Notizbuch
der Kirchenbaumeister von St. Jacobi aus dem 15. Jahrhundert
PM Universität
29.10.13/ (gekürzt)
Wissenschaftler der Universität Göttingen dokumentieren das Kopial- und
Rechnungsbuch des Turmbaus aus dem 15. Jahrhundert, eine einzigartige
Quelle der norddeutschen Kirchen- und Architekturgeschichte. Gleichzeitig
enthält es den ersten Beleg für die Existenz einer jüdischen Gemeinde
in Göttingen. Die ältesten Eintragungen im Buch stammen aus dem Jahr 1418
und beziehen sich auf den geplanten Turmbau. Es handelt sich dabei um
Rentenbriefe und Verfügungen zugunsten des Bauprojekts aus dem Zeitraum
von 1416 bis 1536. Diese Aufzeichnungen wurden nach 1460 zum heutigen
Kodex zusammengebunden und erst dadurch systematisiert – ein durchaus
typisches Vorgehen für ein solches Langzeitprojekt in der damaligen Zeit.
Erst der enorme organisatorische und finanzielle Aufwand, den der Turmbau
für die auf sich allein gestellte Gemeinde bedeutete, führte zur Notwendigkeit,
die rechtlichen und finanziellen Grundlagen – Baumeistervertrag, Rechnungen,
Stiftungen und Testamente – auch schriftlich niederzulegen.
Weitere Aufzeichnungen dokumentieren beispielsweise die Einstellung eines
Organisten, die Anschaffung von Messgeräten und Messgewändern oder die
Anfertigung eines Uhrwerks. Den größten Umfang haben die für Göttingen
einzigartigen Rechnungen über den Turmbau. Angefangen vom Einstellungsvertrag
des leitenden Baumeisters Hans Rutenstein über die Einrichtung der Bauhütte
bis zur Beschaffung der Baumaterialien ergeben sich tiefe Einblicke in
die Organisation und den Verlauf des Turmbaus sowie über die damaligen
Löhne und Preise. Zwischen 1426 und 1432 ist der Baufortschritt besonders
gut dokumentiert. Das Buch enthält auch einen Bericht über die Zerstörung
des Kirchturms durch Blitzschlag im Jahr 1556. Darüber hinaus finden sich
dort Informationen über Immobiliengeschäfte der Gemeinde, die eine Kartierung
der ihr übertragenen Häuser und Grundstücke erlauben.
Als die verschiedenen Lagen in der heutigen Anordnung des Kopialbuches
zusammengebunden wurden, zog man zur Verstärkung zwei Pergamentstreifen
von je zwölf mal zwölf Zentimeter aus einer hebräischen Bibel in den Rücken
der Handschrift ein. Bei diesen Pergamentstreifen handelt es sich um die
einzigen originalen Relikte aus dem Besitz der spätmittelalterlichen jüdischen
Gemeinde Göttingens. Die Streifen wurden inzwischen abgelöst und werden
derzeit separat im Stadtarchiv aufbewahrt.
Die Synagoge der jüdischen Gemeinde lag im Bereich Jüdenstraße/Speckstraße,
also ebenfalls am Rande des „Herrschaftsviertels“ und damit direkt unter
dem Schutz des Stadt- und Landesherrn. Im Jahr 1370 ging die Schutzhoheit
über die Juden an den Rat der Stadt über. Dieser verfolgte eine restriktive
Aufnahmepolitik: Die zeitlich befristeten Aufenthaltsgenehmigungen wurden
ausnahmslos nicht verlängert, und so endete die Geschichte der Göttinger
Judengemeinde im Jahr 1460. Offenbar mussten die letzten jüdischen Familien
einen Teil des Synagogeninventars zurücklassen. Reste hiervon wurden für
das Binden des Kopialbuches verwendet.

Foto (Ausschnitt): Universität Göttingen
Prof. Dr. Arnd Reitemeier
Georg-August-Universität Göttingen Philosophische Fakultät – Institut
für Historische Landesforschung Heinrich-Düker-Weg, 37073 Göttingen
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