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Stadtpolitik mit Ordnung und Sicherheit

Im Jahr 2019 legt die Verwaltung einen neuen Entwurf für ein Neues Sicherheits- und Ordnungskonzept vor. Dieses Bestreben hat einen geschichtlichen Hintergrund, den wir schon seit vielen Jahren kennen. Auf Antrag der CDU-Ratsfraktion hatte der Stadtrat schon am 9 März 2001, einen " Aktionstag Saubere Stadt” beschlossen. Nun aber 2019 wird ein umfassendes Sicherheits- und Ordnungskonzept vorgelegt. Es kommt recht harmlos daher, es muß aber sorgfältig verfolgt werden, wie sich die Umsetzung gestaltet. Insbesondere ist der Zusammenhang mit Beschwerden von Gruppierungen der Innenstadt zu sehen, die ganz spezielle Vorstellungen von Ordnung haben, in die z.B. "Dönermeilen" nicht passen und die Ansammlung von nicht-deutsch-sprechenden Menschen schon Unordnung bedeuten.

Ausschnitt zu "Hot Spots"
"Immer wieder entwickeln sich bestimmte Gebiete in der Stadt, vornehmlich in der Innenstadt, zu Problemzonen, sog. Hotspots. Diese sind in der Regel geprägt durch Vermüllen, Trinkgelage, Pöbeleien, Kleinkriminalität. In der Vergangenheit konnte durch den abgestimmten, gezielten Einsatz von Streetworker*innen, Fachbereich Ordnung und Polizei die Situationen nach längerer Zeit eingedämmt werden. Hinzuweisen ist hier insbesondere auf das Konzept GOWilli und die Maßnahmen im Bereich der Nikolaistraße (Alkoholverbotszone, siehe hierzu Ziffer 9). Künftig sollen möglichst frühzeitig vom FB Ordnung federführend örtliche Veranstaltungen durchgeführt werden, um Sorgen und Nöte der Bewohner*innen aufzunehmen und einer Lösung zuzuführen (siehe unter X). Auch die Präsenz von Stadtordnungsdienst und Polizei soll im Rahmen gemeinsamer Streifen ausgebaut werden (siehe unter XI)."

Sicherheits- und Ordnungskonzept der Stadt Göttingen, Stand 02/2019 / Vorlage im Sozialausschuss am 12.3.2019
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung / Vorbemerkungen
II. Begriffe „Sicherheit“ und „Ordnung“
III. Zusammenarbeit mit der Polizei
IV. Zusammenarbeit mit anderen Behörden / Organisationen V. Prävention
VI. Hilfsangebote für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten
VII. Probleme in der Stadt 1. Verschmutzung / Müll 2. Beleuchtung 3. Lärm durch Passanten / Autoverkehr 4. Gaststätten / Bars 5. Gaststättenlärm 6. Bettelei 7. Straßenmusik 8. Grillen in öffentlichen Anlagen 9. Öffentlicher Alkoholkonsum 10. Kioske 11. Spielhallen 12. Geldwäsche 13. Problemzonen / Hotspots
VIII. Spezialgesetzliche Regelungen
IX. Sicherheitskonzepte / terroristische Gefahren
X. Runder Tisch Ordnung
XI. Stadtordnungsdienst

XII. Rechtsgrundlagen / Anlagen

 

"Null-Toleranz" gegenüber Unsauberkeit/Unordnung

Bundesweit soll in den Städten gegen geringste Ordnungwidrigkeiten oder "auffälliges und störendes Verhalten" polizeilich vorgegangen werden. Die disziplinierenden Ordnungvorstellungen sollen bei kleineren Ereignissen durchgesetzt werden um allgemein ein Klima der Disziplin durchzusetzen. In diesem Zusammenhang sind auch verstärkte Verkehrskontrollen und städtische Bußgeldkataloge gegen kleinste abweichende Verhaltensweisen zu sehen. Die rigorose Beseitigung aller Graffiti gehört ebenfalls zu dieser Strategie.

Polizei- und Ordnungsstrategien im städtischen Bereich orientieren sich entweder an der Null-Toleranz-Strategie in Staedten wie New York oder der dem "Community Policing" des BKA .Auf Tagungen bzw. in Studien des Bundekriminalamtes (BKA) oder der Städteverbände ist die "Null-Toleranz"-Strategieein Element der Unruhebekämpfung. Inzwischen sagt man verschämt "kommunale Sicherheitskonzepte" dazu. Der ehemalige Präsident des BKA Kersten, wies einmal begeistert bei der Diskussion um das Zero-tolerance-Prinzip darauf hin: "dass es überall in den USA ein wesentliches Merkmal gemeindenaher Polizeiarbeit sei, Verwahrlosungserscheinungen in den Städten einen Riegel vorzuschieben, Verstösse gegen die öffentliche Ordnung zu ahnden und auch Kleinkriminalität konsequent zu verfolgen."  (Siehe ausführlich auch >>BKA-Bericht Community Policing) Dazu gehört u.a. auch die konsequente Beseitigung aller Grafittis, die Bestrafung von kleinsten "Vergehen" und sogar das Fußballspielen mit Getränkedosen wird in diesem Diskussionszusammenhang immer wieder als eine Verwahrlosungstendenz abgesehen. Allerdings war Kersten damals schon so klug darauf hinzuweisen, dass dieses Prinzip allenfalls dazu dienen kann vorübergehend ein angenehmeres Leben in den Städten zu gewährleisten, die grundlegenden Entstehungsgründe für Kriminalität und Unsicherheit aber durch politische Maßnahmen gegen soziale Ungleichheit und Armut bekämpft werden müßten. Kersten ist ... nicht mehr BKA-Chef.

Die Beschränkung des öffentlichen Raumes

Die Anwesenheit von "Unangepassten" verhindert die angenehme Nutzung des öffentlichen Raumes durch die Mittelklassen. Obdachlose, Alkoholkranke, Drogenabhängige, Punker, Graffiti, aber auch eigenständige Nutzung städtischen Raumes für nicht-konsumorientierte spontane Vergnügungen erhalten den Stempel "Ordnung bedrohend" und werden in "Gefahrenabwehrverordnungen" der Städte prophylaktisch eingekreist.

Die Liberalisierung der 70er Jahre war wohl ein elastisches Zurückweichen der Ordnungsmacht gegenüber der Studentenprotestwelle und deren antiautoritärer Orientierung. Durch die Gefahrenabwehrverordnungen der Städte wurden die liberalen Regelungen schrittweise zurückgenommen. Im gesamten Stadtgebiet wurde nächtliches Lagern verboten (Landstreicherverordnung), es wurde zwischen Betteilei und aggressiver Bettelei unterschieden. In Freiburg wurde ein innerstädtisches Alkoholverbot für die Strasse erlassen, in Stuttgart wurde der Hut eines Bettlers konfisziert, weil dies den Eindruck erwecke, es gäbe Armut.
Da die Ordnungsmaßnahmen mit dem gesetzten Recht kollidieren gibt es eine neuerliche Tendenz: Die Privatisierung öffentlichen Raumes. Mit dem Effekt, dass nun innerhalb von vorher öffentlichem Raum nun im privaten Raum das Hausrecht gilt. Dadurch sind wesentlich mehr Einschränkungen möglich. Beispiel hierfür ist in Berlin das Sony-Center. In Göttingen sind die Folgen am Beispiel Lokhallen-Hausrecht diskutierbar.
Der öffentliche Raum, so Habermas in "Strukturwandel der Öffentlichkeit" ist die "veräumlichte Form der Teilhabe an Demokratie". Die Zugänglichkeit und die Erlaubnis sich aufzuhalten wird durch die Privatisierung des öffentlichen Raumes jedoch immer weiter eingeengt und dadrüberhinaus mit Videokameras überwacht. Es gibt Karten, die verdeutlichen, wie eingeschränkt das Aufenthaltsrecht in einer Stadt sein kann. Zur Abgrenzung von Sicherheitszonen, gesicherte Wohnareale z.B.) gibt es die Zusammenarbeit zwischen Polizei und privanten Sicherheitsdiensten.


Beispiele für die Ausgrenzungen in Göttingen

... sind die städtische Innenstadtverordnung (>Bußgeldkatalog), die von der Idee des zero-tolerance-Prinzips geprägt ist, sich im unbekümmerten Studentenalltag der Innenstadt aber nicht ohne starke Stimmungsverschlechterung durchsetzen lässt. Probleme gab es mit dem Wilhelmsplatz, den Jugendliche in den Sommermonaten für Zusammenkünfte jenseits teuerer Gastronomie eroberten. Teilweise wurden sie verdrängt und treffen sich im Cheltenhampark, teilweise wurde die Situation durch den Einsatz von Streetworkern befriedet. Gegenbewegungen sind Versuche wie z.B. "Reclaim your Park" mit anonymen Aufrufen zur Besetzung des Parks für öffentliches Feiern oder gepflegtere Eroberungen öffentlichen Raumes wie die eigenmächtige Eroberung des Platzes an der Paulinerkirche für Open-Air-Tango.
Auf dem öffentlichen Raum "Marktplatz" geraten politische Demonstrationen und wirtschaftliche Werbeveranstaltungen immer wieder in Konkurrenz - was zugunsten der wirtschaftlichen Veranstaltungen entschieden wird und die Kundgebungen an den Jakobikirchhof ausweichen müssen. Die Ausgrenzungswünsche in der Innenstadt werden vor allem vom Verein ProCity und den Innenstadtgeschäften getragen. Der Gipfel der perfiden Haltung kam zum Ausdruck, als eine Caféhausbesitzerin 2010 Bettler mit Ungeziefer verglich.

 

Hausverbot auf privatisierten öffentlichen Plätzen?

Beispiel 1) Lokhalle
Bei Protesten gegen Militärmusik in der Lokhalle hatte ein Richter des Amtsgerichts sogar einen Göttinger wegen Hausfriedensbruch verurteilt weil das Management der stadteigenen Lokhalle Strafanzeige gestellt hatte. Die Lokhalle gehört der GWG, einer Firma der Stadt Göttingen.


Die Lokhallenleitung meint hinter diesen Pfählen ende die Versammlungsfreiheit


Die Leitung der stadteigenen Firma GWG/Lokhalle hatte zunächst mit Hilfe der Polizei eine Versammlung auf der frei zugänglichen Fläche verhindert. Ein Gericht hatte in einem Revisionsverfahren geurteilt, dass ein Aufenthalt auf dieser Fläche kein Hausfriedensbruch ist. Daraufhin hat die Lokhallenleitung eine Absperrung mit Ketten vorgenommen. Wenn das so einfach wäre, ließe sich überall die Versammlungsfreiheit einfach durch das Aufstellen von Ketten beschränken. > mehr Informationen zu dem gesamten Vorgang

Beispiel 2) Klinikum
Als auf den öffentlichen Verkehrsflächen für Fußgänger am Klinikum Flugblätter verteilt wurden, verwies die Kliniksleitung durch Sichereitspersonal die FlugblattverteilerInnen unter Hinweis auf ihr Hausrecht vom Platz und drohte mit Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs. Das Klinikum Göttingen ist eine Stiftung öffentlichen Rechts und stellt daher eine "öffentlich-rechtliche juristische Person" dar. Aufgrund der Geschäfte, Kioske, Kreditinstitute im Klinikumsgebäude kann auch der Innenraum entsprechend dem Urteil als öffentliche Verkehrsfläche angsehen werden.

Beispiel 3) Arbeitsagentur
Vor dem Gebäude des "Arbeitsamtes" hatte ein Arbeitsloser sich im Sommer auf eine Matraze gelegt und protestierte dort mit Hungerstreik gegen seine Arbeitslosigkeit. Er wurde von öffentlichen Verkehrsflächen der Bundesagentur verwiesen mit dem Hinweis, er befinde sich auf dem Grundstück der Agentur und der Aufenthalt zwecks Meinungsäußerung dort würde ihm verwehrt. Er mußte in einen Bereich Richtung Bahnhof an den Rand des Grundstückes rücken. Die Bundesagentur für Arbeit befindet sich in unmittelbarem Besitz der öffentlichen Hand.

Beispiel 4) Bahnhof
Die Deutsche Bahn ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen, das aber vollständig im Besitz der Bundesrepublik Deutschland ist. Die Ladenpassage und die Umgestaltung des Bahnhofhauptgebäudes stellen inzwischen öffentliche Verkehrsflächen dar. Ein Verbot von Versammlungen oder die Meinungsäußerungen mit Hinweis auf das Hausrecht erscheint nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in einem neuen Licht.

Beispiel 5) Leinebogen / Robert Gernhardt -Platz / Carré
Zwischen den Gebäuden befindet sich ein Durchgang von der Innenstadt über eine Leinekanalbrücke hin zum Bahnhof. Das Grundstück selbst ist im privaten Besitz des Investors Delta Bau AG. Für diesen Platz muß ein Recht für öffentliche Versammlungen bestehen. Ein solches Recht hat ein Vertreter des Investors bei der Pressekonferenz auf persönliche Nachfrage zwar zugestanden, jedoch muß sich dieses Recht erst noch in der Praxis beweisen.

Bundesverfassungsgerichtsurteil
Am 22. Februar hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil zur Versammlungsfreiheit veröffentlicht, das u.a. das Problem des privatisierten öffentlichen Raums thematisiert. Das Verfassungsgericht hat entschieden, dass Unternehmen, die ganz oder teilweise im Besitz der öffentlichen Hand sind, einer direkten Verpflichtung zur Gewährung von Versammlungsfreiheit ("unmittelbare Grundrechtsbindung") unterliegen. Insbesondere die öffentlichen Verkehrsflächen dieser Betriebe können nicht mit Hinweis auf das Hausrecht generell das Recht auf Versammlungsfreiheit oder Meinungsäußerung einschränken.

Auszüge aus dem Urteil

"Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung."

"Wenn heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren oder sonstige Begegnungsstätten ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können. Dies gilt unabhängig davon, ob die Flächen sich in eigenen Anlagen befinden oder in Verbindung mit Infrastruktureinrichtungen stehen, überdacht oder im Freien angesiedelt sind."

"Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs, die neben dem öffentlichen Straßenraum für die Durchführung von Versammlungen in Anspruch genommen werden können, sind zunächst nur solche, die der Öffentlichkeit allgemein geöffnet und zugänglich sind.

"Als legitimer Zweck zur Einschränkung der Meinungsfreiheit kann nicht der Wunsch herangezogen werden, eine "Wohlfühlatmosphäre" in einer reinen Welt des Konsums zu schaffen, die von politischen Diskussionen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen frei bleibt. Ausgeschlossen sind gleichfalls Verbote, die dem Zweck dienen, bestimmte Meinungsäußerungen allein deshalb zu unterbinden, weil sie von der Flughafenbetreiberin nicht geteilt, inhaltlich missbilligt oder wegen kritischer Aussagen gegenüber dem betreffenden Unternehmen als geschäftsschädigend beurteilt werden. "

Quelle: >> bundesverfassungsgericht/pressemitteilungen11-018

Das Urteil betrifft in Göttingen die stadteigenen öffentlichen Verkehrsflächen von Betrieben wie der Lokhalle und Stadthalle, dem Stadtbad Eiswiese, Sportstätten Rathaus, Landkreis, Stadthalle, Stadtwerke, die Beteiligungen des Bundes oder des Landes z.B. Bahnhof, Klinikum, Arbeitsagentur und Universitätscampus. Die Aussagen sind im Hinblick auf Konflikte der Vergangenheit in Göttingen beachtenswert. Es gab es bereits mehrfach Situationen, in denen Versammlungen und Meinungsäußerungen auf öffentlichen Verkehrsflächen verboten wurden. Im folgenden einige zentrale Aussagen aus dem Urteil:

Öffentlich zugängliche Verkehrsflächen von Privatfirmen
Der Urteilsbegründung des BVerfGerichtes folgend wäre es wünschenswert, wenn auch die öffentlich zugänglichen Verkehrsflächen von Privatfirmen das Versammlungsrecht nicht einschränken dürften. . Z.B. der zugängliche Bereich des Kaufparks, also sowohl Parkplatz als auch Passage des Innenraumes sind eine öffentliche Verkehrsfläche für die das gleiche Recht für eine Versammlungsfreiheit gefordert werden müßte. Denn betrachtet man die quasi öffentlichen Flächen in privater Hand, so wird deutlich, dass durch die Privatisierung öffentlichen Raumes das Versammlungsrecht an besonders öffentlichkeitswirksamen Orten eingeschränkt wird.

Wie das Beispiel des Protestes gegen Abschiebung im Frankfurter Flughafen gezeigt hat, wird dieses Recht erst durch die Praxis den Weg zum Bundesverfassungsgericht finden. Bislang hat jedoch noch nie eine politische Demonstration oder Kundgebung z.B. auf dem Gelände des Kaufparks stattgefunden.

 

Konsumenten-Urbanität

11.6.10 / In der Urbanitätsdebatte wurde als ein wichtiges Moment der Urbanität "die Begegnung, das Erleben mit dem Fremden" betont. In den 90ern wurde Urbanität immer mehr als "Integration in die Ordnung" und Anpassung an die Mittelklassenkultur begriffen. Die Stadtpolitik bestand darin, Räume kontrolliert einzugrenzen und auszugrenzen, in denen das "Unangenehme" lebt. Immer mehr konzentrierten sich die Planungen auf das, was Bourdieu "Kontrolle über den Raum" nannte. Die Verteilung der sozialen Gruppen in der Stadt sollte gesteuert werden. Die Kommunalverwaltung wurde vom früheren "Verwalter der Daseinsfürsorge" zum "Management des Unternehmens Stadt". Dabei nimmt die Verwaltung zunehmen Aufgaben zum Schutz von Interessen privilegierter StadtbewohnerInnen wahr. Es soll kulturell und urban zugehen, aber bitte geordnet. Konsum und Erlebnisveranstaltungen ja, aber bitte in geordneten Bahnen. Der Bürger, die Bürgerin wird auf die Planungseinheit "KonsumentIn" reduziert.
Walter Benjamin gab seinem Verhalten im städtischen Raum dadurch Ausdruck, dass er mit einer Schildkröte durch die Stadt spazierte. Er wollte verdeutlichen was für ihn "Flanieren" bedeutet. Dies tat er als freier Flanierender. StadtbewohnerInnen von heute werden in der Stadtplanung nur noch als "flanierender Konsument" betrachtet und akzeptiert.

Notizen zur Veranstaltung mit Klaus Ronneberger im April 2010

Klaus Ronneberger Veröffentlichungen

  • Stadt-Welt 1994
  • Die neue Dienstleistungsstadt 1995
  • Capitales Fatales 1995
  • Die Stadt als Beute, 1999
  • Fragmente städtischen Alltags 2000

Foto: Klaus Ronneberger April 2010 in Göttingen


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Sauberkeit, Ordnung, Sicherheit

Beseitigung aller Grafittis, die Bestrafung von kleinsten "Vergehen" und sogar das Fußballspielen mit Getränkedosen..

Aktion "Saubere Stadt" (wie auch schon in Berlin durchgeführt) hängt mit einer Sicherheits-Strategie auf kommunaler Ebene zusammen. Ausgerechnet der ehemalige Bundesinnenminister Kanther , ein Mann mit einer ziemich schmutzigen Weste, hatte sich damals als Vorreiter für die Aktionen "Saubere Stadt" aus dem Fenster gehängt. Er verlangte rigoroses Vorgehen gegen kleinste Regelverstösse wie z.B. Bierdosen wegwerfen oder graffiti. Die Aktion "saubere Stadt" sollte der Verwahrlosung und Kriminalisierung vorbeugen. Sie ist daher weniger eine hygienische Aktion, denn das könnte man auch mit einer besseren Ausstattung der Stadtreinigung erreichen, sondern es handelt sich eher um eine psychologische Aktion zur Schaffung eines Ordnungs-Klimas.

 

Aktion "Saubere Stadt 2003"

Ab 28.2.03 lief seitens der Stadtverwaltung eine große "kommunale Sauberkeits – Kampagne. Gleichzeitig wurde von Wolfgang Meyer in seiner Funktion als Ordnungsdezernent und Werksleiter der Stadtreinigung ein neuer Bußgeldkatalog "gegen Fehlverhalten" vorgestellt." mit 25.000 sechsseitigen Flyern, auf Hunderten von Plakaten, Anzeigen in allen Medien, mit 3.000 Aufklebern, auf City – Cards, durch einen Kinospot und auch mit einer öffentlichen Aktion am 21./22.3. mit Comedy und Live-Bands die allerdings mit einer Kritik-Aktion konfrontiert wurde. 200  Unternehmen, vor allem Innenstadt – Händler, haben ihre Zustimmung signalisiert, wollen Plakate aushängen und Broschüren auslegen.

Gleichzeitig wurde von Wolfgang Meyer in seiner Funktion als Ordnungsdezernent und Werksleiter der Stadtreinigung ein neuer Bußgeldkatalog "gegen Fehlverhalten" vorgestellt. Ab Mai 2003 soll "konsequent gegen unbelehrbare Schmutzfinken" vorgegangen werden, kündigten OB Danielowski und Meyer an. "Ca. 30 Außendienstmitarbeiter der Stadtreinigung Göttingen und der Fachbereiche Ordnung und Tiefbau & Baubetrieb, die speziell geschult und zu Vollzugsbeamten bestellt worden; sie können dann vor Ort künftig direkt eine kostenpflichtige Verwarnung aussprechen." Zunächst soll dann erst eine "gelbe Karte" also ein Verweis ausgesprochen werden und danach eine "rote Karte" und ein Bußgeld.

Wegwerfen von Zigaretten, Kaugummis, Taschentüchern, Lebensmittelresten, Pappbechern, Papier 10 Euro
Zigarettenschachteln, Papiertüten, Dosen, Plastikbeuteln, Getränken, Einweggeschirr 15 Euro
Glasflaschen, Scherben, Blech- und Eisenresten, scharfkantigen Gegenständen 20-35 Euro
Verunreinigung durch Hundekot 15 Euro
Ausleerung eines Aschenbechers (Auto) 35 Euro
Bemalen/Beschmieren von öffentlichen Gebäuden und Gegenständen 50 Euro
Füttern von Tauben 25 Euro
Unbefugtes Bekleben mit Plakaten 25 Euro

 

Saubere Stadt durch mehr Polizei?

PunkerInnen, Obdachlose, BettlerInnen, AlkoholikerInnen, und Drogenabhängige möchten die Ratspolitiker*innen für Ordnung und Sicherheit vor allem aus dem Innenstadtbereiche weghaben. Aber eine Stadt ist mehr als eine Ansammlung von Einwohnern, die funktional auf die Interessen des Innenstadthandels ausgerichtet sind. Die ganze Aktion "Saubere Stadt" versucht mit einer Disziplinierung allgemeiner Art die Stimmung in Göttingen zu verändern.

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Polizei mit zwei Streifenwagen und 5 Beamten wollen 2003 klären, wieso sich Punker am Gänseliesel niedergelassen haben.

Die Grünen erklärten gegen die Polizei-Stadt-Ideen im Mai 03 "Bunt und vielfältig muss unsere Innenstadt bleiben.  Ein verstärktes Polizeiaufkommen macht die Innenstadt nicht attraktiver, im Gegenteil. Die "neue Sauberkeitskampagne" sei kleinkariert und wie die Grünen anmerken, kein Zeichen von "Weltoffenheit", welche der Oberbürgermeister im gleichen Atemzug für sich in Anspruch nehme. Man könne soziale Randgruppen und jugendliche Szenen nicht einfach aus der Stadt verbannen. Statt auf die betroffenen Menschen zuzugehen und die Straßensozialarbeit auszubauen, falle Danielowski nichts anderes ein, als mit Polizeigewalt "unerwünschte Personengruppen" zu verdrängen ..." 

 

Die Stadt gehört auch Armen und Obdachlosen

Mittagstisch St. Michael schrieb schon 1998: "Um auf unsere Perspektive der sogenannten "Innenstadtproblematik" aufmerksam zu machen, beteiligten wir uns am bundesweiten Aktionstag "Die Stadt gehört allen!", Freitag, den 11. September 1998 ab 12 Uhr mit einem öffentlichen Mittagstisch auf dem Marktplatz vor dem Alten Rathaus."

"Leute mit Geld für Konsum finden bei Handel und Gastronomie ihr Angebot; Leute ohne Geld erscheinen hin und wieder als Störfaktoren, weil auch sie Raum in der Öffentlichkeit beanspruchen. Um mit Konflikten umzugehen, die entstehen, wenn die Lebenswirklichkeit von Armen oder anders auffälligen mit der Konsumwelt zusammentreffen, muß es andere Alternativen geben, als Polizei oder private Sicherheitsdienste. Wenn Behörden, Geschäftsleute und Initiativen und Bürger zusammenwirken, müßte es gelingen, sie zu finden und zu entwickeln."

"Die Stadt gehört allen! Deshalb wünschen wir uns von den Stadtplanern und Lokalpolitikern, besondere Anstrengungen zu unternehmen, Non-Profit-Angebote in der Stadt zu initiieren und zu fördern!"

Seit langem setzen wir uns für einen Treffpunkt für Drogenabhängige ein. Genauso fehlt im Winter eine Wärmestube für Obdachlose. Gäste mit wenig Geld, die keiner "Problemgruppe" angehören, würden sich über ein Café freuen, dessen Preise ihrem geringen Einkommen angepaßt sind."


Kritikaktionen gegen die "Saubere Stadt"-Propaganda

Kritikaktion 2003

Mit einer öffentlichen Unterhaltungsveranstaltung am 22.3.03 wollte die Stadverwaltung an der Jacobikirche Werbung für die saubere Stadt machen. Die Nörgelbuff-Haus-Band diesmal mit Sänger Sascha Mönich von Soulcakes und der Moderator vom Stadtradio spulten ein von bedrückenden Kriegsmeldungen unbelastetes Programm für die Stadt ab - nicht mal mit einer Zwischenbemerkung auf die besondere Situation eingehend. Aber dann als Rechtsdezernent Meyer gerade zum zweiten Mal eine Werberede für die saubere Stadt halten wollte, kam eine als Putzfrauen gekleidete Gruppe auf die Bühne und brachte sowohl das allgegenwärtige Thema der Irakbombardierung als auch die Kritik an der Säuberungsaktion ein.

sauber6.jpg (19186 Byte) Der Moderator des Stadtradios versuchte sein gerade begonnenes Frage- und Antwortspiel mit Meyer zur städtischen Säuberung fortzusetzen. Die Erinnerung an den Krieg bezeichnete er als "sagen wir mal Show-Einlage"

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Schnelles Reaktionsvermögen zeigten die Frauen, als 2 Leute zwecks Comedy auf die Bühne kamen, einer davon anfing Gitarre zu spielen und fragte etwas hämisch "und jetzt? fehlen Euch die Worte?" Nein! nun übernahmen die Frauen die Melodie und skandierten ihren Protest passend zur Meldodie - 1:0 für die Frauen.

Meldung des Stadtradios auf dessen Webseite am 24.3.: "Zu kleineren Störungen kam es am Samstag, als Friedensaktivisten die Veranstaltung nutzten, um sich gegen den Krieg im Irak zu wenden." (Hervorhebung goest!)

Flugblatt der "Putzkolonne"

"Liebe Mitbürger und liebe Mitbürgerinnen, sehr geehrte Besucher und Besucherinnen Göttingens
"Göttingen soll sauber werden" - das ist ein zentrales Anliegen unserer Politiker/innen' und der Stadtverwaltung. Dieses Ansinnen finden wir sehr erstrebenswert. Wir möchten daher die Sauberkeits- und Ordnungsoffensive mit allen unseren Kräften unterstützen. Zonen der Unordnung dürfen nirgends geduldet werden. Was unser Außenminister Fischer schon für die ganze Welt konstatierte, muss doch erst recht innerhalb Deutschlands gelten. Wenn die BRD sich anschickt in der Welt Ordnung zu schaffen, können wir nicht zulassen, dass die eigenen Städte in Müll und Chaos versinken. Erklären wir deshalb nicht nur anderen Regierungen den Krieg, sondern der eigenen Gesellschaft! Sorgen wir hier wie dort für Ordnung und Kontrolle. Keiner soll sich mehr unbeobachtet fühlen können, denn nur wer nicht kontrolliert wird, wirft seinen Müll einfach auf die Straße. Es reicht eben nicht mehr Papierkörbe aufzustellen. Wie die Stadtverwaltung ganz richtig erkannt hat gibt es zu viele Uneinsichtige. Daher wird folgerichtig eine Müllpolizei diesen Unbelehrbaren eine gelbe Karte zeigen. Bei wiederholtem Verstoß gibt es die rote Karte und ein Verwarngeld bis zu 50 Euro.
Wir können nur hoffen, dass die Stadt in naher Zukunft auch mehr Überwachungskameras in der Stadt anbringen wird. Auch die Müllpolizei kann ihre Augen nicht überall haben. Überwachungskameras bieten darüber hinaus die Möglichkeit, endlich auch ein einkaufsgerechtes Verhalten in der Stadt durchsetzen zu können. Schließlich ist die Innenstadt eine Konsummeile und nicht dafür gedacht rum zu stehen oder zu sitzen oder gar zu demonstrieren und dadurch den Fußgängerverkehr zwischen den Geschäften zu behindern. Das trübt alles nur die Einkaufsfreude. Bis es soweit ist sind wir alle aufgefordert, mitzuhelfen. Die ,,Putzkolonne -Wir helfen mit" will genau diese Unterstützung leisten.

 

Saubere Stadt durch Eliminierung unerwünschter Plakate 2003/2004

Die Autonome Antifa (M).. hatte die Säuberungskampagne des damaligen OB Danielowskis aufs Korn genommen. Es gab dazu ein Flugblatt und ein Plakat das zum Plakatieren aufruft.

Auszüge aus dem Flugblatt: "keine drei Wochen dauerte es bis Bürgerhausmeister Danielowski im Lokalblatt den Bogen vom ungefragt geklebten Plakat bis zu "bestimmten Personengruppen in der Innenstadt" schlug. Ordnung müsse wieder "herrschen" in  (...)  der Göttinger Innenstadt, die immer mehr einem Einkaufszentrum angeglichen wird. Aufmüpfige Jugendliche auf dem Wilhelmsplatz stören da ebenso wie plakatierte Anzeichen kultureller oder politischer Gegenmodelle, die ein geschlossenes Kulissenbild unterlaufen. ...

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"Die oft beschworene kulturelle Vielfalt, die einen Teil der Stadt ausmacht, soll für Großveranstaltungen mit Vermarktungsfaktor geopfert werden. Das echte Leben soll durch eine Monokultur ersetzt (...), sollen beispielsweise unabhängige Kulturinitiativen nun gezwungen werden, gegen Geld mit Plakaten in Wechselrahmen zu werben. Dieser Versuch der Kommerzialisierung der Plakatflächen kann nur als Kampfansage gegen jede Art von freier, unabhängiger politischer und kultureller Arbeit verstanden werden. (...). Der Versuch, den öffentlichen Raum als Ware zu handeln wird auch mit einem immensen Überwachungsaufwand kaum durchzusetzen sein." "Die Maßnahmen und Äußerungen zur "Säuberung" der Innenstadt finden ihre überregionalen Äquivalente im neuen niedersächsischen Polizeigesetz, welches die lange gestrichene Begrifflichkeit der "öffentlichen Ordnung" wiedereinführt und die präventiven d.h. willkürlichen Polizeibefugnisse erheblich ausweiten soll, sowie in der Abschiebepolitik der Bundesregierung und schließlich in der Festung Europa." (...)


Brave Plakatierung Plakatierung kanalisieren  450 Plakatflächen an Straßenlaternen geplant
April 2004 / "Die Veranstaltungswerbung an Straßenlaternen im Gebiet der Stadt Göttingen wird neu geordnet. Die Gesellschaft für Werbung in Südniedersachsen (GWS) hat in dieser Woche damit begonnen, die ersten Aluminiumrahmen für das Format DIN A 1 anzubringen, die künftig an maximal 450 Standorten für eine stadtbildgerechte und einheitliche Veranstaltungswerbung sorgen sollen. Verwaltung und Vergabe der Werbeflächen sowie Plakatierung und Abrechnung liegen künftig ausschließlich in Händen der GWS, die schrittweise bis Ende Mai dieses Jahres alle Rahmen installieren wird. Vor allem für die Plakatwerbung Göttinger Kulturinstitutionen wird nach Angaben der Stadtverwaltung darüber hinaus ein preisgünstiges Konzept erarbeitet und kurzfristig umgesetzt. Vorgesehen ist, ihnen ca. 80 DIN A 2 – Plakatflächen in Wechselrahmen auf Stromkästen der EAM zur Verfügung zu stellen." (Quelle: www.goettingen.de)

 

Sauberkeitskampagne: Kritikaktion 2004

Während am Marktplatz gegen den Kahlschlag der Sozialsysteme und die Verarmung der Bevölkerung protestiert wird, macht die Stadt ein Werbefest für Sauberkeit und Disziplin ein paar hundert Meter weiter. Werbeplakate mit dem Spruch "Wienern Sie mit",  auf anderen Plakaten merkwürdig anzügliche Sprüche wie "Bringen Sie ihren Sack in Position" (am Rand steht dann noch "gelben"). Das Stadtradio taucht neuerdings offiziell als  Saubermann-Unterstützer auf .

Alle sind anscheindend  dafür - alle? Nein ein kleines gallisches Dorf feiert Karneval mit Konfetti gegen die Saubermänner-Orgie. Wiehern Sie mit !

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Ironisch sarkastische Intervention zur Putzteufels-Exorzierung "Mehr Geld für die Reichen, Sozialhilfe streichen." - Ein Demonstrant sagt Rechtsdezernet Meyer ins Gesicht: "um die saubere Innenstadt macht ihr euch Sorgen, die Menschen, sind euch im Grund aber scheißegal." Rechtsdezernent Meyer meinte übrigens zwischendurch, er könne ja auch Bußgelder an die Konfetti-WerferInnen verteilen.

Mark Gillespie spielte Gitarre auf der Bühne als die Protestierenden ankommen und vor der Bühne skandieren "Mehr Geld für die Reichen, Sozialhilfe streichen" , "hey das muß ein bißchen mehr rocken" sprachs und vertont diesen und andere Sprüche, läßt sich schließlich von jemand noch den Zettel mit Parolen hinhalten, damit der gut ablesen kann und transportiert die Sprüche musikalisch übers Mikro.

 

Saubere Stadt - Entfernen von Nazipropaganda
Groner Bürgerinitiative Antifaschismus

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Den Göttingenweiten Aktionstag "Wir geben dem Müll eine Abfuhr" nutzte die Groner Bürgerinitiative Antifaschismus (GROBIAN) zur Beseitigung von NPD-Schmierereien auf "Stromkästen" und Wertstoffcontainern in Grone. Dabei stellte die Bürgerinitiative fest, dass die beschmierten Kästen, die wie Stromkästen aussehen, der Post gehören. Diese wurden an den beschmierten Frontseiten sauber überlackiert. (Fotos: GROBIAN) Es konnten nicht alle Schmierereien beseitigt werden, da einzelne Kästen zuvor wesentlich gründlicher gereinigt werden müssen, als dies mit den Mitteln der Bürgerinitiative möglich war. Auch die riesigen Hakenkreuz – Schmierereien auf der Begrenzungsmauer zum Nachbargrundstück neben dem Groner Freibad konnten nicht beseitigt werden.
Die Groner Bürgerinitiative Antifaschismus wird sich in den nächsten Tagen an die Verantwortlichen wenden und diese auf diese Sachlage aufmerksam machen.