Stadtpolitik mit Ordnung und Sicherheit
Im Jahr 2019 legt die Verwaltung einen neuen Entwurf für ein Neues Sicherheits- und Ordnungskonzept vor. Dieses Bestreben hat einen geschichtlichen Hintergrund, den wir schon seit vielen Jahren kennen. Auf Antrag der CDU-Ratsfraktion hatte der Stadtrat schon am 9 März 2001, einen " Aktionstag Saubere Stadt beschlossen. Nun aber 2019 wird ein umfassendes Sicherheits- und Ordnungskonzept vorgelegt. Es kommt recht harmlos daher, es muß aber sorgfältig verfolgt werden, wie sich die Umsetzung gestaltet. Insbesondere ist der Zusammenhang mit Beschwerden von Gruppierungen der Innenstadt zu sehen, die ganz spezielle Vorstellungen von Ordnung haben, in die z.B. "Dönermeilen" nicht passen und die Ansammlung von nicht-deutsch-sprechenden Menschen schon Unordnung bedeuten. Ausschnitt zu "Hot
Spots" Sicherheits- und
Ordnungskonzept der Stadt Göttingen, Stand 02/2019 / Vorlage im Sozialausschuss
am 12.3.2019 |
"Null-Toleranz" gegenüber Unsauberkeit/Unordnung Bundesweit soll in den Städten gegen geringste Ordnungwidrigkeiten oder "auffälliges und störendes Verhalten" polizeilich vorgegangen werden. Die disziplinierenden Ordnungvorstellungen sollen bei kleineren Ereignissen durchgesetzt werden um allgemein ein Klima der Disziplin durchzusetzen. In diesem Zusammenhang sind auch verstärkte Verkehrskontrollen und städtische Bußgeldkataloge gegen kleinste abweichende Verhaltensweisen zu sehen. Die rigorose Beseitigung aller Graffiti gehört ebenfalls zu dieser Strategie. Polizei- und Ordnungsstrategien im städtischen Bereich orientieren sich entweder an der Null-Toleranz-Strategie in Staedten wie New York oder der dem "Community Policing" des BKA .Auf Tagungen bzw. in Studien des Bundekriminalamtes (BKA) oder der Städteverbände ist die "Null-Toleranz"-Strategieein Element der Unruhebekämpfung. Inzwischen sagt man verschämt "kommunale Sicherheitskonzepte" dazu. Der ehemalige Präsident des BKA Kersten, wies einmal begeistert bei der Diskussion um das Zero-tolerance-Prinzip darauf hin: "dass es überall in den USA ein wesentliches Merkmal gemeindenaher Polizeiarbeit sei, Verwahrlosungserscheinungen in den Städten einen Riegel vorzuschieben, Verstösse gegen die öffentliche Ordnung zu ahnden und auch Kleinkriminalität konsequent zu verfolgen." (Siehe ausführlich auch >>BKA-Bericht Community Policing) Dazu gehört u.a. auch die konsequente Beseitigung aller Grafittis, die Bestrafung von kleinsten "Vergehen" und sogar das Fußballspielen mit Getränkedosen wird in diesem Diskussionszusammenhang immer wieder als eine Verwahrlosungstendenz abgesehen. Allerdings war Kersten damals schon so klug darauf hinzuweisen, dass dieses Prinzip allenfalls dazu dienen kann vorübergehend ein angenehmeres Leben in den Städten zu gewährleisten, die grundlegenden Entstehungsgründe für Kriminalität und Unsicherheit aber durch politische Maßnahmen gegen soziale Ungleichheit und Armut bekämpft werden müßten. Kersten ist ... nicht mehr BKA-Chef. Die Beschränkung des öffentlichen Raumes Die Anwesenheit von "Unangepassten" verhindert die angenehme Nutzung des öffentlichen Raumes durch die Mittelklassen. Obdachlose, Alkoholkranke, Drogenabhängige, Punker, Graffiti, aber auch eigenständige Nutzung städtischen Raumes für nicht-konsumorientierte spontane Vergnügungen erhalten den Stempel "Ordnung bedrohend" und werden in "Gefahrenabwehrverordnungen" der Städte prophylaktisch eingekreist. Die Liberalisierung
der 70er Jahre war wohl ein elastisches Zurückweichen der Ordnungsmacht
gegenüber der Studentenprotestwelle und deren antiautoritärer
Orientierung. Durch die Gefahrenabwehrverordnungen der Städte wurden
die liberalen Regelungen schrittweise zurückgenommen. Im gesamten
Stadtgebiet wurde nächtliches Lagern verboten (Landstreicherverordnung),
es wurde zwischen Betteilei und aggressiver Bettelei unterschieden. In
Freiburg wurde ein innerstädtisches Alkoholverbot für die Strasse
erlassen, in Stuttgart wurde der Hut eines Bettlers konfisziert, weil
dies den Eindruck erwecke, es gäbe Armut.
... sind die städtische
Innenstadtverordnung (>Bußgeldkatalog), die
von der Idee des zero-tolerance-Prinzips geprägt ist, sich im unbekümmerten
Studentenalltag der Innenstadt aber nicht ohne starke Stimmungsverschlechterung
durchsetzen lässt. Probleme gab es mit dem Wilhelmsplatz,
den Jugendliche in den Sommermonaten für Zusammenkünfte jenseits
teuerer Gastronomie eroberten. Teilweise wurden sie verdrängt und
treffen sich im Cheltenhampark, teilweise
wurde die Situation durch den Einsatz von Streetworkern befriedet. Gegenbewegungen
sind Versuche wie z.B. "Reclaim your Park" mit anonymen Aufrufen
zur Besetzung des Parks für öffentliches Feiern oder gepflegtere
Eroberungen öffentlichen Raumes wie die eigenmächtige Eroberung
des Platzes an der Paulinerkirche für Open-Air-Tango.
Hausverbot
auf privatisierten öffentlichen Plätzen? Beispiel
1) Lokhalle
Die Leitung der stadteigenen Firma GWG/Lokhalle hatte zunächst mit Hilfe der Polizei eine Versammlung auf der frei zugänglichen Fläche verhindert. Ein Gericht hatte in einem Revisionsverfahren geurteilt, dass ein Aufenthalt auf dieser Fläche kein Hausfriedensbruch ist. Daraufhin hat die Lokhallenleitung eine Absperrung mit Ketten vorgenommen. Wenn das so einfach wäre, ließe sich überall die Versammlungsfreiheit einfach durch das Aufstellen von Ketten beschränken. > mehr Informationen zu dem gesamten Vorgang Beispiel
2) Klinikum Beispiel
3) Arbeitsagentur Beispiel
4) Bahnhof Beispiel
5) Leinebogen / Robert Gernhardt -Platz / Carré Bundesverfassungsgerichtsurteil
Das Urteil betrifft in Göttingen die stadteigenen öffentlichen Verkehrsflächen von Betrieben wie der Lokhalle und Stadthalle, dem Stadtbad Eiswiese, Sportstätten Rathaus, Landkreis, Stadthalle, Stadtwerke, die Beteiligungen des Bundes oder des Landes z.B. Bahnhof, Klinikum, Arbeitsagentur und Universitätscampus. Die Aussagen sind im Hinblick auf Konflikte der Vergangenheit in Göttingen beachtenswert. Es gab es bereits mehrfach Situationen, in denen Versammlungen und Meinungsäußerungen auf öffentlichen Verkehrsflächen verboten wurden. Im folgenden einige zentrale Aussagen aus dem Urteil: Öffentlich
zugängliche Verkehrsflächen von Privatfirmen Wie
das Beispiel des Protestes gegen Abschiebung im Frankfurter Flughafen
gezeigt hat, wird dieses Recht erst durch die Praxis den Weg zum Bundesverfassungsgericht
finden. Bislang hat jedoch noch nie eine politische Demonstration
oder Kundgebung z.B. auf dem Gelände des Kaufparks stattgefunden.
11.6.10 / In der Urbanitätsdebatte
wurde als ein wichtiges Moment der Urbanität "die Begegnung,
das Erleben mit dem Fremden" betont. In den 90ern wurde Urbanität
immer mehr als "Integration in die Ordnung" und Anpassung an
die Mittelklassenkultur begriffen. Die Stadtpolitik bestand darin, Räume
kontrolliert einzugrenzen und auszugrenzen, in denen das "Unangenehme"
lebt. Immer mehr konzentrierten sich die Planungen auf das, was Bourdieu
"Kontrolle über den Raum" nannte. Die Verteilung der sozialen
Gruppen in der Stadt sollte gesteuert werden. Die Kommunalverwaltung wurde
vom früheren "Verwalter der Daseinsfürsorge" zum "Management
des Unternehmens Stadt". Dabei nimmt die Verwaltung zunehmen Aufgaben
zum Schutz von Interessen privilegierter StadtbewohnerInnen wahr. Es soll
kulturell und urban zugehen, aber bitte geordnet. Konsum und Erlebnisveranstaltungen
ja, aber bitte in geordneten Bahnen. Der Bürger, die Bürgerin
wird auf die Planungseinheit "KonsumentIn" reduziert.
Notizen zur Veranstaltung mit Klaus Ronneberger im April 2010
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Sauberkeit, Ordnung, Sicherheit Beseitigung aller Grafittis, die Bestrafung von kleinsten "Vergehen" und sogar das Fußballspielen mit Getränkedosen.. Aktion "Saubere
Stadt" (wie auch schon in Berlin durchgeführt) hängt mit einer Sicherheits-Strategie
auf kommunaler Ebene zusammen. Ausgerechnet der ehemalige Bundesinnenminister
Kanther , ein Mann mit einer ziemich schmutzigen Weste, hatte sich
damals als Vorreiter für die Aktionen "Saubere Stadt" aus dem
Fenster gehängt. Er verlangte rigoroses Vorgehen gegen kleinste Regelverstösse
wie z.B. Bierdosen wegwerfen oder graffiti. Die Aktion "saubere Stadt"
sollte der Verwahrlosung und Kriminalisierung vorbeugen. Sie ist daher
weniger eine hygienische Aktion, denn das könnte man auch mit einer besseren
Ausstattung der Stadtreinigung erreichen, sondern es handelt sich eher
um eine psychologische Aktion zur Schaffung eines Ordnungs-Klimas.
Ab 28.2.03 lief seitens der Stadtverwaltung eine große "kommunale Sauberkeits Kampagne. Gleichzeitig wurde von Wolfgang Meyer in seiner Funktion als Ordnungsdezernent und Werksleiter der Stadtreinigung ein neuer Bußgeldkatalog "gegen Fehlverhalten" vorgestellt." mit 25.000 sechsseitigen Flyern, auf Hunderten von Plakaten, Anzeigen in allen Medien, mit 3.000 Aufklebern, auf City Cards, durch einen Kinospot und auch mit einer öffentlichen Aktion am 21./22.3. mit Comedy und Live-Bands die allerdings mit einer Kritik-Aktion konfrontiert wurde. 200 Unternehmen, vor allem Innenstadt Händler, haben ihre Zustimmung signalisiert, wollen Plakate aushängen und Broschüren auslegen. Gleichzeitig wurde von Wolfgang Meyer in seiner Funktion als Ordnungsdezernent und Werksleiter der Stadtreinigung ein neuer Bußgeldkatalog "gegen Fehlverhalten" vorgestellt. Ab Mai 2003 soll "konsequent gegen unbelehrbare Schmutzfinken" vorgegangen werden, kündigten OB Danielowski und Meyer an. "Ca. 30 Außendienstmitarbeiter der Stadtreinigung Göttingen und der Fachbereiche Ordnung und Tiefbau & Baubetrieb, die speziell geschult und zu Vollzugsbeamten bestellt worden; sie können dann vor Ort künftig direkt eine kostenpflichtige Verwarnung aussprechen." Zunächst soll dann erst eine "gelbe Karte" also ein Verweis ausgesprochen werden und danach eine "rote Karte" und ein Bußgeld.
Saubere Stadt durch mehr Polizei? PunkerInnen, Obdachlose, BettlerInnen, AlkoholikerInnen, und Drogenabhängige möchten die Ratspolitiker*innen für Ordnung und Sicherheit vor allem aus dem Innenstadtbereiche weghaben. Aber eine Stadt ist mehr als eine Ansammlung von Einwohnern, die funktional auf die Interessen des Innenstadthandels ausgerichtet sind. Die ganze Aktion "Saubere Stadt" versucht mit einer Disziplinierung allgemeiner Art die Stimmung in Göttingen zu verändern.
Die Grünen erklärten gegen die Polizei-Stadt-Ideen im Mai 03 "Bunt und vielfältig muss unsere Innenstadt bleiben. Ein verstärktes Polizeiaufkommen macht die Innenstadt nicht attraktiver, im Gegenteil. Die "neue Sauberkeitskampagne" sei kleinkariert und wie die Grünen anmerken, kein Zeichen von "Weltoffenheit", welche der Oberbürgermeister im gleichen Atemzug für sich in Anspruch nehme. Man könne soziale Randgruppen und jugendliche Szenen nicht einfach aus der Stadt verbannen. Statt auf die betroffenen Menschen zuzugehen und die Straßensozialarbeit auszubauen, falle Danielowski nichts anderes ein, als mit Polizeigewalt "unerwünschte Personengruppen" zu verdrängen ..."
Die Stadt gehört auch Armen und ObdachlosenMittagstisch St. Michael schrieb schon 1998: "Um auf unsere Perspektive der sogenannten "Innenstadtproblematik" aufmerksam zu machen, beteiligten wir uns am bundesweiten Aktionstag "Die Stadt gehört allen!", Freitag, den 11. September 1998 ab 12 Uhr mit einem öffentlichen Mittagstisch auf dem Marktplatz vor dem Alten Rathaus.""Leute mit Geld für Konsum finden bei Handel und Gastronomie ihr Angebot; Leute ohne Geld erscheinen hin und wieder als Störfaktoren, weil auch sie Raum in der Öffentlichkeit beanspruchen. Um mit Konflikten umzugehen, die entstehen, wenn die Lebenswirklichkeit von Armen oder anders auffälligen mit der Konsumwelt zusammentreffen, muß es andere Alternativen geben, als Polizei oder private Sicherheitsdienste. Wenn Behörden, Geschäftsleute und Initiativen und Bürger zusammenwirken, müßte es gelingen, sie zu finden und zu entwickeln."
Seit langem setzen wir uns für einen Treffpunkt für Drogenabhängige ein. Genauso fehlt im Winter eine Wärmestube für Obdachlose. Gäste mit wenig Geld, die keiner "Problemgruppe" angehören, würden sich über ein Café freuen, dessen Preise ihrem geringen Einkommen angepaßt sind." |