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Filmkritik "Oblivion"
von G. Schäfer / Red. goest, April 2013

Vielleicht empfiehlt es sich, kurz vorher den >>Oblivion-Trailer anzuschauen, damit der folgende Text verständlicher wird.

Kurze Zusammenfassung der Rahmenhandlung: Oblivion ("Vergessen") entwirft das Szenario einer weitgehend zerstörten Erde. Eine außerirdische Macht beutet die Energie der Ozeane weiter aus und zum Schutz dieser Energiegewinnung setzt diese Macht geklonte und streng konditionierte Menschen ein, die sich selbst einreden müssen: "Unsere Pflicht ist es, uns nicht zu erinnern". Um die Energiegewinnung vor Angriffen durch Überreste der normalen menschlichen Erdbevölkerung zu schützen, werden Kampfdrohnen eingesetzt. Irgendwann erwacht in einem der geklonten Krieger die Erinnerung an das Menschsein und die Zeit vor der Zerstörung und er verbündet sich mit den Überiggebliebenen, um die fremde Macht zu vernichten.

Hauptdarsteller in "Oblivion" ist Tom Cruise. Cruise (bekanntermaßen Mitglied der Scientology Church) ist einem breiteren Publikum durch den Militärfilm "Top Gun" bekannt geworden, mit dem die Fliegerei mit Kampfjets und der Abschuß von Feinden verherrlicht wurde. Anschliessend kam es zu einem Ansturm von Bewerbungen für die Militärpilotenausbildung. Auch Oblivion hat wie Top Gun einen eindeutigen Bezug zur aktuellen Diskussion um den Einsatz von Drohnen und ist wie Top Gun ein Film mit starker Massenwirkung. Beim Filmstart von Oblivion meldete dpa und meedia.de der Film führe weltweit die Kino-Chartlisten an.

Die Folgen, die dieser Film durch seine Breitenwirkung hat und die zu erwartenden Werbung für eine Kriegs- und Opferbereitschaft war der eine Teil der Motivation, diesen Film zu besprechen. Der andere Teil der Motivation war die reizvolle Ästhetik der SF-Comic-Bildersprache in diesem Film. Die Grundlage der filmisch umgesetzten Bildideen wurden von Andrée Wallin geliefert, der auch das Filmplakat gezeichnet hat. Eine >>Beispielsammlung seiner Bilder zeigt seine Kunst, sowohl in der Darstellung von Technowelten, wie auch der von romantischen Naturwelten mit Haus am See. Beides wurde in "Oblivion" gebraucht.

Ein die Ästhetik der Bilder bestimmendes Moment war auch die Auswahl des Drehortes Island. (>>Filmbild und >>Making of ). Kosinski sagte in irgendeinem Interview, er habe nicht nur die Mondlandschaft Islands, sondern vor allem das Licht dort nutzen wollen. Er habe einen Science Fiction Film im Hellen drehen wollen, die meisten wichtigen SFI-Vorläufer seien in der Darkness geblieben.

Grundlage für das Drehbuch war bereits ein Produkt, das in Bildersprache abgefasst war: die graphic novel "Oblivion" die >>Joseph Kosinski & Arvin Nelson (graphic novel Spezialist) geschrieben hatten. Die Umsetzung im Film aber war die Sache von Joseph Kosinskis Regie. Empfohlen für diesen Job hatte er sich mit "Tron: Legacy". Der Trailer dazu zeigt eine wahnsinnige Motorradjagd im Cyberspace >>Video.

Ein Motorrad kommt auch in Oblivion vor - aber eher in einer recht unsinnigen Form, denn das eigentliche Fortbewegungsmittel ist das Fluggerät mit dem Tom Cruise als "Jack Harper" unterwegs ist, und das ist eine Art Helicopter mit hoch mobilen schwenkbaren kugelförmigen Düsen. Dieses Ding ist keine digitale Illusion, sondern wurde auch physisch hergestellt. Das Design stammt von Daniel Simon - der Universal Art Studios >> Bild Skizze / Graphic Fluggerät

Ästhetik der Bilder, Emotion und gedämpfte Ratio

Die Faszination, die die Bilder auslösen, sind das Gefühlsmeer in dem die Verstandeskontrolle des Betrachters gedämpft wird. Denn: dem was das Auge sieht, wird mehr Beweiskraft, mehr Bedeutung, mehr Wichtigkeit zugestanden als anderen Wahrnehmungen. Da die Bilder nicht nur die Ästhetik von Standbildern haben, sondern in eine Handlung eingebettet sind, wird auf dem Gefühlsteppich der Bilder eine Strukturierung angeboten wie z.B. die sich aufdrängende Erkenntnis "Drohnen sind nützlich". Und: Ein bekloppter Spruch, begleitet von grandiosen Bildern wird vom Zuschauer einfacher geschluckt als ein bekloppter Spruch mit abtörnenden Bildern. Dadurch dass ich nachvollziehe, welch ästhetischen Reiz die Bilder des Films ausüben können begreife ich, wie perfide der darauf aufbauende Transport von kriegsmotivierenden Botschaften ist.

Radioaktive Verseuchung ohne Sachkenntnis dargestellt

Da ist die Erde angeblich atomar vernichtet worden, Radioaktivität taucht aber nur in Form einer "Radiation Area" auf. Da ein atomarer Krieg die gesamte Erde in eine Trümmerlandschaft verwandelt hat, stellt sich das Anti-AKW-geschärfte Bewußtsein die Frage, was denn mit dem Fall-Out ist, was mit der Verseuchung von Luft, Boden, Wasser und folglich auch Nahrung ist. Zwar gab es, wie der Filmabspann verriet - einen militärischen Berater, der scheint aber auch nicht darauf aufmerksam gemacht zu haben, was eine atomare Vernichtung der Erde wirklich bedeutet. Und so zeigt der Film, wie der Hauptdarsteller auf der atomar verseuchten Erde mal eben Wasser aus einem offenen See trinkt. Und in einer High-Tech Villa, auf einer wolkenhohen Stützsäule, gibt es einen Swimming-Pool . Verdammt - so fragt man sich - wo soll das saubere Wasser auf diesem verseuchten Planeten herkommen? Aber nicht nur das: am Ende pflanzt die Frau nach dem als "heldenhaft" dargestellten Tod ihres Mannes Tomaten. Idylle pur im grünen Tal vorm Haus am See.

Werbung für den Einsatz von Drohnen

Tom Cruise ist in dem Film ein Drohnen-Repairman. Mobilität, die Geschwindigkeit der Positionierung und Exaktheit wie Ausmaß der Feuerkraft dieser Drohnen sind atemberaubend. Unter den gezeigten Bedingungen ist es gar nicht mehr vorstellbar, dass ein Krieg ohne Drohneneinsatz gewonnen werden könnte. Weil der Drohnen-Repairman sich mit Drohnen gut auskennt, hilft er schließlich den wenigen verbliebenen Mitgliedern der ehemaligen Erdbevölkerung auch eine Drohne zum Transport und zur Zündung einer Atombombe zu programmieren . Und zur Unschuldigsprechung der Drohne sagt Jack "Es ist nur eine Maschine - die Waffe bin ich".
Kosinski meinte in einem Interview mit der Badischen Zeitung, Technik könne nun mal schlecht oder gut genutzt werden. Ja so möchte man ironisch einwerfen können: man kann mit einem Panzer Krieg führen aber auch zum Brötchenholen fahren - so unschuldig ist der Panzer!

Selbstmordattentat als Heldentat

Der Film verherrlicht ein Selbstmordattentat als Heldentat! Dies wird - anders als bei islamischen Selbstmordattentätern nicht als irrsinnig gewertet, sondern im Gegenteil sogar mit einem Touch an humanistischer Bildung garniert: und zwar einem Zitat des römischen Dichters Horaz. "Fürs Vaterland zu sterben ist eines Römers wert." Diesen Satz liest Jack in einem Buch, das er in den Trümmern der New York Public Library gefunden hat. Den Satz soll Horaz geschrieben haben. Bekannt ist jedoch nur "Dulce et decorum est pro patria mori" meistens übersetzt als "Süß und angenehm ist es fürs Vaterland zu sterben". Und als dem tumben Klon-Menschen durch ein einziges Buch und einen einzigen Satz eines alten römischen Dichters die humanistische Bildung widerfährt, kommt der Drohnen-Repairman bildungsschwanger ins Grübeln, fängt an, nach Sinn zu suchen und schon bald zu dem Schluß, es sei sinnvoll in einem Kriegseinsatz zu sterben. Und, ich glaube die beiden Selbstmordkandidaten hatten auch noch ein Lächeln auf den Lippen als sie die Bombe zündeten. **

Regie: Joseph Kosinski Laufzeit: 125 Minuten
Drehbuch basierend auf "Oblivion" von Joseph Kosinski Arvid Nelson
SchauspielerInnen: Tom Cruise, Olga Kurylenko, Andrea Riseborough, Morgan Freeman, u.a.

Der Film ist Mitte April 2013 m Cinemaxx Göttingen angelaufen

** Zum Lächeln auf den Lippen von Soldaten beim Sterben: sei auf eine Buchbesprechung in der >>Zeit online hingewiesen: George L. Mosse: Gefallen für das Vaterland Nationales Heldentum und namenloses Sterben; aus dem Amerikanischen von Udo Rennen; Stuttgart 1993; darin wird auch wiedergegeben, was der elsässische Bauer Dominik Richert, Kriegsteilnehmer und Deserteur im Ersten Weltkrieg, nach dem Kriege schrieb: "Ich habe mal gelesen: 'Unsere Soldaten sterben für ihr Vaterland mit einem Lächeln auf den Lippen.’ Welch dreiste Lüge! Wem wird es wohl ums Lächeln sein, der einen so schrecklichen Tod vor Augen sieht! Alle jene, die solche Sachen erdichten und schreiben, gehörten nur in die vordere Front. Dort könnten sie bald an sich selber sowie an den anderen sehen, welche infame Lüge sie in die Öffentlichkeit geschleudert haben."

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