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Phywe
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Die Firma Phywe stellt Lehrmittel (Geräte für Physik,
Geographie, Chemieunterricht usw.) und Schulmöbel her. Am 31. Dezember 2000 soll der
Bereich Unterrichtsmöbel dicht gemacht werden. Ein großer Teil der mehr als 250
Beschäftigte in der Betriebsstätte Robert-Bosch-Breite Nr. 10 sind von Arbeitslosigkeit
und damit erheblichen Einkommensverlusten bedroht. Allgemein befürchtet man, das bald
alle Arbeitsplätze der Betriebsstätte abgeschafft werden. (Bild unten: Ein Teil der
Firmengebäude in der Robert-Bosch-Breite 10)
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Eingangstor der Firma Phywe |
Bei einem Streitgespräch in einer Kneipe konnte man die
Empörung eines Betroffenen beobachten, der nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit nun den
Verlust des Arbeitsplatzes erwartet. Er sprach ironisch von der Perspektive im
Alkoholismus, steigerte sich solange in seiner Wut, bis ihm seine Stammtischkollegen
sagten, er solle sie mit seinen Problemen in Ruhe lassen, woraufhin er völlig austickte.
Am Freitag den 20. Okt. fand eine zaghafte
Protestveranstaltung der Belegschaft statt. Nur wenig mehr als 100 Beschäftigte
versammelten sich mit dem Betriebsratsvorsitzenden Arnold und den Vertretern der IGMetall
zum Protest vor dem Eingangstor der Firma. Man fragt sich warum hier nicht die ganze
Belegschaft auf die Straße ging - wahrscheinlich, weil einige immer noch denken, wenn sie
ruhig blieben würde es sie schon nicht treffen. Und die Protestierenden werden in der
sozial sterilen Umgebung des Gewerbegebietes Robert-Bosch-Breite kaum von anderen Menschen
gesehen. Dabei wäre ein Protestzug vor die Sparkasse der man Veräumnisse vorwirft, vor
die Wohnung der Inhaberfamilie Lucas-Nülle oder des Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. Peter
Dolff angebracht.
(Dezember
2000) PHYWE Das tiefe Tal der Tränen
Aus Göttinger Betriebsexpress Dezember 2000
Der Name Phywe ist in Göttingen seit vielen Jahren ein Begriff. Die "Physikalischen
Werkstätten"waren einer der ganz großen Industriebetriebe in Göttingen Doch
spätestens seit Ende der siebzger Jahre ist die Firma immer wieder mit unangenehmen
Nachrichten in die Schlagzeilen geraten Jetzt müssen wieder viele Beschäftigte um ihren
Arbeitsplatz bangen. Und Besserung ist kaum in Sicht.
Wenn man in diesen Tagen mit Phywe-Kolleglnnen spricht, so hört man immer wieder mit
Wehmut in der Stimme von den Tagen, als die Phywe Anfang der 70er Jahre ca. 1.300
Beschäftigte hatte. Diese Zeiten sind längst vorbei - wie in vielen Betrieben
der Metallbranche hat die Phywe mächtig Federn lassen müssen. Aber von den Göttinger
Großbetrieben sind die KollegInnen bei Phywe vielleicht am ärgsten getroffen worden. Der
lange Absturz begann Mitte der 70er, als es den Geschäftsführern der damaligen Phywe
Aktiengesellschaft gelang, in nur 3 Jahren die Reserven von 25 Millionen DM zu
,,versenken". Nach dieser radikalen Kapitalvernichtung blieb nur noch der Gang zum
Konkursrichter. Die Pleite war perfekt und der Untergang des gesamten Unternehmens schien
ausge-machte Sache zu sein.
Der Konkurs hatte aber auch positive Wirkungen: mit dem Konkursverwalter Gustavson kam ein
Manager in die Firma, der den Beschäftigten genug Zeit und Ruhe ließ, die (Rest-)Firma
wieder aus dem Sumpf zu ziehen.
Ohrfeige für's Management
Als wenn es nicht schon peinlich genug war für das Management, dass es einen Großbetrieb
innerhalb von nur 3 Jahren so gründlich vor die Wand gefahren hat. Die richtige Ohrfeige
ver-passte dem Management der Konkursverwalter: er war nämlich der Meinung, dass die
Probleme der Phywe im wesentlichen auf Fehler des Managements zurückgingen und sich ein
Weiterführen des Unternehmens lohnt. So verschwand der traditionsreiche Name für
naturwissenschaftliche Lehrmittel und Schulmöbel eben doch nicht von der Bildfläche und
die neugegründete Phywe GmbH hatte 1989 noch 350 Menschen in Lohn und Brot. Mit seiner
eigenen Schulmöbelfertigung, einer elektronischen und mechanischen Entwicklungs- und
Könstruktionsabteilung konnte sie weiterhin ihre Position im In-und Ausland halten. Der
Exportanteil beträgt immerhin 60%. In wirklich ruhiges Fahrwasser aber ist diese GmbH nie
wieder geraten: Seit Gründung der GmbH müssen die Kolleginnen jetzt den vierten
Sozialplan erleben.
Mit dem damaligen Käufer der Phywe, dem Hauptgesellschafter Lucas-Nülle, scheint die
Unruhe ständiger Gast zu sein. Die Phywe bewegt sich - wie man in Wirtschaftskreisen sagt
- in einem ungünstigen Umfeld. Der Markt für Physik-, Chemie- und Biologie-Lehrmittel
ist ziemlich gesättigt und aufgeteilt. Da in den letzten zwanzig Jahren fast allen
Politikern zum Thema Bildung immer nur ,,sparen" einfiel, ist es kaum möglich
gewesen, in diesem Sektor zusätzlichen Umsatz hinzuzugewinnen. Der Eigner Lucas-Nülle
reagierte mit hektischen Aktivitäten, die nach Ansicht der Beschäftigten nicht immer von
Erfolg gekrönt waren. Er, bzw. seine Geschäftsführer, ließ ganze Trupps von Beratern
durch die Firma trapsen, die mehr oder minder gute Ratschläge hatten. Eine ständige Re-
und Umstrukturierung war das Ergebnis. Da wurden Abteilungen auseinandergerissen und
später wieder zusammengelegt. Immer wieder wurden Bereiche ausgelagert und fortan die
Halbfertigteile von externen Firmen, z.B. in Tschechien gekauft. Die Kolleginnen mussten
gehen -dem Unternehmen hat es aber nicht unbedingt etwas gebracht. Die Wickelei wurde z.B.
komplett ,ausgelagert', d.h. die Arbeit wurde von externen Firmen gemacht - zum Schaden
der Göttinger Kolleginnen. Da die externen Firmen aber zu teuer oder qualitativ nicht
akzeptabel waren, wurde wieder eine eigene Wickelei aufgebaut, die z.Zt. in 2-Schicht
arbeitet, weil so viel zu tun ist.
Auch an der Firmenspitze sorgte der Kapitaleigner für reichlich ,Bewegung'. Innerhalb von
10 Jahren hat Lucas-NüIle immerhin 8 Geschäftsführer verschlissen. Bei der
Geschwindigkeit konn-ten die Geschäftsführer ja kaum so lange bleiben bis endlich ihre
Visitenkarten fertig waren.Ergebnis dieser Wirren ist, dass inzwischen nur noch 260
KollegInnen einen Job bei Phywe haben.
Konkurrenz belebt das Geschäft...?
Auf dem Gebiet der Schulmöbel hat der Geschäftsführer Moser vor über zwei Jahren einen
gnadenlosen Preiskampf mit der Konkurrenz geführt, um die Konkurrenten auf dem Markt in
die Knie zu zwingen. Die Konkurrenzfirma WRT musste aufgeben und wurde von dem
holländischen Konzern Gramex gekauft. Andere Konkurrenten waren ebenfalls fast am Ende.
Kurz bevor Phywe den Labormöbelmarkt in Deutschland fast vollständig im Griff hatte,
wurde Herr Moser entlassen. Nun stand Phywe mit den Verlusten aus dem Möbelgeschäft zu
Niedrigpreisen da und die Konkurrenz konnte sich erholen. Spätfolge dieses Kampfes:
Betriebsrat und Belegschaft wurden am 3. August vom Verkauf der Möbel-Sparte unterrichtet
- an den holländischen Gramex-Konzern, der als lachender Dritter jetzt der Nutznießer
des Preiskampfes ist. Die schlimmste Nachricht für die Beschäftigteb wurde gleich noch
mitgeliefert: die Göttinger Mobiliar-Fertigung sollte geschlossen und nach Stadtlohn
verlagert werden. Der Betriebsrat war vorher nicht unterrichtet worden - von
ver-trauensvoller Zusammenarbeit keine Spur. Alles ging so holter-dipolter, dass ein
Auszubildender, der am 1. August angefangen hatte, am 3. August gleich erfahren hat, dass
er bald nicht mehr gebraucht wird.
Zum Glück hat die Belegschaft die Schließungspläne, die g8 von 260 Beschäftigten den
Job kosten sollten, nicht kampflos hingenommen. Am 20. Oktober 2000 gingen sie für ihre
Arbeitsplätze auf die Straße und fanden letztlich auch Gehör. Mit Hilfe von
Landesbürgschaften soll nun eine Firma ,Phywe Mobiliar' am 1.1.200t an den Start gehen,
die die Labor- und Schulmöbel weiterhin in Göttingen fertigt. Damit konnten immerhin
knapp 5g Arbeitsplätze gerettet werden. Und auch für die Lehrmittelsparte der Phywe ist
es sicherlich von Vorteil, dass sie weiterhin Möbel anbieten kann, denn ,,wir bieten die
Schränke an und stellen sie den Schulen dann auch gleich voll" ist immer ein
erfolgreiches Vertriebskonzept gewesen.
Niedergang auf Raten
Trotzdem wird es wohl ein ,,Aus" für die KollegInnen aus dem Holz-Zuschnitt geben,
weil dieser in jedem fall beim Gramex-Konzern stattfinden wird. Ebenfalls ausgelagert
werdön soll die Blechvorfertigung. Allerdings weiß weder Geschäftsführer Dr. Schülke
noch der Kapitaleigner Lucas-NülIe, wo die benötigten Blechteile billiger gefertigt
werden könnten. Es ist nicht einmal ausgemacht, dass sich überhaupt Betriebe finden, die
Blechteile in der notwendigen Qualität bei den kleinen Serien fertig9n. Bei Phywe werden
schließlich keine Autos hergestellt, sondern Versuchs- und Demonstrationsgeräte, die nun
mal in sehr kleinen Stückzahlen laufen. Wenn externe Firmen dann darauf bestehen, dass
die Phywe z.B. einen ganzen Jahresbedarf kaufen muss, damit sich das überhaupt lohnt, ist
der Kosten-vorteil schon wieder aufgefressen. Das wäre eine weitere sinn-lose Verlagerung
in der Art, wie die Phywe-Kolleglnnen sie schon mehrfach erlebt haben.
Es bleibt also immer noch Hoffnung für einen Teil der KollegIn-nen, die auf der
Abschussuste stehen, aber selbst im besten Fall werden wohl mindestens 25 KollegInnen
gehen müssen. Da die Eierei aber immer weiter geht, ist die Stimmung unter der
Belegschaft schlecht. Kein Wunder, wenn man ständig damit rechnen muss zu denjenigen zu
gehören,die gehen müssen. Und die Rest-Phywe wird Anfang 2001 mit nur noch 160
Beschäftigen dastehen - nur noch einem Achtel der Belegschaft verglichen mit ihren
Glanzzeiten. Wir können nur für alle Phywe-Werker hoffen, dass dies nicht eine weitere
Stufe auf dem Weg in den Niedergang ist. Allzu oft waren Landesbürgschaften nur ein
allerletzter Strohhalm für Firmen, die letztlich doch dem Untergang geweiht waren. Aber
die Kolleginnen bei Phywe leisten gute Arbeit. Es stände Herrn Lucas-NülIe gut an, auch
die Geschäftsführer einmal gute Arbeit machen zu lassen und sie nicht immer wieder
rauszuschmeißen, bevor sie sich einarbeiten können. Dann kann es vielleicht doch einmal
etwas ruhiger werden bei Phywe.
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