Goettinger Stadtinfo
 Texte und Bilder
© Impressum

Göttinger Betriebsexpress e.V. (GBE)

Impressum: Göttinger Betriebsexpress e.V. c/o Buchladen Rote Strasse Nikolaikirchhof 7, 37073 Göttingen

>> GBE Homepage mit >> Formular zum Abonnieren
> GBE - Leitseite in goest

gbe.JPG (10217 Byte)

Göttinger Betriebsexpress Nr. 183 (Ausgabe vom 12.Dezember 2007)

Inhalt

Interview mit Enrico Forchheim, GDL-Ortsgruppe "S-Bahn Berlin" Abgefahren

Neue Wege gesucht, Sebastian Wertmüller, Vorsitzender DGB-Region Niedersachsen-Mitte
Propagandaschlachten
Es wird gestreikt in Deutschland...Sabine Lösing, DieLinke
Streikrecht: Wohin geht die Reise?Hans-Georg Schwedhelm
Bahnreform: Staatlich oder privat?Bernd Gehrt für das Bündnis "Bahn für Alle", Göttingen.

Krankenhausstreik in Finnland:Zwangsarbeit im Kittel
Albert-Schweitzer-Krankenhaus Northeim:Es brodelt
Personalversammlung Uniklinik Göttingen:Schönreden ist "In"
Ilse-Möbelwerke, Uslar:Turbokapitalismus in Uslar
Haendler & Natermann: Verlagerung nach Thüringen?
Sartorius: Alles muss raus!
Rentengesetze:Zwangsverrentung

 

 

Liebe LeserInnen, der Bahn-Tarifkonflikt ist zu einem weit über die Belange einzelner Beschäftigtengruppen hinaus reichenden Thema geworden. Daher ist die GBE-Redaktion zugunsten eines Themenschwerpunktes zum Bahnstreik ausnahmsweise von der Schwerpunktsetzung auf lokale/regionale Themen abgewichen. In den folgenden sechs Beiträgen werden über den unmittelbaren Tarifkonflikt hinausgehende Fragen wie Privatisierungen, Streikrecht und zeitgemäße gewerkschaftliche Organisationsformen diskutiert. Nicht alle namentlich gekennzeichneten Beiträge geben die Meinung der Redaktion wieder. Dies war von uns beabsichtigt, weil wir die breite Debatte abbilden wollen und der Schwerpunkt daher als Diskussionsforum zu verstehen ist.

Interview mit Enrico Forchheim, Vorsitzender der GDL-Ortsgruppe "S-Bahn Berlin"

Abgefahren

Göttinger Betriebsexpress: ‚Einigkeit macht stark’ ist ein altes Motto der Arbeiterbewegung. Warum marschieren GdL und Transnet getrennt? Gibt es Aussichten auf eine künftige Zusammenarbeit?

Enrico Forchheim: "Einigkeit macht stark!" galt, gilt heute noch und daran wird sich auch nichts ändern. Die GDL hat viele Jahre gemeinsam mit den anderen Gewerkschaften bei der Bahn versucht, das Beste für die Bahnbeschäftigten zu erreichen. Jedoch hat sich heraus gestellt, dass die Mitarbeiter des Fahrpersonals mit Hilfe der anderen Gewerkschaften das große Opfer bei der Bahnsanierung bringen sollten.

Im Jahre 2003 hatte die Gewerkschaft Transnet mit der Bahntochter DB Regio AG die so genannten Ergänzungstarifverträge unterzeichnet. Diese Ergänzungstarifverträge, in denen man erhebliche Einschränkungen nur für das Fahrpersonal in Bezug auf die Anrechnung von Arbeitszeiten vereinbarte, hätten zur Folge gehabt, dass eben nur die KollegInnen des Fahrpersonals bis zu 18 Tagen im Jahr mehr arbeiten sollten, ohne Lohnausgleich. Mehr oder weniger sollten die KollegInnen des Fahrpersonals, die ja sowieso schon von allen Bahnmitarbeitern die ungünstigsten Arbeitsbedingungen haben, die Hauptlast der Bahnsanierung tragen. Das war mit der GDL nicht zu machen. Auch damals wurde der GDL schon vom Arbeitsgericht Frankfurt/Main das Streiken verboten, was in der nächsten Instanz wieder aufgehoben wurde.

Auch danach hat sich die GDL bemüht, gemeinsam mit der Transnet und GDBA gemeinsam die Geschicke für die KollegInnen zu lenken, aber die Nähe der anderen Gewerkschaften zum Bahnvorstand und deren daraus resultierendes Handeln ließen nur den jetzigen Weg zu.

GBE: Welche Rolle spielen die Privatisierungspläne der Bundesregierung im gegenwärtigen Tarifkonflikt? Es sieht ja ganz danach aus, als solle die Bahn zu Lasten der Beschäftigten für die Börse fit gemacht werden. Welche Position hat deine Gewerkschaft zur Privatisierung?

E.F.: Die GDL hat sich deutlich gegen eine Privatisierung der Bahn ausgesprochen. Ich denke, dass die Privatisierung der Bahn nur einigen Wenigen die Taschen füllt. Ich empfinde, dass eine Privatisierung der Bahn ein Betrug am Volk ist, und das in doppelter Hinsicht. Die Bahn hat einen Wert von ca. 180 Mrd. Euro. Sie soll für ca. ein Zehntel verscherbelt werden. Es sollte jedem klar sein, dass die Bahn durch die BürgerInnen in unserem Lande über Generationen hinweg bezahlt wurde. Das darf man nicht einfach so wegnehmen. Die andere Seite ist, dass die Bahn an der Börse nur noch als goldener Esel für die "Investoren" dienen wird. Die Bahn ist aber ein Teil der Daseinsvorsorge und soll Mobilität in Deutschland gewährleisten. Das ist gefährdet, weil nur noch dort gefahren wird, wo es sich lohnt. Immer mehr Regionen werden von der Schiene abgehangen, was nicht nur Kunden der Bahn in ihrer Mobilität einschränkt, sondern auch für die Entwicklung dieser Regionen gefährlich ist. Das sind gewiss nicht alle Folgen! Daher ist der Börsengang der Bahn abzulehnen. Die Bundesregierung sollte sich überlegen, was sie tut.

GBE: Obwohl Streiks bei Bahnkunden sonst nicht gerade beliebt sind, ist eine anhaltend hohe Zustimmung der Bevölkerung für den GdL-Streik zu verzeichnen. Wir meinen, dass dies auch Ausdruck des Unbehagens einer überwältigende Mehrheit der BundesbürgerInnen gegen eine privatisierte Profit-Bahn ist. Gibt es Bemühungen in deiner Gewerkschaft, die breite Ablehnung der Bahnprivatisierung mit den Tarifbewegungen bei der Bahn zusammen zu führen?

E.F.: Dass Streiks bei den Bahnkunden nicht besonders beliebt sind, war uns von Anfang an bewusst. Es war ja auch nicht das Ziel der GDL zu streiken, sondern Tarifverhandlungen zu führen. Aus diesem Grunde hat die GDL der Bahn bereits im März 2007 ein Tarifangebot vorgelegt, über das die Bahn nicht ansatzweise bereit war, zu verhandeln. Der Bahnvorstand wurde nicht müde, in der Öffentlichkeit zu betteln, dass die GDL doch an den Verhandlungstisch kommen möge. Die Bahn wollte es nicht und schiebt der GDL den schwarzen Peter zu. Aber bemerkenswert ist, dass die Bahn im Dezember 2006, also lange bevor unser Tarifangebot überreicht wurde, schon ein Gericht bemühte, um feststellen zu lassen, ob wir für diesen Tarifvertrag notfalls streiken dürfen.

Wir mussten streiken, auch wenn es weh tat, denn es gab keine andere Möglichkeit der Bahn zu zeigen, dass die KollegInnen des Fahrpersonals die Nase voll haben. Alles andere wäre kollektives Betteln. Wir mussten deutlich machen, dass die besonderen Bedingungen, unter denen das Fahrpersonal seine Arbeitsleistung erbringen muss, geändert und auch entsprechend gewürdigt werden. Auch die KollegInnen des Fahrpersonals sind Menschen, die Anspruch auf Menschenwürde haben.

Vielleicht erkennen viele Menschen in unserem Lande einen Zusammenhang zwischen unserem Arbeitskampf und dem Kampf gegen die Bahnprivatisierung. Es muss aber gesagt werden, dass unsere Arbeitskämpfe nur der Durchsetzung tariflicher Ziele dienten und auch zukünftig dienen. Das geht auch nicht anders, weil die GDL sich zur Demokratie bekennt und damit zu Einhaltung von Recht und Gesetz

Politische Streiks sind in Deutschland nicht erlaubt und die GDL hält sich daran. Jeder weiß, dass die GDL gegen einen Börsengang der Bahn ist. Wenn unsere Arbeitskämpfe indirekt etwas in Bewegung gesetzt haben, dann bin ich alles andere als traurig darüber.

An dieser Stelle möchte ich mich aber auch bei unseren Reisenden bedanken. Wir waren sehr über die Geduld überrascht. Ich wünschte mir, dass mehr Menschen in unserem Lande aufstehen und fordern, was ihnen zusteht.

GBE: Ende November haben Transnet, GDBA und DB AG ein neues Abkommen verkündet, das auch die Einrichtung von Spartentarifverträgen beinhaltet. Welche Position hat deine Gewerkschaft dazu? Wie wird sich dies eurer Meinung nach auf eure laufenden Verhandlungen auswirken?

E.F.: Zu den Abkommen der Transnet/ GDBA habe ich keine genaueren Informationen, weshalb ich nichts dazu sagen kann, aber offensichtlich lernt man von der GDL. Allgemein muss ich feststellen, dass wir offensichtlich auch Bewegung in diese Gewerkschaften gebracht haben. Natürlich würden sie es nie zugeben. Diese Bewegung begrüße ich sehr in der Hoffnung, dass für deren Mitglieder wirklich etwas herausspringt.

Leider haben diese Gewerkschaften sich ja nicht gerade mit Ruhm bekleckert, was deren Argumentation zu unserer Tarifauseinandersetzung betrifft. Gemeinsam mit der Bahn haben sie nichts unterlassen, uns in ein schlechtes Licht zu stellen. Vorwürfe der Spaltung der Belegschaft waren da noch die harmlosesten. Aber mich beruhigt, dass viele Mitglieder dieser Gewerkschaft keine Scheuklappen vor den Augen haben und uns besten Erfolg wünschten.

Welche Auswirkungen diese Abkommen auf unsere Tarifverhandlungen haben werden, kann ich jetzt noch nicht einschätzen. Fest steht, dass wir in der Hauptforderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag nicht nachgeben werden. Unser GDL-Vorstand hat einen klaren Auftrag der Generalversammlung 2006, den er nicht selbstständig aufgeben kann und wird. Sie werden das Beste tun – davon bin ich fest überzeugt.

GBE: Marburger Bund, Cockpit und GdL werden oft in einem Atemzug als "Totengräber" der deutschen Gewerkschaftslandschaft bezeichnet, wie sie in Deutschland seit 1945 existiert: Wie schätzt du die Auswirkungen eurer "Sonderwege" auf die künftige Entwicklung des DGB und allgemein auf künftige gewerkschaftliche Organisierung von Beschäftigten ein?

E.F.: Wenn man uns als Totengräber der Bewegungslosigkeit anderer Gewerkschaften bezeichnet, habe ich kein Problem damit. Alles Andere braucht man, um kleinen, aber starken Gewerkschaften das Leben schwer, wenn nicht sogar unmöglich zu machen. Es wundert mich nicht, dass man so von den kleineren Spezialgewerkschaften denkt, denn diese kleinen Gewerkschaften haben durch ihr Handeln erhebliche Defizite der Gewerkschaftslandschaft aufgezeigt. Jeder spricht von einer Leistungsgesellschaft. Offensichtlich darf sich Leistung nur für die oberen Zehntausend lohnen. Es gibt nun mal Berufe mit besonderen Qualifikationen und auch mit besonderen Anforderungen. Wer solch einen Beruf ausübt, möchte ihn auch entsprechend gewürdigt sehen. Die großen Gewerkschaften haben dort offensichtlich versagt. Der Organisationsgrad dieser Gewerkschaften ist in deren Bereichen recht gering und rückläufig. Das ist ein Zeichen, dass viele Fehler gemacht wurden. Auch die GDL hat Fehler gemacht, aber sie hat erkannt, dass das Einheitsprinzip, ein Betrieb – ein Tarifvertrag, genau das ist, was die Menschen ausbremst.

Zukünftig kann ich nur hoffen, dass die DGB-Gewerkschaften etwas mehr das Ohr an der Basis haben und diese ernst nehmen. Wird das nicht getan, wird es nach meiner Auffassung immer mehr und zu Recht kleinere Gewerkschaften geben, die die Vertretung der MitarbeiterInnen in die Hand nehmen. Sollte es so kommen, wünsche ich ihnen schon jetzt den größten Erfolg, denn die ArbeitnehmerInnen in Deutschland haben ein Mehr in ihren Taschen bitter nötig. "Arm durch Arbeit" darf es nicht mehr geben.

Zum Anfang

Sebastian Wertmüller, Vorsitzender DGB-Region Niedersachsen-Mitte

Neue Wege gesucht

Es gibt gute Gründe für Reformen – auch bei den Gewerkschaften. Mitgliederverluste, schwindende Tarifbindung, gewerkschaftsfreie’ Branchen und Betriebe erfordern andere Antworten als die bisherigen. Es sind die Folgen wirtschaftlicher Umstrukturierungsprozesse, die sich in diesem Verlust gewerkschaftlicher Gestaltungsmacht ausdrücken: Der Rückgang industrieller Arbeitsplätze und der Beschäftigungsaufbau in (neuen) Dienstleistungssektoren, der fortschreitende Prozess von Auslagerungen, Ausgründungen und Fremdvergabe. Und natürlich spielt eine Rolle, wie sich Politik, Gewerkschaft und Medien in den letzten Jahren gegenüber sozialer Sicherung, Tarifverträgen und sozialen Standards positioniert haben. Das neoliberale Dauerfeuer hat Spuren hinterlassen: Nicht nur in der öffentlichen Debatte, in der eine kleine Korrektur an Hartz IV schon als „Linksrutsch“ gewertet wird. Sondern auch bei vielen Kolleginnen und Kollegen, die die Verhältnisse knurrend und murrend akzeptieren, anstatt sich zu organisieren und zur Wehr zu setzen. Der Streik der Lokomotivführer ist allerdings kein Ausdruck dieser Probleme: Die Beschäftigten der Bahn AG sind gut organisiert, Tarifverträge sind vorhanden, es gibt eine sozialpartnerschaftliche Praxis. Die aktuelle Auseinandersetzung wirft eher Fragen auf, ob sich bestimmte Beschäftigtengruppen im Unternehmen durch die bestehenden Tarife ausreichend repräsentiert sehen und wie groß die Bindungskraft der vorhandenen Gewerkschaften ist. Zu diesen Fragen wird sicherlich in den nächsten Wochen und Monaten in den Bahngewerkschaften noch einiges zu diskutieren sein. Aber wie können gewerkschaftliche Antworten auf den wirtschaftlichen Strukturwandel und das Schwinden gewerkschaftlicher Kraft aussehen? Immer wieder wird – zu Recht – eine stärkere Einbindung jüngerer Beschäftigter, eine erhöhte Einbeziehung von Frauen und höher Qualifizierter aus den unterschiedlichen High-Tech-Branchen eingefordert. In Anbetracht der Mitgliederstruktur der deutschen Gewerkschaften sicherlich nicht falsch. Ein Männeranteil von über 70%, ein sinkender Anteil Jüngerer und eine Konzentration auf die „klassischen“ Facharbeiter/innen bzw. „mittleren“ Angestellten entsprechen nicht mehr der Zusammensetzung der Erwerbsbevölkerung. Dennoch bleibt diese Erkenntnis zumeist ein hehrer Appell. Der Eintritt in eine gewerkschaftliche Interessensorganisation und mehr noch das Engagement in dieser ist stark interessegeleitet und immer weniger von abstrakten Normen und Werten wie Solidarität, Gleichheit und Gerechtigkeit geprägt. Und genau hier fehlt es anscheinend: Welche Interessen glauben junge Menschen, Frauen, Hightech-Angestellte bei Gewerkschaften abgedeckt zu bekommen? Die Häuser und Büros sind nicht übermäßig „hip“ (wenn sie überhaupt bekannt sind), der Service (also die Dienstleitungsqualität) höchst unterschiedlich (von der Erreichbarkeit über die Freundlichkeit bis hin zur Kompetenz), die Beratungskompetenz z.T. umstritten. Und dazu kommt noch das Negativ-Image, das den Gewerkschaften in den letzten Jahren systematisch angehängt wurde. Adressierungen wie "Neinsager", "Blockierer", Arbeitsplatzverhinderer" und "Betonköpfe" stehen für diese kampagnenähnliche öffentliche Diskreditierung.

Schon aus diesen Gründen werden Gewerkschaften zur Gewinnung neuer Mitglieder, zur Erschließung bisher unberührter Betriebe und Branchen und zur Gewinnung Aktiver neue Wege beschreiten müssen:

Konzentration auf Branchen und Betriebe

Die Erschließung gewerkschaftsfreier Flecken wird darüber entscheiden, inwieweit Gewerkschaften zukünftig die Interessenvertretung der abhängig Beschäftigten sein werden, oder eine unter mehreren Interessensverbänden, die nur für bestimmte Segmente der Wirtschaft stehen. So ist die Frage der Organisierung der Beschäftigten in der Zeitarbeit (immerhin über 600.000 Arbeitsplätze) eine Zukunftsaufgabe, für die bis heute noch keine ausreichenden Antworten und Modelle gefunden worden sind.

Es gilt eine branchenbezogene Fachlichkeit zu entwickeln und so gewerkschaftliche Kompetenz erfahrbar zu machen. Weil es sich häufig um neue Fragestellungen in sich schnell entwickelnden Unternehmen handelt, gilt es darauf eben so schnell zu reagieren und entsprechende Kompetenz zu gewinnen und zu vermitteln.

Neue Wege

Weil häufig betriebliche Zugänge der klassischen Form (Betriebsräte, Vertrauensleute, aktive Mitglieder im Betrieb) für Gewerkschaften nicht zur Verfügung stehen, können Anlauf- und Beratungsstellen mit offenen Angeboten eine Alternative darstellen. Insbesondere für prekär Beschäftige in Leiharbeit, Scheinselbständigkeit und sonstiger Jobberexistenz wäre eine Unterstützung bei einfachen arbeitsrechtlichen Fragen (Lohnfortzahlung, Urlaubstage, Fahrtkosten, Arbeitsvertrag) etc. ein hilfreiches Angebot.

Campaigning als Methode

Die Gewerkschaften werden sich aus den oben genannten Gründen verstärkt mit neuen Methoden der Mitgliedergewinnung auseinander setzen müssen. Kampagnen erhalten dabei eine neue Bedeutung. Für ein gezieltes Campaigning braucht es qualifizierte und motivierte Menschen, die jenseits des Alltags von Gewerkschaftssekretären/innen in der Lage sind, gezielt bestimmte Betriebe oder Branchen in einer Region zu bearbeiten. Das erfordert eigene Ressourcen, hat aber den Vorteil, dass Erfolge gemessen werden können und weniger erfolgreiche Kampagnen auch beendet werden.

Verbesserung der Dienstleistungsqualität

Die Qualität der Dienstleistungen der Gewerkschaften für ihre Mitglieder hat inzwischen eine deutlich größere Bedeutung als in der Vergangenheit. Auch wenn es wenig emanzipatorisch und eher wirtschaftsorientiert klingt: Mitglieder und solche, die es werden sollen, erwarten immer mehr konkrete Leistungen für ihren Beitrag. Und wer jeden Monat ein Prozent seines Einkommens bezahlt, hat auch Gründe, eine gute Beratung und Unterstützung zu erfahren. An dieser Baustelle wird seit Jahren gearbeitet und es muss weiter dran gewirkt werden.

Konzentration auf Themen und Forderungen

Die Bemühungen der Gewerkschaften in den letzten Jahren, die Agenda 2010, Hartz IV, die Gesundheitsreform und die Rente mit 67 zu verhindern und die Bundesregierung auf einen anderen Weg zu bewegen, waren nicht von Erfolg gekrönt. Das hat etwas mit realen Kräfteverhältnissen zu tun, aber auch mit der nicht ganz so großen Protestbereitschaft unserer Mitglieder sowie dem weitgehenden Ausfall der erhofften großen sozialen Protestbewegung. Für die Zukunft wird es auch darauf ankommen, die gewerkschaftlichen Kräfte und die vorhandene Protestbereitschaft dahin zu konzentrieren, wo Gewerkschaften sich auch reale Erfolge erkämpfen können.

Neue Mitglieder - neue Inhalte

Eine zentrale Erfahrung für Gewerkschaften wird es sein, wenn sich aufgrund einer geänderten Mitgliederstruktur auch Inhalte und Forderungen verändern. So hat ein höherer Frauenanteil Folgen für das Anforderungsprofil und den Stellenwert der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Frauenförderung. Jüngere Mitglieder erzwingen Veränderungen in der gewerkschaftlichen Alltagskultur, migrantische Mitglieder erzwingen Auseinandersetzungen um Aufenthaltstitel und Arbeitserlaubnisse. Alles Dinge, die im Prinzip der heutigen Beschlusslage und dem gesamten Forderungskanon des DGB und der Gewerkschaften entsprechen, eine gelebte Praxis aber weitgehend vermissen lassen.

Lernende Organisation

Die Gewerkschaft der Zukunft sollte eine lernende Organisation sein, die die Veränderungen in der Arbeitswelt reflektiert, sich entlang den Wünschen und Bedürfnissen der abhängig Beschäftigten und der sozial Schwachen weiterentwickelt und mit ihnen gemeinsam an Bild einer humanen Gesellschaft der Zukunft diskutiert und arbeitet. Dass dabei manche Tradition und mancher Zopf zu kurz kommen wird, liegt in der Natur der Sache. Alternativen dazu sehe ich aber nicht.

zum Anfang

Propagandaschlachten...

Soviel Freunde hatte die organisierte Arbeiterklasse lange nicht. Bahnchef Mehdorn, SPD-Vorsitzender Beck und die Spitzen der Unternehmerverbände mahnen Gemeinwohl und Tarifeinheit am Standort Deutschland an, die sie durch die ständische Interessenpolitik der GdL unter Führung des CDU-Mitglieds Schell bedroht sehen.

Zu Glanzzeiten der Sozialpartnerschaft gehörte es zum guten Ton, die gemeinschaftlichen Interessen von Arbeit und Kapital in der Öffentlichkeit zu propagieren. Praktisch organisierten Gewerkschaften und Unternehmerverbände bzw. die Volksparteien SPD und CDU wenigstens einen tarif- bzw. allgemeinpolitischen Interessenausgleich. Arbeiter aber auch Unternehmer, die sich im Verbändestaat kein Gehör schaffen konnten, waren von diesem Klassenkompromiss zwischen Gewerkschaften und organisiertem Unternehmertum ausgeschlossen. Letztere konnten seit den 1970er Jahren die Kräftebalance innerhalb dieser Interessenabstimmung zu ihren Gunsten verschieben und haben die Sozialpartnerschaft nach 1989 als ein Relikt quasisozialistischer Zustände in Westdeutschland denunziert, welches im Namen der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland zu überwinden sei. Diese Logik hat die unter Schröder erneuerte Sozialdemokratie 1998 zu ihrem Regierungsprogramm erkoren und sich damit selbst als politische Stütze sozialpartnerschaftlicher Kompromisse aufgegeben. Seither ist an die Stelle des Interessenausgleichs zwischen Kapital und Arbeit das gemeinschaftliche Interesse kleiner und großer Vermögensbesitzer getreten, dessen Befriedigung die Umverteilung von Lohn- zu Vermögenseinkommen erfordert. Um dieses Ziel zu erreichen, sind gewerkschaftliche Organisationsmöglichkeiten beschnitten, Flächentarifverträge effektiv unterlaufen und gesetzliche Sozialstandards massiv abgesenkt worden. Von der Tarifeinheit, die auf den Prinzipien Ein-Betrieb-Eine-Gewerkschaft und allgemeinverbindlicher Tarifverträge für ganze Branchen aufgebaut war, ist dabei nicht viel übrig geblieben. Obwohl der Druck, Flächentarifverträge durch betriebliche Vereinbarungen oder ganz und gar individuelle Arbeitsverträge abzulösen, eindeutig vom Unternehmertum ausging und vom politischen System unterstützt wurde, haben viele gewerkschaftliche Untergliederungen, dachverbandlichen Bekenntnissen zu Tarifeinheit und kollektiver Interessenvertretung zum Trotz, als Co-Manager an der zunehmenden Zersplitterung der Tariflandschaft mitgewirkt. Dies war die Lage an der Klassenfront in Deutschland bis zur Eskalation des Konfliktes zwischen Bahnvorstand und GdL. Seither haben die Totengräber der vormals real existierenden Sozialpartnerschaft die Rhetorik von Klassenkollaboration und Interessenausgleich wieder abgestaubt und machen sie gegen die Forderungen von Lokomotivführern und anderen in der GdL organisierten Bahnbeschäftigten stark.

....und reale Konflikte

Tatsächlich kämpft der Bahnvorstand gegenwärtig an zwei Fronten. Um die Privatisierungspläne der Bundesregierung voranzutreiben und Vermögensbesitzern Appetit auf Investitionen im Bahngeschäft zu machen, müssen die Einkommen der Bahnbeschäftigten gedrückt und die Arbeitsbelastung erhöht werden. Auf diesem Weg ist der Vorstand in den vergangenen Jahren bereits erheblich vorangekommen, so dass potenzielle Anleger bereits die Rendite erhöhter Ausbeutung kalkulieren können. Forderungen der Beschäftigten, Einschnitte der Vergangenheit wenigstens teilweise zurückzunehmen, können die mühsam geweckte Investitionsneigung der vermögensbesitzenden Klasse nur gefährden und werden entsprechend bitter bekämpft. Dabei geht es um mehr als einen Konflikt zwischen Bahnvorstand und GdL. Würde letztere, wie von Unternehmervertretern, Politikern und Medien nahezu einhellig behauptet, nur die Sonderinteressen ihrer Mitglieder wahrnehmen, hätte der Konflikt längst beigelegt werden können. Zugeständnisse an die vergleichsweise kleine Zahl von GdL-Kollegen hätten die Konzernkasse nicht übermäßig belastet und zugleich die Möglichkeit geboten, die GdL als Standesorganisation gegen das in Transnet, GDBA bzw. unorganisierte Bahnproletariat auszuspielen. Eine Spaltungsstrategie, die langfristig sogar die unmittelbaren Kosten von Zugeständnissen an die GdL hätte aufwiegen können, weil sie für die Durchsetzung künftiger Lohnsenkungen und Entlassungen hätte genutzt werden können. Da die von der GdL aufgestellten Forderungen längst Begehrlichkeiten bei den Mitgliedern von Transnet und GDBA geweckt und teilweise auch zu Übertritten zur GdL geführt haben, fehlt einer solchen Strategie die praktische Grundlage. Der Ärger über die ewigen Zumutungen des Bahnvorstands wird von den Beschäftigten offensichtlich unabhängig davon geteilt, ob und welcher Gewerkschaft sie angehören. Der mittlerweile tief sitzende Unmut über verschlechterte Arbeitsbedingungen und Einkommensverluste hat kürzlich sogar Transnet-Chef Hansen, ansonsten ein treuer Begleiter der Kostensenkungs- und Privatisierungspläne von Bahnvorstand und Bundesregierung, zu dem Hinweis genötigt, Zugeständnisse an die GdL-Kollegen würden Nachschlagforderungen gegenüber dem im Sommer zwischen Transnet, GDBA und Bahnvorstand abgeschlossenem Tarifvertrag zur Folge haben. Das würde nicht nur teuer, sondern auch eine von formalen Mitgliedschaften unabhängige Geschlossenheit der Bahnbelegschaft demonstrieren, die mit den Renditevorstellungen künftiger Bahnaktionäre in Konflikt stünde. Vorläufig konnte die dem Bahnvorstand drohende Herstellung einer tatsächlichen Tarifeinheit zwischen den drei bei der Bahn operierenden Gewerkschaften durch neuerliche Sonderverhandlungen zwischen Bahnvorstand und Transnet bzw. GDBA verhindert werden. Aber noch ist nicht aller Tage Abend, denn allzu deutlich ist, dass der Tarifkompromiss der Transnet nichts weiter bedeutet als die Festschreibung von Lohnerhöhungen unterhalb der Inflationsrate bis 2010. Weitere GdL-Streiks, welche auch den bei Transnet und GDBA organisierten Kollegen Appetit auf mehr machen, sind nicht auszuschließen. Mögen GdL und Bahnvorstand gegenwärtig auch in lange nicht gesehener Eintracht abwiegeln: Nur einen Tag, nachdem die Aussetzung von Streiks bis Januar bekannt gegeben wurde, erklärte der Bahnvorstand, im nächsten Jahr sei die Bahn "reif" für die Börse. Mit den neuerlich geweckten Renditehoffnungen der Investorengemeinschaft im Rücken werden Mehdorn und Co. sich bei den nunmehr stattfindenden Tarifverhandlungen wenig entgegenkommend zeigen. Das Zeitalter der Dampflokomotiven ist längst vorüber, trotzdem ist bei der Bahn noch viel Druck im Kessel.

Zum Anfang

Sabine Lösing, Mitglied im Bundes-Parteivorstand der Partei: DIE LINKE

Es wird gestreikt in Deutschland....

..... und zwar so, dass es weh tut: Dies konnten Bahnreisende life erleben, das kann mensch an den hektischen und juristischen Reaktionen von Bahnvorstand und Regierung ablesen; aber auch an den Reaktionen der DGB-Gewerkschaften, hier vor allem der Transnet, erkennen. Doch dazu später.

Zunächst und aus dem Bauch heraus bin ich als Angestellte im öffentlichen Dienst erst einmal nur neidisch: Seit wir in Göttingen keine BusfahrerInnen mehr im Betrieb haben, die Müllmänner weniger und Reinigungsdienste zunehmend ausgelagert werden, hat die mehrwöchige Verweigerung unserer Arbeitskraft im letzten Jahr nicht so viele Räder still stehen lassen, was sicher auch ein Grund dafür ist, dass die Abschlüsse nicht besser waren.

Und obwohl dieser Streik der LokführerInnen und ZugbegleiterInnen viele Menschen durchaus empfindlich getroffen hat, war die Zustimmung der Bevölkerung so groß wie selten. Dies hat vielleicht weniger mit den detaillierten Forderungen zu tun als mit der Tatsache, dass hier gekämpft wurde und die Menschen sich in ihrer Ablehnung der Folgen der herrschenden Politik mit den Streikenden identifizieren konnten.

So groß jedoch die Zustimmung in der Bevölkerung war, so spärlich war die Solidarität der DGB-Gewerkschaften und in anderen der Gewerkschaftsbewegung nahestehenden Gruppierungen und Parteien, z.B. auch in der Partei "DIE LINKE.": Die Sorge um die gewerkschaftliche Einheit und um deren mögliche zukünftige Schwächung durch weitere Aufsplitterung in Spartengewerkschaften, wie es in England bereits der Fall ist, ist nachvollziehbar. Auch als Lehre aus dem Faschismus ist die gewerkschaftliche Einheit ein hohes Gut, für das es sich zu streiten lohnt. Nach dem hoffentlich erfolgreichen Ende dieses Arbeitskampfes sollte gemeinsam mit der GDL darüber diskutiert werden, wie diese Einheit wieder hergestellt werden kann. Es gilt, sich dafür einzusetzen, dass Solidarität durch Verallgemeinerungen von Tariferfolgen entsteht.

So problematisch der Kampf einzelner Berufsverbände zur Durchsetzung einzig der eigenen Interessen auch ist, so darf dies nicht der Grund dafür sein, dass Linke die Unterstützung entziehen: Es gibt Gründe dafür, dass die GDL so handelt, für deren Entstehen sie nicht verantwortlich ist. Die Haltung gerade der DGB-Gewerkschaft Transnet im Bereich der Tarife und der Privatisierung haben die KollegInnen der GDL auf den Plan gerufen, obwohl auch diese Gewerkschaft sich nicht von einer Privatisierung distanziert.

Wir können uns die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen jetzt und in der Zukunft nicht aussuchen: Bei Zuspitzung der Widersprüche wird es Widerstand geben, der nicht immer strategisch planvoll einzuordnen ist , Betroffene werden sich für die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen einsetzen. Als Linke ist unsere Solidarität gefordert und auch das Eintreten dafür, Widerstand auf breite Füße zu stellen. Nur wenn wir gemeinsam und - am besten - mit Erfolg kämpfen, können wir eine Basis für eine solidarische Kritik schaffen.

Es ist absurd, der GDL vorzuwerfen, sie liefere der Gegenseite Grund dafür, das Streikrecht auszuhöhlen. Sicherlich werden Anlässe ausgenutzt, aber auch ohne die GDL wird der nächste Streik mit ähnlicher Auswirkung auf die Infrastruktur der Bundesrepublik mit juristischen Mitteln bekämpft werden.

Wenn die DGB-Gewerkschaften keinen Erfolg haben, die Löhne zu erhöhen, die Arbeitszeit zu verringern und die Arbeitsbedingungen zu verbessern, dann werden sich die Lohnabhängigen nach anderen Möglichkeiten umsehen, ihre Interessen zu vertreten. Ich vermute, dass es weiterhin hier und da kleine Einzelgewerkschaften geben wird, die für Verbesserungen ihrer Klientel eintreten werden. Dabei darf man Spartengewerkschaften, die sich für die eigenen Interessen einsetzen, d.h. für ökonomische und soziale Verbesserung eintreten, nicht verwechseln mit Spaltergewerkschaften, die im Interesse von Unternehmen wirken. Wenn Spartengewerkschaften Erfolge erzielen, kann das durchaus positiv für andere Berufsgruppen sein: Dadurch, dass die erzielten Abschlüsse auf diese übertragen werden, aber auch dadurch, dass ein erfolgreicher Arbeitskampf auch bei anderen Gewerkschaften und anderen Auseinandersetzungen motivierend Einfluss nehmen kann. Vorstellbar ist, dass es eine Wellenbewegung geben wird: Aufspaltungen und wieder Zusammenschlüsse, da diese langfristig die bessere Option sind.

Die Positionen in der Partei "DIE LINKE" spiegeln die Ambivalenz wider, die in der Beurteilung der Rolle der GDL und der gesellschaftlichen Funktion gewerkschaftlicher Politik durchaus angemessen ist: Nach eingehender Diskussion hat sich der Parteivorstand entschieden, sich mit dem Streik der LokführerInnen solidarisch zu erklären, aber die Ambivalenz bleibt weiter bestehen.

Aber während wir diskutierten, hatten so manche GenossInnen in den Kreisverbänden schon längst ihren Platz als Streikposten bei den LokführerInnen bezogen. Es ist die Perspektive von politischen Streiks, ja, auch des Generalstreiks, dass vielleicht eines Tages die LokführerInnen uns Angestellte im öffentlichen Dienst unterstützen oder gar gegen Studiengebühren streiken.

Zum Anfang

Hans-Georg Schwedhelm

Streikrecht: Wohin geht die Reise?

Bei der aktuellen Diskussion über den Streik der GDL spielt die juristische Beurteilung dieses neuen Streiks eine wichtige Rolle. Beide Streikparteien – die Deutsche Bahn und die GDL – haben die Gerichte angerufen, um sich ihre Position bestätigen zu lassen. In der GDL sind 75% der ungefähr 20.000 Lokomotivführer organisiert. Die GDL hat die Gerichte angerufen, um feststellen zu lassen, dass sie als Gewerkschaft berechtigt ist, ihre Mitglieder zum Streik aufzurufen, damit die DB mit ihnen einen Tarifvertrag für die Lokführer abschließt. Die DB hat die Gerichte mit dem Ziel angerufen, dass festgestellt wird, dass es für die Lokführer einen Tarifvertrag der Gewerkschaften TRANSNET und GDBA gibt und deshalb kein Raum für einen weiteren Tarifvertrag vorhanden ist.

Streik gefährdet Ordnung

Begleitet wird die Tarifauseinandersetzung durch Stellungnahmen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). "Die ständigen Streikdrohungen und Streikaktionen richten bereits jetzt erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden an", so BDA-Präsident Dr. Dieter Hundt am 1. November 2007. Schon die Streikdrohung richte einen volkswirtschaftlichen Schaden an. "Der Streik wird nicht nur die Bahn, sondern auch weitere wichtige Schlüsselbranchen unserer Volkswirtschaft massiv treffen. Er ist eine Gefahr für Wachstum und Beschäftigung und schadet damit dem gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland" (Dr. Hundt am 14. November 2007).

Weiter hat der BDA den Vorstandsvorsitzenden der DB, Herrn Hartmut Mehdorn, unterstützt, der von der Bundesregierung, wie es hieß, fordert, "die Tarifeinheit durch einen gesetzlichen Ordnungsrahmen im Interesse der Tarifautonomie zu sichern". Diese Forderung bedeutet nichts anderes, als dass der Staat eingreifen solle, um sicherzustellen, dass in Bereichen, in denen es Tarifverträge gibt, nicht weitere Forderungen erhoben werden oder sogar gestreikt wird. Möglicherweise hatte der BDA auch im Hinterkopf, dass bei dem aktuellen Anstieg der Lebenshaltungskosten bei langlaufenden Lohntarifverträgen ein Nachschlag beim Lohn gefordert werden könnte. Dies würde ein gesetzlicher Ordnungsrahmen auch verhindern.

Mehdorns vertrackte Lage

Ohne Zweifel ist die Lage für Herrn Mehdorn vertrackt. Die klassische Antwort auf einen Streik, die Aussperrung, kommt für ihn nicht in Frage. hierdurch würden die Kunden der Bahn noch zusätzlich getroffen. Wen soll er auch aussperren, etwa die Mitglieder der anderen Gewerkschaften wie TRANSNET und GDBA, dies würde zu einer Solidarisierung der Beschäftigten bei der DB führen und daran hat Herr Mehdorn wenig Interesse. Genauso müsste er bei einer besonderen Rücksicht auf seine Lokführer befürchten, dass sich die anderen Berufsgruppen wie Stellwerker, Fahrdienstleiter, Schalterangestellten usw. zu einer Gewerkschaft zusammenschließen und dann ihrerseits die DB unter Druck setzten.

Der Arbeitskampf ist in Deutschland in keinem Gesetz geregelt. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen. Ausgangspunkt der Rechtsprechung ist der Art. 9 Abs. III unseres Grundgesetzes: "Das Recht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet." Hieraus haben die Gewerkschaften ihr Streikrecht und die Arbeitgeber und konservative Gerichte das Recht auf Aussperrung abgeleitet. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1991 ausdrücklich zur "verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Arbeitskampfes" bekannt. Die Arbeitsgerichte haben versucht, sogenannte Leitlinien für den Arbeitskampf aufzustellen, u.a. das Verhältnis von Streikenden zu Ausgesperrten festzulegen. Nach dem Motto, wenn eine bestimmte Anzahl der Arbeitnehmer streiken, darf der Arbeitgeber eine gewisse Zahl aussperren. Diese Rechtsprechung hat in der letzten Zeit keine Rolle gespielt, weil die Streiks fehlten.

Zukunft der Tarifverträge

Die Zukunft der Tarifverträge ist ungewiss. Sie werden von zwei Seiten angegriffen. Zum einen gibt es immer mehr Arbeitnehmer, die keinen Schutz eines Tarifvertrages haben, weil der Arbeitgeber keinem tarifschließendem Verband angehört. Die vorhandenen Flächentarifverträge werden durch Sanierungs- oder Haustarifverträge ausgehöhlt. Und dann gibt es seitens der Arbeitgeber eine neue Variante, sie suchen sich eine passende Gewerkschaft. So erleben christliche Gewerkschaften in Deutschland eine Wiedergeburt. Da schließt zum Beispiel ein Arbeitgeberverband "Verband der Mittelständischen Zeitarbeitsfirmen" einen Tarifvertrag mit einer Christlichen Gewerkschaft, wobei dann die Stundenlöhne für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern bei ca. 6,50 Euro liegen. Clevere Arbeitgeber vereinbaren dann mit den Arbeitnehmern in den Arbeitsverträgen die Anwendung des Tarifvertrages. Plötzlich unterliegen die Arbeitnehmer dem "Schutz des Tarifvertrages" und das Ergebnis ist nichts anderes als Lohndrückerei.

Tarifeinheit

"Ein Betrieb – eine Gewerkschaft – ein Tarifvertrag", klingt fast wie ein Motto am 1. Mai, soll aber die Praxis der Bundesrepublik seit ihrer Gründung beschreiben. Dieses Prinzip wird durch Gewerkschaften bzw. Interessengruppen wie zum Beispiel "Marburger Bund" für die Krankenhausärzte und durch die Vereinigung "Cockpit" für die Piloten durchbrochen. In dieser Reihe steht jetzt auch die GDL mit der Interessenvertretung für die Berufsgruppe der Lokführer. Eine Rolle in dieser Auseinandersetzung hat das Arbeitsgericht Chemnitz gespielt. In seiner Entscheidung vom 5.10.2007 hat das Arbeitsgericht Chemnitz der GDL untersagt, ihre Mitglieder in den Bereichen der DB Fernverkehr AG und Railion Deutschland AG (Güterverkehr) zum Streik aufzurufen. Etwas verkürzt bedeutet diese Entscheidung, dass die GDL nur ihre Mitglieder im Bereich des Nahverkehrs zum Streik aufrufen durfte.

Wie wird diese Entscheidung begründet?

Auf einer Vielzahl von Seiten wird begründet, warum der Streik nicht rechtswidrig ist. Der interessierte Leser fragt sich im Laufe des Textes, wieso dann diese Entscheidung? Dann kommt aber die entscheidende Stelle bei den Entscheidungsgründen. "Die Rechtswidrigkeit des Streiks in dem untersagten Umfang ergibt sich jedoch unter Berücksichtigung der Gemeinwohlbindung als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes." In den kommenden Sätzen der Entscheidung wird beschrieben, wie kleine Interessengruppen von Arbeitnehmern in Schlüsselpositionen in der Lage sind, sehr effektiv ihre Interessen durchzusetzen. Dies führe zu gravierenden Schäden in der Volkswirtschaft, so dass das Gemeinwohl gefährdet sei. Dies bedeutet, überspitzt dargestellt, weil der Streik besonders wirksam ist, muss er untersagt werden. Mit dem unbestimmten Rechtsbegriff "Gefahr fürs Gemeinwohl" kann jeder Streik untersagt werden.

Am 2.11.2007 konnte der Vorsitzende der GDL, Manfred Schell, sich freuen, dass das Landesarbeitsgericht Sachsen die Entscheidung des Arbeitsgerichtes Chemnitz aufgehoben hat. In der erfreulichen Entscheidung wurde der GDL ein Streikrecht für den gesamten Schienenverkehr zugesprochen. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes wurde von Gewerkschaften, anderen Gerichten und juristischen Kommentatoren ausdrücklich begrüßt. Die Position des Arbeitsgerichtes Chemnitz ist eine, wie es bei Juristen heißt, "abwegige Mindermeinung".

Am 4.12.2007 verkündeten die Verhandlungspartner GDL und Bahn, dass es jetzt doch einen Tarifvertrag für Lokführer geben werde. Diesen Weg haben Herrn Mehdorn die anderen Eisenbahngewerkschafter ermöglicht. Wenige Tage vorher haben sie sich auf die Schaffung eines Manteltarifvertrages für alle Beschäftigten der DB und sechs Spartenverträge eingelassen. Für die Berufsgruppe der Lokführer wird die GDL federführend verhandeln dürfen. Was in den Manteltarifvertrag kommt und was in die Spartentarifverträge kommen wird, wird noch zu heftigen Diskussionen führen. Hierzu haben die Tarifvertragsparteien geregelt, dass bis zum 15. Dezember 2008 die Vereinbarung stehen soll.

Für Mehdorn ist wichtig, dass der Konflikt etwas entschärft ist, damit er sich um für ihn wichtige Themen kümmern kann und das ist in erster Linie die Privatisierung der Bahn. Hierbei haben ihn die Lokführer ziemlich gestört.

Fazit

Folgendes Fazit lässt sich aus dem Vorbeschriebenen ziehen:

  • Tarifverträge sind keine alleinige Lösung, weil das Instrument auch missbraucht werden kann. Es muss gesetzliche Mindeststandards, zum Beispiel wie von ver.di gefordert, 7,50 Euro pro Stunde als Mindestlohn geben.
  • Kleine Interessengruppen werden eine immer größere Rolle spielen und der Grundsatz "ein Betrieb – ein Tarifvertrag (Tarifeinheit)" wird immer mehr durchbrochen.
  • Die großen DGB-Gewerkschaften leisten den entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der breiten Masse der Erwerbstätigen, hiervon lenken die Auseinandersetzungen der Lokführer und Krankenhausärzte ab.
  • Die DGB-Gewerkschaften müssen diese Gruppen verstärkt im Auge haben, weil sie sie für ihre eigene Durchsetzungskraft benötigen – sie müssen wieder für die DGB-Gewerkschaften gewonnen werden.

Zum Anfang

Bahnreform: Staatlich oder privat?

Bernd Gehrt für das Bündnis "Bahn für Alle", Göttingen.

Die neoliberale Legendenbildung hat Hochkonjunktur. Die Missionare des neoliberalen Glaubens drehen die Gebetsmühlen: die Privatisierung von staatlichen und kommunalen Unternehmen und Dienstleistern mit dem immer gleichen Glücksversprechen: Privatisierung mache öffentliche Dienstleistung besser, billiger, bürgernäher.

Privatisierung ermöglicht dem Staat trotz leerer Kassen, dass dem Bürger weiterhin öffentlicher Nah- und Fernverkehr bereitgestellt werden kann. So die herrschende Meinung der Lehrbuchökonomen und der Befürworter des neoliberal geprägten Kapitalismus. Der verpönte und diskreditierte Staat wird somit instrumentalisiert.

Was bedeutet die Privatisierung für den Bürger; wessen Interessen stehen dahinter?

Blick zurück

Zunächst ein Rückblick auf die "Deutsche Bundesbahn" bzw. eine Bilanz: Im Jahr 1993 wurde die Bundesbahn in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Der Börsengang sollte später folgen. Begründung und Zielsetzung waren: Kundenorientierung und Entlastung der Steuerzahler. Die Bahn sollte ein "modernes" Dienstleistungsunternehmen werden. Eigens für dieses Vorhaben wurde das Grundgesetz geändert. Die Bahn wurde von der gemeinschaftlichen Verpflichtung befreit.

Damit steht die Zielsetzung fest:

Der große Börsengang

Um börsenfähig zu sein, muss die Bahn als ein "wirtschaftlich" gesundes und international tätiges Unternehmen präsentiert werden. Dazu gehört eine elementare interne Umstrukturierung nach neoliberalen Grundsätzen. Die Verabschiedung aus dem Rechts- und Sozialstaat mit der Verantwortung zu einer flächendeckenden Verkehrsversorgung, hin zu einer kapitalistischen Selbstverwaltung.

Für dieses ehrgeizige Ziel setzen der Bahnvorstand und das Bahnmanagement zweckgerichtete Gutachten und Unternehmensberater ein, die sich das teuer bezahlen lassen.

Die Werbe- und PR- Agenturen der DB AG sind die treibenden Kräfte im Sinne des Bahn-Managements, mit denen die gesellschaftspolitische Kommunikation umgestaltet wird. Sie tragen ihre "Branding-Strategien" in die Öffentlichkeit und verkaufen ihre Partikularinteressen als Allgemeingut.

Partikularinteressen als Allgemeingut

Die Bilanz sieht dann folgendermaßen aus:

Fast die Hälfte der Bahnbeschäftigten wurde von 1993 an entlassen oder in die Frühverrentung freigesetzt. Zeitgleich wurde für die verbliebenen Beschäftigten die Arbeitszeit erhöht, und es fand eine Leistungsverdichtung statt. Vollzeitbeschäftigte wurden durch Leiharbeiter, Niedriglöhner, outgesourcte Beschäftigte ersetzt. Prekäre Jobs nehmen im Schnellverfahren zu. Alte Berufsbilder werden mit verkürzten Ausbildungs- und Anlernzeiten im Schnellverfahren ausgebildet. Als Beispiel gelten die Bereitstellungslokführer. Die Unzufriedenheit der Beschäftigten nimmt zu.

Wenn die Betroffenen unter diesen Bedingungen eines sich sozial verschlechternden Umfelds auch noch berufsspezifische Ungerechtigkeiten erfahren und mit der Missachtung ihrer eigenen Leistung und Kompetenz konfrontiert werden, wehren sie sich zu Recht: siehe den Lokführerstreik. Das verpflichtet uns zur Solidarität.

Ganze Zugverbindungen werden gestrichen: als Beispiel der Interregio. Ausweichgleise für Güterzüge werden abgebaut. Bahnhöfe werden stillgelegt, das kommt einer Streichung der Autobahnzufahrten gleich. Strecken werden stillgelegt. Gleichzeitig werden Qualitätsverluste hingenommen (Streckung der Wartungsintervalle, Streichung der Serviceleistungen).

Sondertickets werden gestrichen und die Fahrpreise überproportional erhöht, während den Großkunden Rabatte gewährt werden.

So entsteht ein Unternehmen aus einer Minderheit, die wirtschaftlich gesundet, und einer Mehrheit, die wirtschaftlich erkrankt.

Die Triebkräfte und die Folgen der Privatisierung werden verdrängt. Diese Organisationsform stellt keine Garantie für das Gemeinwohl dar. Der Schienenverkehr zur Erfüllung der Verkehrsbedürfnisse muss Richtschnur für die Bahnreform bleiben. Dafür kämpft die Initiative "Bahn für alle" in einem bundesweiten Aktionsbündnis.

Zum Anfang

Krankenhausstreik in Finnland:

Zwangsarbeit im Kittel

KrankenpflegerInnen können nicht so ohne weiteres streiken – schließlich ist das Leben von PatientInnen bedroht. Das ist in Deutschland nicht anders als in Finnland. Das heißt aber noch lange nicht, dass die KollegInnen sich alles gefallen lassen müssen. In Finnland haben – von der deutschen Öffentlichkeit nahezu unbeachtet – die KrankenpflegerInnen zum letzten Mittel gegriffen: Um das Streikverbot zu umgehen, haben sie kollektiv gekündigt – vielleicht auch ein Vorbild für fantasievolle Aktionen hierzulande.

12.000 KrankenpflegerInnen in Finnland hatten ihre Kündigung zum 20.11. eingereicht für den Fall, dass die Lohnforderung ihrer Gewerkschaft Tehy von 24% von den kommunalen Arbeitgebern nicht akzeptiert wird. Eine Woche später sollten weitere 3.600 Kündigungen wirksam werden. Daraufhin hat das Parlament ein sog. Patientenschutzgesetz verabschiedet, das die Distriktregierungen berechtigt, "Fachpersonal des Pflegebereiches zur notwendigen Arbeit einzuberufen, um Todesfälle und bleibende Schäden während des Arbeitskampfes zu verhindern". Die Krankenhäuser im ganzen Land hatten sich bereits für den Notfall eingerichtet, mehrere Krankenhäuser wurden geschlossen und alle nicht akut notwendigen Operationen wurden verschoben. 2400 KrankenpflegerInnen sollten per Gesetz zur Arbeit gezwungen werden. Am letzten Abend vor dem 20.11. einigten sich die Tarifpartner auf Lohnerhöhungen von 17-22 %, je nach Lesart der Arbeitgeber oder Gewerkschaft.

Was steckt hinter diesen drastischen Arbeitskampfmaßnahmen?

Wie in vielen europäischen Ländern, ist auch in Finnland das Pflegepersonal schlecht bezahlt, besonders, wenn man den hohen Ausbildungsstand und die anstrengenden Arbeitsbedingungen berücksichtigt. Auch in Finnland arbeiten in dem Beruf vor allem Frauen, die jetzt endgültig die Nase so voll hatten, dass sie selbst vor der folgenreichen Maßnahme der eigenen Kündigung nicht zurückschreckten. Die Gewerkschaft Tehy rechnet vor, dass die finnischen Löhne für Krankenpflege nur 83% der Durchschnittslöhne in OECD Ländern betragen. In Zahlen heißt es, dass der durchschnittliche Grundlohn im kommunalen Sektor 1897 € im Monat beträgt, mit Überstunden und anderen Zuschlägen 2386 € im Monat. In der Krankenpflege ist das Einstiegsgehalt nur 1.745 €. Die Gewerkschaft beklagt, dass in Schweden 500 Euro mehr verdient wird und die Abwanderung der besten Kräfte in andere Bereiche voll im Gange sei.

Pikanterweise hatte die konservative "Sammlungspartei" vor den Wahlen von notwendigen, spürbaren Lohnerhöhungen im Pflegebereich gesprochen und so die Erwartungen kräftig genährt. Dann, ein gutes halbes Jahr später, erlässt die Regierung, aus Konservativen, von der Zentrumspartei und den Grünen zusammengesetzt, ein Zwangsarbeitsgesetz, um die rebellischen KrankenpflegerInnen wieder zur Arbeit zu zwingen.

Dem Arbeitskampf gingen monatelange Verhandlungen voraus. Auf der einen Seite die kommunalen Arbeitgeber (fast die gesamte Krankenpflege wird von den Kommunen gedeckt) und auf der anderen Seite mehrere Gewerkschaften des Gesundheitssektors, wo der Organisationsgrad mit 90% recht hoch ist. In Finnland gibt es keine Tradition der Einheitsgewerkschaften, mehrere einzelne Gewerkschaften verhandeln, allerdings meistens in gemeinsamen Verhandlungen mit gemeinsamen Arbeitgebern. Auch in diesem Falle verhandelten vor allem zwei Gewerkschaften des Gesundheitsbereiches, die größere Tehy, mit 127.000 Mitgliedern, wollte aber den Kompromiss von 12,7% im Oktober nicht akzeptieren, im Gegensatz zu der kleineren SuPer mit 69.000 Mitgliedern. Am Arbeitskampf beteiligten sich also nur Tehy-KollegInnen.

Arbeitgeber stellen sich taub – die Regierung verfügt Zwangsarbeit

Die Kommunen wollten von der 24%igen Erhöhung nichts hören und waren sich sicher, dass Streiks nicht viel austragen werden, da in vielen prekären Bereichen der Krankenhäuser das Streiken verboten ist, und weil sie dachten, dass sich die öffentliche Meinung bald gegen die Tehy wenden würde. Die Kommunen in Finnland sind nicht ganz so "arm" gemacht worden wie in Deutschland, aber dennoch spüren sie Gehaltserhöhungen dieser Größenordnung deutlich. Recht bald erklärten sie, dass die Staatsregierung natürlich die Erhöhungen tragen sollte, da sie ja schuld sei an den unrealistischen Forderungen durch ihr Wahlversprechen. Außerdem sind die Staatssäckel gerade voll gefüllt und das Budget ohne Neuverschuldungen, aber statt Geldspritzen an die Kommunen wollte man lieber Altschulden zurück bezahlen und Steuern senken. Gemeinsam wurde dann aber das Arbeitszwanggesetz gebastelt, das nun endgültig die sowieso hohe Akzeptanz für die (Nicht-)streikenden in der Bevölkerung besiegelte. Das hatte es noch nicht gegeben, dass man zur Arbeit gezwungen wird ‒ auch wenn das Parlament wohl eingesehen hatte, dass die Bezahlung der KrankenpflegerInnen deutlich zu niedrig ist und für die "Zwangs"arbeiterInnen einen 30% höheren Lohn vorsah. Die Oppositionsparteien (die Sozialdemokraten und die Linksunion) kritisierten das Gesetz heftig und viele Gewerkschaften aus anderen Bereichen erklärten sich solidarisch und erwogen ihrerseits Streiks gegen das Gesetz.

Als dann am Wochenende, vor dem letzten Arbeitstag der 12.000 KrankenpflegerInnen, die Schließungen und Notfallpläne der Krankenhäuser durch alle Medien gingen und im Fernsehen gezeigt wurde, wie Beamte der Sozialbehörden die "Einberufungsbriefe" der Distriktregierungen zuzustellen versuchten und vor verschlossenen Türen standen und die Stimmung immer noch nicht kippte, musste eine Lösung her. Zu krass war der Gegensatz zwischen den drastischen Maßnahmen des Staates und den als berechtigt empfundenen Lohnforderungen des Pflegepersonals.

Das Ergebnis

17% oder 22% - die nächsten Tage wird dann noch in der Öffentlichkeit hin und her gerechnet, die verschiedensten Zahlen werden aus dem komplizierten Vertrag mit vierjähriger Gültigkeit rausgelesen. Die konkurrierende SuPer sagt natürlich, dass der Unterschied zu ihrem Vertrag minimal sei und fürchtet, dass Mitglieder zur Tehy wechseln. Diese wiederum betont, dass die Erhöhungen nur für ihre Mitglieder gelten und rechnet auch geschätzte allgemeine Steigerungen gegen Ende der Vertragsperiode mit rein. Und die Arbeitgeber versuchen natürlich ihr Gesicht zu wahren mit niedrigen Zahlen und fürchten, dass nun alle Beschäftigten das Gleiche fordern – was sie wohl auch tun werden, spätestens in zwei Jahren, wenn der früher verhandelte Vertrag ausläuft.

Aus der deutschen Perspektive kann man verschiedene Parallelen zum Streik der Lokführer sehen; Menschen, die lange in viel zu niedrig bezahlten, aber allgemein anerkannten Berufen arbeiten, sehen nicht mehr ein, warum sie nicht jetzt, wo Geld da ist, endlich ihren Anteil davon haben sollten. Und die Öffentlichkeit sieht es genau so: Nur die Gegenseite will es noch nicht recht glauben. Ein Blick nach Finnland könnte Mehdorn auch davon überzeugen, dass man mit verschiedenen Tarifabschlüssen leben kann, zwar vielleicht nicht so bequem wie sonst. Und es sieht auch nicht so aus, dass die Gewerkschaften in der Konkurrenz untereinander nur verlieren können.

Zum Anfang

Albert-Schweitzer-Krankenhaus Northeim:

Es brodelt

Seit über einem Jahr finden im Albert-Schweitzer-Krankenhaus Northeim Gespräche über einen Zukunftssicherungstarifvertrag statt. Das Krankenhaus schreibt trotz erheblicher Sanierungsmaßnahmen, incl. eines Stellenabbaus von nahezu 100 Vollstellen und Ausgliederung der Servicebereiche in den Niedriglohnbereich des TVöD, weiterhin rote Zahlen.

Verantwortlich dafür ist nicht ein Missmanagement des Hauses, sondern die Entscheidungen im politischen Bereich (u. a. Mehrwertsteuererhöhung und Gesundheitsreform) und die Tarifentwicklung im Bereich des ärztlichen Dienstes.

KollegInnen als Kostenfaktor?

Seit 15 Jahren wird von den Arbeitnehmern erwartet, dass Kostensteigerungen im Sachkosten- und Personalbereich durch Personalabbau, verbunden mit erheblicher bzw. nahezu unzumutbarer Arbeitsverdichtung, kompensiert werden. Es trägt nicht zur Glaubwürdigkeit der Gewerkschaft ver.di bei, wenn die betrieblichen Funktionäre den KollegInnen ständig erklären müssen, dass alle Kostensteigerungen, so auch bereits erfolgte und zukünftige Entgelterhöhungen zu noch größerem Personalabbau und Ausgliederungen führen.

ASK Northeim: alles normal

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft veröffentlichte Anfang Oktober das Ergebnis des Krankenhausbarometers 2007. Das Ergebnis zeigt, dass das ASK Northeim kein Einzelfall ist, sondern eher den Normalzustand widerspiegelt. Daraus ergibt sich aus unserer Sicht eindeutig, dass mit dem derzeitigen Fallpauschalensystem keine ausreichende Finanzierung der Kliniken möglich ist.

Umso enttäuschter waren die ver.di-KollegInnen im ASK, dass es von Seiten der Gewerkschaft dazu keine eindeutige Stellungnahme gab. Die in diesem Zusammenhang veröffentlichte Pressemitteilung von Ellen Paschke hat ganz deutlich das Thema verfehlt. Die Stellungnahme des Marburger Bundes in diesem Zusammenhang ist wesentlich glaubwürdiger. Mit dieser Art Politik fällt es ver.di zunehmend schwer, Mitglieder zu halten bzw. gar neue hinzuzugewinnen.

Konfrontation oder Kooperation?

Die Verhandlungen über Notlagen- oder Zukunftssicherungstarifverträge mögen zwar in einigen Fällen sinnvoll oder sogar unvermeidbar sein, um Krankenhausarbeitsplätze im Tarifbereich des öffentlichen Dienstes zu sichern. Insgesamt ersetzen solche Tarifverhandlungen und ein damit verbundener Beteiligungsprozess mit Unterstützung von Beratungsunternehmen, die eine echte Partizipation der Arbeitnehmerseite ohnehin nur vortäuschen, da das Ergebnis bereits schon vorher feststeht, keine konsequente gewerkschaftliche Interessenvertretung.

Eine Verlagerung der Tarifauseinandersetzungen in die einzelnen Häuser, schwächt das gewerkschaftliche Handeln. In den Betrieben sind die KollegInnen durch drohende Arbeitsplatzverluste häufig erpressbar und es fällt schwer, KollegInnen dagegen zu mobilisieren.

Bei diesen Prozessen entsteht zunehmend der Eindruck, dass ver.di mit dem Arbeitgeber kungelt, während der Marburger Bund sich als Vertreter der Arbeitnehmerinteressen darstellen kann. Hinzu kommt, dass die Spaltung der Beschäftigten (ver.di/MB) zunehmend zu Verteilungskämpfen innerhalb der Belegschaft führt.

Arbeitsbedingungen thematisieren

Die Arbeitsbedingungen und die Entgelte der Beschäftigten in den Kliniken müssen auf allen Ebenen öffentlich und laut diskutiert werden. Nur so kann ver.di als Interessenorganisation der Krankenhausbeschäftigten ein deutliches Zeichen setzen und weitere Abspaltungen, etwa eine Pflegegewerkschaft, verhindern. Das haben die KollegInnen im Rahmen der Tarifauseinandersetzung des Marburger Bundes von Seiten ihrer Gewerkschaft vermisst, dadurch fühlen sich die nichtärztlichen Berufsgruppen, die keine besseren Arbeitsbedingungen als Ärztinnen und Ärzte haben, nicht mehr ausreichend vertreten. Stattdessen machen wir im Rahmen von Entgeltabsenkungen (Zusi) von uns reden.

Es ist zwingend erforderlich, dass ver.di ab sofort eine klare Positionsänderung zum Thema Krankenhausfinanzierung vornimmt:

  1. Kein weiterer nicht nachvollziehbarer Personalabbau
  2. Die Refinanzierung der Personalkosten muss im vollen Umfang gesichert werden
  3. Das neoliberale Fallpauschalensystem ist durch ein, den Bestand der flächendeckenden Krankenhausversorgung sicherndes System, abzulösen

Basisarbeit statt Lobbyarbeit

Zur Durchsetzung dieser Forderungen müssen Verbündete gesucht werden und die Beschäftigten im Sinne des Organizing mit einbezogen werden. Eine Großdemonstration sollte im Höchstfall als Auftakt dienen, nicht aber zum einmaligen Dampfablassen. Wenn durch politische Entscheidungen in die Tarife eingegriffen wird, muss der Widerstand mit gewerkschaftlichen Mitteln, wie z. B. Streiks gegen diese Politik, organisiert werden. Dazu ist eine lange mit Fantasie geführte Auseinandersetzung erforderlich. Nur so kann wieder Akzeptanz als Interessensorganisation der Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern gefunden werden. Wir gehen nicht unter in den Niederlagen, sondern in den Kämpfen, die wir nicht führen. Geklüngel mit den Politikern und den Arbeitgebern und Lobbyismus hat in den letzten 15 Jahren fast nur zu Niederlagen geführt.

Die ver.di-Vertrauensleute des ASK Northeim haben alle Vorstandsebenen des Fachbereiches aufgefordert, die Politik zur Krankenhausfinanzierung im oben ausgeführten Sinne zu verändern. Sie hoffen, dass sich möglichst viele ver.di-Aktive in den Krankenhäusern ebenfalls in dieser Richtung engagieren, damit entsprechender Druck aufgebaut wird. Die Unterschriftenaktion zum Stellenabbau und unzumutbaren Arbeitsbedingungen im Pflegedienst ist dabei ein guter Anfang. Dabei darf es jedoch nicht bleiben.

Zum Anfang

Uniklinik Göttingen:

Neues aus der Anstalt

Als sich seinerzeit die russische Zarin Katharina die Große auf eine Inspektionsreise begab, um ihre Besitzungen in Augenschein zu nehmen, habe, so sagt die Legende, ihr Statthalter, der Fürst Potemkin, allenthalben hübsch angemalte Kulissen aufstellen lassen, um seiner Herrscherin den desolaten Zustand der Ländereien zu verschleiern.

Diese alte Geschichte dürfte dem Einen oder der Anderen kürzlich anlässlich des Besuchs der Bundesgesundheitsministerin im Uniklinikum durch den Kopf gegangen sein: Frau Schmidt schwebte, umgeben von einem vielköpfigen Pulk adrett gekleideter Herren, durch das frisch renovierte Palliativzentrum, und bewunderte lange den "Jose-Carreras-Pavillon", ehe sie zufrieden wieder entschwebte.

Nun ist das Palliativzentrum nicht nur eine hübsche Kulisse, sondern ein wichtiger Bereich des Klinikums. Aber warum wurde der Ministerium einzig und ausschließlich nur dieser Bereich vorgeführt? Warum war keine Besichtigung einer der zahlreichen ganz normalen Krankenstationen mit auf dem Besuchsprogramm?

Dort nämlich schuften die KollegInnen jetzt nach dem Abbau von 300 Stellen am Rande ihrer Kapazitäten, und trotzdem sollen in den nächsten zwei Jahren weitere 500 Stellen dem Rotstift zum Opfer fallen.

Arbeitsverdichtung nimmt weiter zu

Damit aber nicht genug: Weil ein Nichteinigungsverfahren um die Arbeitszeiten des Pflegepersonals endgültig gescheitert ist, hat der Vorstand nun die Möglichkeit, Arbeitszeiten nach eigenem Gusto zu verfügen. Angedacht sind dabei Schichtzeiten, die morgens um 7:30 Uhr beginnen und abends um 18:00 Uhr enden sollen – zehn Stunden am Stück, unterbrochen lediglich von einer halbstündigen Pause.

So eben sieht die Antwort des Vorstandes auf die Frage aus, wie mit fünfzehn Prozent weniger Personal eine deutliche Steigerung der Fallzahlen erreicht werden soll: indem man die verbliebenen Beschäftigten durch Arbeitsverdichtung auspresst wie die Zitronen.

Und wo vorher ein sechsköpfiges Reinigungsteam malocht hat, erledigen nun nur noch fünf Leute die gleiche Arbeit – so einfach kann man die Ergebnisse der letzten Tarifrunde rückgängig machen: statt den Leuten 12 Prozent weniger zu zahlen, lässt man sie eben für das gleiche Geld 12 Prozent mehr arbeiten. Ob darunter die Qualität der Patientenversorgung leidet – wen kümmert es? Für das Prädikat "Exzellenzuni" ist das offensichtlich irrelevant.

Noch allerdings halten die Beschäftigten still. Vielleicht setzen die Einzelnen noch darauf, dass der Stellenabbau sie nicht betreffen wird - "Heiliger Sankt Florian, verschon' mein Haus, zünd' andere an".

Neuer Besen

Vielleicht ist es aber auch die Hoffnung, dass es sich bei dem gegenwärtigen Aderlass nur um eine vorübergehende Durststrecke handele und dass das in höchsten Tönen gelobte neue Vorstandsmitglied, Frau Schulte, "das Schiff wieder flott machen" werde. Diese Hoffnung war zwar auch in den letzten Sanierer, Herrn Conrad, gesetzt worden, der zuvor für den Helios-Konzern das privatisierte Uniklinikum Marburg/Gießen wettbewerbsfähig gemacht hatte (auf dem Rücken der Beschäftigten, versteht sich), hier aus Göttingen aber binnen kürzester Zeit das Weite suchte.

Ehrlicherweise muss man aber eingestehen, dass sich die Bilanz der früheren Tätigkeit der Frau Schulte von der des Herrn Conrad ganz drastisch unterscheidet: so nennt der frühere Arbeitgeber der Frau Schulte, das Uniklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), mittlerweile 70(!) Millionen Euro Schulden sein Eigen (und geht von einer jährlichen Neuverschuldung von weiteren zwanzig Millionen aus) – und das alles trotz Personalabbau, Gehaltsverzicht seitens der Beschäftigten, Gründung von "Service-GmbHs" sowie des Einsatzes externer Berater, die für ihre "Leistungen" Gagen in der Größenordnung einer Viertelmillion einstrichen. Ein schöner Erfolg, den jetzt die schleswig-holsteinische Landesregierung zum Anlass nimmt, die Privatisierung des UKSH einzuleiten...

Bleibt die Frage, welche Rolle Frau Schulte nun in Göttingen spielen soll: soll man ihr tatsächlich zutrauen, den Karren aus den Dreck zu ziehen, oder soll sie dem schlingernden Schiff die entscheidenden Treffer unterhalb der Wasserlinie beibringen?

Die Beschäftigten des UKSH jedenfalls haben aus dem Ganzen gelernt: Co-Management und Lohnverzicht schützen vor Privatisierung nicht! Am 24. November fand nach vierjährigem Stillhalten am Standort Lübeck die erste Kundgebung gegen die Privatisierungspläne der Landesregierung statt.

Zum Anfang

Personalversammlung Uniklinik Göttingen:

Schönreden ist "In"

Zur jüngsten Personalversammlung Ende November hatte sich der Personalrat etwas Besonderes überlegt: Eine Podiumsdiskussion mit VertreterInnen von politischen Parteien, dem Klinikvorstand und dem Personalratsvorsitzenden. Das hatte zur Folge, dass allein das Podium mit 8 Personen besetzt war, die alle wiederholt ihre Statements abgaben. Dazu kam dann noch eine Antrittsrede von der neuen Vorstandsfrau (Frau Schulte), die ihre schleswig-holsteinischen Erfahrungen und die Wahl Göttingens zur Exzellenz-Universität als Hoffnungsträger für ihre erfolgreiche Arbeit anführte. Als ob wir scharf auf eine Wiederholung der Organtransplantationsskandale im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein wären. Auch die Frage nach positiven Auswirkungen der Exzellenz-Uni auf unsere Arbeitsbedingungen sei erlaubt.

Politiker reden schön

Von den Politikern war allgemeines Schönreden angesagt mit dem Bemühen, sich irgendwie noch gegenseitig voneinander abzugrenzen. So wurde z.B. bis auf den Vertreter der Partei "DieLinke", Patrick Humke-Focks, einvernehmlich die Entwicklung in der MHH (Medizinische Hochschule Hannover) als positives Beispiel angeführt. Von den Beschäftigten dort ist dagegen zu hören, dass sich die Arbeitsbedingungen im letzten halben Jahr noch einmal dramatisch verschärft haben. Leider sagte der Personalratsvorsitzende hierzu überhaupt nichts.

Statt dessen mussten wir erleben, dass er auf die Behauptung des CDU-Politikers, der Personalrat hätte den Stellenstreichungen zugestimmt, lediglich mit hilflosem Herumeiern reagierte. Entweder kann er sich nicht ausdrücken oder die Behauptung von Herrn Günzler entspricht der Wahrheit!?

Nur ein Politiker gegen Privatisierung

Die Vorstands- und Politikerrunde auf dem Podium wäre ohne die Erklärungen der Partei "Die Linke" zu einer recht farblosen Vorstellung geworden. Herr Humke-Focks hob hervor, dass die Landespolitiker sehr wohl darüber entscheiden, wie viel Geld sie den Krankenhäusern zuteilen und damit ganz aktiv an der Situation im Klinikum beteiligt sind. Außerdem war er der Einzige, der sich explizit gegen jegliche Privatisierungspläne aussprach.

Als in der letzten ¾ Stunde die Beschäftigten endlich die Gelegenheit bekamen, Fragen zu stellen, war die Stimmung gereizt. Da verärgerte, dass jede Frage von fast jeder Person auf dem Podium zu erneuten Selbstdarstellungen benutzt wurde. Die KollegInnen hingegen sollten sich auf ihrer eigenen Personalversammlung auf die Fragen beschränken und keine Möglichkeit zu eigenen Meinungsäußerungen bekommen! Und auf die Frage nach einem Diskussionsforum für die Beschäftigten wusste der Personalratsvorsitzende lediglich Einzelgespräche und wenige Teilbereichsversammlungen zu nennen.

Diskussion unter den Beschäftigten ist notwendig

Von den Beschäftigten werden aber bereits seit längerem verbesserte Möglichkeiten zur gemeinsamen Diskussion gefordert: Wir bewegen uns in einer Zeit rigorosen Stellenabbaus, Ausgründungen von Teilbereichen und Umstrukturierungen, die massive Arbeitsverdichtung und Qualitätsabbau an allen Ecken und Enden zur Folge haben. Im Klinikum herrscht unter den Beschäftigten eine Stimmung von Wut, Angst und Ohnmacht. Da ist es dringend notwendig und überfällig, dass wir in zahlreichen kleinen (und großen) Personalversammlungen den Austausch untereinander führen, um Strategien gegen unsere systematische Entrechtung entwickeln zu können. Und hier sollten dann auch die Erwartungen und Aufträge an unsere Vertreter im Personalrat formuliert werden können.

Wir brauchen einen Personalrat, der Foren für uns Beschäftigte schafft, seinem Personalvertretungsauftrag gerecht wird, und der dabei den Klinikvorstand auch mal bewusst nicht ein- bzw. ausdrücklich auslädt!

Zum Anfang

Ilse-Möbelwerke, Uslar:

Turbokapitalismus in Uslar

Wieder gibt es Ärger bei den Möbelwerken Uslar. Der GBE hatte schon darüber berichtet, dass sich einige KollegInnen gegen die Zumutung der Geschäftsleitung gewehrt haben, die Arbeitszeit von 36 auf 40 Stunden pro Woche zu erhöhen – bei 1,5% mehr Lohn. Wer rechnen kann, der weiß, dass die zusätzlichen 4 Stunden ca. 11% Lohnerhöhung erfordern, um auf den gleichen Stundenlohn zu kommen. Die KollegInnen hatten Anfang 2007 einen Arbeitsvertrag, der diese Arbeitszeitverlängerung vorsah, nicht unterschrieben. Sie haben dann zwar auch 40 Stunden pro Woche gearbeitet, wollten aber auch entsprechend mehr Lohn haben. Die Firma hat ihnen diesen Anteil aber vom Lohn wieder abgezogen, als "Beitrag zur Arbeitsplatzsicherung".

Erfolg vor Gericht

Gegen diese zynische Behandlung haben die KollegInnen vor dem Arbeitsgericht geklagt und dabei einen Teilerfolg erzielt. Problem dabei: die Firma hat zwar für die Vergangenheit die Löhne nachbezahlt, verweigerte den KollegInnen aber weiterhin die dauerhafte Zahlung der korrekten Löhne. In einem neuen Arbeitsgerichtsverfahren gab es einen Vergleich zu Gunsten der KollegInnen, den die Firma dann in letzter Sekunde widerrufen hat. Eine endgültige Klärung wird also erst eine weitere Gerichtsverhandlung bringen. Man kann für die KollegInnen nur hoffen, dass die Arbeitsrichter die Spielchen der Ilse-Geschäftsleitung nicht lustig finden und endlich einen gerechten Schlussstrich unter diese unendliche Geschichte ziehen.

Immer neue Opfer

Man muss sich fragen, wieso die Firma so schwere Geschütze gegen die KollegInnen auffährt. Verständlich wird das nur, wenn man sich die jüngere Geschichte der Möbelwerke Ilse ansieht. Bereits seit 1990 ist das Unternehmen nicht mehr eigenständig, sondern wurde von der Unternehmensgruppe Vierhaus gekauft. Inzwischen sind die KollegInnen an schwere Zeiten bei Ilse gewöhnt und haben so manches Opfer gebracht, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten. Im Jahre 2002 haben die KollegInnen zum ersten Mal einen geänderten Arbeitsvertrag vorgelegt bekommen, mit dem sie auf die Hälfte von Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld verzichtet haben. Der Verzicht machte zusammen fast 2/3 eines Monatslohnes aus. Unter dem Druck der wirtschaftlichen Lage haben fast alle KollegInnen diesen Verzicht unterschrieben.

Zwei Jahre später gab es dann eine Betriebsvereinbarung, die die Kürzung des Weihnachtsgeldes um ein Drittel vorsieht. Auch damals hatte sich die Geschäftsleitung den Verzicht wieder von allen KollegInnen einzeln unterschreiben lassen – diesmal mit etwas weniger Erfolg. Und die nächste Verzichtsrunde wie schon gesagt dann Anfang 2007, um den etwa 100 Uslarer KollegInnen die 40-Stundenwoche aufzuzwingen.

Tricksereien gegen die KollegInnen

Ebenfalls Anfang 2007 hat der Seniorchef Karl Vierhaus die Möbelwerke Ilse in eine neue Gesellschaft umgewandelt. Eine 'geparkte' Vorrats-GmbH wurde benutzt, um die GRA Tisch- und Metallproduktion GmbH zu errichten. Nach Verkauf aller Anteile an dieser Gesellschaft ist sie völlig "selbstständig" und unabhängig von Vierhaus. Allerdings trägt das ganze Vorgehen eher die Züge von Turbokapitalismus, wie es in den Medien sonst den globalisierten Private Equity Fonds nachgesagt wird, die der ehemalige Arbeitsminister 'Heuschrecken' nannte. Die urdeutsche Vierhausgruppe macht's genau so: die neue GRA ist zwar unabhängig, verfügt aber über keinerlei eigenes Vermögen. Gebäude, Maschinen und alles, was sonst zur Produktion gebraucht wird, muss die Gesellschaft von der Vierhausgruppe mieten. Und die Vierhausgruppe ist natürlich auch der einzige Kunde der GRA. Der kann logischerweise auch die Preise diktieren und hat so jederzeit die Kontrolle darüber, ob die GRA Gewinn oder Verlust macht. Und da die GRA auch kein nennenswertes Kapital hat, ist sie zwischenzeitlich mit den Lohn- und Gehaltszahlungen einen Monat im Rückstand gewesen. So wird ständig Druck auf die KollegInnen ausgeübt, um sie zu weiteren Zugeständnissen zu bewegen.

Wird eine mögliche Pleite in Kauf genommen?

Als geschäftsführender Strohmann hat bis vor kurzem ein Herr Brückner gedient, der aus dem Stall des fränkischen Wivo Handelskontor Brückner kam. Er hat schon für diverse Firmen als Übergangsgeschäftsführer gearbeitet und war auch an einigen Insolvenzen beteiligt. Nach seinem plötzlichen Tod am 24. Oktober wurde nun ein Herr Schneider zum Geschäftsführer gemacht. Diesem Unternehmensberater gehört die Firma Interims Management Consulting, die Übergangsgeschäftsführung und Insolvenzbegleitung als Dienstleistung anbietet. Das klingt alles nicht danach, als hätte die Vierhausgruppe langfristige Pläne mit der GRA in Uslar. Das klingt eher danach als solle auf dem Rücken der KollegInnen und ohne Rücksicht auf deren Arbeitsplätze schnelles Geld gemacht werden. Die gesamte Vierhausgruppe ist in viele Einzelgesellschaften aufgeteilt. Dadurch wird verschleiert, wer tatsächlich das Sagen hat und wo letztendlich der Gewinn bleibt, den die KollegInnen mit ihrer Arbeit erwirtschaften. Jedenfalls hatte Herr Vierhaus 17 Jahre lang Zeit, die Möbelwerke Ilse nachhaltig zu sanieren und die Arbeitsplätze zu sichern. Stattdessen fällt ihm immer nur Lohndrückerei als Rezept ein, wenn die Gewinne nicht so fließen, wie er sich das vorstellt. Es bleibt zu hoffen, dass die KollegInnen ihr wohlverdientes Gehalt zügig ausgezahlt bekommen.

Zum Anfang

Haendler & Natermann:

Verlagerung nach Thüringen?

Bei Haendler und Natermann in Hann. Münden sind die KollegInnen entsetzt. Schon im Oktober hatte es Gerüchte gegeben, dass die Geschäftsführung plant, die Produktion nach Thüringen zu verlegen. Auf entsprechende Nachfrage der HNA hatte die Geschäftsführung allerdings das Gerücht dementiert. Hintergrund der Auseinandersetzung ist der Versuch der Firmenleitung, die Löhne der Beschäftigten drastisch zu senken. Bei einer Tarifverhandlung Anfang November zwischen Haendler & Natermann und der IG Metall hatte Herr Bangert für die Geschäftsführung die Forderungen auf den Tisch gelegt:

  • Absenkung der tariflichen Leistungszulage von 10% auf 5% (das bedeutet eine Lohnsenkung von 4,5%).
  • Anrechnung der Tariferhöhungen auf bestehende Überleitungszulagen aus dem ERa-Tarifvertrag (das bedeutet für viele KollegInnen Verzicht auf Lohnerhöhungen in den nächsten Jahren).
  • Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld sollen vom Unternehmenserfolg, d.h. vom Gusto der Firmenleitung abhängig gemacht werden.
  • Die Arbeitszeit soll von 35 auf 40 Stunden pro Woche erhöht werden. Das bedeutet eine weitere Senkung der Stundenlöhne um 11%.

Ziel sei aus Sicht der Geschäftsführung, dass die Personalkosten im Jahr 2010 auf dem gleichen Niveau sind wie 2006. Wie die KollegInnen mit den Lohnsenkungen zurecht kommen sollen, wenn die Preise ständig steigen, dazu hat er sich nicht geäußert.

Verhandlungen abgebrochen

Die Vertreterin der IG Metall hat diese Zumutung zurückgewiesen. Zumal das einzige Zugeständnis der Firmenleitung eine vage Zusage war, am Standort Hann. Münden zu investieren. Herr Bangert hat dann die Verhandlungen abgebrochen. Sehr ernsthaft war der Wille zu Verhandlungen wohl nicht, denn am gleichen Tag wurde ein Flugblatt der Geschäftsleitung verteilt, in der sie ankündigt, nun an einem Standort in Thüringen zu investieren. Sie erhofft sich angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in Thüringen wohl günstigere Bedingungen, um die Löhne der KollegInnen weiter zu drücken. Außerdem greifen Firmen häufig genug bei solchen Umlagerungen zusätzliche Staatsknete ab, weil sie angeblich Arbeitsplätze schaffen.

Es ist an der Zeit, dass Landes- und Lokalpolitiker solchen Versuchen, Standorte gegeneinander auszuspielen, einen Riegel vorschieben. Es geht nicht an, dass Konzerne wie hier der österreichische Constantia Verpackungskonzern, dem Haendler & Natermann gehört, ungestraft ein solch zynisches Spiel mit der Existenz der KollegInnen machen können und dann womöglich noch anderswo Geld in den Arsch geblasen kriegen.

Zum Anfang

Sartorius:

Alles muss raus!

Am 10. September überraschte der Sartoriusvorstand die KollegInnen mit der Mitteilung, dass der Arbeitsdirektor Olaf Grothey sein Amt als Vorstand bei Sartorius beendet. Seit über fünf Jahren war Olaf Grothey im Vorstand für Personalwesen und allgemeine Verwaltung zuständig. Damit hat der Sartorius-Chef Kreuzburg sich eines der letzten Erbstücke aus der Ära seines Vorgängers und Ziehvaters Utz Claassen entledigt. Utz Claassen hatte 2002 einen echten Überraschungscoup gelandet, indem er den damaligen Betriebsratsvorsitzenden Grothey in den Vorstand berief.

Schwieriges Verhältnis

Das Verhältnis der KollegInnen zum Vorstand war naturgemäß schwierig. Viele empfanden den Seitenwechsel als unpassend – auch wenn Olaf Grothey immer wieder mit seiner Mitgliedschaft in der IG Metall kokettierte. Dass er als 'Mann fürs Grobe' dann im Jahr 2003 die Entlassung von 180 KollegInnen organisiert hat, machte ihn in deren Augen nicht gerade sympathischer. Welche Gründe nun dazu führten, dass der Piercingträger Grothey nicht mehr im Sartoriusvorstand arbeitet , liegt im Feld der Spekulation. Vielleicht war der ehemalige Feinmechaniker angesichts der Fusion mit dem französischen Plastiktütenhersteller Stedim nicht mehr fein genug. Jedenfalls wurde seine Stelle nicht neu besetzt. Der Mitvorstand Dr. Maaz (... jetzt sind es nur noch zwei im Vorstand) ist nun Arbeitdirektor und soll die Arbeit von Olaf Grothey miterledigen.

Gleitlager entflutscht dem Sartorius Konzern

Dass die Gleitlagersparte von Sartorius verkauft werden sollte, ist schon seit Jahren Thema gewesen. Seitdem sich das Gleitlager im Jahr 2005 Sartorius Bearings Technology (SBT) nannte und ein eigenes Unternehmen war, wurde ein Verkauf nur noch äußerst lahm dementiert. Und der Umzug weg vom Sartoriusgelände in die alten Phywe-Hallen hat den Verdacht nur bestärkt, dass etwas im Busche ist. Am 15. Oktober haben es die KollegInnen dann erfahren: sie müssen raus! Die Firma ist jetzt an die britische Smiths Group verkauft und wird in Zukunft unter den Fittichen der John Crane GmbH in Fulda stehen.

Im Moment scheinen die KollegInnen ihre Zukunft bei John Crane nicht so schwarz zu sehen. Die Fuldaer Firma stellt Gleitdichtungen und Ähnliches her und tummelt sich mit anderen Produkten auf dem gleichen Markt wie SBT. Und die Fuldaer Firma ist mit 190 KollegInnen nur knapp doppelt so groß wie SBT. Die Gefahr in einem großen Konzern wie der Smiths Group mit ca. 32.000 Beschäftigten unterzugehen, ist bei dieser Konstruktion nicht so groß. Allerdings wird die Smiths Group, zu der John Crane gehört, zur Zeit auch von Fraktionskämpfen unter den Kapitaleignern geschüttelt. Ein Teil der Kapitaleigner möchte den Konzern lieber in mehrere kleine Firmen zerlegen, um noch mehr Geld aus dem Unternehmen zu holen. Die KollegInnen vom Gleitlager haben sich bisher aber nicht die Butter vom Brot nehmen lassen – sie sind zum Großteil in der IG Metall organisiert. Das ist ein gutes Fundament, um die Interessen auch gegenüber neuen Eigentümern erfolgreich zu vertreten.

Wohin mit der Kohle

Fragt sich, was im Sartoriuskonzern mit den 20 Millionen Euro passiert, die der Verkauf von SBT gebracht hat. Böse Zungen behaupten, dass der Vorstand jetzt schnell zugeschlagen hat, um für den Fall gerüstet zu sein, dass die Sartorius-Stedim-Fusion nicht so glatt verläuft wie geplant. Die Kosten solcher Fusionen werden ja häufig unterschätzt, auch wenn nicht jede Fusion gleich so katastrophal verlaufen muss wie z.B. bei Daimler-Chrysler. Viele KollegInnen aus dem ehemaligen Kernbereich der Firma, der Waagenproduktion, hoffen natürlich, dass das Geld für Investitionen in diesem Bereich genutzt wird. Schließlich fehlen der sogenannten Mechatroniksparte in Zukunft 15 Millionen Euro Umsatz im Jahr, die das Gleitlager beigetragen hat. Im Gegenzug hat die Biotechnologiesparte durch die französische Stedim ja erheblich an Umsatz hinzugewonnen. Die Gewichte innerhalb von Sartorius haben sich also weiter verschoben. Aber die Hoffnungen auf Investitionen sind trügerisch. Selbst wenn der Vorstand entscheidet, in die Mechatronik zu investieren, wird dies nicht unbedingt in Göttingen sein. Wahrscheinlicher ist, dass "Umsatz hinzugekauft" wird in Form einer Firma irgendwo auf der Welt.

Nur in einem können sich die KollegInnen sicher sein: das Geld wird nicht als Weihnachtsgratifikation an die Mitarbeiter verteilt. Aber das wär ja auch nicht normal...

Eine neue Ära muss rein

Wie ganz normal durchschnittlich das Leben eines Beschäftigten bei einem Technologieführer der Mechatronik und Biotechnologiezulieferer ist, haben viele SartorianerInnen am 5. November 2007 gespürt. An diesem Tag haben sie ihre Eingruppierung in dem neuen Entgeltrahmentarifvertrag (ERa) der IG Metall erhalten. Was da zu lesen war, ist leider nur Durchschnitt oder auch noch darunter. Mit diesem neuen modernen Tarifvertrag, der die alten Zöpfe der Zweigleisigkeit von Arbeiter und Angestellten abschneiden soll, schwappte auch die schöne neue Arbeitsmarktwelt mit der neuen Unterbewertung von Arbeit ins Haus Sartorius. Was viele, oft langgediente und auch oft gut bezahlte SartorianerInnen zukünftig an Geld für ihre Tätigkeit zu erwarten haben, schlug in der Belegschaft heftig ein. Zwar hat die IG Metall im ERa-Tarifvertrag eine materielle Absicherung in Form einer sogenannten Überleitungszulage herausverhandelt, aber diese "Sozialzulage" lag vielen doch sehr schwer im Magen. Immerhin 2/3 der KollegInnen, also ca. 1000 Beschäftigte bei Sartorius, erhalten zu ihrer neuen Entgeltgruppe zukünftig eine Zulage, weil sie angeblich nicht mehr das Geld wert sind, das sie bisher bekommen haben. Die Beträge sind mitunter nicht klein und bewegen sich bei ca. 250 Beschäftigten sogar oberhalb der 500,- €. Anlässlich der Betriebsversammlung im November haben Betriebsrat und Führung den Unmut der Belegschaft wohl schon heftig kennengelernt, denn ERa ist bei Sartorius im Moment Flurgespräch Nr.1.

Man darf gespannt sein, wie es ggf. in einem Unternehmen mit einer so überdurchschnittlichen Ertragslage gelingen könnte, die Einkommensstrukturen bei den ganz normalen Beschäftigten unterhalb des Top-Führungskreises nach unten zu drücken.

Zum Anfang

Rentengesetze:

Zwangsverrentung

Das Arbeitslosengeld I etwas länger ausgezahlt…

Sehr öffentlichkeitswirksam hat die SPD ihren wohl eher inszenierten ‚Streit’ zwischen Beck und Müntefering um die Verlängerung des Arbeitslosengeldes für über 55jährige ausgetragen. Der SPD-Parteitag von Hamburg hat nun eine im Vergleich zur früheren Regelung eher marginale Verlängerung der Bezugsdauer von 18 auf 24 Monate beschlossen. Zwar sind Parteitagsbeschlüsse und Umsetzung in reale Politik noch unterschiedliche Dinge, aber die Sozialdemokratie hat so scheinbar ihre ‚soziale Verantwortung’ demonstriert. Und inzwischen hat dann auch die Regierungskoalition den Beschluss weiter aufgeweicht: ab 50 Lebensjahren sollen nun 15 Monate, ab 55 Jahren 1,5 Jahre und erst ab 58 Jahren zwei Jahre ALG I möglich sein - sofern die entsprechenden ‚Vorbeschäftigungszeiten’ von 30, 36 bzw. 48 Monaten vor der Arbeitslosmeldung erreicht wurden). Vor dem Eindruck der bloßen Existenz der Linkspartei und insbesondere vor den anstehenden Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen und Hamburg scheint den GenossInnen das Mäntelchen des Kampfes für soziale Gerechtigkeit angeraten zu sein. Nicht vergessen darf man bei diesem ganzen Theaternebel, dass es  eben diese SPD ist, die für die "Agenda 2010" verantwortlich ist, die in der Regierung zusammen mit ihrem damaligen Koalitionspartner (den Grünen) die Verkürzung der maximalen Arbeitslosengeld-I-Bezugsdauer (von 32 Monaten vor Schröder auf jetzt 18 Monate) beschlossen hat. Ihr jetziges Auftreten erinnert doch sehr an die bekannte Methode, dass der, der gerade geklaut hat, ruft: "haltet den Dieb!". Unklar ist, wann die (wieder)verlängerte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes in Kraft treten soll. Bisher hat der Bundestag nur seine Absicht beschlossen, ein entsprechendes Gesetz auszufertigen.

Es ist aber schon klar, dass zur Finanzierung der längeren Bezugsdauer 500 Millionen € aus dem Titel für Wiedereingliederungshilfen der Bundesagentur für Arbeit genommen werden sollen. So wird zwar der Forderung von CDU/CSU entsprochen, den Haushalt der Bundesagentur nicht zusätzlich durch die (wieder) längere Arbeitslosengeldzahlung zu belasten, aber die eher minimalen Anstrengungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit werden dadurch noch weiter reduziert. Offenbar wird hier nach dem Motto gehandelt, wer einmal arbeitslos ist, hat eben Pech gehabt und interessiert uns nicht mehr sonderlich. Die Handlungsfähigkeit der Bundesagentur wird weiterhin dadurch eingeschränkt, dass gleichzeitig eine Kürzung des Beitragssatzes für die Arbeitslosenversicherung von 4,2 auf 3,3 Prozent beschlossen wurde. Die Kapitalseite wird’s freuen, sinkt so doch ihr Beitrag zur Sozialversicherung der Beschäftigten (also der als "Arbeitgeberbeitrag" vorenthaltene Teil des Lohns). Vom gesamtgesellschaftlichen Anteil der Beschäftigten am Volkseinkommen wird damit erneut ein Teil zum Kapital verschoben.

… aber dafür Kürzungen durch Zwangsrente!

Neben dem Versuch der Imageaufbesserung für die SPD sollte die Debatte über längere Bezugszeiten aber offenbar noch eine andere Funktion erfüllen, nämlich von gravierenden Verschlechterungen für ältere Erwerbslose abzulenken.

Von der Öffentlichkeit ziemlich unbemerkt sollte zum 1. Januar 2008 eine Änderung in Kraft treten, die älteren Erwerbslosen massiv Leistungen rauben würde. Die Rede ist von der Zwangsverrentung. Bisher können ältere Erwerbslose selbst bestimmen, wann sie die Rente antreten möchten - zum regulären Zeitpunkt oder bereits früher (mit Abschlägen von 0,3% pro Monat des früheren Renteneintritts). Voraussetzung für den vorgezogenen Rentenantritt sind gewisse persönliche Voraussetzungen wie z. B. 35 Jahre Arbeit mit Pflichtbeiträgen. Dank der so genannten 58er-Regelung kann Arbeitslosengeld (Alg I und Alg II) "unter erleichterten Voraussetzungen" bezogen werden. Die Erwerbslosen sind damit z. B. vor Trainingsmaßnahmen, 1 €-Jobs, Bewerbungen nach Anzahl statt nach Sinnhaftigkeit und anderen unsinnigen "Beschäftigungstherapien" bewahrt. Für die Regierung besteht der Vorteil darin, dass die TeilnehmerInnen an der 58-Regelung nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik geführt werden.

Diese 58er-Regelung sollte nun zum 1. Januar 2008 auslaufen. Damit drohte Erwerbslosen ab 60 Jahren die Zwangsverrentung, sobald die individuellen Voraussetzungen für eine vorgezogene Rente erfüllt sind. Das Sozialgesetzbuch II schreibt nämlich vor, dass das Arbeitslosengeld II (Alg II, auch "Hartz IV" genannt) eine "nachrangige" Sozialleistung ist. Andere Sozialleistungen - wie z. B. Rente - müssen "vorrangig" in Anspruch genommen werden. Das heißt, die vorgezogene Altersrente mit ihren Abschlägen muss beantragt werden. Diese Abschläge können bis zu 18% des Gesamtrentenanspruches betragen - und das für den Rest des Lebens. Bis zu 360.000 Menschen wären aktuell (und in Zukunft jährlich weitere ca. 120.000 bis 150.000) davon betroffen.

Alle BezieherInnen von Alg II, auch so genannte "AufstockerInnen", d. h. Menschen deren Einkommen oder deren Alg I so niedrig ist, dass sie Anspruch auf ergänzendes/aufstockendes Alg II haben, müssten künftig mit der staatlich verordneten Zwangsverrentung rechnen. Dies gilt ebenfalls für die, die weiterhin arbeiten wollen, weil sie sich noch nicht alt genug fühlen, um in Rente zu gehen oder die ihre kargen Rentenansprüche noch etwas steigern wollen. All sie haben bei der Jobsuche keinen Anspruch mehr auf Unterstützungs- und Förderleistungen durch die Ämter, da sie jetzt ja gezwungenermaßen RenterInnen sind.

Ganz so geräuschlos wie geplant konnte die Zwangsverrentung nun aber doch nicht ‚durchgezogen’ werden. Gewerkschaften, Sozialverbände, Erwerbslosenorganisationen und die Linke im Bundestag haben das geplante verschärfte Verarmungsprogramm für Ältere heftig kritisiert und eine die Sozialverbände und die Gewerkschaften haben sogar eine gemeinsame öffentliche Protesterklärung herausgegeben. Tatsächlich hat die Regierungskoalition am 29.11. beschlossen, die 58er-Regelung im Kern doch (fast) zu erhalten. Nach ihrem Gesetzentwurf muss jetzt nicht mehr mit der Zwangsverrentung ab 60 gerechnet werden, sondern "erst" ab 63 Jahren, sofern das im Einzelfall keine "unzumutbare Härte" bedeuten würde. Immerhin eine Verbesserung, aber es bleibt dabei, dass man nicht so lange arbeiten darf, wie man will und kann und es bedeutet auch, dass vorgezogene Rente mit 63 statt 65 Jahren immer noch einen Abschlag von 7,2% der gesamten Rentensumme bedeutet. Außerdem müssen wir die konkrete Ausformulierung der Gesetzesänderung auch noch abwarten. Oft wird ja noch in letzter Minute der eine und der andere Pferdefuß eingefügt.

Mit Widersprüchen leben

Einerseits wird mit Programmen wie 50plus die Erwerbstätigkeit Älterer gefördert, andererseits wird dem durch die Frühverrentung systematisch entgegen gearbeitet. Wenn Müntefering vollmundig erklärt: "Diese Gesellschaft ist verrückt! Wenn wir diese Altersklasse zwischen 50, 55 und 65 nach Hause schicken nach dem Motto, altes Eisen, wir können euch nicht mehr gebrauchen. Völlig falsch!" (laut ARD- Magazin Monitor), so entlarvt er mit der Zwangsverrentung sein Geschwätz als das, was es ist: ideologische Vernebelung in der Absicht, mittels Rente mit 67 weitere Rentenkürzungen durch zu setzen. Dass in seiner speziellen Art von Mathematik "67 = 60" (Rente mit 67 = Zwangsrente für Erwerbslose mit 60 bzw. jetzt 63) ein grundlegender Fehler ist, durchschauen schon GrundschülerInnen  - aber was ist in PISA-Zeiten schon von PolitikerInnen zu erwarten, insbesondere wenn ihr Ziel Kürzungen für alle ist? Getreu der Praxis des Regierungshandelns der letzten Jahre sind von der Zwangsverrentung mit Abschlägen vor allem untere Lohngruppen bzw. Menschen mit durchbrochenen Erwerbsbiografien und geringen Rentenanwartschaften - z.B. Frauen, die wegen Hausfrauentätigkeiten geringe Rentenbeiträge geleistet haben - betroffen. Die gekürzte Rente wird bei vielen nicht mehr ausreichen, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Dann kann ergänzende Sozialhilfe beantragt werden. Allerdings muss dafür ‚Bedürftigkeit’ gegeben sein, d. h. das Vermögen muss bis auf 2.600 € aufgebraucht werden. Statt die Rücklagen zur Alterssicherung während des Bezugs der Regelaltersrente verwenden zu können, müssen sie jetzt schon aufgebraucht werden, bevor es überhaupt ergänzende Sozialhilfe gibt. So geht es, wenn man der Regierungspropaganda glaubt, Reserven für die Alterssicherung seien nötig!

Betroffen von der Zwangsverrentung können auch die Kinder (und sogar die alten Eltern) der NeurentnerInnen sein. Die geleistete Sozialhilfe wird das Sozialamt nämlich per ‚Unterhaltsrückgriff’ von ihnen einfordern, sofern sie hinreichend leistungsfähig sind. Ob die Notwendigkeit, Sozialhilfe zu beantragen, dann eine ‚Härte’ im Sinne des noch zu ändernden Gesetzes darstellt (was mit dem Schutz vor erzwungenem vorzeitigem Rentenbezug gleichzusetzen wäre), muss sich erst noch zeigen.

Bei der niedrigen Zwangsrente werden viele den verständlichen Wunsch verspüren, durch eigene Erwerbstätigkeit ihr Einkommen aufzubessern. Aber Vorsicht: Während RenterInnen nach Erreichen der Altersgrenze (im Augenblick noch 65 Jahre) unbeschränkt hinzuverdienen können, gilt bei den vorgezogenen Renten eine Einkommensgrenze von 350 € (bzw. nach dem neuen Gesetzesentwurf von 400 €). Um mehr kann die knappe Rente kaum aufgestockt werden (falls man überhaupt einen entsprechenden Job findet). Wird auch nur 1 € mehr verdient, wird die gekürzte Rente nicht mehr ‚voll’, sondern nur noch zu 2/3 gezahlt (mit dann allerdings höheren Zuverdienstgrenzen, bis noch weiter gekürzt wird.) So wird sichergestellt, dass man der Altersarmut kaum entkommen kann.

Wer hat was davon?

Gewinner der Zwangsverrentung werden die Regierung und der Bund sein. Werden im großen Umfang Alg II-Beziehende in die Rente a bgedrängt, tauchen sie nicht mehr in der

Arbeitslosenstatistik auf. Zwar wurden die Menschen, die bisher die 58er-Regelung wahrgenommen haben, ebenfalls nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik mitgezählt. Aber keineswegs alle, die diese Regelung in Anspruch hätten nehmen können, taten das auch. Da nach dem jüngsten Gesetzentwurf nicht mehr alle ALG II-Beziehenden über 60 Jahre in die Rente abgeschoben werden sollen, hat sich die Koalition etwas Neues ausgedacht: wer nach Vollendung des 58. Lebensjahres mindestens für die Dauer von zwölf Monaten ALG II bezogen hat, ohne dass ihr/ihm eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten worden ist (und so geht es wohl fast allen), gilt nicht mehr als arbeitslos - auch wenn die Person noch eine Arbeit sucht. Die Arbeitslosenstatistik wird so noch mehr aufgehübscht und schon kann die Regierung wieder protzen, wie erfolgreich ihre Politik doch die Arbeitslosigkeit reduziert. Da das Arbeitslosengeld II aus Steuermitteln geleistet wird, ist der Bund für die Haushaltsentlastung per Zwangsverrentung sicher sehr dankbar. Die Kommunen werden nicht so begeistert sein, wird die Sozialhilfe bzw. die Grundsicherung im Alter doch von ihnen bezahlt. Die Rentenversicherung muss zwar längere, aber dafür niedrigere Renten bezahlen. Insgesamt ist festzuhalten, dass der Protest zwar reichlich spät kam, aber immerhin noch kam und das Schlimmste verhindert hat. Dennoch gibt es zum Jubeln keinen Grund, denn das Teufelchen steckt bekanntlich in den Details. Und die werden erst noch geschaffen.

zum Anfang