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Zentrum: Dominik Graf / Benedict
Neuenfels Sa. 20.11.04 20 Uhr "My first Sony oder digitale Filmbefreiung" >
Literarisches Zentrum - Übersichtsseite Bild
links Dominik Graf, rechts Benedict Neuenfels am 20.11.04 im Literarischen
Zentrum Von
links nach rechts: Hauke Hückstädt (Literarisches Zentrum), Dominik Graf (Regisseur,
München), Mathias Mertens (Medienwissenschafteler, Giessen) Benedict Neuenfels
(Bildgestalter, Träger des Deutschen Kamerapreises) beim Anschauen einer Sequenz
aus ihrem Film "Der Felsen" - dem Thema das Abends.
"Alles
war flexibel - Alles flirrte" Aufbrechen
von Sehgewohnheiten Diesmal war ein Film Gegenstand der Diskussion,
der bisherige Sehgewohnheiten mit ungewohnten neuen Darstellungsformen konfrontiert.
Berufskollegen von Kameramann bzw. "Bildgestalter" Benedict Neuenfels
warfen ihm wegen dieser neuen Herangehensweise "Verrat an den Bildern"
vor und die Präsentation des Filmes auf der Berlinale wurde von heftigen Diskussionen,
massivem Unverständnis und Türenknallen begleitet. Was die Traditionalisten
als "Verrat an den Bildern" bezeichneten war für den Münchner Regisseur
Dominik Graf der einzige Ausweg, um bei einer Überfülle von Bildern in unserem
Leben noch Intensität zu erzeugen. Graf meinte man müsse zum Optischen eine neue
Beziehung finden, fast alle Bilder gäbe es schon: "du machst eine Tür auf
und siehst, ach dasswar ich schon." Der Kinofilm "Der Felsen" war
dassein Ausweg für Dominik Graf. Wenn man den Film unbefangen das erste Mal
sieht, wundert man sich über merkwürdige Bilder und Bildwechsel, wird durch
Unschärfen überrascht, mit sehr dunklen Bildern konfrontiert. Aber dann - vielleicht
erst beim zweiten Mal stellt man fest, dass der Film eine ungewohnt hohe Intensität
ausstrahlt.
| Benedict
Neuenfels: die Unschärfe beim Liebesakt war gewollt. Es wird eine Person gefilmt,
die sich in Auflösung befindet, voller Unklarheiten. Der Auflösung des Menschen
entsprach die Auflösung des Bildes. Wo liegt
im elektronischen Bild noch ein anderes Bild, das wir noch nicht kennen, kommt
es vielleicht im Zwischenstadium der Unschärfe zum Vorschein? Dominik
Graf verglich dies mit der Katastrophe von Pompei, was wäre passiert, wenn das
so gefilmte Paar beim Liebe machen von einem Vulkanausbruch überrascht worden
wäre und zu Staub zerfallen wäre ...zu Asche, zu Nichts .. die Auflösung - Es
war die letzte Nacht der beiden, das Ende, der Zerfall. (Die
Verwendnung der Bilder - von Bildschirm abfotografiert - erfolgen mit freundlicher
Genehmigung von D. Graf und B. Neuenfels) | Dokumentierte
Inszenierung - Intensität, Authentizität Graf selbst meint, der Film
habe dokumentarischen Charakter, sei eine Art dokumentierter Inszenierung.
Dies sei durch den Einsatz einer kleinen digitalen Videokamera entstanden.
Die kleine Kamera erhöhe die Beweglichkeit und Schnelligkeit. Es muß keine Beleuchtung
aufgebaut werden, die Kamera macht die Belichtung automatisch (außer vielleicht
bei einigen Innenaufnahmen) Es war die totale Umstellung für das gesamte Team
gegenüber der ursprünglich geplanten Produktion mit einer 35 mm Kamera. Deshalb
konnte man praktisch dauernd filmen; den ganzen Tag bei jeder Gelegenheit und
erhielt sehr viel Material, das dann im Schnitt für die Geschichte verwertet werden
konnte.
| DG
beschrieb einen Bezug zum Film "Wenn die Gondeln Trauer tragen" und
zwar die dortige Liebesszene die eine eindringliche Nähe erzeugt. Nacktheit
wird ohne jegliche Pose gezeigt und schafft dadurch eine extreme Intimität, das
wirkt wie ein verbotenes Bild. Graf sprach mehrfach davon, dass er etwas aus einem
Halbdunkel mit der Kamera herausholen will und dadurch die Nähe und Intensität
erzeugt. Graf
(DG) sprach vom Sprung zwischen der unglaublich extremen Nähe die durch die Videotechnik
möglich wird einerseits und der totalen Distanz bei der man die Leute von außen
und fern beobachtet, wie sie ihrem Schicksal folgen. Es wird klar, dass sie nicht
individuell ihr Schicksal gestalten können sondern die Fäden werden woanders gezogen
"Wir" außerhalb gestalten das. "Glaubt ja nicht, dass die das steuern
könnten, das sind wir" wird den Zuschauern gesagt - so wie bei Brecht. DG:
Die Distanz zum Schauspieler ist falsch BN:
"man atmet mit den Schauspielern" | Bei
der Digitalkamera - so Graf - müsse man immer wachsam sein, immer drehen, denn
wer weiß wofür man es vielleicht nochmal gebrauchen kann. So hat man immer was
zu tun, es gibt immer etwas, was man in die Geschichte hätte einbauen können.
Es kann alles, jedes in Relation stehen zu dem was man erzählen will. Durch das
dauernde Aufnehmen war plötzlich eine "Leichtigkeit und Flüchtigkeit"
dass, "alles war flexibel, alles flirrte". Derjenige, der normalerweise
die schwere 35 mm - Kamera fahrbar gemacht hatte, hatte nun nichts mehr zu tun,
so bekam er Aufträge, dieses und jenes Bildmaterial durch Aufnahmen irgendwo zu
besorgen. Bald kursierten 7-8 Kameras im Team. Mehrere MitarbeiterInnen standen
z.B. wie Touristen dassund filmten ein Gewitter. Weil für eine der Szenen Gewitteraufnahmen
gebraucht wurden, sammelten sie Bildmaterial. Der dokumentarische Charakter
des Materials alleine verschafft dem Zuschauer des Films schon das Gefühl einer
authentischen Geschichte, so als sei dassein tatsächliches Urlaubserlebnis einer
Touristin auf der Insel Korsika mit einer Videokamera festgehalten worden. Darüberhinaus
ermöglicht die Verwendung einer Videokamera Bilder mit einer besonderen Intensität,
die ein Gefühl der Nähe erzeugen, laut Graf "eine Nähe, die etwas Monströses
hat." Gesammelte restliche
Notizen von der Veranstaltung am 20.11.04 Benedict
Neuenfels (BN) auf die Frage was denn ein Bild "gut" mache: Das besondere
was zählt ist die Überraschung , was ein Bild gut macht ist die Magie, vielleicht
das Verhältnis im Licht, gelungene Proportionen etc. DG:
Die Entscheidung für DV war "wie ein Wirbelsturm" Neuenfels kam nachdem
schon mal darüber geredet worden war irgendwann gut gelaunt und meinte, dann machen
wir das jetzt. DG: Film-Produktionsfirmen
rechnen meist erst 2 Tage vor Filmbeginn genau durch ob sie sich den Film leisten
können und plötzlich war einfach nicht genügend Geld dassund wir dachten: Jetzt
müssen wir den Film aufgeben. Aber mit Video konnten so viele Kosten gegenüber
einer 35mm Produktion eingespart werden. Allerdings um den traurigen Preis, dass
eine Reihe von Team-Mitgliedern entlassen werden mußten. BN: "wofür
ich mich heute noch schäme". Der Stab wurde auf eine minimale Besetzung heruntergefahren. DG:
Die ersten Szenen des Filmes sind noch so wie mit einer 35mm Kamera gedreht worden,
statisch. Das änderte sich bald. Es wurde dauernd gedreht was rundum passiert.
Alles wurde mit einer Consumer-Kamera aus dem Kaufhaus gedreht. Die
Fülle des Materials kam u.a. auch durch "gefundene Bilder" zustande.
Die Fallschirmjäger wurden z.B. bei der Motivsuche 3 Monate vor Drehbeginn gefilmt.
Das gefundene Material kam erst im Schnitt zur Geltung. DG: Z.B. gab es auf der
Insel auch ein riesiges Feuerwerk, das wir nachts eigentlich nur filmten um die
Kamera mal auszuprobieren, zu sehen, was sie bei solchen Aufnahmen leistet. DG:
Der Felsen, das ist übrigens die Hauptfigur - "und wir haben einen
schönen Felsen gefunden." DG:
Insgesamt wurde das Filmen eine Art dokumentarische Inszenierung, das Material
ist nicht so wichtig - man hat einfach immer genug davon. DG:
Probleme mit der Kamera gab es zB bei der Fokusierung einer Person bei unklarem
Hintergrund. Die Digital-Video-Kamera macht alles scharf - Vordergrund und Hintergrund.
Es gibt keine Tiefenschärfe, das Bild wird flacher. Bei Citizin Kane ist zwar
auch alles scharf aber man sieht gleichzeitig die Tiefe. DG:
Filmstudenten denken manchmal, dass wenn die Schauspieler irgenwas langweiliges
machen, dann könnte man es durch den Film interessanter machen. Deshalb sollen
sie nicht auf das Display, sondern auf den Set schauen, weil wenn dort was schlechtes
läuft ist es im Film nicht besser. DG
zur Berlinale: Die Leinwand war so unglaublich groß , zu groß für den Film - deshalb
kamen teilweise Pixel zum Vorschein. BN: Ich hab noch versucht so ein Passpartout
zur Verkleinerung herzustellen. BN: interessant
auch Fotos mit der Videokamera bei weiterlaufendem Ton. BN zeigte einen Ausschnitt
aus einer Materialsammlung bei der Bilder von Kühen in der Nacht aufgenommen werden
sollten. Der Ton war der Originalton der Videokamera von Fahrer und Beifahrer
- Material aus dem Nähkästchen, absolut authentisch, wo auch schon mal plötzlich
"Au das war mein Zeh" zu hören war, oder "ich glaub dasskommen keine
Kühe mehr". Ankündigungstext
des literarischen Zentrums lautete: Sa.
20.11.04 20:00 h My first Sony oder digitale Filmbefreiung
Dominik Graf (Regisseur, München) Benedict Neuenfels (Bildgestalter,
Berlin) Nach den Dreharbeiten zu DER FELSEN habe Dominik Graf verstanden, was
Regiekollege Lars von Trier damit meinte, dass die Dogma-Filmer abends immer fröhlich
nach Hause kämen. Sie haben dann nämlich alles! Keine Entwicklungsbad mehr.
Der Film auf dem Chip, samt Ton und das auch ganz schön billig. Die digitale Videotechnik,
die DV-Kamera aus dem Warenhaus eröffnet neue Erzählweisen. Der sonst träge Filmtross
verwinzigt sich zu einem behänden Team. Passanten werden unbemerkt zu Komparsen.
Man dreht fast dokumentarisch. Die Bilder haben eine scheinbare Unwertigkeit,
nicht mehr diese Cinemascope-Bedeutsamkeit. Filter verfremden das Befremdende.
Und die handgelenkleichte Kamera kann schweben als hätte sie Tai-Chi gelernt.
Graf hat mit Filmen wie TIGER LÖWE PANTHER, DIE KATZE oder auch TATORT:
FRAU BU LACHT Standards gesetzt und Genres ausgeweitet. Als er mit dem Kamerakünstler
Benedict Neuenfels (BUNTE HUNDE) vor der Wahl stand, den Kinofilm DER FELSEN aus
Finanzierungsgründen entweder nicht oder digital zu drehen, entschieden sie sich
erstmals für das Experiment mit der Sony-DV. Nach Tragikomödien (SPIELER), Gegenwartsthrillern
(DIE SIEGER), Heimatgrotesken (DOKTOR KNOCK) und Essays (DAS WISPERN IM BERG DER
DINGE) hat Graf sich zuletzt großen, eingedunkelten Frauenporträts (DEINE BESTEN
JAHRE und KALTER FRÜHLING), mystischen Erzählungen (DIE FREUNDE DER FREUNDE) und
Zuhälterstudien (HOTTE IM PARADIES) zugewandt. Oft digital, mehrfach mit dem mehrfachen
Träger des Deutschen Kamerapreises Benedict Neuenfels. Ein Abend mit Ausschnitten
und Fragen von Mathias Mertens (Medienwissenschafteler, Giessen) und Hauke Hückstädt
Eintritt: E 7/5 Link: Domik Graf liest "Stille Tage in Clichy"
von Henry Miller, 3-CD-Set, ROOFMusic zum
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