goettinger stadtinfo 
 Texte und Bilder © Impressum

Literarisches Zentrum:
Dominik Graf / Benedict Neuenfels
Sa. 20.11.04 20 Uhr "My first Sony – oder digitale Filmbefreiung"

> Literarisches Zentrum - Übersichtsseite

felsen_graf.JPG (14982 Byte)     felsen_neuenfels.JPG (9632 Byte)
Bild links Dominik Graf, rechts  Benedict Neuenfels am 20.11.04 im Literarischen Zentrum

felsen_podium.JPG (25011 Byte)
Von links nach rechts: Hauke Hückstädt (Literarisches Zentrum), Dominik Graf (Regisseur, München), Mathias Mertens (Medienwissenschafteler, Giessen) Benedict Neuenfels (Bildgestalter, Träger des Deutschen Kamerapreises) beim Anschauen einer Sequenz aus ihrem Film "Der Felsen" - dem Thema das Abends.

"Alles war flexibel - Alles flirrte"

Aufbrechen von Sehgewohnheiten
Diesmal war ein Film Gegenstand der Diskussion, der bisherige Sehgewohnheiten mit ungewohnten neuen Darstellungsformen konfrontiert. Berufskollegen von Kameramann bzw. "Bildgestalter"  Benedict Neuenfels warfen ihm wegen dieser neuen Herangehensweise "Verrat an den Bildern" vor und die Präsentation des Filmes auf der Berlinale wurde von heftigen Diskussionen, massivem Unverständnis und Türenknallen begleitet.
Was die Traditionalisten als "Verrat an den Bildern" bezeichneten war für den Münchner Regisseur Dominik Graf der einzige Ausweg, um bei einer Überfülle von Bildern in unserem Leben noch Intensität zu erzeugen. Graf meinte man müsse zum Optischen eine neue Beziehung finden, fast alle Bilder gäbe es schon: "du machst eine Tür auf und siehst, ach dasswar ich schon." Der Kinofilm "Der Felsen" war dassein Ausweg für Dominik Graf.
Wenn man den Film unbefangen das erste Mal sieht, wundert man sich über  merkwürdige Bilder und Bildwechsel, wird durch Unschärfen überrascht, mit sehr dunklen Bildern konfrontiert. Aber dann - vielleicht erst beim zweiten Mal stellt man fest, dass der Film eine ungewohnt hohe Intensität ausstrahlt.

felsen00.jpg (4704 Byte)

felsen01.jpg (5470 Byte)

felsen02.jpg (4536 Byte)

felsen03.JPG (4862 Byte)

Benedict Neuenfels: die Unschärfe beim Liebesakt war gewollt. Es wird eine Person gefilmt, die sich in Auflösung befindet, voller Unklarheiten. Der Auflösung des Menschen entsprach die Auflösung des Bildes.

Wo liegt im elektronischen Bild noch ein anderes Bild, das wir noch nicht kennen, kommt es vielleicht im Zwischenstadium der Unschärfe zum Vorschein?

Dominik Graf verglich dies mit der Katastrophe von Pompei, was wäre passiert, wenn das so gefilmte Paar beim Liebe machen von einem Vulkanausbruch überrascht worden wäre und zu Staub zerfallen wäre ...zu Asche, zu Nichts .. die Auflösung - Es war die letzte Nacht der beiden, das Ende, der Zerfall.

 

 

 

 

(Die Verwendnung der Bilder - von Bildschirm abfotografiert -  erfolgen mit freundlicher Genehmigung von D. Graf und B. Neuenfels)

Dokumentierte Inszenierung - Intensität, Authentizität
Graf selbst meint, der Film habe dokumentarischen Charakter, sei eine Art dokumentierter Inszenierung. Dies sei durch den Einsatz einer kleinen digitalen Videokamera  entstanden. Die kleine Kamera erhöhe die Beweglichkeit und Schnelligkeit. Es muß keine Beleuchtung aufgebaut werden, die Kamera macht die Belichtung automatisch (außer vielleicht bei einigen Innenaufnahmen) Es war die totale Umstellung für das gesamte Team gegenüber der ursprünglich geplanten Produktion mit einer 35 mm Kamera. Deshalb konnte man praktisch dauernd filmen; den ganzen Tag bei jeder Gelegenheit und erhielt sehr viel Material, das dann im Schnitt für die Geschichte verwertet werden konnte.

felsen05.jpg (7353 Byte)

felsen06.jpg (6580 Byte)

felsen07.jpg (6658 Byte)

felsen08.jpg (4702 Byte)

DG beschrieb einen Bezug zum Film "Wenn die Gondeln Trauer tragen" und zwar die dortige Liebesszene die eine eindringliche Nähe erzeugt. Nacktheit wird ohne jegliche Pose gezeigt und schafft dadurch eine extreme Intimität, das wirkt wie ein verbotenes Bild. Graf sprach mehrfach davon, dass er etwas aus einem Halbdunkel mit der Kamera herausholen will und dadurch die Nähe und Intensität erzeugt.

 

Graf (DG) sprach vom Sprung zwischen der unglaublich extremen Nähe die durch die Videotechnik möglich wird einerseits und der totalen Distanz bei der man die Leute von außen und fern beobachtet, wie sie ihrem Schicksal folgen. Es wird klar, dass sie nicht individuell ihr Schicksal gestalten können sondern die Fäden werden woanders gezogen "Wir" außerhalb gestalten das. "Glaubt ja nicht, dass die das steuern könnten, das sind wir" wird den Zuschauern gesagt - so wie bei Brecht.

 

DG: Die Distanz zum Schauspieler ist falsch 

BN: "man atmet mit den Schauspielern"

Bei der Digitalkamera - so Graf - müsse man immer wachsam sein, immer drehen, denn wer weiß wofür man es vielleicht nochmal gebrauchen kann. So hat man immer was zu tun, es gibt immer etwas, was man in die Geschichte hätte einbauen können. Es kann alles, jedes in Relation stehen zu dem was man erzählen will. Durch das dauernde Aufnehmen war plötzlich eine "Leichtigkeit und Flüchtigkeit" dass, "alles war flexibel, alles flirrte".
Derjenige, der normalerweise die schwere 35 mm - Kamera fahrbar gemacht hatte, hatte nun nichts mehr zu tun, so bekam er Aufträge, dieses und jenes Bildmaterial durch Aufnahmen irgendwo zu besorgen. Bald kursierten 7-8 Kameras im Team. Mehrere MitarbeiterInnen standen z.B. wie Touristen dassund filmten ein Gewitter. Weil für eine der Szenen Gewitteraufnahmen gebraucht wurden, sammelten sie Bildmaterial.
Der dokumentarische Charakter des Materials alleine verschafft dem Zuschauer des Films schon das Gefühl einer authentischen Geschichte, so als sei dassein tatsächliches Urlaubserlebnis einer Touristin auf der Insel Korsika mit einer Videokamera festgehalten worden. Darüberhinaus ermöglicht die Verwendung einer Videokamera Bilder mit einer besonderen Intensität, die ein Gefühl der Nähe erzeugen, laut Graf "eine Nähe, die etwas Monströses hat."


Gesammelte restliche Notizen von der Veranstaltung am 20.11.04

Benedict Neuenfels (BN) auf die Frage was denn ein Bild "gut" mache: Das besondere was zählt ist die Überraschung , was ein Bild gut macht ist die Magie, vielleicht das Verhältnis im Licht, gelungene Proportionen etc.

DG: Die Entscheidung für DV war "wie ein Wirbelsturm" Neuenfels kam nachdem schon mal darüber geredet worden war irgendwann gut gelaunt und meinte, dann machen wir das jetzt.

DG: Film-Produktionsfirmen rechnen meist erst 2 Tage vor Filmbeginn genau durch ob sie sich den Film leisten können und plötzlich war einfach nicht genügend Geld dassund wir dachten: Jetzt müssen wir den Film aufgeben. Aber mit Video konnten so viele Kosten gegenüber einer 35mm Produktion eingespart werden. Allerdings um den traurigen Preis, dass eine Reihe von Team-Mitgliedern entlassen werden mußten.
BN: "wofür ich mich heute noch schäme". Der Stab wurde auf eine minimale Besetzung heruntergefahren.

DG: Die ersten Szenen des Filmes sind noch so wie mit einer 35mm Kamera gedreht worden, statisch. Das änderte sich bald. Es wurde dauernd gedreht was rundum passiert. Alles wurde mit einer Consumer-Kamera aus dem Kaufhaus gedreht.

Die Fülle des Materials kam u.a. auch durch "gefundene Bilder" zustande. Die Fallschirmjäger wurden z.B. bei der Motivsuche 3 Monate vor Drehbeginn gefilmt. Das gefundene Material kam erst im Schnitt zur Geltung. DG: Z.B. gab es auf der Insel auch ein riesiges Feuerwerk, das wir nachts eigentlich nur filmten um die Kamera mal auszuprobieren, zu sehen, was sie bei solchen Aufnahmen leistet.

DG: Der Felsen, das ist übrigens die Hauptfigur  - "und wir haben einen schönen Felsen gefunden." 

DG: Insgesamt wurde das Filmen eine Art dokumentarische Inszenierung, das Material ist nicht so wichtig - man hat einfach immer genug davon.

DG: Probleme mit der Kamera gab es zB bei der Fokusierung einer Person bei unklarem Hintergrund. Die Digital-Video-Kamera macht alles scharf - Vordergrund und Hintergrund. Es gibt keine Tiefenschärfe, das Bild wird flacher. Bei Citizin Kane ist zwar auch alles scharf aber man sieht gleichzeitig die Tiefe.

DG: Filmstudenten denken manchmal, dass wenn die Schauspieler irgenwas langweiliges machen, dann könnte man es durch den Film interessanter machen. Deshalb sollen sie nicht auf das Display, sondern auf den Set schauen, weil wenn dort was schlechtes läuft ist es im Film nicht besser.

DG zur Berlinale: Die Leinwand war so unglaublich groß , zu groß für den Film - deshalb kamen teilweise Pixel zum Vorschein. BN: Ich hab noch versucht so ein Passpartout zur Verkleinerung herzustellen.

BN: interessant auch Fotos mit der Videokamera bei weiterlaufendem Ton. BN zeigte einen Ausschnitt aus einer Materialsammlung bei der Bilder von Kühen in der Nacht aufgenommen werden sollten. Der Ton war der Originalton der Videokamera von Fahrer und Beifahrer - Material aus dem Nähkästchen, absolut authentisch, wo auch schon mal plötzlich "Au das war mein Zeh" zu hören war, oder "ich glaub dasskommen keine Kühe mehr".

 


Ankündigungstext des literarischen Zentrums lautete:

Sa. 20.11.04 20:00 h
My first Sony – oder digitale Filmbefreiung
Dominik Graf (Regisseur, München) Benedict Neuenfels (Bildgestalter, Berlin) Nach den Dreharbeiten zu DER FELSEN habe Dominik Graf verstanden, was Regiekollege Lars von Trier damit meinte, dass die Dogma-Filmer abends immer fröhlich nach Hause kämen. – Sie haben dann nämlich alles! Keine Entwicklungsbad mehr. Der Film auf dem Chip, samt Ton und das auch ganz schön billig. Die digitale Videotechnik, die DV-Kamera aus dem Warenhaus eröffnet neue Erzählweisen. Der sonst träge Filmtross verwinzigt sich zu einem behänden Team. Passanten werden unbemerkt zu Komparsen. Man dreht fast dokumentarisch. Die Bilder haben eine scheinbare Unwertigkeit, nicht mehr diese Cinemascope-Bedeutsamkeit. Filter verfremden das Befremdende. Und die handgelenkleichte Kamera kann schweben als hätte sie Tai-Chi gelernt. – Graf hat mit Filmen wie TIGER LÖWE PANTHER, DIE KATZE oder auch TATORT: FRAU BU LACHT Standards gesetzt und Genres ausgeweitet. Als er mit dem Kamerakünstler Benedict Neuenfels (BUNTE HUNDE) vor der Wahl stand, den Kinofilm DER FELSEN aus Finanzierungsgründen entweder nicht oder digital zu drehen, entschieden sie sich erstmals für das Experiment mit der Sony-DV. Nach Tragikomödien (SPIELER), Gegenwartsthrillern (DIE SIEGER), Heimatgrotesken (DOKTOR KNOCK) und Essays (DAS WISPERN IM BERG DER DINGE) hat Graf sich zuletzt großen, eingedunkelten Frauenporträts (DEINE BESTEN JAHRE und KALTER FRÜHLING), mystischen Erzählungen (DIE FREUNDE DER FREUNDE) und Zuhälterstudien (HOTTE IM PARADIES) zugewandt. Oft digital, mehrfach mit dem mehrfachen Träger des Deutschen Kamerapreises Benedict Neuenfels. – Ein Abend mit Ausschnitten und Fragen von Mathias Mertens (Medienwissenschafteler, Giessen) und Hauke Hückstädt
Eintritt: E 7/5 Link: Domik Graf liest "Stille Tage in Clichy" von Henry Miller, 3-CD-Set, ROOFMusic

zum Anfang