Offener
Brief - Ein "Textilcenter" gefährdet die mittelalterliche Altstadt
in Göttingen, Nachinventarisation erforderlich! Wir
veröffentlichen auf dieser Seite ein Schreiben, das uns als "Offener
Brief" von einigen der Unterzeichner zugemailt wurde. Es geht darum, eine
städtebauliches Drama zu verhindern bei dem historische Substanz wegen planerischer
Mängel und Voreiligkeit unwiderbringlich zerstört würde. Deshalb
heisst es u.a.: "Wir fordern eine sofortige Nachinventarisation der Bauten
im Block zwischen Groner Strasse und Nikolaikirchhof durch Fachkräfte des
Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege, damit im Verhandeln
mit dem Investor und durch Abriss nicht unwiderrufliche Tatsachen geschaffen werden.
Wir fordern den Abbruch der Verhandlungen mit dem Investor um diesen Standort,.."
Offener
Brief An
den Niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kultur, Herrn Lutz
Stratmann, An die Präsidentin des Niedersächsischen Landesamtes
für Denkmalpflege, Landeskonservatorin Frau Dr.-Ing. Christiane Segers-Glocke,
An den Stützpunkt Braunschweig des Niedersächsischen Landesamtes für
Denkmalpflege, An den Oberbürgermeister der Stadt Göttingen, Herrn
Jürgen Danielowski, An den Baudezernent der Stadt Göttingen, Herrn
Stadtbaurat Thomas Dienberg, An die Untere Denkmalbehörde der Stadt
Göttingen, An den Städtebaubeirat der Stadt Göttingen,
An die Fraktionen im Rat der Stadt Göttingen Göttingen,
09.11.2005
Offener Brief Ein "Textilcenter" gefährdet die mittelalterliche
Altstadt in Göttingen, Nachinventarisation erforderlich Sehr
geehrter Herr Minister, sehr geehrte Frau Dr. Segers-Glocke, sehr geehrter
Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren, in großer
Sorge um die Zukunft der historischen Göttinger Innenstadt wenden wir uns
an Sie in einer Sache, die hier viele Bürger stark bewegt. Vor kurzem
ließ die Lokalpresse verlauten, dass das Baudezernat der Stadt Göttingen
seit Monaten mit einer Düsseldorfer Projektentwicklungsgesellschaft verhandelt.
Diese Gesellschaft plant, im Herzen der Altstadt zwischen Nikolaikirche und Groner
Straße ein Textilcenter zu errichten, dem fast ein ganzer Baublock zum Opfer
fallen soll. Für die von Stadtbränden und Bombenangriffen verschont
gebliebene Altstadt bahnt sich eine denkmalpflegerische und städtebauliche
Katastrophe an. Erhalten werden soll lediglich die Werksteinfassade des um
1910 entstandenen Wohn- und Geschäftshauses Groner Straße 26. Auf der
Abbruchliste stehen dagegen die Fachwerkgebäude Groner Straße 22 bis
25 sowie das Wohn- und Geschäftshaus Nikolaistraße 18. Bestürzt
sind wir über die Tatsache, dass trotz mehrmonatiger Vorlaufzeit verwaltungsseitig
offenbar nichts über den Denkmalwert der zur Disposition stehenden Bauten
bekannt ist. Bei dem rot verputzten Haus Groner Straße 25 handelt es
sich um einen Fachwerkbau des Mittelalters, möglicherweise sogar des 14.
Jahrhunderts, welcher nachträglich begradigt wurde. Diese Glättung der
weit in die Straße auskragenden Fassaden durch Absägen der Vorsprünge
war nach der Universitätsgründung 1735 üblich. Die Dachform verrät,
dass der originale Dachstuhl erhalten sein dürfte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit
handelt es sich um eines der ältesten Häuser der Stadt. Das Haus Groner
Straße 24 ist ein Fachwerkbau der frühen Neuzeit, erbaut wahrscheinlich
im frühen 16. Jahrhundert. Auch diese Fassade ist begradigt, aber der Bauherr
modifizierte das Dach zum damals als attraktiv geltenden Mansarddach, eine aufwändigere
und deshalb seltenere Lösung. Das Haus Groner Straße 23 ist ein zweigeschossiger
Renaissancebau mit Fenstergalerie im ersten Obergeschoss. Über dem Ladenbereich
des Gebäudes Groner Straße 22 verweisen verborgene Balkenköpfe
und Füllhölzer auf eine Bauzeit um 1650. Die Häuserreihe,
ein geschlossener Bestand, wie er auch überregional selten ist, repräsentiert
die Göttinger Stadtbaugeschichte in beispielhafter Weise. Obwohl die Häuser
durchweg genutzt werden, sollen sie dem Abbruch zum Opfer fallen. Dringend geboten
ist eine Untersuchung zur Konstruktion und der Geschichte der wertvollen Gebäude,
wie sie in solchen Fällen in anderen Städten seit Jahrzehnten üblich
ist. Das Heranrücken des Centers an die gotische Nikolai-Universitätskirche
zerstört das Gefüge des mittelalterlichen Platzes und degradiert ihn
zur Anlieferungszone. Mit dem Abbruch des um 1890 erbauten Eckhauses Nikolaistraße
18 mit seinem straßenbildprägenden Ecktürmchen wird überdies
das Erscheinungsbild dieser Straße entwertet. Ursache der aktuellen
Vorgehensweise ist die mangelhafte Kenntnis des historischen Baubestandes in Göttingen.
Das Verzeichnis der Baudenkmale ist das Ergebnis einer in den Jahren 1978 und
1979 durchgeführten Schnellinventarisation, es ist dringend überarbeitungsbedürftig.
Die Denkmaltopographie, mit deren Erscheinen Göttingen 1982 eine Vorreiterrolle
einnahm, entspricht nicht mehr den heute üblichen wissenschaftlichen Standards,
indem sie viel zu knapp und völlig veraltet ist. So ist es zu erklären,
dass bisher keines der jetzt bedrohten Häuser als Baudenkmal erfasst wurde.
Besonders bestürzt uns, dass dieses Vorhaben in einer langen Göttinger
Tradition von investorengerechter Einzelfallplanung mit Flächenabriss steht,
die dem gebauten historischen Erbe und dem Stadtraum in Göttingen schweren
Schaden zugefügt hat. Das Problem überdimensionierter Centerprojekte
in historischem Umfeld teilt Göttingen mit anderen Städten. Eine Tagung
des Niedersächsischen Heimatbundes zeigte erst vor kurzem, dass der durch
die Center ausgelöste Verdrängungswettbewerb Arbeitsplätze gefährdet,
den Unterhalt der stadtbildprägenden historischen Bausubstanz erschwert und
zur Verödung der peripheren Lagen führt. Im Bewusstsein unserer
Verantwortung gegenüber künftigen Generationen möchten wir verhindern,
dass das kulturelle Erbe der Stadt in einer kurzsichtigen Entscheidung ein weiteres
Mal dezimiert wird. Forderungen Wir fordern eine sofortige Nachinventarisation
der Bauten im Block zwischen Groner Strasse und Nikolaikirchhof durch Fachkräfte
des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege, damit im Verhandeln
mit dem Investor und durch Abriss nicht unwiderrufliche Tatsachen geschaffen werden.
Wir fordern den Abbruch der Verhandlungen mit dem Investor um diesen Standort,
gegebenenfalls bietet sich der Verweis auf die Brache des ehemaligen Stadtbadgeländes
an. Für die derzeitige Überarbeitung des Leitbildes für die
Göttinger Altstadt fehlt eine wichtige Grundlage: das Wissen um den historischen
Baubestand der Innenstadt. Wir fordern eine Nachinventarisation der Göttinger
Altstadt, mit dem Ziel der Überarbeitung des Verzeichnisses der Baudenkmale
und der Erstellung einer neuen Denkmaltopographie, um das Wissen um das bauliche
Erbe der Stadt Göttingen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Hochachtungsvoll
Prof. Dr. Carsten-Peter
Warncke, Kunstgeschichtliches Seminar der Georg-August-Universität Göttingen
Dr. Gerd Unverfehrt, Kunstgeschichtliches Seminar der Georg-August-Universität
Göttingen Prof. Dr. Achim Arbeiter, Archäologisches Institut der
Georg-August-Universität Göttingen, Abteilung Christliche Archäologie
und Byzantinische Kunstgeschichte Privatdozent Dr. Thomas Noll, Kunstgeschichtliches
Seminar der Georg-August-Universität Göttingen Prof. Dr. Jürgen
Schlumbohm, Max-Planck-Institut für Geschichte Göttingen Universitätsprediger
Prof. Dr. Jan Hermelink, Georg-August-Universität Göttingen Claus
Hoffmann, Göttingen Pastor Wolfgang Winter, Rektor des Studienseminars
der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers Göttingen Dr. Jens Reiche, Kunstgeschichtliches
Seminar der Georg-August-Universität Göttingen Bernd Hoffmann, Göttingen
Dr. Christian Scholl, Kunstgeschichtliches Seminar der Georg-August-Universität
Göttingen Dr. Kerstin Schwedes, Kunstgeschichtliches Seminar der Georg-August-Universität
Göttingen Prof. Dr. Marianne Bergmann, Archäologisches Institut
der Georg-August-Universität Göttingen Dr. Peter Kriedte, Max-Planck-Institut
für Geschichte Göttingen Pastor Rudolf Grote, St. Johanniskirchengemeinde
Göttingen Prof. Dr. Klaus-Steffen Saternus, Abteilung Rechtsmedizin der
Georg-August-Universität Göttingen Prof. i. R. Dr. Antje Middeldorf-Kosegarten,
Kunstgeschichtliches Seminar der Georg-August-Universität Göttingen
Prof. Dr. Werner Schnell, Kunstgeschichtliches Seminar der Georg-August-Universität
Göttingen Dr.-Ing. des. Dipl.-Geogr. Jan Volker Wilhelm, Gleichen-Diemarden
i. A. Prof. Dr. Christian Freigang, Kunstgeschichtliches Institut der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität
Frankfurt am Main (Die
Unterschriften wurden der Dokumentation als .pdf-Datei beigefügt und liegen
der Redaktion vor) |