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Gedenkfeiern am Lichtenberg Grab

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Auf Lichtenbergs Spuren und am Grab

24.2.13 Interessante Details über das Leben und Wirken des berühmten Physikers, Mathematikers und Philosophen Georg Christoph Lichtenberg erfuhren die Teilnehmer an der Sonderführung „Klein, aber oho – Auf den Spuren Lichtenbergs“, die zu Lichtenbergs Todestag am 24.2.2013, einem Sonntag, um 11 Uhr in Göttingen stattfand, und die sogar wegen der großen Nachfrage mit einem Zusatztermin um 14 Uhr wiederholt wurde. Stadtführerin Margareta Hultsch, die warmherzig und mit viel Sachkenntnis zu erzählen wusste, hatte für die Teilnehmer der ersten Gruppe eine Überraschung parat, denn um 11.30 h trafen sie auf die Göttinger Lichtenberg-Freunde, die sich, wie in jedem Jahr, zu der kleinen Gedenkfeier an Lichtenbergs Grab auf dem Bartholomäusfriedhof eingefunden hatten. Zu dem schon traditionellen Gläschen Danziger Goldwasser erzählte Klaus Hübner den Gästen mehr über die Geschichte des Grabs, über Grabsteine, fehlerhafte Inschriften und Exhumierungen. Die Lichtenberg-Stadtführung wurde mit Besuchen der Gedenk- und Grabsteine von Bürger und Kästner fortgesetzt, bevor man sich wieder in die Innenstadt zu den beiden Lichtenberg-Denkmälern und zum Lichtenberghaus in der Gotmarstraße 1 begab.


Foto Klaus Hübner

 

GCLs Todestag 2004

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foto: goest

Anläßlich des Todestages am 24.2.04 versammelten sich Mitglieder der Lichtenberg- gesellschaft und Gäste vor dem Grab von Margarete und Georg Christoph Lichtenberg.

"Keras Amaltheias am 24.2.2004 auf dem Bartholomäusfriedhof"
von Klaus Hübner (Geschäftsführer der Lichtenberggesellschaft)

Am 1. Juli 1742 wurde Georg Christoph Lichtenberg geboren, es war ein Sonntag, wie er selber wusste und von sich später schrieb: Ein rechtes Sonntagskind in Einfällen. Nun wissen wir mehr von ihm als nur den Aphoristiker und Sudelbuchvollschreiber. Wir erinnern uns an einen Experimentalphysiker mit allerdings schmalem Zeit- und Geldbudget, der mehr als begnadeter Lehrer wirkte und als Herausgeber der Erxlebenschen Anfangsgründe der Naturlehre Einfluss auf eine Wissenschaftlergeneration nahm, der als Literat der Briefe aus England die deutsche Reise-, Großstadt- und Theaterliteratur mitgeprägt hat, der im besten Sinne der Aufklärung mit seinen über 200 Kalenderaufsätzen dem prodesse et delectare, dem Nutzen und Vergnügen gedient hat, und der mit seinen Erklärungen der Hogarthischen Kupferstiche ein Genre der Kunstliteratur geprägt hat, das vor und nach ihm keinen gleichwertigen Könner aufzuweisen hat.
Wenn wir uns daran erinnert haben, dürfen wir uns auch dem Beobachter und Selbstdenker Lichtenberg zuwenden, der uns unter seinen über 8.000 Sudelbucheinträgen etwa 2.000 Aphorismen hinterlassen hat. Das alles sind seine Vermächtnisse. Vermächtnisse hatte er seine Hinterlassenschaften nennen wollen, denn man vermacht ja auch Kleinigkeiten.
Goethes Würdigung ist bekannt: Lichtenbergs Schriften können wir uns als der wunderbarsten Wünschelrute bedienen: wo er einen Spaß macht, liegt ein Problem verborgen. Goethe weiter: Ihm stand eine ganze Welt von Wissen und Verhältnissen zu Gebote, um sie wie Karten zu mischen und nach Belieben schalkhaft auszuspielen. Lichtenberg selber hatte notiert, dass er, ehe man ein Vaterunser betet 10 Umstände aufzählen [kann], seine Gedanken kommen ihm als wenn sie ihm der Kobolt brächte. (D 120)
Es war kein Kobold, der ihm die Gedanken brachte, Lichtenberg musste auch nicht in das dunkle Alchimistenlabor hinabsteigen, es war sein klarer, hellwacher Verstand, der ihn ständig beobachten und fragen, hinterfragen ließ. Vor und nach den physikalischen Experimenten erfolgten die Geistesexperimente, die er mit allen seinen Sinnen und seinem Verstand unternahm. Und es war diese Milchstraße von Einfällen, die ihn glücklicherweise hinderte, Halbfertiges oder Widersprüchliches in ein System, in eine schlechte oder falsche Ordnung zu zwingen.

lichtenberg_grab02.JPG (27207 Byte) am Grab des Ehepaares Lichtenberg.

Vor 3 Monaten wurde das Grab für ca. 4000 Euro restauriert.

foto: goest

Fürwahr also ein Überfluss an Gedanken, und damit sind wir schon bei dem überfließenden Horn der Ziege Amalthea angelangt, Keras Amaltheias. In der griechischen Mythologie war es die Ziege Amaltheia (oder war es eine Nymphe?), die für den jungen Zeus Milch und Honig hatte fließen lassen, und Zeus hatte später eines ihrer Hörner in das Horn des Überflusses verwandelt. Die Römer kannten es dann als das Cornu Copia, auch als Horn der Fortuna, ein Tischlein deck dich, immer gefüllt zum Wunsche des Besitzers. Das Horn des Überflusses, überfließend von Obst und Blumen, Nahrung für Leib und Seele.
Keras Amaltheias hatte Lichtenberg eines seiner Gedankenbücher genannt. In seinen Kalendern hatte er so einige Kürzel und Chiffren verwendet, dabei benutzte er Keras in späteren Jahren als seinen Code, als Ver-Schlüssel-Wort für geistige Getränke.
Die Milchstraße von Einfällen hatte sich für Lichtenberg durchaus bei nüchterner Betrachtung aufgetan, aber wir wissen anhand der noch vorhandenen Kontorbücher der hiesigen Weinhandlung Bremer, dass gelegentlich auch einige Bouteillen Wein in die Gotmarstraße 1 expediert worden sind.
Lichtenberg schrieb nach dem Besuch des Italieners Volta an Franz Ferdinand Wolff: Ich fragte ihn [Volta], ob er das leichteste Verfahren kenne, ein Glas, ohne Luftpumpe, luftleer zu machen. Als er sagte: Nein, so nahm ich ein Weinglas, das voll Luft war, wie alle leere Weingläser, und goss es voll Wein. Er gestund nun ein, dass es luftleer sei, und dann zeigte ich ihm das beste Verfahren, die Luft ohne Gewalt wieder zuzulassen, und trank es aus. Der Versuch misslingt selten, wenn er gut angestellt wird. Es freute ihn nicht wenig, und er wurde von uns allen mehrmals angestellt.
1773 hatte Lichtenberg seinen Patriotischen Beitrag zur Methyologie der Deutschen abgeliefert, seine Überlegungen zur Pinik, zur Trinkkunde, vorgelegt, den launigten Roten Nasen gewidmet, nebst einer Sammlung von über 140 sprachlichen Ausdrücken des Betrunkenseins. Dass ohne etwas Wein und etwas Beifall keine poetische Ader offen gehalten werden kann, war für Lichtenberg unstrittig, und er plädierte dafür, wenigstens einmal zu versuchen, was die Vernunft auf den Flügeln des Champagners ausrichten könne, da die Einbildungskraft Wunder auf denselben tut. ... O jenseit[s] der Bouteille wie viel ist nicht da . Gebraucht es, Menschen, als Philosophen und lernt erkennen, was Wein ist. (B 77) Wir ahnen, wie unernst ernst ihm mit seinem Ansinnen war! Die Gefahren kannte Lichtenberg hinreichend: Tausend Menschen sterben jährlich bloß weil sie nicht dursten konnten, ohne doch jemals nur einen Tropfen auf diese Art getrunken zu haben (B 347). 1796 notierte er für sich selbst: Etwas Keras freilich ohne das ist nichts in der Welt für mich wenigstens (SK, 29. April 1796).
Hochprozentigem wusste Lichtenberg also zuzusprechen, auch Danziger Goldwasser hatte den langen Transport von der Ostseeküste in die Göttinger Gotmarstraße wohlbehalten überstanden. Dieser schon seit 1598 destillierte, klare Gewürzlikör brauchte keinen Alchimisten sondern einen guten Destillateur und einige Schnipsel 22-karätiges Blattgold. Der hochwertige (und hochprozentige) Likör aus dem Lachshaus, aus der Likörfabrik in der Danziger Breitgasse, muss schon damals eine exquisite Besonderheit gewesen sein, von Lichtenberg gekannt und geschätzt. Vom blauen, völlig blauen Planeten zum blauen Universum mag es da mitunter nicht weit gewesen sein. So schrieb Lichtenberg im Sudelbuch L: Den gestirnten Himmel für Danziger Goldwasser anzusehen, zumal in einem Tubo, wäre das sehr schicklich für einen Trinker? (L 317).

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foto: goest
Klaus Hübner beim Herauslassen von Luft aus kleinen Gläsern

Am 29. Februar 1792, vor nunmehr fast auf den Tag genau 212 Jahren, hatte Lichtenberg vermerkt: Morgends Dietrich m.l. Frau und ich Goldwasser getrunken. – So ähnlich wollen wir es halten, Heute, an diesem 24. Februar 2004, zur Wiederkehr von Lichtenbergs 205. Todestag: In fröhlichem Gedenken, an seinen Freund, Verleger und Hauswirt Dieterich, an Lichtenbergs liebe Frau Margarethe Kellner und an Georg Christoph Lichtenberg.
In fröhlichem Gedenken, mit einem Gläschen Keras, mit Danziger Goldwasser, das inzwischen aus unserer unmittelbaren Nachbarschaft stammt, aus der Destillation des gräflich-hardenbergschen Hauses. Wir sind zurück in der Gegenwart, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche prodesse et delectare, Nutzen und Vergnügen, Prosit!

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(1) (am 3.2.1785). Heute ist uns der Spruch "Können Sie da mal die Luft rausmachen!" wegen seiner Geläufigkeit schon fast zu prollig. Wir tun gut daran uns zu erinnern, dass Lichtenberg sich von dem englischen Mechaniker Nairne eine Luftpumpe bestellte für 450 Taler, das war mehr als ein Jahresgehalt des Göttinger Professors! Und es war die erste Luftpumpe seiner Zeit in Deutschland überhaupt!
(2) Kardamom, Koriander, Macis (der rote Mantel der Muskatnuss), Pomeranzenschalen, Wacholderbeeren, Kümmel, u.a.. Blattgold ist bis zu 0,0001 mm dünn.
(3) Heute: Goldscheidewasser (Königswasser) 3,1 Teile konz. Salzsäure, konz. Salpetersäure.Goldtinktur (Goldelixier, Tinctura aurea, Aurum potabile) war der Alchemistenname für angeblich Gold enthaltene Lösungen. Heute der Name für Goldsalzlösungen in der Homöopathie.
Goldtropfen (Essentia aurea) sind homöopathische Herzkreislaufmittel.

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