Millionen Euro und ca. 540 KollegInnen arbeiten dort. Der Aktienwert des Unternehmens wird mit ca. 300 Mill. Euro geschätzt. Bei solchen Größenordnungen kann den KollegInnen natürlich angst und bange werden, ob eine Firma in der Größe von Sartorius das 'wuppen' kann. Der zweite Knackepunkt bei dem Geschäft: statt die Firma einfach zu kaufen, wird Sartorius bei dieser Gelegenheit die Biotechnologie vollständig von der Mechatronik abspalten und zusammen mit der Stedim S.A. in die gemeinsame Firma Sartorius Stedim Biotech S.A. überführen. Und noch weiter wurden die KollegInnen durch die Tatsache verunsichert, dass der Firmensitz des neuen Unternehmens in Frankreich sein soll. Da kamen natürlich sofort Ängste auf, dass "die Franzosen" mit den Göttinger KollegInnen "Airbus spielen" wollen.

Alles im Griff

Verhandlungsergebnis – sie haben ihre IGM-Mitgliedsbeiträge offensichtlich gut investiert. Weniger begeistert dürften die Beschäftigten der diversen kleineren Firmen sein, die in letzter Zeit in Göttingen im Sartoriuskonzern entstanden sind – für sie gelten diese Vereinbarungen nicht. Dazu gehört eine Gesellschaft für das Projektgeschäft der Biotechnologie, eine Servicegesellschaft und die neu dazugekaufte Tohaplast. Diese Firmen haben (bis jetzt) allerdings auch keinen Betriebsrat. Hier sind die Beschäftigten ganz auf sich allein gestellt. Vielleicht ist dies ja ein Ansporn für die KollegInnen, sich doch eine starke Interessenvertretung zu wählen, damit sie in Zukunft für solche 'Schicksalsschläge' gerüstet sind.

Bleibt die Kirche im Dorf?

In Bezug auf eine Verlagerung des Hauptsitzes der Biotechnologie nach Aubagne in Frankreich sind die Ängste der KollegInnen vermutlich unbegründet. Die "wesentlichen globalen Funktionen" sollen in Göttingen verbleiben. Und da drei der vier deutschen Vorstände der Sartorius Stedim Biotech S.A. aus Göttingen kommen, dürfte das tägliche Geschäft wohl in Göttingen bestimmt werden. Das befürchtete "rien ne va plus" für die Göttinger Biotechnologie bleibt aus. Aber auch so wird es genügend Änderungen geben. Über 600 KollegInnen werden in die neue Biotechnikfirma wechseln. Weitere 250 Menschen werden in eine Verwaltungsfirma Sartorius Administration wechseln, die dann Verwaltung, Abrechnung und so weiter regelt. Nur die Mechatronik, d.h. die Waagenbauer, bleiben bei der bisherigen Sartorius AG.

Neu Organisieren

Während die Geschäftsleitung jetzt mit der Organisation der neuen Firmen beschäftigt ist, muss es für die KollegInnen darum gehen, sich in Göttingen neu zu organisieren, damit sie nicht genau so auseinander dividiert werden wie ihre Firmen. Bereits jetzt gibt es in Göttingen sechs getrennte Sartoriusfirmen, von denen zwei einen Betriebsrat haben. Nach der Umgründung wird es in Göttingen acht Firmen und damit bis zu acht verschiedene Betriebsräte geben. Im Extremfall also acht Gremien, die acht mal über Überstunden, Arbeitszeitkorridore, Kantinenpreise usw. verhandeln – und im schlimmsten Fall auch zu acht unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Für die Geschäftsleitung kann das die Idealsituation für "Teile und Herrsche" sein – oder im anderen Extrem kann es in einem völligen Durcheinander enden. Es liegt an den KollegInnen, nun Zusammenhalt zu zeigen und sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen und auf vernünftige Lösungen zu dringen. Das gilt natürlich auch für die Zusammenarbeit mit den KollegInnen in Frankreich, die genauso ihre Interessen wahren wollen.

Hintergründe

Vor ziemlich genau zwei Jahren haben wir im GBE darüber spekuliert, ob Sartorius demnächst filetiert wird oder eher geschnetzelt. Hintergrund der Spekulation war der stetig steigende Aktienanteil der amerikanischen Bio-Rad. Dieser Konzern hat inzwischen über 25% des Aktienkapitals der Sartorius AG in der Hand und damit eine Sperrminorität. Mit einiger Fantasie kann man sich ausdenken, dass Bio-Rad hauptsächlich an der Sparte Biotechnik interessiert ist. Es könnte diesem Anteilseigner also gut in den Kram passen, wenn jetzt die Biotechnik als ein 'Filetstück' aus der Sartorius AG herausgelöst wird. Aber wenn man sich die bisher bekannt gewordenen Details des Deals ansieht, dann kann es genau so gut sein, dass es sich um die berühmte 'Flucht nach vorn' handelt. Durch die jetzige Übernahme ist der Kuchen Sartorius größer geworden und die Gefahr einer Übernahme damit kleiner. Und es sind weitere Anteilseigner im Boot – die bisherigen Chefs und Gründer von Stedim, denen bisher noch die Hälfte des Unternehmens gehörte, werden nämlich in der neuen Biotech Firma ebenfalls engagiert bleiben. Und auch den anderen StedimaktionärInnen wird angeboten, ihre Aktien zu behalten.

Sartorius hat im neuen Unternehmen mindestens 70% Anteile und damit auf jeden Fall das Sagen. Und weil Sartorius in die neue Sartorius Stedim Biotech seine gesamte bisherige Sparte Biotechnik einbringt, dürfte vermutlich nicht einmal sehr viel Geld fließen. Das ganze komplizierte Geschäft liest sich so, als hätten mindestens ein Dutzend ausgeschlafener Winkeladvokaten und Steuerfüchse die Planung gemacht.

Wechsel auf die Zukunft

Ein Wechsel auf die Zukunft ist das Ganze allerdings doch. Um nicht all zu viel Geld investieren zu müssen und die Stedim-Anleger bei der Stange zu halten, will Sartorius eine Gewinngarantie für die nächsten zwei Jahre abgeben. Wenn die Aktie abstürzt (z.B. weil die gesamte Börse einen Einbruch erlebt), dann muss Sartorius bis zu 20 Euro pro Aktie Entschädigung zahlen. Das hört sich erst einmal selbstbewusst an, aber damit ist das Schicksal der KollegInnen wieder ein bisschen mehr abhängig von der Börsenkonjunktur. Und das betrifft auch die KollegInnen der Waagentechnik. Deren größtes Problem ist jetzt, dass sie angesichts der nun deutlich größeren Biotechnik, die auch noch stärker wächst, im Konzern immer weiter abgehängt werden. Die Frage ist, ob in den nächsten Jahren Geld genug da ist, um auch in der Mechatronik die notwendigen Investitionen zu finanzieren. Die Versuchung ist groß für die Konzernleitung, bei Problemen mit dem Biotech-Deal neues Geld durch den Verkauf der Waagensparte herein zu bekommen.

Sartoriusvorstand Kreuzburg gibt sich natürlich optimistisch. Für ihn stellt Stedim nicht einfach nur vornehme Plastiktüten her sondern er ist auf neudeutsch "globaler Marktführer in Bag-Technologien". Da kann man für die KollegInnen in Frankreich, Deutschland und anderswo nur hoffen, dass der nächste Megatrend nicht heißt "Jute statt Plastik".

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Sozialstaat: Grundeinkommen für Alle

Erwerbsarbeit hat nach wie vor einen zentralen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Weite Teile der Gesellschaft ziehen ihr Selbstwertgefühl aus dem 'Geldwert' ihrer Arbeit. Auf der anderen Seite scheint immer weniger Arbeit notwendig zu sein, um unseren gesellschaftlichen Reichtum zu produzieren. Vor diesem Hintergrund gibt es eine breite gesellschaftliche Debatte über ein Grundeinkommen für Alle. Die Befürworter eines solchen Modells kommen aus den verschiedensten politischen Bereichen: Werner Rätz von attac und Katja Kipping von der Linkspartei gehören ebenso dazu wie Dieter Althaus von der CDU und der Drogerieketten-Besitzer Götz Werner

500 Euro oder 1.000 oder gar 1.500 Euro bar auf die Hand, ohne dafür auch nur einen Handstreich zu tun, ohne dafür auch nur eine Zeile eines Kontrollbogens ausfüllen zu müssen - was ist das? Die Neuerfindung des Sozialstaates ohne Bevormundung? Die Vollendung eines reaktionären neoliberalen Verarmungsprojektes? Das neu gegründete Reich für Faulenzer? Am so genannten 'bedingungslosen' Grundeinkommen scheiden sich die Geister und völlig neue Allianzen tauchen auf. Ein Grund dafür ist, dass unter diesem Begriff zum Teil sehr unterschiedliche Modelle versammelt werden. Und da solch ein Grundeinkommen Geld kostet, sind all diese Modelle auch noch mit verschiedenen Ansätzen verknüpft, wie der Staat dieses Geld über Steuern wieder hereinholen kann.

Die Idee

Die Idee, Menschen auch unabhängig von Arbeitszwang einen Lebensunterhalt zu ermöglichen, ist nicht neu. Einst nannte man das 'Sozialhilfe' oder 'Arbeitslosenhilfe'. Und in den USA wurde der Begriff 'negative Einkommenssteuer' dafür erfunden. Anders an der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) ist der Verzicht auf eine Prüfung der Arbeitswilligkeit und der Bedürftigkeit. Das klingt nach einer schönen Utopie: nichts tun und trotzdem Geld bekommen. Allerdings ist allen BGE-Modellen eins gemeinsam: mit dem Geld, das man dann bekommen soll, kann man keine großen Sprünge machen. Ohne Arbeit wird es also nicht gehen, wenn man Stereoanlage, Auto, Fernseher und eine neue Coachgarnitur haben will.

Angesichts der jetzt seit Jahrzehnten andauernden Massenarbeitslosigkeit ist es allerdings mehr als zynisch, wenn man von Arbeitslosen, die nach kurzer Zeit auf die Leistungen von ALG II (345 Euro pro Monat und Kosten der Unterkunft) angewiesen sind, ständig wieder Bewerbungen und nochmals Bewerbungen verlangt. Es gibt auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt nun mal nicht genug Arbeit für Alle, also soll man die Arbeitslosen nicht noch dadurch demütigen, dass man ihnen ständig vor Augen führt, dass sie nicht gebraucht werden.

Für unsere Lebensentwürfe eröffnet ein Grundeinkommmen ganz neue Möglichkeiten: eine Weile aus dem Zwang zur Lohnarbeit aussteigen und sich z.B. um Kindererziehung kümmern oder vom Brocken zum Watzmann wandern oder wovon man sonst schon immer geträumt hat.

Die Gegenargumente

Selbst Unternehmer wie der Drogeriekettenbesitzer Götz Werner reisen durch die Lande und verkünden ihre Vision eines Grundeinkommens. Und Dieter Althaus, der Ministerpräsident von Thüringen, versucht seinen Parteifreunden in der CDU das 'solidarische Bürgergeld' schmackhaft zu machen. Politikerinnen wie Katja Kipping von der Linkspartei sind im "Netzwerk Grundeinkommen" vereint mit AktivistInnen von attac und den Arbeitsloseninitiativen. Aber in der SPD und in den Gewerkschaften gibt es zum Teil erhebliche Gegenwehr gegen ein BGE.

  1. Das ist nicht finanzierbar

Totschlagargument Nummer 1 ist immer die Finanzierbarkeit des Grundeinkommens. Je nach Höhe des Grundeinkommens können leicht 800 Milliarden Euro Kosten im Jahr auf die Staatskasse zukommen.

Aber im Gegenzug würden natürlich die Ausgaben für Sozialhilfe, ALG II usw. entfallen, so dass nur ein Rest von 460 Milliarden bliebe. Ebenfalls entfallen würden staatliche Unterstützungsleistungen wie z.B. das Ehegattensplitting und die Freibeträge in der Einkommenssteuer. Nach einem Gutachten der Konrad-Adenauer-Stiftung wäre ein BGE durch eine Steuerreform durchaus zu finanzieren – und auch so, dass bei NiedrigverdienerInnen und ALG-II-BezieherInnen hinterher mehr und dafür bei reichen Menschen weniger im Portemonnaie ist. Und außerdem ist es viel wichtiger, sich erst einmal darum zu streiten, ob ein BGE überhaupt wünschenswert ist, bevor man sich darum kümmert, ob und wie man es finanzieren kann.

  1. Dann will ja niemand mehr arbeiten

Wenn alle Menschen ein garantiertes Grundeinkommen beziehen, ohne dass sie dafür arbeiten müssen, dann werden sich viele Arbeitslose gar nicht mehr um Arbeit bemühen.

In der kanadischen Provinz Manitoba wurde von 1974 bis 1977 ein Experiment mit einem garantierten Grundeinkommen durchgeführt. Dies hat aber nicht dazu geführt, dass die Menschen weniger gearbeitet haben als Menschen, die kein garantiertes Grundeinkommen bekamen. Das erscheint auch logisch, denn das Grundeinkommen reicht wohl eher 'gerade so' zum Leben. Wer sich 'Extrawürste' wünscht, muss sich eine Arbeit suchen. Das Schlaraffenland ohne Arbeit fordern also die BefürworterInnen des BGE nicht.

  1. Damit werden die Arbeitslosen "entsorgt"

Mit einem Grundeinkommen will die satte, abgesicherte Mittelschicht nur ihr schlechtes Gewissen beruhigen. Die Gesellschaft schiebt die Arbeitslosen in ein Nichtstuer-Ghetto ab statt sich darum zu kümmern, dass Arbeitsplätze geschaffen werden. Die richtige Gegenmaßnahme ist ein Verkürzung der Wochenarbeitszeit z.B. auf 30 Stunden.

Die Befürworter des BGE können hier gar kein Gegenargument erkennen. Sie sind auch für eine Arbeitszeitverkürzung. Allerdings sind die Tarifkämpfe der letzten zwanzig Jahre ja nicht gerade von Fortschritten im Bereich Arbeitszeit geprägt. Im Gegenteil wird den Arbeitenden immer mehr Arbeit bei weniger Lohn aufgedrückt. Das Grundeinkommen und Arbeitszeitverkürzung ergänzen sich hervorragend. Es gibt keinen Grund, die beiden Dinge gegeneinander auszuspielen. Vielleicht ist ein Grundeinkommen in der derzeitigen politische Situation ja der geeignete 'Umweg', um zu einer (menschen-)gerechteren Verteilung der Arbeit zu kommen...

  1. Das ist eine verkappte Lohnsubvention

Durch ein Grundeinkommen können die Betriebe die Löhne noch weiter drücken. Viele ArbeiterInnen werden bereit sein, zu noch niedrigeren Löhnen zu arbeiten, um sich ein paar Euro dazu zu verdienen. Das Tarifsystem gerät damit völlig aus den Fugen.

Diese Gefahr ist den meisten BefürworterInnen eines Grundeinkommens wohl bewusst. Daher fordern auch alle linken BefürworterInnen die Festlegung eines Mindestlohnes. So kann man verhindern, dass Arbeit, die wenig (Geld) wert ist, vom Staat wie bei einem Kombilohn mitfinanziert wird. Allerdings sind die Folgen auf das Tarifsystem auch nicht ohne weiteres absehbar. Es könnte nämlich genauso gut sein, dass ArbeiterInnen, die ein garantiertes Grundeinkommen haben, eher mal den "Job hinschmeißen", wenn sie das Gefühl haben, für die paar Kröten lohnt es sich nicht.

  1. Das ist eine gigantische Umverteilung zugunsten der Reichen

Ein BGE ist verbunden mit dem Wegfall von Krankentagegeld, Rente, Erziehungsgeld und Arbeitslosengeld. Unter dem Strich führt das zu einer weiteren Verarmung.

Es gibt diverse BGE-Modelle, die genau in diese Richtung zielen. Das heißt also, dass man sich jedes BGE-Modell genau ansehen muss. Ein generelles Argument gegen ein Grundeinkommen ist das nicht, denn eine gewaltige Umverteilung zugunsten von Reichen und auf dem Rücken der Ärmsten hat es in den letzten zwanzig Jahren ohne Grundeinkommen auch gegeben. Dagegen müssen wir uns so oder so wehren.

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Diskussionsveranstaltung Grundeinkommen

Dienstag, 6. März 2007, 19. Uhr DGB-Haus, Obere Masch 10 (Platz der Synagoge)

Bei der Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen ist es also wichtig, sich im Detail anzusehen, was die einzelnen Modelle bewirken. Vor allem aber ist es wichtig, zu diskutieren, was wir sozialpolitisch erreichen wollen. Wenn der Zwang abgeschafft wird, ständig nach Arbeit zu suchen, wird sich das Verhältnis der Gesellschaft zu (Lohn-)arbeit insgesamt verändern. Der Wert eines Menschen ist dann nicht mehr nur durch die Arbeit bestimmt, die er oder sie gegen Geld ausführt. Darin kann eben auch eine Chance liegen, sich gegen den kapitalistischen Zugriff auf unsere Zeitautonomie zu wehren.

Der Göttinger Betriebsexpress führt zusammen mit Club Quer, attac Göttingen, ver.di Jugend Niedersachsen/Bremen und der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften Göttingen eine Diskussionsveranstaltung zum Thema Grundeinkommen durch, um die hier kurz angerissenen Fragen zu vertiefen.

Wir wollen mit Befürwortern und Gegnern der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens darüber diskutieren, welche gesellschaftspolitischen Perspektiven sie mit der Idee verbinden. Dazu eingeladen haben wir

Werner Rätz, attac Werner Rätz ist Referent bei attac für den Bereich 'Arbeit und Gesellschaft'. Er fordert die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens als einen Schritt zur Verwirklichung des Menschenrechts auf gesellschaftliche Teilhabe.

Peter Bartelheimer, Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) Peter Bartelheimer war bereits in den 90ern federführend an der Entwicklung des grünen Grundsicherungskonzepts beteiligt. Er ist Mitarbeiter des "Monitor Arbeitsmarktpolitik", eines Projekts von Hans-Böckler-Stiftung und Otto-Brenner-Stiftung zur kritischen Begleitung der neu ausgerichteten Arbeitsmarktpolitik, und wird über die Ist-Situation an den Rändern des Arbeitsmarktes und unter den Bedingungen von Hartz IV berichten.

Martin Kempe, Chefredakteur von ver.di publik Martin Kempe kritisiert die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen als illusorisch und unpolitisch. Die Forderung nach einem bedingungslosen Existenzgeld nehme die gesellschaftliche Ausgrenzung eines wachsenden Teils der Bevölkerung hin und schüre gleichzeitig die Illusion, den davon betroffenen Menschen eine menschenwürdige Existenz jenseits der Erwerbsarbeit gewährleisten zu können. Kempe fordert stattdessen einen gesetzlichen Mindestlohn.

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Uni-Klinikum I: Spare’, spare’ – Häusle baue’

Das Ende des langen Streiks im Sommer des vergangenen Jahres nahm der Vorstand des Uniklinikums zum Anlass, sich in einem Brief an alle Beschäftigten zu wenden. Vom finanziellen Schaden, den das Klinikum durch den Streik erlitten habe, und vom beschädigten Ansehen war die Rede, und dass es gemeinsamer Anstrengungen und wechselseitigen Vertrauens bedürfe, um diese Folgen des Streiks zu beseitigen, kurz: wir sitzen doch alle in einem Boot. Wie es aber nun einmal bei einem Boot ist: viele müssen rudern, aber nur wenige sitzen am Steuer und bestimmen den Kurs.

Die erste Kurskorrektur folgte sogleich: um Energiekosten zu sparen, ließ der Vorstand mitten im Hochsommer die Klimaanlage drosseln, Personal und Patienten kochten vor Wut und Sommerhitze im eigenen Saft – ein wirklich gemeinschaftsstiftendes Erlebnis. Das Resultat dieser ersten gemeinsamen Anstrengung, laut Vorstand: 350.000 Euro Energiekosten im zweiten Halbjahr 2007 gespart. Peanuts im Haushalt des Klinikums. Ging es hier wirklich ums Geld, oder ums Prinzip?


Klinikum - Bettenhaus / Foto: goest

Einstellungsstopp

Zugleich wurde vom Vorstand ein Einstellungsstop für die meisten Bereiche des Klinikums verhängt. Einleuchtend auf den ersten Blick, denn wenn kein Geld da ist, kann natürlich auch kein neues Personal eingestellt werden. Aber: etwa ein Drittel der Klinikumsbeschäftigten haben lediglich befristete Arbeitsverträge, Laufzeit meist nur drei Monate oder weniger. Mit anderen Worten: bei den meisten "Neueinstellungen" handelt es sich um Menschen, die schon seit längerer Zeit im Klinikum beschäftigt sind, sich aber von Kurzzeitvertrag zu Kurzzeitvertrag hangeln. Dass etwa für ein/e KollegIn zweijährige Betriebszugehörigkeit bereits den siebten befristeten Arbeitsvertrag bedeutet, ist mittlerweile nicht mehr ungewöhnlich. Aber seit der Ankündigung des Einstellungsstops lässt sich bei vielen KollegIinnen die Restlaufzeit ihres Vertrages am Gesicht ablesen.

Outsourcing und Lohnabsenkung

Die nächste "gemeinsame Anstrengung" ließ nicht lange auf sich warten. Der Vorstand beschloss, sinnigerweise an Halloween, die Ausgründung der Restaurationsbetriebe. Der Unterschied? Nun, für die Altbeschäftigten soll sich nichts ändern, neu eingestellte KollegInnen werden dagegen nicht mehr nach ver.di-Tarif bezahlt, sondern nach dem Tarif der NGG, der etwa 30 Prozent darunter liegt!

Nachdem somit lästige Ergebnisse der vergangenen Tarifrunde umschifft waren, entdeckte der Vorstand die reizvolleren Seiten des Tarifabschlusses, nämlich den TV ZUSI-L ("Zukunftssicherung"). Dieser zwischen ver.di und der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) geschlossene Tarifvertrag erlaubt nämlich notleidenden Krankenhäusern eine drastische Absenkung der Vergütung der Beschäftigten um bis zu zehn Prozent – das Einverständnis der Gewerkschaft vorausgesetzt.

Armer schwarzer Kater?

Flugs erklärte der Vorstand das Klinikum für bedürftig: 10 Millionen betrage das Haushaltdefizit in 2007 – gemessen am Umsatzvolumen Peanuts -, und schuld seien alle anderen: der Tarifabschluss (natürlich), die hohen Strompreise, die Gesundheitsreform. Darüber hinaus habe sich ein Investitionsstau im Volumen von 300 Millionen Euro gebildet. Der Vorstand habe, so wurde den Beschäftigten im Januar mitgeteilt, die Landesregierung gebeten, mit ver.di in Verhandlungen um die Anwendung des ZUSI einzutreten.

Es muss also gespart werden, und wo ließe sich besser sparen als beim Personal? Auf einer Personalversammlung (siehe Bericht auf der nächsten Seite) im Januar wurden den Beschäftigten die weiteren Sparpläne des Vorstands vorgestellt: im wesentlichen zehn Prozent Einsparungen im Personalbereich, Abbau von 140 Stellen (hundert im ärztlichen Dienst, vierzig in der Pflege) und Schließung mehrerer Stationen.

Die einen oder anderen mögen sich verwundert die Augen gerieben haben. Hatten sich nicht die KollegInnen des Marburger Bundes im vergangenen Streik für unentbehrlich erklärt, weil sie im Krankenhaus die "Leistungsträger" seien? Und hatten nicht andererseits viele KollegInnen, die nur befristet angestellt waren, die Teilnahme am Streik abgelehnt, weil sie Angst um ihre Vertragsverlängerung hatten? Die Sparpläne des Vorstandes machen deutlich, dass prinzipiell jede/r entbehrlich ist, egal ob er/sie sich durch einen Studienabschluss oder durch Wohlverhalten dem Arbeitgeber gegenüber auszuzeichnen glaubt.

Viel Geld für Neubauten….

Auch die Behauptung, das Klinikum befinde sich in existenzieller Finanznot, war für die meisten Beschäftigten nicht nachvollziehbar, denn in den vergangenen Jahren wurde im Klinikum in einem Umfang gebaut, dass man den Eindruck gewinnen konnte, das Geld müsse möglichst schnell unter die Leute gebracht werden. Unmittelbar nach besagter Personalversammlung wurde das jüngste Prestigeprojekt fertig gestellt, das neue Palliativzentrum. Um ein gediegenes Ambiente zu schaffen, wurde nichts ausgelassen: komplett neues Mobiliar, Parkett statt Linoleum, und selbst die Anschaffung eines Whirlpools mit Plasmafernseher war noch drin. Wenn es wegen Unterbesetzung mal wieder länger dauert, bis man aus dem Whirlpool geholt wird, kann man halt noch ein bißchen zappen!

….. doch anderswo klemmt’s

Vom Investitionsstau konnte sich das Personal des Palliativzentrums allerdings mit eigenen Augen überzeugen. Pünktlich zum Bezugstermin bekam die dreißig Jahre alte Schieberspülenanlage mal wieder den Husten, auf zwei Etagen stand das Palliativzentrum unter Wasser und musste am gleichen Tag wieder evakuiert werden. Die komplette Sanierung der Schieberspülen wurde zunächst in Erwägung gezogen, dann aber wieder verworfen. Verständlich, denn das Klinikum ist ja knapp bei Kasse, und für 2008 ist bereits das nächste Großprojekt geplant: der Bau eines neuen OP-Traktes mit 16 OP-Sälen, Kostenpunkt 40 Millionen Euro.

Das Geld kann also noch so knapp sein, für neue Prestigeobjekte reicht es immer. Oder umgekehrt: es kann noch so viel Geld vorhanden sein, für eine ausreichende Personalausstattung reicht es nie.

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Uni-Klinikum II: Personalversammlung!?

Schon lange kursieren im Klinikum Privatisierungsgerüchte und -vorahnungen, die dann auch im Herbst mit dem Beschluss des Vorstandes zur Gründung einer GmbH für die Gastronomiebetriebe konkretisiert werden. Gehaltsreduzierungen für Neueinstellungen von bis zu 30% sind geplant. (Näheres dazu siehe vorigen Artikel.) In diese allgemein verunsichernde Situation platzt dann die Nachricht, die wir im GT lesen können, dass die Uni Klinik 450 Stellen abbauen will. Und spätestens an dieser Stelle kommt bei mir das Gefühl auf: "Die machen Ernst" und "Wann bin ich an der Reihe?"….

Da bin ich erleichtert, dass kurze Zeit später eine Einladung vom Personalrat zu einer Personalversammlung im Haus verteilt wird. Erinnerungen an die Zeit des Streiks kommen auf, als wir zusammen mit immer neuen Ideen und Aktionen deutlich gemacht haben, dass wir mit gemeinsamer Gegenwehr eine Stärke und ein Selbstbewusstsein entwickeln können, die wir selbst kaum noch kannten. Voller Hoffnung gehe ich also zu dieser Personalversammlung.

Doch diese Hoffnung wird schon in der ersten halben Stunde jäh zerstört, als der Personalratsvorsitzende die beabsichtigten Stellenstreichungen bedauert und er als Antwort nichts anderes anbringt, als dass der Personalrat leider keine Möglichkeiten hat, dagegen anzugehen. Und wie zum Hohn folgt dann ein theoretisches Referat über ein respektvolles Umgehen miteinander in unserem Haus. Ihm fällt dabei noch nicht mal auf, wie respektlos die Managementetage bei den Stellenstreichungen mit der Belegschaft umgeht.

Danach darf dann der Klinikvorstand seine Sichtweise darlegen, die sich allerdings nur in Nuancen von der des Personalratsvorsitzenden unterscheidet. Natürlich auch allgemeines Bedauern über die "notwendigen" aber "durchaus machbaren" Einsparungen, der Appell an alle, sich beispielsweise gezielt weiterzubilden und so die ´enormen Chancen` im Unternehmen Klinikum wahrzunehmen, bla bla ...

Eine Zwischenfrage aus dem Publikum, das den Hörsaal bis auf den letzten Platz einschließlich Treppenstufen füllt, wird vage vertröstet. Und dann geht`s munter weiter mit der irgendwie grotesken Theateraufführung da vorne. Weitere Referate von verschiedenen Personalratsmitgliedern wechseln sich mit Darstellungen der Klinikleitung ab.

Inzwischen ist klar geworden, dass wir hier nur die Rolle der Zuschauer zu spielen haben. Unsere Meinung ist überhaupt nicht gefragt. Da trösten auch spätere kämpferischere Beiträge von einzelnen Personalratsmitgliedern und von einer ver.di-Funktionärin kaum.

Was war das für eine Veranstaltung? Eine Personalversammlung!? Darunter stelle ich mir vor, dass das Personal sich versammelt und miteinander redet, berät und vielleicht auch beschließt. Stattdessen fand hier eine Selbstdarstellung von Funktionsträgern statt, in der dann noch nicht mal mehr Zeit für Fragen aus dem Publikum war.

Aber wir waren nicht nur reine Statisten, und wir sind nicht nur verarscht worden. Nach meinem Gefühl hat sich die Personalvertretung zum Handlanger des Vorstandes gemacht, indem sie uns die Möglichkeit des gemeinsamen Austauschs und des Entwickeln von wie auch immer gearteter Gegenwehr genommen hat. Sie hat entscheidend dazu beigetragen, dass wir uns heute klein und machtlos fühlen. Das finde ich empörend!

Ist es wirklich so billig, einen Beschluss von der Klinikleitung zum Stellenabbau mit einem Abnicken der Personalvertretung durchzuwinken?

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Gewerkschaftsbosse: Prima Klima bei der Gewerkschaft

Mit dem Klimawandel ist das so eine Sache. Im Prinzip sind alle dafür: endlich Mallorca-Klima auch auf Borkum, endlich Kalifornien an der Ostsee! Es spricht doch nichts dagegen, auch in der Wilster Marsch Wein anzubauen und eigene Bananen aus dem Ruhrgebiet zu holen. Gut – wir Norddeutschen müssten dann auf den Grünkohl verzichten, der braucht schließlich Frost vor der Ernte. Aber leider gibt es noch mehr Ärger mit dem 'Kleingedruckten'. Klimaforscher versprechen uns ein "extremeres Klima", nicht ein "angenehmeres". Also mehr Stürme wie Kyrill, der in manchen Gebieten die Holzernte von zwanzig Jahren zunichte machte. Warme Winter wie der vergangene, nach denen sich Schädlinge mangels Frost explosionsartig vermehren. Glühend heiße und trockene Sommer und im Herbst sturzflutartige Regenfälle, die in gefährdeten Gebieten ganze Häuserzeilen unbewohnbar machen. Und das ist alles kein Science Fiction und keine Prognose – das haben wir alles schon im letzten Jahrzehnt erlebt.. Und dann kommen da noch die Dinge, bei denen sich die Forscher nicht so ganz einig sind: Steigt der Meeresspiegel nur um einen halben Meter, so dass lediglich ein paar Küstenstädte wie Hamburg bedroht sind, oder schmilzt noch in diesem Jahrhundert das Grönlandeis vollständig ab und der Meeresspiegel steigt gleich um sieben Meter – dann hätten wir Göttinger es nicht mehr so weit bis zum Meer und wir könnten unsere Bevölkerungsstatistik mit obdachlosen Holländern aufbessern.

In jedem Fall aber gilt: wenn wir wollen, dass alles so bleibt wie es ist, müssen wir gewaltig etwas ändern – besonders unseren Energieverbrauch. An dieser Stelle wird gerne darauf verwiesen, dass die USA ja die größten Verursacher der Luftverschmutzung sind. Das stimmt, aber ist das ein Grund auch ordentlich Dreck zu machen? Dann hört man immer wieder, dass Deutschland ja so ein Umweltmusterland ist. Ratet doch mal, welches Land Luftdrecksau Nummer eins in der EU ist. Richtig geraten: Deutschland. Zwar ist Deutschland das Land mit den meisten Einwohnern in der EU, aber auch pro Kopf wird mehr Dreck rausgeschleudert als in Grossbritannien oder Frankreich. Grund genug also, um gegen zu steuern. Deutschland hat sich daher im Kyotoprotokoll bei den Vereinten Nationen verpflichtet, die Luftverschmutzung in wenigen Jahren 21% unter der von 1990 liegen soll. Dabei handelt es sich um einen Taschenspielertrick, denn allein durch den Zusammenbruch der DDR-Energiewirtschaft wurden bereits 14% Treibhausgase eingespart. Trotzdem müssen wir Jahr für Jahr mindestens um ein Prozent weniger Treibhausgase in die Luft pusten, um die Vorgaben des Kyotoprotokolls noch zu schaffen.

In jüngster Zeit wurde ja um den Giftgasausstoß von Autos gestritten. Die EU-Kommission will einen Durchschnittswert von 120g CO2 / km einführen. Zur Zeit liegt der Durchschnitt bei 170 g / km. Da fürchtet der Kapitalistenminister Glos, die EU wolle Deutschland zu einem Volk von Kleinwagenfahrern degradieren. Ihm passt wohl nicht, dass auf der Liste der sparsamsten Autos keines aus deutscher Produktion auftaucht. Da liest man nur Namen aus Frankreich und Fernost. Und weil deutsche Autobauer die Notwendigkeit verbesserter Technik verpennt haben, fordern sie lauthals den Aufschub dieser Richtlinie, damit das Klima Zeit hat, sich an die deutschen Spritschlucker zu gewöhnen. IG-Metall-Chef Peters trötet in das gleiche Horn, weil er meint, die Gewerkschaften brauchen erst noch Zeit, sich eine Meinung zu bilden. Und der Betriebsratsvorsitzende eines großen Sindelfinger Autobauers meint: "Wenn das so beschlossen wird, dann müssen wir unsere Fabriken schließen, in denen C-, E- und S-Klasse produziert werden. Betroffen wären in Sindelfingen, Untertürkheim und Bremen rund 65 000 Mitarbeiter."

Da ist es also wieder aus der Mottenkiste hervorgekrochen, das Argument vom Gegensatz von Ökonomie und Ökologie: wo Umweltschutz ist, da kann kein Arbeitsplatz sein. Fragt sich, mit was denn die ArbeiterInnen so durch die Gegend fahren, wenn die Bonzenschlitten aus Untertürkheim und anderswo verboten werden. Mit Daihatsu, Toyota, Citroen und Co., oder findet sich auch in deutschen Autofabriken ein Manager , der seinen Ingenieuren sagt, sie dürften ihre Pläne für Sprit sparende Modelle wieder hervorholen.

Und als die EU-Kommission den Umweltminister Gabriel abgewatscht hat, weil der versucht hat, mehr Verschmutzungsfreibriefe für die deutsche Industrie rauszuschlagen als die vermutlich jemals brauchen wird, da jammern natürlich die vier großen Energiekonzerne. Kein Wunder, denn sie sacken jährlich 5 Milliarden Euro Mitnahmegewinne dadurch ein, dass ihnen die modernen Ablassbriefe, die Emissionszertifikate, von der Bundesregierung geschenkt werden – ein toller Emissions'handel' ist das. Aber wenn Konzerne jammern, dann hört niemand mehr so richtig hin, also müssen sie sich ein paar unverdächtige Verbündete suchen. Und schon sind ver.di und IG BCE zur Stelle um gemeinsam mit Vattenfall, E.on, RWE und EnBW ein gemeinsames Klagelied zu singen. Und im Nachklapp sind zusätzlich die Vorsitzenden von IG Metall und IG BAU bereit, für die Verschmutzungsrechte der deutschen Energiemonopole ihre Unterschrift zu geben.

Nun gut, werden Manche sagen, 100.000 Arbeitsplätze in der konventionellen Energieerzeugung, das ist kein Pappenstiel. Aber haben die Herren (Damen haben nicht unterschrieben) mal darüber nachgedacht, wie sie zu den 170.000 Arbeitsplätzen stehen, die im Sektor 'erneuerbare Engergien' in den letzten Jahren in Deutschland entstanden sind. Obwohl die nur 10% der Gesamtenergie ausmachen. Ich will es mal klar heraussagen: Gewerkschaftschefs, die ihren natürlichen Verhandlungsgegnern in den Konzernetagen so nach dem Maul reden, die haben den Schuss nicht gehört. Vereinzelt gibt es heftigen Widerstand in den Gewerkschaften. Kein Wunder, denn die verzweifelten Appelle der Gewerkschaftsbosse für mehr Konzernprofite widersprechen eklatant den Beschlüssen der Basis. Es wird also Zeit für eine massive Klimaveränderung bei ver.di, IG Metall und Co., Zeit für einen richtigen Sturmwind, der solche Funktionäre hinfort bläst.

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Arbeitslosengeld II Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen

»Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen«, meinte laut "junge Welt" Arbeitsminister Müntefering im Frühjahr 2006 bei einer Diskussion zum "Optimierungsgesetz". An der Verwirklichung dieses Programms haben seither der Sozial(?)demokrat und seine MitstreiterInnen aus der Großen Koalition kräftig gearbeitet. Beschlossen wurden im Laufe des Jahres zahlreiche Verschärfungen gegen Erwerbslose. Gleich zwei Mal wurden im letzten Jahr Änderungsgesetze auf die Reise gebracht, nämlich am 24.3. und am 28.7.2006.

Besser schnell 26 werden!

Erwähnt sei z. B. die Einführung einer ‚Stallpflicht für unter 25-Jährige’ (der GBE berichtete): junge Erwachsene werden gezwungen, bei ihren Eltern wohnen zu bleiben - bei gleichzeitig auf das Niveau von Minderjährigen abgesenktem Regelsatz (statt 345 Euro nur noch 276 Euro im Monat zum Lebensunterhalt) und das Elterneinkommen wird wie bei einer Bedarfsgemeinschaft angerechnet. Oft hat das zur Folge, dass dann drei Erwachsene von ca. 1.500 Euro im Monat das komplette Leben bestreiten müssen.

Sofortangebote

Seit August gibt es die so genannten "Sofortangebote" für Erwerbslose, die Arbeitslosengeld II (ALG II oder auch ‚Hartz IV’) neu beantragen. Tatsächlich handelt es sich dabei keineswegs etwa um die Angebote exsistenzsichernder Stellen (woher auch?), sondern um Versuche, die "Arbeitsbereitschaft" der Erwerbslosen zu überprüfen. Es sind Fälle bekannt, bei denen die Menschen erst einmal eine zweiwöchige so genannte "Trainingsmaßnahme" absolvieren mussten, bevor sie überhaupt die Antragsformulare ausgehändigt bekamen bzw. ihren Antrag abgeben konnten. Dass das klar rechtswidrig ist, interessiert nicht, werden so doch Menschen vom Leistungsbezug abgeschreckt und damit eines der Ziele von ’Hartz IV’ - möglichst viel Geld einzusparen - erreicht.

Allenfalls sind diese "Sofortangebote" 1-Euro-Jobs. Mit diesen allerdings wird massenhaft reguläre, sozialversicherungspflichtige Arbeit vernichtet, was noch mehr Erwerbslose schafft.

Wer zusammen mit anderen wohnt….

Geld kann auch eingespart werden, wenn ALG II-Beziehende nicht den vollen Regelsatz erhalten bzw. andere für sie zahlen müssen. Dazu dient z. B. die Beweislastumkehr bei Bedarfsgemeinschaften. Mussten bisher die Leistungsträger das Bestehen einer "eheähnlichen Gemeinschaft" nachweisen, so wird neuerdings bei einem Zusammenleben von einem Jahr eine "eheähnliche Gemeinschaft" unterstellt, mit der Folge gekürzter Regelleistungen und der Pflicht zu "gegenseitigem Einstehen" (dass Gerichte meistens eine "eheähnliche Gemeinschaft" anders und ziemlich streng definieren, interessiert nicht). Eine Lebens-Gemeinschaft mit gegenseitigem Einstehen wird aber keineswegs nur bei zwei Zusammenwohnenden verschiedenen Geschlechts angenommen. Schlecht für Wohngemeinschaften - gut für die öffentlichen Kassen.

….gehört bestraft!

Da die Erwerbslosen als ebenso arbeitsscheu wie sozialschmarotzerisch angesehen werden, wurden auch gleich alle "ARGEn" (Arbeitsgemeinschaften von Bundesagentur für Arbeit und örtlichen Sozialbehörden) und alle "Optionskommunen" (wie der Landkreis und die Stadt Göttingen) verpflichtet, einen Außendienst "zur Bekämpfung von Leistungsmissbrauch" (so der Gesetzestext) einzurichten. Diese "Außendienste" sollen dann im Privatleben der Erwerbslosen herumschnüffeln - vielleicht lässt sich ja doch noch eine "eheähnliche Gemeinschaft" (er)finden und damit Geld einsparen? Besonders groß ist der Einspareffekt, wenn den Erwerbslosen die Leistungen ganz gestrichen werden.

Keiner verlässt den Landkreis!

Seit 1.8.2006 gibt es dazu eine ‚Residenzpflicht’ für Erwerbslose. Den ALG II-Anspruch verliert nämlich, wer "ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners" den in der "Erreichbarkeits-Anordnung" definierten "zeit- und ortsnahen Bereich", also die Gemeinde oder den Landkreis, verlässt. Warum sollte, was bei AsylbewerberInnen praktiziert wird, nicht auch für Erwerbslose ‚gut’ sein? Immerhin erleben die Erwerbslosen so, was die ‚bessere’ Gesellschaft von ihnen hält, nämlich dass man sie am liebsten loswerden oder jedenfalls heftig drangsalieren möchte.

Eine eher ‚subtile’ Einsparmöglichkeit besteht in der Beschränkung der freien Wahl des Wohnorts. Wer nämlich aus einer "angemessenen" Wohnung in eine neue, zwar teurere, aber ebenfalls noch "angemessene" Wohnung umzieht, erhält nur noch die Kosten seiner alten billigeren Wohnung. Wo kämen wir denn auch hin, wenn sich Erwerbslose auf Kosten der Allgemeinheit die Freiheit herausnähmen, zu glauben, das Grundgesetz gelte auch für sie?

Rentenzahlungen halbiert

Einige der 2006 beschlossenen Änderungen sind erst jetzt zum 1. Januar 2007 wirksam geworden. Dazu gehören die Kürzungen der Zahlungen an die Rentenversicherung (der GBE berichtete). Statt monatlich 78 Euro werden jetzt nur noch 40 Euro Rentenversicherungsbeitrag gezahlt. Damit erwirbt man nach einem Jahr ALG II-Bezug einen Rentenanspruch von satten 2,19 Euro monatlich. So wird per Gesetz die Altersarmut sichergestellt. Immerhin müssen sich viele ALG II-Beziehende nach Erreichen des (erhöhten) Rentenalters dann nicht umgewöhnen. Da die Minirenten zum Leben nicht reichen, werden sie durch staatliche Leistungen aufgestockt werden müssen. Die Leistung heißt dann zwar nicht mehr "Arbeitslosengeld II" sondern "Grundsicherung im Alter", aber sonst bleibt (fast) alles beim Alten: der Regelsatz bleibt mit 345 Euro so wie bisher, ‚nur’ der Vermögensfreibetrag wird noch mal drastisch gekürzt.

Sippenhaft

Ganz im Sinne der bisherigen Politik - Kampf gegen die Arbeitslosen statt gegen die Arbeitslosigkeit - sind auch die weiteren Verschärfungen der Sanktionen. Wie bisher fällt bei allen Sanktionen der befristete Zuschlag nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I gemäß §24 (‚Armutsgewöhnungszuschlag’) weg. Zwar wird wie bisher bei Ablehnung einer Arbeit oder Verletzung einer Pflicht aus der "Eingliederungsvereinbarung" die Leistung um 30% des Regelsatzes (d. h. 104,5 Euro) für drei Monate gekürzt und das Nichtbeachten z.B. eines Meldetermins mit 10% Leistungskürzung - ebenfalls für drei Monate – bestraft; neu ist aber, dass jetzt schon beim ersten Verstoß die gesamte ALG II-Leistung betroffen sein kann. Gekürzt werden können jetzt also auch Einmalleistungen, Mehrbedarfzuschläge und Wohnungskosten ("Kosten für Unterkunft und Heizung"). Bisher wurde bei der ersten Pflichtverletzung ‚nur’ der Regelsatz (345 Euro für Alleinstehende) gekürzt. Erhält z. B. eine Alleinstehende wegen der Anrechnung von Nebeneinkommen nur 50 Euro zum Lebensunterhalt ausgezahlt, so betrug die Kürzung bisher auch ‚nur’ diese 50 Euro. Jetzt wird dagegen um die erwähnten 104,5 Euro gekürzt (der Rest wird bei den Kosten für die Wohnung abgezogen).

Das alles ist für den Gesetzgeber aber noch nicht genug. Er hält noch weitere Verschärfungen parat. Bei einer zweiten Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres verdoppeln sich die Strafen, jetzt wird also um 20% bzw. 60% des Regelsatzes gekürzt. Liegen die Leistungskürzungen über 30 %, können (also Ermessensleistung) "in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen" - also z. B. Lebensmittelgutscheine - erbracht werden. Die Ausgabe von Lebensmittelgutscheinen wurde ja schon bei AsylbewerberInnen - ohne wesentliche Widerstände seitens der Bevölkerung – erprobt. Immerhin hat sich jetzt der Rat der Stadt Göttingen, ebenso wie der Oldenburger Stadtrat, für die Abschaffung dieser die betroffenen AsylbewerberInnen diskriminierenden, bevormundenden und für die Kommunen zudem teureren Gutscheine ausgesprochen.

Sachleistungen oder Gutscheine "sollen" (im Regelfall ist der Leistungsträger verpflichtet) erbracht werden, wenn minderjährige Kinder in der Bedarfsgemeinschaft leben. Bei Kürzungen von 30% oder mehr werden alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gleich mitbestraft. Faktisch wird auch deren Regelleistung gekürzt. Schließlich soll in einer Bedarfsgemeinschaft ja jedeR voll für jedeN einstehen.

Obdachlosigkeit per Gesetz?

"Weitere Steigerungen sind jederzeit denkbar", so offenbar die Haltung der christlich(?)/sozial(?)demokratischen Bundesregierung. Bei der dritten (30%-)Verfehlung innerhalb eines Jahres werden die ALG II-Leistungen nämlich komplett gestrichen. Es gibt also weder Leistungen für Nahrung noch für Wohnung. Und das alles für drei Monate. Üblich ist allerdings, dass es von der Vermieterseite eine fristlose Kündigung gibt, wenn zwei Monate lang keine Miete gezahlt wurde. Ist dann die nächste Station also einerseits unter der Brücke oder im Obdachlosenasyl und andererseits bei der Suppenküche? Wohl eher nicht. Zumindest bisher gilt in der Bundesrepublik noch das Grundgesetz, d.h. der Staat darf niemanden verhungern lassen. Wer keine Reserven mehr hat, bekommt auf jeden Fall Sachleistungen oder Lebensmittelgutscheine. Das "Ermessen" des Leistungsträgers schrumpft hier auf Null. Gleiches gilt wohl auch für die Wohnungskosten. An anderer Stelle des SGB II-Gesetzes (§22) heißt es, dass ("sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden") Mietschulden (als Darlehen!) übernommen werden sollen, wenn sonst Obdachlosigkeit droht. Die Drohung, alle zum Leben notwendigen Mittel zu entziehen, ist in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig und mit dem Selbstverständnis der Bundesrepublik als ‚sozialer Rechtsstaat’ kaum vereinbar. Aber was interessiert das die Große Koalition? ‚Legal, illegal, scheißegal’ - Hauptsache die Drohung verfehlt ihre disziplinierende Wirkung nicht. Immerhin, wer seine/ihre Lektion gelernt hat und nachträglich reumütig erklärt, seine/ihre Pflichten zu erfüllen, kann (Ermessensentscheidung(!) des Leistungsträgers) die Bestrafung ab der Reueerklärung von 100%- auf 60%-Kürzung abmildern.

Lerneffekte

Da Jugendliche scheinbar nach Ansicht des Gesetzgebers noch besonderer erzieherischer Beachtung bedürfen, werden sie besonders ‚hart angefasst’. Bei unter 25-Jährigen wird schon bei der ersten 30%-‚Verfehlung’ die Leistung zum Lebensunterhalt gleich komplett gestrichen. Auch hier sind dann wieder Sachleistungen oder Lebensmittelgutscheine angesagt. Die "Kosten für Unterkunft und Heizung sollen an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden", damit sie nicht zum Lebensunterhalt verwendet werden können. Bei einem zweiten (und nicht wie bei Erwachsenen ‚erst’ nach dem dritten Verstoß) wird die Gesamtleistung auf 0 gesetzt. Erklärt der/die unter 25jährige Hilfebedürftige sich nachträglich bereit, die Pflichten zu erfüllen, "kann der Träger unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls Leistungen für Unterkunft und Heizung erbringen" (‚kann’ = Ermessensentscheidung). Im Ermessen des Trägers liegt es auch, die eigentlich 3 Monate dauernde Sanktionszeit auf sechs Wochen zu verkürzen.

So lernen die jungen Erwachsenen gleich, was die Gesellschaft von ihnen erwartet: funktionieren und parieren, sonst entzieht sie ihnen die Lebensgrundlage. Alle ALG II-Beziehenden lernen, dass für sie der im Grundgesetz festgelegte Schutz des Existenzminimums, wenn überhaupt, nur eingeschränkt gilt. Die Noch-Beschäftigten lernen, - und das ist das wohl ebenfalls ein sehr wichtiges Ziel von ‚Hartz IV’ - zu kuschen und beliebige Zumutungen und Lohnkürzungen zu ertragen, sonst droht ihnen das gleiche Schicksal.

Proteste und Widerstand?

Ja, es hat Proteste und Widerstand gegeben. Wir erinnern uns an die Montagsdemos, die in vielen deutschen Städten mehr oder weniger lange stattfanden (an einigen wenigen Orten wie auch in Göttingen sogar heute noch stattfinden). Es hat einige Großdemos gegeben, Aktionstage und –wochen und auch lokale Protestaktionen verschiedenster Art. Die Forderungen waren fast immer: "Weg mit Hartz IV!" und nicht: "bitte noch ein paar Euro mehr".

Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien und Lobbies aber blieben ziemlich ungerührt. Sie setzten darauf, dass solche Proteste wie auch in der Vergangenheit schon im Laufe der Zeit abebben und versanden. Vor allem, wenn die Betroffenen ziemlich alleine bleiben. Das entwickelte sich auch dieses Mal so. Der DGB hat zwar die eine und die andere Großdemo mit organisiert. Aber schon an der Auswahl der Redenden und an den Forderungen wurde bald klar, dass kein klarer Widerstand gegen die Regierung umgesetzt werden sollte. Inzwischen hat jedenfalls die DGB-Spitze klargemacht, dass sie lieber mit der Regierung arbeitet als sich klar auf die Seite der Opfer des Sozialabbaus zu stellen. Gut, etliche regionale Gewerkschaftsgremien und FunktionsträgerInnen sehen das anders. Aber sie haben keine Mehrheit innerhalb ihrer Einzelgewerkschaften bzw. des DGBs.

Es haben sich auch bundesweite Protestzusammenhänge gebildet und erhalten, die den Widerstand fortführen. Bei diesen Bündnisgesprächen ist ab und an jemand vom DGB-Bundesvorstand dabei. Nur ist inzwischen die Strategie dort eher, mit der Forderung nach Mindestlöhnen und Arbeitszeitverkürzung und einer Erhöhung des Regelsatzes von 345 Euro auf 420 bis 500 Euro den gemeinsamen Protest zwischen Beschäftigten und Erwerbslosen zu schaffen und Kombi- bzw. Niedrigstlöhne zu verhindern.

Das ist sicher ein sinnvoller - und unbedingt notwendiger - Weg. Bis auf die Forderung der Erhöhung. Warum ist irgendwann die Forderung nach Abschaffung von "Hartz IV" (also des Sozialgesetzbuches II und des Arbeitslosengeldes II) aufgegeben worden? Können Menschen mit 420 Euro oder 500 Euro zum Leben wirklich menschenwürdig existieren? In diesem Zusammenhang scheint die Diskussion um ein ausreichendes Grundeinkommen interessant. Dazu kündigen wir in dieser GBE-Ausgabe auf Seite 4 eine Veranstaltung an.

Ausblicke

Viel Hoffnung wurde in die Gründung der WASG gesetzt, die sich nun mit der PDS zusammen tun will. Dort war am Anfang die Forderung nach Abschaffung dieser "Sozial"gesetzgebung gang und gäbe. Bei den letzen Wahlen zum Bundestag haben die Wahlbündnisse aus beiden Organisationen sicher viele Stimmen aus den Reihen der ALG II-Betroffenen bekommen. Inzwischen aber scheint es mehr und mehr, als würde die Fusion diese Partei nicht wirklich radikal werden lassen. Zumindest in den Forderungen zum ALG II wird auch dort nun nur noch von einer Erhöhung auf 420 Euro geredet.

Eine Form des Widerstandes haben etliche Betroffene gewählt. Sie gingen in die Sozialberatungsstellen (die sich auch weiterhin nicht über einen Mangel an Arbeit beklagen müssen) und zu AnwältInnen und letztlich vor die Sozialgerichte. Das ist gut und richtig so, wenn auch im Kern oft nur eine Einzelaktion, da die Kommunen als Leistungsträger bei verlorenen Prozessen nicht alle anderen Betroffenen besser stellen, sondern jeden und jede Einzelne vor Gericht ziehen lassen. Dafür ist dann übrigens plötzlich genug Geld da!

Im Moment ist zwar gerade kein aktuelles Änderungsgesetz zum SGB II in der Mache. Aber zumindest in der Diskussion auf Bundesebene sind solche Nettigkeiten wie eine generelle Kürzung des Regelsatzes (345 Euro für Alleinstehende) auf z. B. 276 Euro im Monat und auch der Wegfall des Zuschlages, wenn nach ALG I in ALG II gewechselt wird. Dabei gibt es maximal 160 Euro im ersten Jahr und maximal 80 Euro im zweiten Jahr. Und damit es nicht mehr so einfach ist, vor die Sozialgerichte zu ziehen (bisher können ALG II-Beziehende Beratungs- und Prozesskostenhilfe mit nur einem Eigenanteil von 10 Euro bekommen), sollen Änderungen an anderen Gesetzen die Gerichtsgebühren für alle drastisch heraufsetzen. Mindestens 75 Euro für die erste Instanz der Sozialgerichte sind da im Gespräch. Und die werden dann selbstverständlich nicht mehr von einer Prozesskostenhilfe übernommen. Auch diese Gesetzentwürfe sind noch in den Schubladen. Aber es garantiert niemand, dass sie dort auch verrotten. Die soziale Wirklichkeit in diesem Lande wird wohl eher kalt und düster bleiben. Was nun aber nicht heißen soll, dass die Proteste und der Widerstand eingestellt werden sollten. Im Gegenteil!

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Cinemaxx: Cinemaxx gegen Tarifvertrag

Seit der Kündigung des Tarifvertrages Ende 2003 befinden sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Cinemaxx Göttingen im tariflosen Zustand. Seitdem traten sie wiederholt in Warnstreiks, zuletzt vor einigen Wochen, am 19. Januar. Bislang glänzte der Arbeitgeber "Cinemaxx AG" in der tariflosen Zeit nur durch die Einführung eines Billiglohnsektors. So werden beispielsweise Neueinstellungen seit Anfang 2004 zu einem Stundenlohn von 6,50 Euro vorgenommen – zwölf Prozent unter dem Lohn des alten Tarifvertrages! Außerdem wurde der Jahresurlaub um über 20 Prozent gekürzt, andere Leistungen wurden ersatzlos gestrichen.

Mit diesem Billiglohn liegt die Cinemaxx AG weit unter dem aktuell diskutierten gesetzlichen Mindestlohn. In allen Verhandlungen der letzten Jahre beharrte die Unternehmungsführung aber stur auf dem Erhalt dieses Billiglohnsektors innerhalb des Unternehmens.

Für die Beschäftigten ist dies nicht hinnehmbar. Seit 2003 macht der Reallohnverlust inzwischen über 5 Prozent aus. Die ohnehin niedrigen Löhne sinken dadurch von Jahr zu Jahr sogar weiter, da nicht mal ein Inflationsausgleich stattfindet.

Kampf für Haustarifvertrag

Bundesweit zählt die Cinemaxx AG über 2.000 Beschäftigte, davon 60 in Göttingen in den beiden Spielstätten Cinemaxx und Stern-Kino. Da sich die Verhandlungen auf Bundesebene aber schon lange in einer Sackkasse befinden, hatte ver.di nach internen Diskussionen innerhalb der Belegschaften Anfang 2006 eine neue Strategie beschlossen: Kein gemeinsamer Tarifvertrag für alle Häuser, sondern zunächst für einzelne, streikbereite Standorte sollen durchgesetzt werden. Die gut organisierten Standorte, u.a. Bremen und Göttingen, sollen Haustarifverträge mit der Cinemaxx-AG abschließen. Damit soll Flebbe ein folgenloses Aussitzen unmöglich gemacht werden. Einzelne Häuser streiken flexibel für ihren eigenen Tarifvertrag und können bei einem Erfolg als Vorbild für weitere Standorte bundesweit gelten. In Bremen haben solche Verhandlungen bereits begonnen. Bereits in der vorhergegangenen bundesweiten Streikrunde wurde einem einzelnen Haus ein gesonderter Vertrag von der Konzernleitung angeboten. Der Grundlohn lag hier bei über 8€.

Auf ein Verhandlungsangebot der Gewerkschaft für das Kino in Göttingen vom vergangenen August hatte die Cinemaxx AG aber zunächst nicht reagiert. Daraufhin fanden in Göttingen an mehreren Abenden im November und Dezember 2006 und zuletzt am 19. Januar 2007 neue Warnstreiks statt. Jedes Mal konnte eine hundertprozentige Streikbereitschaft erreicht werden: Alle Beschäftigten, die außerhalb der Probezeit waren und nicht der Betriebsleitung angehören, beteiligten sich geschlossen an den Arbeitsniederlegungen! An zwei Abenden bestreikten die Beschäftigten von 19 Uhr an sowohl die Hauptvorstellung als auch die Spätvorstellung bis 2 Uhr nachts. Viele Kinobesucher reagierten auf die Warnstreiks zwar zunächst irritiert, dann aber oftmals mit merklicher Sympathie: "Weg mit dem Billiglohnsektor bei Cinemaxx!", das können viele nachvollziehen.

Verhandlungen gescheitert

Unter dem Druck der Warnstreiks kam es am 23.02., unmittelbar vor Drucklegung dieses GBE, zu einer ersten Verhandlungsrunde für Göttingen zwischen 2 VertreterInnen des Hamburger Konzernvorstands sowie dem Göttinger Betriebsrat und ver.di. Laut anschließender Erklärung von ver.di scheiterten die Verhandlungen nach dreieinhalb Stunden ergebnislos an der völlig kompromisslosen Haltung der Arbeitgeber. Und das, obwohl ver.di in Abstimmung mit dem Betriebsrat den Forderungen der Geschäftsleitung bzgl. Flexibilierung der Schichtzeiten und Einsatzbereiche deutlich entgegen kam, wie aus einer öffentlichen Stellungnahme vom 23.02. hervorgeht: Für Servicekräfte wäre demnach künftig ein Wechsel vom Einlass in den Bereich Gastronomie nach 20:00 Uhr auch ohne vorherige Dienstplanung möglich, wenn die TeamleiterInnen und betroffenen Beschäftigten dem zustimmten. Außerdem sollte die grundsätzliche Mindestschichtlänge von 4 Stunden auf 3 verkürzt werden können, wenn dies in derselben Dienstplanwoche durch mindestens eine lange Schicht von 6 Stunden ausgeglichen wird.

Im Paket mit diesen Flexibilisierungen der bisherigen Tarifregelungen fordert ver.di für 2007 Lohnerhöhungen von 50 Cent für seit dem 1. Februar 2004 Neueingestellte, Einmalzahlungen je nach Betriebszugehörigkeit von 250 € ab 2 Jahren, 750 € ab 4 Jahren und 1000 € ab 6 Jahren, anschließend ab dem 1.1. 2008 eine effektive Lohnerhöhung von 5 % für alle Beschäftigten und schließlich eine letzte Angleichung der Löhne für Neubeschäftigte ab Juni 2008. Ein Mindestlohn von 7,50 € wäre damit endlich erreicht.

Doch Cinemaxx bot weder Lohnerhöhungen an noch waren die Kinoarbeitgeber bereit, über die Angebote von ver.di zu verhandeln. Stattdessen beharrten sie weiter kompromisslos darauf, dass 3-Stunden-Schichten ohne Ausgleich oder zahlenmäßige Begrenzung in Göttingen eingeführt würden. Zudem will die Göttinger Betriebsleitung Bereichswechsel zu jeder Zeit und zwischen allen Bereichen anweisen können, ohne ein Veto von Betriebsrat, Teamleitern oder Mitarbeitern. Die Befürchtung von ver.di, dass dadurch letztlich Arbeitsplätze gestrichen würden, hat der Arbeitgeber während der Verhandlungsrunde nicht mal im Ansatz zu entkräften versucht.

Streiks werden provoziert

Im Gegenteil: Der Cinemaxx-Verhandlungsführer bezweifelte, dass die Göttinger Kinobeschäftigten hinter den ver.di-Forderungen stehe und streikbereit sei. Die bisherigen Warnstreiks hätten dem Konzern nicht ernsthaft geschadet und solange dies so bleibe, sehe man keinen Grund, sich zu bewegen. Mit dieser Äußerung setzt Cinemaxx auf offene Konfrontation. Offenbar glaubt man den tariflosen Zustand dauerhaft beibehalten zu können. Die Botschaft aus dieser Verhandlungsrunde an die Göttinger Beschäftigten lautet also: "Wenn ihr einen Tarifvertrag wollt, müsst ihr verstärkt weiter streiken!" Und das werden sie auch tun: die Empörung über die gutsherrenartige Haltung der Geschäftsleitung ist groß, die nächsten Arbeitskampfmaßnahmen nur eine Frage der Zeit. Alle Göttinger KinobesucherInnen fordern wir daher auf, sich mit den Beschäftigten solidarisch zu zeigen: denn es ist nun allein am Unternehmen, weitere Streikabende zu verhindern und ungestörten Kinogenuss zu gewährleisten. Es kann nicht sein, dass wir popcornkauend unsere Freizeit genießen, während die Kinobeschäftigten zu Hungerlöhnen arbeiten!

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Buchvorstellung und Vortrag: Zwangsarbeit im Landkreis Göttingen 1939 bis 1945

Zwangsarbeit – kein anderes Verbrechen des Nationalsozialismus vollzog sich so sehr in aller Öffentlichkeit wie dieses. 14 bis 15 Millionen Männer, Frauen und Kinder aus den überfallenen Ländern sind während des Krieges zur Arbeit in Deutschland gezwungen worden. Ihre Tätigkeit in nahezu sämtlichen Bereichen der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens nützte dem NS-Staat ebenso wie einer Vielzahl seiner Bewohner: vom Industrieunternehmer über den Bauern, Handwerker, Einzelhändler bis hin zur Privatperson als Konsument, Zugreisendem, Krankenhauspatienten, Wirtshausbesucher usw. usw.

Gleichwohl blieb dieses Verbrechen bis vor wenigen Jahren eines der bestgehüteten Geheimnisse des "Dritten Reiches", in der öffentlichen Erinnerung ebenso wenig präsent wie in Ortschroniken, Firmengeschichten oder Handwerkschroniken. Im März gibt es zwei Veranstaltungen zu diesem Thema:

Buchvorstellung von Günther Siedbürger, Zwangsarbeit im Landkreis Göttingen Mittwoch, 7.3.2007, 20.00 Uhr, DGB-Haus, Obere Masch Straße 10

Ein vor kurzem erschienenes Buch des Göttinger Kulturwissenschaftlers Günther Siedbürger zeigt nun erstmals umfassend, in welch großem Ausmaß Zwangsarbeit von ausländischen Zivilpersonen in den Dörfern und Städten der Region stattgefunden hat und in welchen Bereichen sie überall anzutreffen war (Mit Ausnahme der Stadt Göttingen, für die eine eigene Studie beauftragt ist). Aus einer Vielzahl teils erstmals eingesehener Quellen und dem direkten Kontakt mit ehemaligen Zwangsarbeitenden entsteht ein Bild der Situation der Betroffenen von der Verschleppung aus ihrer Heimat über ihre sehr unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten in der Region bis hin zur Befreiung, das durch viele Fotos abgerundet wird. Die vom Landkreis Göttingen initiierte Studie schildert mit z.T. erschütternden Berichten eindrücklich die ständige Gefährdung der Betroffenen durch die nationalsozialistische Diskriminierung und Verfolgung. Die "Arbeitgeber" der Zwangsarbeitenden und die Standorte der Lager werden ebenso dargestellt wie das von offener Unterdrückung bis zu versteckter Hilfeleistung reichende Verhältnis der Einheimischen zu den Ausländern.

An diesem Abend wird Günther Siedbürger die Ergebnisse seiner Arbeit in Wort und Bild vorstellen und dabei auch versuchen, die ehemaligen Zwangsarbeitenden selbst zu Wort kommen zu lassen: Ihre Perspektive zeigt am eindringlichsten, was "Herrenmenschentum" und rassische Diskriminierung für ihre Opfer bedeuten.

Vortrag von Wiktorja Delimat, Mittwoch 14.3.2007, 19.00 Uhr, DGB-Haus, Obere Masch Straße 10

Wenn von NS-Zwangsarbeit gesprochen wird, weiß Wiktorja Delimat ganz genau, wovon die Rede ist: Sie ist eine der Betroffenen dieses Nazi-Kriegsverbrechens. 1940 wurde sie als Jugendliche aus ihrem polnischen Heimatdorf zur Arbeit in eine Munitionsfabrik im "Reich" verschleppt. Nach furchtbaren Erlebnissen gelang ihr die Flucht. Frau Delimat wurde aufgegriffen und erneut deportiert, diesmal in den Landkreis Göttingen, wo sie zunächst mit einer Gruppe junger polnischer Frauen bei der alljährlichen Arbeitskampagne in der Zuckerfabrik Obernjesa eingesetzt wurde. Hier wurde sie Zeugin und Opfer von Misshandlungen durch Angehörige des NS-Apparates. Anschließend war sie über zwei Jahre bis zur Befreiung Zwangsarbeiterin in der Landwirtschaft auf einem Hof in Ebergötzen.

Nach der Befreiung blieb Wiktorja Delimat in der Region. Bereits in den frühen 1960-er Jahren hat sie auf juristischem Wege versucht, eine Entschädigung für das ihr angetane Unrecht zu erhalten – vergebens. Auf eine Anerkennung ihrer Leiden und eine symbolische Entschuldigung musste Frau Delimat bis ins neue Jahrtausend hinein warten.

Wiktorja Delimat hat sich bereiterklärt, an diesem Abend über ihre Erfahrungen als Zwangsarbeiterin im Kreis Göttingen zu berichten. Die Entschädigungsverfahren für ehemalige Zwangsarbeitende können ebenfalls Gegenstand des Gesprächs sein, das Frau Delimat mit dem Göttinger Kulturwissenschaftler Günther Siedbürger und dem Medizinhistoriker Prof. Andreas Frewer (Med. Hochschule Hannover / Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) führen wird.


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