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il Treno

Experiment Geschwindigkeit
Daniel Ott Raum-Musik in der Lokhalle

>> Filmbeitrag / ARTE auf youtube
>> Darstellung der Konzeption einzelner Wagons in Flash

 

"IL TRENO",  ein von John Cage durchgeführtes Projekt 1977 in Bologna wurde wiederholt unter Leitung von Daniel Ott auf der Strecke Göttingen-Kassel im Rahmen des Festivals "Experiment Geschwindigkeit" 2004 / Bericht von der Fahrt am 12.9.04 g.j.schäfer

Der Zug als Narrenschiff: eine Veranstaltung mit dem Ziel die Grenze zwischen "Normalem" und Absonderlichem aufzuheben; Kunst als alles umfassender Eingriff in die umgebende Realität. Es passte, dass die Fahrt in die von Joseph Beuys beeinflußte Documenta-Stadt Kassel ging. Teilweise ist es il treno auf dieser Fahrt gelungen zu irritieren und Grenzen zu verwischen, Heiterkeit in der Befreiung zu empfinden.
Aber eins hätte John Cage nicht ruhen lassen: da stellte sich eine Gruppe über und neben das Projekt, die Gruppe der medialen Beobachter, Filmer, Tonaufnehmer, Fotografen - in manchen Wagons waren mehr mediale Beobachter von Funk, Fernsehen und Presse als Publikum. Es wird Aufgabe von John Cage - Fans wie Daniel Ott sein, zukünftig diese Gruppe bewußt einzubauen in die Konzeption oder: sie auszuschließen, vielleicht wäre eine mögliche Forderung im Sinne von Cage gewesen: es dürften nur handgemalte Bilder von der Reise gemacht werden und es werden Pinsel und Farbe an die Fahrgäste verteilt.

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Die mediale Verdoppelung und die Frage ob man dies nicht in das Projekt einbeziehen sollte. (Szene auf dem Bahnhof Hann Münden)

"Sind Sie real" lautete die Frage eines Mitreisenden an jemanden, der mit Uniform und Kaffee kurz vor Kassel an seinem Platz vorbeikam. John Cage hätts gefreut - die Grenze soll verwischt werden. Es kamen dauernd irgendwelche Personen durch den Zug die irgendetwas schauspielerten, so dass man irgendwann nicht mehr wußte, was ist Bestandteil des Gespielten und was ist zufällig normal.

il_treno06.JPG (33450 Byte)Der Bahnhof Hann-Münden war wirklich sehr lebhaft als dort ein Stop eingelegt wurde.

Mittelalterlich gekleidete TänzerInnen, eine Blaskapelle zu der einige Walzer tanzten, eine Rockband, eine Mundharmonika-Band.

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Pantomime mit Apfelsinen mischt sich unter die Passanten

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Pantomime: Trauriger junger Mann mit Blumen

In Hann-Münden wie später in Speele eine Frau im roten Kleid mit grünen Schuhen, einem Netz voller Apfelsinen aus dem immer wieder mal eine - wie aus Versehen - herausfiel.Passanten halfen, sie wieder einzusammeln glaubten an ein Versehen. Einmal ließ sie auch eine Apfelsine über das Geländer in die Unterführung fallen, ein Passant warf die Apfelsine wieder hoch. Bei alldem verzog die Pantomime keine Miene und vor Kameras flüchtete sie.

Im Zug während der Fahrt zogen die Leute von Wagon zu Wagon von Abteil zu Abteil auf der Suche nach dem Ort wo was passiert ...

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Plötzlich setzt sich eine Frau auf einen reservierten Platz an dem eine Schreibmaschine steht und tippt den immer gleichen französischen Satz   ein, dann steht eine andere plötzlich auf und läuft schreiend durchs Abteil ein kleines schwarzes Fähnchen schwenkend: there ist no government, no government at all."

il_treno21.JPG (26973 Byte)Nach der Ankunft in Kassel, die Schauspieler, die durch ihre Aktionen im Zug die Leute überraschten, irritierten, erheiterten ...

Und wieder ein anderer rennt einfach nur so durch die Abteile mit Aktentasche in der Geschwindigkeit nur noch übertroffen von einer Frau die auf Rollerskates durch die Abteile fährt. Bei einem Durchgang sitzen Frauen in kleinen Glas-Kabäuschen als seien sie dort eingesperrt

il_treno15.JPG (9524 Byte)und im Abteil merkt man plötzlich dass mit einem jungen Fahrgast wohl etwas nicht stimmt, weil der so komisch vor sich hinbrummelt und leise anfängt zu singen.

Bild links: eine Frau wundert sich  über den leise vor sich hin singenden jungen Mann.

Einige Abteile beschallten den Reisenden mit Endlosschleifen z.B. im Abteil "Kiew" mit ein paar Geräuschen von dortselbst und ein paar Aussagen über Kiewer Bahnhöfe. Ein ganzer Wagon wo jeweils ein Abteil mit einem Lautsprecher ausgestattet war. Das Abspielen von Fahrgeräuschen während der Zug stand oder die Verdoppelung dessen was draussen vorbeizog mit Videokamera, das Fenster mit Guckloch. Mal das Fenster zugeklebt und ein neues Fenstergefühl erzeugt, der etwas einfache Versuch das Normale aufzubrechen.

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Manches war ein bisschen einfach: ein Lautsprecher und ein Fenster mit Guckloch als jeweils einzige Attraktion in den Abteilen eines der Wagons. In anderen waren Videokameras und Bildschirme installiert, in einem Abteil konnte man sich Interviews von Anwohnern der Bahnstrecke anhören, während man an ebenjenen Orten vorbeifuhr.
In einem Wagon war durch ein Projektionsloch in der Abdeckung einer Fensterscheibe ein camera-linsen-effekt erzeugt, der die vorbeirauschende Landschaft auf dem Kopf stehend an die Wand "live" als Film projiezierte.

il_treno14.JPG (17352 Byte)In einem Abteil spielten Streichinstrumente, aber man hörte eigentlich nichts - und was die MusikerInnen über die Kopfhörer hörten blieb auch verborgen - wird wohl irgendeinen Sinn gehabt haben jedenfalls ein ungewöhnlicher Anblick die vielen Instrumente im Abteil.

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il_treno16.JPG (19726 Byte)Da vielfach Leute in Phantasieuniformen herumliefen fragte man sich bei dem Herr im Bild links, ob der nun wie jener mit Uhr als Kopf zum Projekt gehörte oder ob dies ein biederer Bahnbeamter sei. Er gehörte zum "echten Personal" und auf Nachfrage, was er von dem Ganzen halte lautete die Antwort mit Kölner Akzent: "naja isch sache mal, jedem Tierschen sein Pläsierschen". In Witzenhausen war keine Zeit mehr zum Aussteigen, wegen Verspätung. Keine Zeit - dazu paßte der Mann mit Uhr statt Kopf.

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