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Göttinger Betriebsexpress (GBE) Nr. 190, 25.4.2012 /

Cinemaxx
ifas
Tarifrunde 2012
Mindestlohn
Sartorius
Hartz IV Bürgerarbeit
Eurokrise

Cinemaxx: Warnstreiks reloaded

Seit dem 1. Januar 2012 herrscht im Cinemaxx tarifloser Zustand: nach 4jähriger Laufzeit war der seit 2008 geltende Firmentarifvertrag zum Jahresende ausgelaufen. Schon diesen hatte sich die Belegschaft in einem lange andauernden Arbeitskampf erstreiten müssen. Und diesmal ist es nicht anders: angesichts des Unwillens der Arbeitgeberseite, zügig in zielführende Verhandlungen einzutreten, begann die Belegschaft in Göttingen am 10. Februar mit einem ersten Warnstreik, dem seitdem 4 weitere folgten, der jüngste fand am 11. April statt. Kernforderungen sind: Erhöhung aller Stundenlöhne um 1 Euro rückwirkend zum 1.1.2012 und um weitere 10 % zum 1.1.2013 Vereinbarung eines vollen 13. Monatsgehalts als Jahressonderzahlung für alle Beschäftigten 31 Tage Urlaub für Alle Einführung einer weiteren Berufsjahresstufe für „altbeschäftigte“ Servicekräfte nach 5 Jahren Aufnahme von bestehenden Berufsgruppen wie Lagerarbeiter, Serviceleiter und Haustechniker in den Tarifvertrag Herabsetzung der maximalen Befristungsquote auf 15 % je Betrieb Vereinbarung einer Mindestschichtlänge von 4 Stunden für Alle. Die Beteiligung an den Warnstreiks ist sehr hoch: von insgesamt derzeit ca. 46 Beschäftigten nehmen bis auf zwei oder drei Ausnahmen (und einige befristet Beschäftigte) in der Regel alle an den Warnstreiks teil. Die derzeitigen Stundenlöhne sind nämlich alles andere als üppig! Auch sind sie niedriger als bei den 2 großen Kinoverbänden UCI und HDF. Ein Beispiel: Kassierer mit mehr als zwei Jahren Berufserfahrung verdienen bei CinemaxX derzeit 8,35 €, bei der UCI 8,92 € und ab 1.07.12 dann 9,32 €. Dazu kommen bei der UCI gegebenenfalls noch Zuschläge. Servicekräfte, die in Göttingen die große Mehrheit der Beschäftigten sind, verdienen 8,55 €. Im Übrigen gibt es auch bei Cinestar, der größten Kinokette in Deutschland, derzeit eine ständig wachsende Anzahl an Warnstreiks, da dort gar keine Tarifverträge bestehen und Löhne von im Schnitt 6,50€ bezahlt werden. CinemaxX beruft sich zwar gerne auf die Löhne bei Cinestar, um sich damit als ‚gut zahlenden’ Arbeitgeber darzustellen. Zu niedrig sind sie aber trotzdem! Bisher weist der Arbeitgeber die Forderungen der bei ver.di organisierten KollegInnen als unbezahlbar zurück, obwohl die Cinemaxx AG laut ver.di im vergangenen Geschäftsjahr die besten operativen Ergebnisse ihrer Firmengeschichte vorweisen kann! Für die nächste Verhandlungsrunde Anfang Mai hat der Arbeitgeber nun einen eigenen Tarifvertragsvorschlag angekündigt, man darf gespannt sein…. Die KollegInnen jedenfalls streiken weiter für ihre berechtigten Forderungen!
(Siehe auch >Cinemaxx-Seite in goest)


Zwei Jahre Betriebsrat beim ifas Eine Bestandsaufnahme
Zwei Jahre Betriebsratsarbeit: viele GewerkschafterInnen, langjährige Personalratsvorsitzende oder Ehrenamtliche müssen wahrscheinlich schmunzeln und fragen sich: „Gibt es da etwas zu feiern?“ Für die inzwischen ca. 150 Beschäftigten des mittelständischen Instituts für angewandte Sozialfragen – einer regionalen gemeinnützigen Einrichtung aus Göttingen mit den Schwerpunkten Rehabilitation, Jugendhilfe, Ambulante Angebote und Bildung – schon, denn der Weg zum Status Quo war nicht immer leicht. In the beginning there was... Vor mehr als zwei Jahren fingen einigen Kolleginnen und Kollegen an, sich mehrfach nach Feierabend zu treffen und tauschten sich über ihre Wünsche aus, wie sie sich einen sozialen Arbeitgeber vorstellen. Transparent sollte er handeln, wertschätzend und gerecht. Vor allem wollten sie endlich mitreden können im Betrieb. Die Idee eines Betriebsrats als gelebte Demokratie war geboren. Aber schon bei den Treffen mit KollegInnen aus der Gewerkschaft wurde klar, so einfach und selbstverständlich, wie in den Köpfen der meisten Leute, ist die Schaffung eine Betriebsrates nicht. Die Unstimmigkeiten rund um die Terminfindung bei Wahl des Wahlvorstandes oder die nicht gerade freundlichen Kommentare über den Betrieb in Internetblogs wurden aber durch die erfolgreiche Wahl des ersten Betriebsrats seit Jahren quasi weggewischt. Über 80% der Belegschaft beteiligten sich an den Wahlen – ein klares Zeichen „Wir wollen mitbestimmen! Wir wollen eine Interessensvertretung!“ Danach begann für das siebenköpfige Gremium die Basisarbeit. Schulungen, Einrichtung von Infrastruktur und das Kennenlernen der Materie. Natürlich standen auch Besuche der Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz, sowie die ersten Gespräche mit der Geschäftsführung an. Alles in allem sehr aufregend und neu für alle Beteiligten. And the beat goes on! Wie immer im Leben gab es auch bei der Arbeit des Betriebsrats in diesen zwei Jahren Höhen und Tiefen. Aha-Erlebnisse, wie beispielsweise super besuchte Betriebsversammlungen mit engagierten Kolleginnen und Kollegen, die offen ihre Wünsche und Belange ansprachen. Eine Belegschaft, die den Betriebsrat nicht als Abnickgremium akzeptiert, sondern ihn als Interessenvertretung erlebt. Selbstverständlich wurde auch gezetert und geflucht: Über fehlende Initiativmöglichkeiten durch das Betriebsverfassungsgesetz, wenn man sich fühlte, als würde einem der Gesetzgeber die Hände fesseln, trotz ausgiebiger Lektüre juristischer Texte. Traurig waren wir auch, wenn wieder engagierte Kolleginnen und Kollegen das ifas verließen und ein Loch in unsere Reihen rissen oder wenn die Stimmung manchmal kippte, weil wir falsch verstanden oder interpretiert wurden. Auch wenn in Deutschland Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch das Konstrukt der Sozialpartnerschaft eng zusammenarbeiten, so haben sie verständlicherweise doch immer unterschiedliche bzw. gegensätzliche Interessen und vor allem Blickwinkel. Insgesamt lässt sich als Fazit sagen, dass sich etwas tut. In den vergangenen zwei Jahren hat die Geschäftsführung mehr Transparenz durch ein Mitarbeiter-Info und interne Stellenausschreibungen geschaffen oder die Kilometerpauschale wurde erhöht, um nur einige Beispiele zu nennen. Es gibt aber immer noch viel für den Betriebsrat zu tun und die Kolleginnen und Kollegen fordern dies auch vehement ein. Die Etablierung eines funktionierenden, akzeptierten und aktiven Gremiums beim ifas ist also nicht zuletzt durch den Rückhalt der Belegschaft für den Betriebsrat gelungen. Dies ermöglicht uns auf Augenhöhe mit der Geschäftsführung zu stehen und unsere Forderungen zu diskutieren. Let’s push things forward Dieser Rückhalt ist auch in der momentanen Kampagne für eine gewerkschaftliche Organisierung zu finden, den die ver.di-Betriebsgruppe angestossen hat. Viele Kolleginnen und Kollegen sind im vergangenen Jahr in die Gewerkschaft eingetreten. Ihr gemeinsames Ziel ist, einen Haustarifvertrag beim ifas mit möglichst vielen Mitstreiterinnen und Mitstreitern zu erkämpfen. Auf uns als Betriebsrat kommt in Zukunft vielleicht noch mehr Arbeit zu – wenn wir dann die Einhaltung tariflicher Standards überwachen dürfen. Diese Zukunftsmusik hören wir gerne, denn wir arbeiten ja nicht nur, sondern wir tanzen auch! (Siehe auch >ifas-Seite in goest)


Sartorius: Sartorius wächst – wohin?

Wenn man den Veröffentlichungen über Sartorius Glauben schenken darf, dann ist die Welt dort in Ordnung. Der Umsatz hat im Jahr 2011 alles übertroffen, was die Firma bisher gesehen hat. Insgesamt betrug der Umsatz 733 Mio. Euro. Das sind über 11% mehr als im auch schon guten Jahr 2010. Außerdem wurden Gewinne gemacht wie noch nie in der Firmengeschichte. Die Aktionäre erhalten 80 Cent Dividende pro Stammaktie (Vorjahr 60 Cent je Stammaktie).

Wachstum - in welche Richtung?
Was in der Presse nach einer großen Erfolgsgeschichte aussieht, verursacht je nach Zufälligkeit der individuellen Arbeitssituation Freude oder aber auch Bauchgrimmen. Die Struktur des Konzerns wird aktuell durch die Aufteilung und Zersplitterung in organisatorische und rechtlich getrennte Einheiten in eine Art „Baukastensystem“ zerlegt und aus Unternehmenssicht flexibler gestaltet. So kann der Verkauf von Unternehmensteilen oder die Einbindung bei möglichen Zukäufen einfacher erfolgen. Seit langem schon ist ein Prozess der Umorientierung weg von der ursprünglich dominierenden Wägetechnik hin zur Biotechnologie zu beobachten. Inzwischen macht der Konzern zwei Drittel des Umsatzes im Bereich der Biotechnologie, ein Drittel im Bereich Mechatronik, also im Bereich Waagen, mit fortschreitender Tendenz. Bereits vor einiger Zeit hat die Firmenleitung verkündet, dass im Bereich Industriewaagen 'desinvestiert' werden soll – ein anderer Ausdruck für 'Verkauf oder Schließung'. Anfang des Jahres wurde auf einigen Börsen-Webseiten sogar vom Verkauf der „konjunkturanfälligen Wägetechnik“ geredet. Erst im Nachhinein wurden diese Berichte korrigiert und dann vom Verkauf der industriellen Wägetechnik geredet. Seitdem wollen Gerüchte nicht verstummen, dass die zu Grunde liegenden Pressemitteilungen der Sartorius-Führung bewusst etwas unklar gehalten waren nach dem Motto: „Wer viel Geld für den Verkauf einplant, muss auch dickere Fische in die Schaufenster legen“.

Industrie-Wägetechnik auf dem Abstellgleis
Klar ist, dass Konzernlenker Kreuzburg die Firma anders ausrichten will. Von der alten Aufteilung in Biotechnologie und Mechatronik ist nicht mehr die Rede. Stattdessen wird von „Bioprozess“ und „Laborinstrumenten“ geredet, wobei zu den Laborinstrumenten auch Bereiche gehören, die früher in der Biotechnologie angesiedelt waren. Die ca. 80 Kolleginnen und Kollegen, die in Göttingen in der industriellen Wägetechnik, also mit Waagen speziell für die Industrie beschäftigt sind, fühlen sich derweil auf dem Abstellgleis. Die Geschäftstätigkeit ist von den anderen beiden Sparten abgetrennt worden und wartet auf den richtigen Investor – wobei 'richtig' im Sinne der Geschäftsleitung wohl derjenige ist, der am meisten Geld bietet. Eine Befürchtung ist, dass ein Investor nur Interesse an den Standorten Aachen und Hamburg hat und der Göttinger Teil der Sparte alleine gar nicht überlebensfähig ist. Ein überzeugendes Konzept für die eigenständige Vermarktung der Göttinger Industriewaagen liegt nach Meinung der Kolleginnen und Kollegen jedenfalls nicht auf dem Tisch. Aus deren Sicht ist das aber dringend notwendig, denn Sartorius hat sich in dem Marktsegment zwischen Labor und Industriewaagen am Markt einen guten Ruf erworben und ist hier auch mit Produkten außerhalb der klassischen Wägetechnik sehr aktiv und gut unterwegs. Im Bereich der Laborinstrumente überwiegt Hoffnung auf sichere Arbeitsplätze – nicht verwunderlich angesichts der großartigen Zukunftsprognosen, die die Konzernleitung aufstellt. Ob das allerdings den Arbeitsplätzen in Göttingen unmittelbar zu Gute kommt, ist nicht klar. Die Firmenleitung hat mehrfach klar gemacht, dass sie vorhat, sich in der neuen Laborsparte Umsatz hinzu zu kaufen. So wurde Ende 2011 ein finnisches Unternehmen gekauft, das Laborpipetten herstellt. Das erhöht zwar den Konzernumsatz, schafft aber Arbeitsplätze eher in Helsinki als in Göttingen.

Konzern aufgemischt
Die neue Konzernaufteilung hat aber weitere Wirkungen: In den letzten Jahren wurden die alten Sparten Biotechnologie und Mechatronik in eigenständige Firmen aufgeteilt – zuletzt wurde z.B. die Mechatronik, die noch unter Sartorius AG firmierte, in die Sartorius Weighing Technology GmbH ausgelagert. Jetzt übt die Geschäftsleitung die Rolle rückwärts: Vertrieb, Marketing und Entwicklung werden entsprechend der neuen Spartenaufteilung zusammengefasst – und die alten Abteilungsstrukturen aufgelöst. Das führt dazu, dass jetzt Kolleginnen und Kollegen zusammen die gleiche Arbeit machen, aber unterschiedliche Bedingungen hinsichtlich Arbeitszeit, variabler Vergütungsstrukturen und tarifvertraglicher Absicherung vorfinden. In den letzten Jahren hatte das Management mit immer neuen Begründungen Zugeständnisse hinsichtlich Kostensenkungen von den Beschäftigten bzw. den verschiedenen Betriebsratsgremien rausschlagen können. So wurde in der Biotechnologie vor Jahren mit der Drohung, sonst würden Investitionen an anderen Standorten außerhalb Göttingens getätigt, die 36-Stunden-Woche eingeführt. Die Investition von rund 20 Mio. € in Gebäude und Maschinen wurde im April diesen Jahres gerade erst feierlich eingeweiht. In der Mechatronik wurde in der Krise 2009 eine Gehaltskürzung von 5% durchgesetzt, die sich die Beschäftigten bei gutem Gewinn wieder zurückholen können (für 2011 war dies allerdings kein schlechtes Geschäft, denn es gab aufgrund der guten Geschäftszahlen sogar noch Prämie obendrauf). Wenn sie bei diesem Veränderungsprozess nicht unter die Räder kommen wollen, sind die Kolleginnen und Kollegen bei Sartorius wohl gut beraten, sich nicht auseinander dividieren zu lassen. So manch einer bedauert, dass es am Göttinger Standort mehrere Betriebsratsgremien gibt. Aufgrund der firmenübergreifenden Zusammenarbeit ist oft gar nicht klar, welcher Betriebsrat welcher GmbH für ein Problem gerade zuständig ist. Eine auf den ersten Blick, auch aus Sicht des Unternehmens nicht gerade sinnvolle Lösung – zumindest aus aktueller Sicht. Bei dieser dürfte es sich aber nur um einen Zwischenstand auf einer Großbaustelle handeln. Die Beschäftigten sind gut beraten, sich aktiv in die Diskussion „Sartorius wächst“ einzubringen – ansonsten könnte ihnen auch einiges über den Kopf oder in die falsche Richtung wachsen…(Siehe auch >Sartoriusseite in goest)

Hartz-IV: Bildungspaket, Bürgerarbeit… die Stümperei geht weiter…
Wer sich die vorangegangene Entwicklung in Erinnerung rufen und noch mal nachlesen möchte, wie es überhaupt zu dem Verfassungsgerichtsurteil kam, der/die kann unsere Ausgaben auf unserer Homepage http://www.betriebsexpress.de aufrufen. Jede Ausgabe ist dort als PDF-Datei komplett abrufbar. Die Nr. 189 und der Artikel „Neues von der Hartz-IV-Front“ auf Seite 4 ergänzen diesen aktuellen Artikel.

In unserer vorigen Ausgabe (die leider schon länger zurückliegt, als uns selbst lieb ist) waren etliche der anstehenden Gesetzesänderungen, die im Wesentlichen durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom Februar 2010 über die Verfassungsrechtmäßigkeit der Regelbedarfssätze nötig wurden, noch nicht beschlossen worden. Inzwischen wissen wir einiges mehr und genauer. Die meisten Änderungen wurden präzisiert und das Bildungspaket eingeführt. Dazu hat die Bürgerarbeit, über deren Anfänge wir in der Nr. 189 ebenfalls berichteten, Form angenommen bzw. ist schon wieder beendet. Etwas mehr Geld gab es auch, aber nur 2010 für alle Altersgruppen. Bei der letzten Erhöhung zum 1.1.2011 schon nicht mehr. Wie viele es befürchtet hatten.

Der Nebel hat sich gelichtet
Fangen wir mit den inzwischen präzisierten Gesetzesänderungen an: Das Bundesverfassungsgericht hatte der Politik in seinem Urteil eine Frist bis Ende des Jahres 2010 gesetzt, um alle notwendigen Änderungen umzusetzen. Frau von der Leyen versprach sofort, gleich nach der Sommerpause sei alles getan. Nun, letztlich wurden die meisten Änderungen erst im April 2011 beschlossen. Etliche rückwirkend zum 1.1.2011. Das merkwürdig herumeiernde Urteil des BVerfG, dass zwar alle Regelsätze verfassungswidrig seien, aber wenn einige Änderungen durchgeführt und bei den Begründungen nachgebessert werde, sei es vielleicht doch nicht so, hinterließ viel Ratlosigkeit. Etliche Menschen erhofften sich deutlich mehr Geld, z. B. auch Hilfe bei z. B. Zahnersatz und Brillenbeschaffung; andere befürchteten, dass evtl. sogar noch Verschlechterungen (auch bei den Regelsätzen) möglich wären. Leider hatten Letztere recht.

War da nicht noch einiges mehr als….
Was uns (sehr unangenehm) auffiel, war, dass quer durch alle Medien lang und breit über die vorletzte Erhöhung von 5 Euro für alle Altersgruppen bei den Regelsätzen und über das Bildungspaket berichtet wurde. Kein Wort aber über ein gutes Dutzend weiterer Gesetzesänderungen, die fast alle Verschlechterungen für die Betroffenen beinhalteten. Mensch fragt sich schon, ob die meisten BerichterstatterInnen zu faul oder nicht in der Lage sind, wichtige Details in einer umfangreichen Gesetzesänderung zu erfassen und einzuschätzen. Die wichtigsten dieser nicht berichteten Änderungen sind: Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten, die bisher (bis zu 175 Euro pro Monat) nicht als Einkommen gewertet wurden, werden nun voll angerechnet. Bezahlungen an Tagesmütter und pflegende Personen sind nun ebenfalls Einkommen und mindern die ausgezahlte Leistung. In Notsituationen können zinslose Darlehen zusätzlich zu der Leistung von der Behörde bewilligt werden. Bisher war das allgemeine geschonte Vermögen (Mindestbetrag 3.850 Euro für Minderjährige oder 150 Euro pro Lebensjahr) weiterhin geschont. Nun muss es erst aufgebraucht werden. Ist keines da und wird deshalb ein Darlehen gewährt, das auch nach 6 Monaten noch nicht zurückgezahlt werden kann, wird das Darlehen als Einkommen gewertet und ab dem 7. Monat verrechnet. Eine ganz gefährliche Sache: die einzelnen Kommunen (Städte/Landkreise) können beim Bundesland beantragen bzw. vom diesem dazu verpflichtet werden, eine eigene Satzung für die Kosten der Unterkunft zu erstellen. In dieser Satzung kann dann jede Kommune alles ummodeln. Die angemessenen Zahlen sowohl für die Quadratmeter wie auch für die Miet- und Nebenkostenhöhe und sogar die Pauschalierung der Heizkosten soll wieder möglich sein. Gegen viele dieser Vorgehensweisen gibt es rechtskräftige Bundessozialgerichtsurteile. Das soll so unterlaufen werden. Und in Hessen betreibt inzwischen die Landesregierung genau das und will alle Kommunen verpflichten, eine solche KdU-Satzung zu erstellen. Auch in NRW wird das diskutiert. Wer mit Entscheidungen und Bescheiden der Behörde nicht einverstanden ist, legt innerhalb von 30 Tagen einen Widerspruch ein. Wer diese Frist versäumt oder erst später feststellt, das etwas nicht stimmt, kann einen Überprüfungsantrag an die Behörde stellen, der bisher bis zu 4 Jahren rückwirkend zu Änderungen und also auch Nachzahlungen führen kann. Diese Frist ist auf 1 Jahr verkürzt worden. Das sind noch nicht alle Änderungen. Belassen wir es dabei. Wir wollen aber auch fair sein. Es gibt ganze 2 Änderungen, die positiv sind. Neben den 100Euro Freibetrag, die jede/r bekommt, der/die Erwerbsarbeit ausübt, folgte dann ja ein weiterer Freibetrag von 20 Prozent von 101 bis 800 Euro. Diese Obergrenze wurde bis auf 1000 Euro erhöht. Wenn ein Antrag auf ALG II gestellt wird, galt dieser bisher genau vom Tage der Antragstellung an. Nun gilt er rückwirkend vom 1. des Monats, in dem er gestellt wird. …..

5 Euro mehr…
Das BVerfG hatte auch geurteilt, dass die möglichen Erhöhungen der Regelbedarfe nicht mehr an die Rentenentwicklung gekoppelt sein sollten. Welches Modell an diese Stelle treten sollte, ließ es offen. Es empfahl eine Mischung aus Lohn- und Preisentwicklungsdaten. Das ist auch so gemacht worden. Eigentlich hätten ja die meisten hier erwartet, dass die Lohnentwicklung als größerer Prozentsatz genommen würde, da diese sich in den letzten Jahren nicht oft verbessert hat – die Erhöhung wäre dann kleiner ausgefallen. Die Preise hingegen steigen ja unaufhörlich und könnten zu einer stärkeren jährlichen Erhöhung beitragen. Aber nein. Beschlossen wurde ein 70/30-Modell, wobei zu 70 Prozent die Preisentwicklung und nur zu 30 Prozent die Lohnentwicklung einfließt. Aber: die Bundesregierung verkündete denn doch, dass sie bei der Berechnung der Preisentwicklung nicht einfach 70 Prozent nimmt, sondern ein eigenes Berechnungsmodell entwickelt. Da wird es sich lohnen, wieder genauer hinzusehen. Jedenfalls wird es jetzt jedes Jahr zum 1.1. eine Anpassung der Regelbedarfe geben. Und siehe da: hatte Frau von der Leyen bei der vorletzten Erhöhung 2010 nach dem BVerfG-Urteil noch allen Altersgruppen die 5 Euro zugestanden und dieses als Bestands- und Vertrauensschutz für die jüngeren Altersgruppen verkauft, bekamen nun nicht mehr alle Altersgruppen die 10 Euro Erhöhung zum 1.1.2012. Einige bekamen weniger, einige gingen dieses Mal ganz leer aus. Wir hatten es kommen sehen. Der Grund dafür ist, dass bei der neueren Berechnungsgrundlage für die Regelbedarfe (eine neuere EVS=Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von 2008) noch mehr Haushalte mit geringem Einkommen einbezogen wurden als bei der vorigen. Da das ein wesentlicher Punkt war, der mit zu dem BVerfG-Urteil führte, versuchen die KlägerInnen den erneuten Gang vors BVerfG. Dieses Mal unterstützt von Juristengruppen (unabhängige Juristenvereinigung u. a.).

…und das Bildungspaket
Schauen wir uns abschließend zu diesem Gesetzesänderungswust denn noch mal das Bildungspaket genauer an: Übernahme der Kosten für mehrtägige Klassenfahrten. Das ist keineswegs neu. Es stand bisher im Gesetz nur an anderer Stelle, bei den Einmalleistungen. Im Gesetzesänderungspaket wurde auch die Übernahme eintägiger Klassenfahrten beschlossen. Das ist neu. Lernmittelbeihilfe von 100 Euro jährlich pro Schulkind. Auch das ist kein neuer Leistungsbereich. Er war schon vorher dazu gekommen, als klar wurde, dass für Bildung im Regelsatz eigentlich nichts eingeplant war. Heißt nun Schulbasispaket für Schulmaterialien und ist zahlbar 70 € zum 1. August sowie 30 € zum 1. Februar. Erstmalig gezahlt am 1. Aug. 2011. Schülerbeförderung In tatsächlicher Höhe für erforderliche Kosten zur nächstgelegenen Schule und wenn die Aufwendungen nicht aus dem Regelbedarf bestritten werden können. Das ist geändert, aber auch nicht neu. Lernförderung, soweit geeignet und zusätzlich erforderlich zur Erreichung der durch schulrechtliche Bestimmungen festgelegten Lernziele. Auf deutsch: Nachhilfe. Wobei der Anbieter gecheckt wird, die LehrerInnen dazu Stellung nehmen sollen etc. Das ist der erste echte neue Leistungsbereich in diesem Bildungspaket. Zuschuss zu Mahlzeiten in Schule und Kita. Bei von Schule oder Kita angebotener Mittagsverpflegung ein Zuschuss zu Verpflegungskosten mit Eigenanteil von einem Euro. Das ist auch neu, aber: in Schulen und Kitas, wo es bisher keine Verpflegung gab, gibt es auch weiterhin keine! Leistungen zur gesellschaftlichen Teilhabe in Höhe von 10 EUR monatlich für Mitgliedsbeiträge in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit, Unterricht in künstlerischen Fächern (z.B. Musikunterricht) oder vergleichbare angeleitete Aktivitäten der kulturellen Bildung und Teilnahme an Freizeiten für Leistungsberechtigte bis Vollendung des 18. Lebensjahres. Das ist ebenfalls neu, aber: wie weit kommt mensch mit 10 Euro im Monat für diese vorgesehene Teilhabe? Dazu ein Beispiel: die Mitgliedschaft in einem Reitverein kostet monatlich im Durchschnitt 50 bis 60 Euro. Und auch in Sportclubs wie Fußballvereinen werden die 10 Euro wohl nicht mal für den Mitgliedsbeitrag reichen. Fazit: eine Mogelpackung, bestehend zur Hälfte aus schon bestehenden (nur umbenannten bzw. umgruppierten) und zur anderen Hälfte aus fast ausschließlich unzureichenden Leistungen. Die Annahme des Bildungspaketes verläuft bis heute schleppend. Deshalb machten die Job-Center sozusagen Werbung und die Fristen für die Beantragung rückwirkender Leistungen (teilweise ohne konkreten Nachweis) wurden verlängert bis 30.6.2011. Sagte Frau von der Leyen. Aber die meisten Behörden wollten eben doch jeden Beleg sehen! Übrigens: die Leistungen gibt es auch bei Wohngeldbezug. Nach langem Hin und Her war im Verlaufe des letzten Jahres auch endlich klar, wer denn nun eigentlich diese Leistungen bearbeitet. Die Einführung einer Chipkarte wurde gecancelt. Dann versuchte man, die Jugendämter damit zu beauftragen. Die winkten dankend ab. Jetzt machen es die SachbearbeiterInnen im Job-Center bzw. in der Wohngeldstelle, wenn Wohngeld bezogen wird.

Bürger, zur Arbeit….
Nachdem die ABMs (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) abgeschafft wurden, die 1-Euro-Jobs von Anfang an in der Kritik standen (auch mehrfach vom Bundesrechnungshof), ersann das Arbeitsministerium die Bürgerarbeit. Bundesweit sollten von rund 160.000 Langzeitarbeitslosen etwa 34.000 eine solche Bürgerarbeitsstelle bekommen bzw. finden. Der erste Wahnsinn war die Annahme bzw. Behauptung, dass alle anderen durch verstärkte Unterstützung (Bewerbungstraining?) in reguläre Arbeitsstellen vermittelt werden sollten. Wie viele das wohl geschafft haben? Die anderen sollten dann einen Bürgerarbeitsplatz bekommen, der Kriterien wie Zusätzlichkeit und Gemeinnützigkeit erfüllen soll. Nur die Hälfte aller Job-Center in Deutschland ist beteiligt. Göttingen bewarb sich und bekam die entsprechenden Bundesmittel. Nach Angaben von Kreisrätin Christel Wemheuer geht es im Landkreis Göttingen um rund 12,5 Millionen Euro in drei Jahren. 200 Stellen für begleitende Bürgerarbeit würden ab Januar 2011 eingerichtet. Es gehe beispielsweise um Serviceangebote an Schulen, Arbeiten in Sportstätten, Museen, Bibliotheken oder Verschönerungsarbeiten im touristischen Bereich. In einem Lenkungsausschuss sind unter anderem auch DGB und Handelskammer beteiligt. Das Projekt wird von der Kreisvolkshochschule in Kooperation mit der städtischen Beschäftigungsförderungsanstalt durchgeführt. Jede einzelne Stelle muss vom Bundesverwaltungsamt in Köln abgesegnet werden.

…….zur Sonne? Inzwischen sind die Maßnahmen schon wieder beendet. Etliche fanden einen solchen Platz, der in der Regel mit 900 Euro Arbeitnehmerbrutto für 30 Stunden Wochenarbeitszeit ausge-stattet wird (freiwillig darf auch mehr seitens des Arbeitgebers bezahlt werden, z. B. nach Tarif, wenn es einen gibt. Nun ja). Nach einigem Hin und Her war irgendwann klar, dass alle entweder Wohngeld oder ergänzendes Arbeitslosengeld II beantragen können. Beim ergänzenden ALG II bleiben sie zwar im Einfluss der Behörde, aber können wenigstens netto deutlich mehr bekommen als ihre bisherigen Leistungen bei 30 Stunden zusätzlicher Arbeit (bei Wohngeldbezug wird es etwas weniger sein). Schlimmstenfalls können sie allerdings weiterhin mit Eingliederungsvereinbarungen und Bewerbungsschreiben traktiert werden. Noch gibt es hier keine Erfahrungsberichte dieser Art. Auf jeden Fall läuft diese Förderung 2, maximal 3 Jahre. Ob und wie viele dieser „Bürgerarbeiter“ dann übernommen werden, da kann mensch getrost auch skeptisch bleiben.

Tarifrunde 2012: The same procedure as every year?

Zunächst glaubten viele an einen Aprilscherz, doch schnell war klar: die ver.di-Tarifrunde ist wirklich schon zu Ende, bevor sie richtig begonnen hat. Nachdem 300.000 KollegInnen im Warnstreik waren und Kindergärten, Busse, Krankenhäuser den Betrieb einschränken mussten, kam am 31. März die überraschende Einigung: 3,5% mehr in diesem Jahr, 2,8% mehr im nächsten Jahr. Erst auf den zweiten Blick wurden die Kröten sichtbar, die die KollegInnen jetzt schlucken müssen: zwei Jahre Laufzeit, keine 200 Euro Festbetrag, der für die KollegInnen in den unteren Lohngruppen eine spürbare Erleichterung gewesen wäre und Verzicht auf 1 Tag Urlaub für die KollegInnen im Alter zwischen 40 und 55.
Die Tarifkommision war von dem Ergebnis nicht überzeugt – erst im zweiten Anlauf konnte Bsirske eine knappe Zustimmung zu dem Kompromiss erreichen. Vielleicht hat sich der ver.di-Vorstand vor dem medialen Trommelfeuer gefürchtet, das eine harte Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern begleitet hätte. Selbst dieser Abschluss in Höhe der Inflationsrate hat ja schon zu altbekannten Beissreflexen der Presse geführt: das Ende aller Sparbemühungen und eine Verschärfung der Verschuldungskrise waberte durch die Kommentarseiten. Wenn man dieser Logik konsequent folgt, dann müssen die KollegInnen im öffentlichen Dienst noch Geld mitbringen, um den Steuerzahler zu schonen.
Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, wenn ver.di ihre Mitglieder (und Vorstände) sowie die Öffentlichkeit auf diese dummdreisten Argumente vorher vorbereitet hätte, statt gleich beim ersten einigermaßen verhandelbaren Angebot einzuknicken.
Die Hoffnung vieler KollegInnen, dass gleichzeitige Tarifverhandlungen und Streiks bei IG Metall und ver.di den öffentlichen Druck in allen Bereichen erhöhen können, ist jetzt jedenfalls dahin. Das lässt auch nicht unbedingt Gutes erwarten für die Tarifrunde der IG Metall. Schon jetzt hat IG-Metall-Vorsitzender Huber gegenüber dem Handelsblatt den ver.di-Abschluss gelobt – er rechnet sich das Ergebnis schön und kommt auf 4,9% in einem Jahr. Die Rechnung möchte ich sehen – so fortschrittliche Mathematik hatten wir in der Schule nicht. Soll das ein Angebot für die Reduktion der 6,5%-Forderung auf besagte 4,9% sein?
Vielleicht hat Huber gemerkt, das es nicht so einfach ist, die beiden anderen Forderungen der Tarifrunde in der Öffentlichkeit darzustellen: Übernahme der Auszubildenden und Mitbestimmungsrechte bei der Einstellung von Leiharbeitern. Es bleibt zu hoffen, dass sich die IG Metall bei der Aufstellung dieser Forderungen nicht verhoben hat. Denn es ehrt die Gewerkschaft, dass sie immer wieder gesellschaftliche Themen wie die Perspektivlosigkeit für junge KollegInnen oder die schmutzige Ausbeutung von Leiharbeitern aufgreift. Umso größer die Freude, wenn es der IG Metall gelingt, diese Forderungen durchzusetzen – auch gegen den Mainstream in den Kommentarspalten.

Mindestlohndebatte: Mindestlohn ist das Mindeste

Von abhängig Beschäftigten wird Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Kompetenz, Flexibilität und vieles mehr verlangt. Im sogenannten Dienstleistungssektor soll insbesondere Frau auch noch dauernd freundlich grinsen und jede/n nach dem persönlichen Befinden fragen. Das ist ja wohl das Mindeste, was man (in diesem Falle das Unternehmen) von seinen Mitarbeiterinnen verlangen kann. Ach ja, wirklich?
Besonders Frauen in Dienstleistungsjobs wie Friseurin oder Verkäuferin sind von kriminell niedrigen Löhnen betroffen. Frauen, die zu den unmöglichsten Zeiten arbeiten, kaum in die Rentenkasse einzahlen und deren Altersarmut somit vorprogrammiert ist. Frauen, die täglich acht Stunden (oder auch mehr) arbeiten und trotzdem noch auf staatliche Beihilfe angewiesen sind. Frauen, die gute Arbeit leisten und auf deren Dienst kaum jemand von uns, jedoch erst recht nicht die Unternehmen verzichten wollen.
Allerdings sind es nicht nur Frauen, die von Niedriglöhnen betroffen sind. Auch Männer in Leiharbeitsjobs und Jobs mit geringer Qualifikation erhalten für ihre oft körperlich schwere Arbeit viel zu wenig Geld.
Wenn die Unternehmen berechtigt sind, das ‚Mindeste’ von ihren MitarbeiterInnen zu verlangen, dann steht denen das doch wohl auch zu.

Mindestlöhne contra Lohnuntergrenze
Wir brauchen Mindestlöhne und zwar nicht die weichgespülten Varianten, die gerne in der Diskussion sind oder umgesetzt werden, sondern solche, die rechtlich bindend für alle Menschen gelten; die zum Leben und zur Teilhabe auch an kulturellem Leben reichen; die einen gesicherten Ruhestand ermöglichen und die Sozialkassen füllen.
Weshalb sträuben sich Politik und Wirtschaft derart gegen Mindestlöhne? Es ist eine Mischung aus Ideologie (nicht planen, der Markt und der Wettbewerb sollen es richten) und erwünschter Gewinnoptimierung und -maximierung, die eindeutig besser durch Niedriglöhne, Leiharbeit, Werkverträge zu erreichen sind.
Jahrelang wurde der wirtschaftliche Totalausfall bei Einführung eines Mindestlohnes als Teufel an die Wand gemalt. Inzwischen hoffen die meisten politischen Parteien wohl durch Einführung einer ‚Lohnuntergrenze’ .in der WählerInnengunst zu steigen. Der Unterschied allerdings zum erforderlichen Mindestlohn ist überdeutlich. Es gibt nämlich in der Vorstellung von Merkel und Konsorten keine ‚Lohnuntergrenze’ für alle abhängig Beschäftigten, sondern verschiedene branchenabhängige oder auch regional verschiedene Untergrenzen. Z. B. ‚verdient’ die Friseurin im Osten des Landes weiterhin nur 4,57 €.

Die Lohnentwicklung insgesamt…
Die Situation, dass viele zu niedrige Löhne bekommen, Frauen durch die Gehaltsunterschiede bei gleicher Arbeit doppelt benachteiligt sind, immer weniger Vollzeitstellen eingerichtet werden, und die Unternehmen zunehmend in Leiharbeit und Werkverträge investieren, trägt denn auch mit bei zu Wirtschaftswachstum, Exportrekorden etc. In der Lohnentwicklung schlägt es sich aber nicht nieder, denn bei den Tarifverhandlungen der letzten Jahre hat es keine großen Erfolge für die Beschäftigten gegeben.
Für die ArbeiterInnen war das vergangene Jahrzehnt in Bezug auf die Lohnentwicklung wenig erfreulich. Die Reallöhne sind in dieser Zeit acht Mal gefallen!

…hält viele im Armutsbereich
Der Anteil der Beschäftigten, die zusätzlich zu ihrem Lohn Sozialleistungen beziehen (Wohngeld oder ergänzendes Arbeitslosengeld II, im Volksmund Hartz IV) hat weiter zugenommen. Sieben Prozent aller Beschäftigten bleiben trotz sozialversicherungspflichtiger Arbeit in der Armut stecken. Also sind ca. 3 Millionen Erwerbstätige plus deren Angehörige (zusammen ca. 5,2 Millionen Menschen) arm, obwohl sie wenigstens Minijobs bzw. die Mehrheit sogar Vollzeitarbeitsplätze haben. Trotz Wirtschaftswachstum bekommen ca. 20 % der ArbeiterInnen einen Niedriglohn. Den Menschen, die dieses Wachstum erwirtschaften, wird die Teilhabe daran weiter verweigert.
Z.B. der DGB fordert einen Mindestlohn von 8,50 Euro, die LINKE und Erwerbsloseninitiativen einen Mindestlohn von 10,00 Euro für alle Beschäftigten, die nicht durch bessere Tarifverträge abgesichert sind.
Durch die Nebelkerze ‚Lohnuntergrenze’ ist es der Bundesregierung vorerst gelungen, den Forderungen die Schärfe zu nehmen. Gerade Menschen, die im Niedriglohnbereich beschäftigt sind, sind oftmals nicht gewerkschaftlich organisiert. Dabei wäre ein hoher Organisationsgrad ein adäquates Mittel, die gerechtfertigten Forderungen nach Mindestlöhnen durchzusetzen. Das Organizing durch die Gewerkschaften ist ein Schritt in diese Richtung. Breite Bündnisse aus Gewerkschaften und anderen außerparlamentarischen Organisationen sind notwendig, um die Situation spürbar zu verändern. Vor allem, weil die Leiharbeit zunehmend ausgeweitet und mit dem Instrument der Werkverträge ein weiteres Mittel gefunden wurde, um die Menschen so schlecht wie möglich zu bezahlen und ihre Arbeitsplätze zu befristen und unsicher zu halten.

Eurokrise: 1989: Wir sind das Volk , 2012: Wir sind Europa?

Von der Krise des Sowjetkommunismus zur Krise des neoliberalen Kapitalismus
"Wir sind das Volk" – mit dieser Parole trieben die ostdeutschen Montagsdemonstranten im Herbst 1989 eine völlig verknöcherte Staats- und Parteiführung zur Aufgabe. Die Hoffnungen der Demonstranten auf eine demokratische Erneuerung der DDR erfüllten sich allerdings nicht. Schon im Frühjahr 1990 hieß es "Wir sind ein Volk"; im Sommer folgte die deutsch-deutsche Währungsunion und im Herbst der Beitritt zur Bundesrepublik. Nach deutscher Einheit und dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus in Osteuropa waren die Weichen für Privateigentum und Profit, Europäische Währungsunion und EU-Osterweiterung gestellt. Zwanzig Jahre später legt eine von den USA ausgehende Weltwirtschaftskrise die massiven Ungleichgewichte offen, die sich in der Zwischenzeit innerhalb der EU aufgestaut haben. Konfrontiert mit Schuldenkrisen in Ost- und Südeuropa schalten die Regierungen von Gläubigerstaaten wie Deutschland auf stur. Im Verein mit EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, der sogenannten Troika, schreiben sie den Kurs auf Haushaltssanierung und Exportsteigerungen um jeden Preis fest, obwohl diese Politik zu Ungleichgewichten und Krise in Europa beigetragen hat. Konfrontiert mit der Wirtschaftskrise zeigen sie sich ebenso reformunwillig wie die SED-Führung im Angesicht der politischen Krise der DDR. Daran wird sich solange nichts ändern, bis Proteste und Streiks, die in einzelnen Ländern gegen die Diktatur der Finanzmärkte organisiert werden, in eine grenzüberschreitende Bewegung für Demokratie und soziale Gerechtigkeit übergehen. Parole? "Wir sind Europa."

Sowjetkommunismus in der Krise
Mit Gorbatschows Glasnost und Perestroika fing alles an. Mit seinen Reformen von oben versuchte der damalige Kommunistenchef die soziale und ökonomische Stagnation der Sowjetunion zu überwinden. Diese Bemühungen blieben jedoch in den Mühlen der Sowjetbürokratie stecken, verstärkten aber Passivität und Zynismus unter den real existierenden Arbeitern und Bauern. Mit jedem Aufruf zur Beteiligung an der demokratischen Erneuerung des Sowjetkommunismus wurde ihnen der Widerspruch zwischen sozialistischem Anspruch und bürokratischer Bevormundung aufs Neue unter die Nase gerieben. Unerwartete Folgen hatten diese Aufrufe in der DDR. Die SED-Führung sah in inneren Reformen vor allem eine Aufweichung der Frontlinie des Kalten Krieges. Diese Einschätzung wurde durch Gorbatschows Reden von einem Gemeinsamen Haus Europa noch bestärkt. Nicht zu unrecht fürchteten die SED-Führer, die Sowjets könnten sich aus der DDR verabschieden und damit die Herrschaft der SED zur Disposition stellen. Folgerichtig und entgegen ihrer bisherigen Gewohnheit sich sowjetischer als die Sowjets zu gebären, wendete sich die SED-Spitze gegen Glasnost und Perestroika. Die Zwietracht unter den Parteiführern in Moskau und Ostberlin öffnete einen Raum, den die Leipziger Montagsdemonstranten mit ihren Forderungen nach Reformen von unten ausfüllten. Allerdings entglitt ihnen die Initiative, als Helmut Kohl seine übliche und locker an Ostberliner Standards heranreichende Behäbigkeit aufgab, und die Forderung nach demokratischer Reform der DDR mit dem Vorschlag einer deutsch-deutschen Währungsreform und anschließender politischer Einheit konterte. Ein unwiderstehliches Angebot für ostdeutsche Bürger, die sich vom kapitalistischen Wohlstand ausgeschlossen fühlten und an einen demokratischen Umbau der DDR nicht glauben konnten. Dass dieser Wohlstand nur für wenige gesichert, für viele prekär und andere unerreichbar ist, konnten sie nicht wissen. Davon war im Westfernsehen nicht die Rede und die Warnungen der SED vor den Gefahren des Kapitalismus verhallten ungehört. Wer über den Sozialismus lügt, dem glaubt man auch in Sachen Kapitalismus nicht.

Kapitalistische Landnahme und Europäische Integration
In den Wendejahren 1989/90 sahen nicht nur Leipziger Montagsdemonstranten, sondern große Bevölkerungsmehrheiten überall in Mittel- und Osteuropa dem Einzug von Privatwirtschaft und Parteienwettstreit zuversichtlich entgegen. Der von Gorbatschow ausgeschriebene Bau eines Gemeinsamen Hauses Europa wurde von den westlichen Architekten des Kapitalismus entschlossen in Angriff genommen und von Wendehälsen der untergehenden Staats- und Parteiapparate in Osteuropa unterstützt. Mit der 1992 beschlossenen und 2002 mit der Ausgabe von Euro-Münzen und –Scheinen vollzogenen Währungsunion und der 1993 in Angriff genommenen Osterweiterung der EU ging ein tiefgreifender Umbau des kapitalistischen Produktionsapparates einher. Die Kombinate des untergegangenen Staatssozialismus wurden weitgehend dichtgemacht. Die rapide Deindustrialisierung Osteuropas schuf eine industrielle Reservearmee, aus der westliche Konzerne billige, aber dennoch gut ausgebildete Arbeitskräfte für ihre grenzüberschreitenden Produktionsnetzwerke rekrutieren konnten. Mit der Eingliederung osteuropäischer Standorte in diese Netzwerke gingen erhebliche Produktivitätssteigerungen einher, deren Früchte freilich in den Kassen westlicher Konzerne statt auf den Lohnzetteln osteuropäischer Arbeiter landeten. Eine von billiger Arbeitskraft und Exporten angestoßene Prosperität, wie sie Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat, blieb in Osteuropa nach dem Kalten Krieg aus. Im Gegenteil: Der Zufluss westlichen Kapitals erlaubte den gerade entstehenden Mittel- und Oberklassen im Osten den Anschluss an die Konsumstandards ihrer Klassengenossen im Westen, trieb die Kapital- und Leistungsbilanzen dieser Länder aber tief in die roten Zahlen. Damit bildete sich im Osten eine Peripherie heraus, in der Durchschnittseinkommen und –produktivität noch hinter den entsprechenden Werten in den altkapitalistischen Peripherien im Süden Europas hinterherhinkten. Die verlängerten Werkbänke, die westliche Konzerne in Osteuropa hier und da errichtet hatten, wurden nicht zum Ausgangspunkt allgemeinen Wohlstands, sondern verfestigten die Einkommensunterschiede zwischen Ost und West sowie die wirtschaftliche Abhängigkeit des Ostens vom Westen.

Für die Mehrheit der Osteuropäer blieb der Traum vom kapitalistischen Wohlstand unerfüllt und selbst in den exportstarken Gläubigerstaaten Europas, allen voran Deutschland, war er für immer mehr Menschen ausgeträumt. Für die Arbeiterklasse im kapitalistischen Haus Europa signalisierte das Ende des Kalten Krieges zugleich den Beginn zunehmender Konkurrenz um Arbeitsplätze, Lohndrückerei und soziale Unsicherheit. Die EU trieb diese Entwertung der Ware Arbeitskraft massiv voran. Um sich für die Währungsunion zu qualifizieren, mussten Regierungen der EU-Mitglieder Sozialversicherungen und öffentliche Dienstleistungen kürzen. Sozial- und Umweltstandards in den Mitgliedsländern wurden im europäischen Binnenmarkt als Behinderung des freien Kapital- und Warenverkehrs denunziert und entsprechend abgebaut.

Krise des Euro-Kapitalismus
Laut neoliberaler Theorie führen Haushaltssanierung, Privatisierung und Freihandel zu jener Prosperität, die sich so viele Menschen in Osteuropa vom Übergang zur kapitalistischen Produktionsweise erhofft hatten. Die Umsetzung dieser Theorie in die Praxis hatte andere Folgen: Während die Ungleichheit innerhalb und zwischen den Ländern Europas massiv zunahm, wurde die EU immer mehr zwischen Gläubiger- und Schuldnerstaaten gespalten. Darüber hinaus führte der anhaltende Druck auf die Löhne dazu, dass mehr und mehr Haushalte zur Finanzierung ihrer Konsumausgaben auf Kredite zurückgreifen mussten. Gleichzeitig flossen die in immer weniger Händen konzentrierten Geldvermögen in Ermangelung anderer profitabler Verwendungsmöglichkeiten zunehmend in Finanzanlagen. Rasant steigende Wertpapierkurse täuschten eine Zeitlang darüber hinweg, dass die Konjunktur immer mehr von schuldenfinanzierten Ausgaben abhängig wurde. Dabei taten sich private Kreditnehmer sehr viel mehr hervor als die öffentlichen Haushalte, deren Schuldenaufnahme und Ausgabenspielräume durch die Regelungen der Währungsunion beschränkt waren. Erst nach dem Platzen der Finanzblase und der davon ausgelösten Weltwirtschaftskrise 2008/9 explodierten auch die öffentlichen Schulden. Um die weltwirtschaftliche Kernschmelze zu verhindern, wurden die bis dahin geltenden Schuldenobergrenzen kurzfristig außer Kraft gesetzt und astronomische Summen in Ausgabenprogramme zur Stabilisierung der Konjunktur und die Rettung bankrotter Finanzunternehmen gesteckt.

Die Sicherung privater Geldvermögen durch öffentliche Gelder gab den kurzfristig völlig verunsicherten Vermögensbesitzern ihr Selbstvertrauen zurück. Aggressiver als je zuvor predigen sie nun wieder die Notwendigkeit ausgeglichener Haushalte. Um die hierfür notwendigen Gelder zu beschaffen, schlagen sie eine neue Runde der Privatisierung von Krankenhäusern, Verkehrsbetrieben und anderen öffentlichen Betrieben vor. Als gewiefte Investoren wissen sie, dass ein steigendes Angebot solcher Betriebe auf den Preis drückt, sie also für wenig Geld ansehnliche Investitionsobjekte erstehen können. Frühere Zyklen von Haushaltssanierung und Privatisierung haben hinlänglich gezeigt, dass die Wohlstandsversprechen,mit denen Investmentbanker nun wieder Börsengänge vorbereiten, von der Wirklichkeit soweit entfernt sind wie die Verkündigung sozialistischen Wohlstands in den mittlerweile vergilbten Lehrbüchern des Marxismus-Leninismus von den Mühen der alltäglichen Planerfüllung. Während die real existierenden Arbeiter und Bauern Osteuropas aber als Sozialismus ansahen, was ihre Parteioberen als Sozialismus ausgaben, ist im kapitalistischen Haus Europa nur selten von Kapitalismus die Rede. Im Gegenteil: das politische Dickicht der EU spricht den Idealen freien Unternehmertums und demokratischen Regierens Hohn und wird immer wieder als Grund öffentlichen Schlendrians, unbefriedigenden Wirtschaftswachstums und politischer Apathie ausgegeben. Zwei Jahrzehnte kapitalistischer Expansion im Namen Europas haben der Sehnsucht nach nationalstaatlichem Schutz vor den Zumutungen von Binnenmarkt und Währungsunion mächtig Vorschub geleistet. Dies zeigt der Zuspruch, den anti-europäische Parteien auf der politischen Rechten in verschiedenen Ländern der EU in jüngster Zeit erfahren haben. Doch es mache sich niemand etwas vor: Die EU ist lediglich ein Instrument, mit dem die Reichen und Mächtigen der Mitgliedsstaaten ihre Interessen verfolgen. Die deutsche Regierung mag sich als Zahlmeister Europas bemitleiden; die deutsche Exportwirtschaft jedoch ist heilfroh, dass der Binnenmarkt ihre Absatzchancen erweitert hat. Die politische Klasse in Griechenland mag über das Spardiktat der Troika schimpfen; die oberen Zehntausend des Landes jedoch sehen der Verscherbelung öffentlichen Eigentums rund um die Akropolis mit ebenso profitlüsternen Augen entgegen wie ihre Klassengenossen aus anderen Ländern. Und mag ein anti-europäischer Ton im britischen Establishment auch zum guten Ton gehören; dem Reichtum, der den ArbeiterInnen Europas aus den Rippen geleiert wurde, öffnet die Finanzmetropole London doch stets die Konten. Die Frontstellung ist daher nicht EU-Diktat gegen Souveränität der Mitgliedsstaaten, sondern Finanzmärkte und Konzerne gegen Arbeiter, Rentner, Schüler und Studenten und alle anderen, die kein dickes Bankkonto haben.

Die Versuche, den verknöcherten Staatssozialismus Osteuropas demokratisch zu erneuern und ökonomisch auf Vordermann zu bringen, sind vor gut zwei Jahrzehnten gescheitert. Die Ruinen von Parteibürokratie und staatlicher Wirtschaftsplanung haben westlichen Investoren ein Anlagefeld geschaffen, an dessen Bestellung diese selbst kaum noch geglaubt hatten. Seit Ausbruch der Euro-Krise wirken die Parolen von freier Marktwirtschaft allerdings ebenso abgedroschen wie die Loblieder auf den Fünfjahrplan in vergangenen Tagen. Die EU und der von ihr politisch regulierte Kapitalismus sind heute ebenso reformbedürftig wie der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe gegen Ende der 1980er Jahre. Wenn sie sich ebenfalls als unreformierbar herausstellen, ist es Zeit für einen Systemwechsel. Dann ist es Zeit, sich an den Sozialismus mit menschlichem Antlitz zu erinnern, für den so viele Tschechen im Prager Frühling gekämpft haben. Der Protest, der 1968 von Panzern der sozialistischen Bruderstaaten erstickt wurde, 1989 zu spät kam, um diesen Sozialismus von oben noch zu reformieren, kann zur Inspiration für eine Erneuerung des Sozialismus in Europa werden.

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