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Literarisches Zentrum: Joseph Vogl

Anläßlich der Veranstaltung mit Joseph Vogl im Literarischen Zentrum 20 Uhr am Freitag den 4.2.12:
Besprechung seines Buches "Das Gespenst des Kapitals" (2010/2011 Zürich) . Eine philosophisch-soziologisch-literarische Aufdröselung derjenigen Strukturen der Finanzökonomie, die die gesamte Gesellschaft prägen. Zahlen in Klammer (Seitenangaben).


Joseph Vogl am 3.2.12 im Literarischen Zentrum Göttingen

goest-Besprechung Teil 1 / 31.1.12 /

"Das Gespenst des Kapitals" - Damit der Titel keine falschen Vorstellungen weckt, sei gesagt: bei diesem Buch handelt es sich nicht um eine platte politische Abhandlung über Kapitalismus. Vielmehr untersucht Joseph Vogl, was die Wissenschaften der Philosophie, Ökonomie, Finanzen, Psychologie, Soziologie, Literatur und Politik zum Versuch beitragen können, ein Wirtschaftssystem zu erklären, das als Kapitalismus grundlegend auf der Idee der Marktwirtschaft bzw. des freien Austausches aufbaut. So verarbeitet er Aristoteles, Platon, Kant ebenso wie Milton Friedmann, Adam Smith und bis in die Moderne Deleuze, Bourdieu, Derrida und zahlreiche spezielle Fachliteratur zu finanztheoretischen, statistischen, mathematischen, chaostheoretischen Fragen. Die Analyse von Karl Marx ging selbstverständlich auch in Vogls Betrachtung ein, wurde aber nicht in dem Umfang berücksichtigt, den man evtl. bei dem Titel des Buches erwartet, der immerhin einen Bezug zum "Kommunistischen Manifest" beinhaltet ("Ein Gespenst geht um in der Welt, das Gespenst des Kapitalismus"). Dass die "Grundrisse" von Marx unerwähnt blieben, ist schon erstaunlich, insbesondere, da dort zur Methodik "vom Konkreten zum Abstrakten" usw. die zentrale Frage des Buches von Vogl berührt wird. Die Systematik, die Anmerkungen und die Literaturliste des 220 seitigen Buches von Vogl umfassen allein 40 Seiten. Dies alles deutet schon darauf hin, dass es keine allzu einfache Lektüre darstellen könnte. Diese Vermutung wird beim Einstieg in die Lektüre vollauf bestätigt. Vogl verwendet völlig ungehemmt Fremdworte, auch dort, wo es einfachere Worte getan hätten. Allerdings sind sie letztlich so passgenau, dass es bei intensiver Beschäftigung dennoch auch ein ästhetischer Genuß ist, die Lektüre fortzusetzen. Darüber hinaus gleicht das Nachschlagen wenig bekannter Begriffe einer Bildungsreise. So erfahre ich erstmals etwas über die Existenz von "Ergodizität", "Chrematistik", Theodizee / Oikodizee", "proleptisches" und "providentielles", "prokreatives", "affilieren" und "filiatives" und das alles nicht als "hypokritische Kontingenz". Ja , Latein und Griechisch - Wörterbücher können bei der Lektüre hilfreich sein. Wie gesagt - dennoch ein ästhetischer Genuss und schon daher ist die Lektüre ohne Reue möglich.

Darüber hinaus geht es aber um die Sache. Erhellend war der biographische Hinweis, dass Vogl ab 1999 Professor für Geschichte und Theorie künstlicher Welten an der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar war. Und nun beschäftigt sich Vogl in "Das Gespenst des Kapitals" mit der "Unheimlichkeit ökonomischer Prozesse [.. ] in denen zirkulierende Objekte und Zeichen einen gespenstischen Eigensinn entwickeln." (7)
Eingangs erläutert Vogl mit einem literarischen Einstieg über mehrere Seiten hinweg die Unsicherheit des modernen finanzökonomischen Systems anhand des Börsenromans "Cosmopolis" von DeLillo, der den Verdacht nährt, "dass sich die Welt des finanzökonomischen Systems durch einen Ereignissturm charakterisiert, der zur Chiffre größter Gefährlichkeit geworden ist." (17). Nach dieser Einleitung arbeitet Vogl zunächst sehr gut die geistesgeschichtlichen Legitimationsversuche der Marktideologie heraus. Er beschreibt wie die Mechanismen des Marktes als ordnende Kraft, sowohl bei der Verteilung der Waren, als auch bei der Gerechtigkeit der Verteilung stilisiert wurden. In dieser ökonomischen Rechtfertigungsideologie (Oikodizee) erscheint als kleinstes Element der selbstsüchtige einzelne Mensch, dessen Egoismus durch die Marktmechanismen (die unsichtbare ordnende Hand des Marktes) seltsamerweise im Endeffekt eine gute Entwicklung der Gesellschaft ermöglicht. Dabei beschränkt sich Vogl auf das ideologisches Modell des Liberalismus, als "Idylle des Marktes". Die Einschränkungen des Marktes durch Machtstrukturen, und Monopolisierung bleiben an dieser Stelle und auch in seinen weiteren Betrachtungen ausgespart. Dies habe ich als Mangel empfunden, denn große Konzerne herrschen über große Bereiche, die der Regulierung durch den Markt entzogen sind. Es sind vielmehr Bereiche der Planung, die unter einem einzigen Kommando stehen und sogar über die Unternehmensgrenzen hinaus den Marktmechanismus verzerren können.

Im zweiten Schritt beschreibt Vogl die Ablösung der Finanzströme von der Welt des materiellen Austausches. Die ökonomische Theorie, so mutmaßt Vogl, habe eventuell eine gewisse Resistenz gegenüber der Tatsache gezeigt, "dass sich eine genuin kapitalisitsche Struktur, d.h. der Handel mit Kredit, Vermögenswerten, Profitaussichten und also mit Zeit, nicht mehr direkt in elementare Tausch- und Ausgleichsverhältnisse rückübersetzen lässt." (62). So nähert sich Vogl der Gegenwart, indem er die zunehmende Ablösung und Abstraktifizierung der Finanzprozesse beschreibt. Die umlaufenden Banknoten entsprechen nicht mehr Warenwerten, Gold oder Grundbesitz, sondern eine Banknote gleicht einem Versprechen, das nur eingehalten werden kann, wenn seine Einlösung nicht verlangt wird. "Kreditwirtschaft wird zur Voraussetzung des Geldumlaufs". Die Marktideologie des Liberalismus, so stellt er fest, versucht nun trotz dieser Abstraktifizierung aufs Neue eine Rechtfertigung, diesmal jedoch des Marktmechanismus im Bereich der Finanz- und Devisenmärkte.
Auch für diesen Bereich zeigt Vogl die weitere Abstraktifizierung: "Tatsächlich also lässt sich die Logik des Future-Handels nur so beschreiben, dass er die physischen Bedingungen der Produktion ebenso umgeht wie die Materialität von Transfer und Transport. In ihm wird die Bindung zwischen Ware und Preis, zwischen Zahlung Wertreferenten gelockert oder gelöst..." (93) Gelegentlich gelingen Vogl Formulierungen kabarettistischer Qualität: "Jemand der eine Ware nicht hat, sie weder erwartet noch haben will, verkauft diese Ware an jemanden, der diese Ware ebensowenig erwartet oder haben will und sie auch tatsächlich nicht bekommt." (94) oder noch besser: "also führt die Vernunft oder Effizienz der Finanzmärkte dazu, dass das Wetten auf künftige Kursverläufe dem Spiel eines Schimpansen gleicht, der mit verbundenen Augen Dartpfeile auf den Börsenteil einer Zeitung wirft." (100) Allerdings wechselt diese anschauliche Betrachtung sofort wieder hin zur fachlichen Betrachtung z.B. der komplexen Derivatenberechnung mit Hilfe der >>"Black-Scholes-Differentialgleichung" (102). [Die passende Stelle für eine Pause]

G. Schäfer / Fortsetzung mit Teil 2 folgt ... nach der Veranstaltung als Veranstaltungsbericht


Moderatorin Janet Boatin (Göttingen/Berlin) im Gespräch mit Joseph Vogl

 

Veranstaltungsnotizen 5.2.12 / Teil 2

Joseph Vogl verzichtete auf eine "Lesung", dazu eigne sich das Buch nicht. Stattdessen gab er auf die Fragen und Stichworte der Moderatorin Janet Boatin (Uni Göttingen) Antworten in druckreifer Form. Dabei auch locker und unverkrampft, mit wesentlich weniger Fremdworten als in seinem Buch.

Der wichtigste Aspekt der Diskussion wurde gegen Ende angesprochen: Die Frage "Wo bleiben in seiner Analyse die Subjekte?" bezieht sich darauf, dass er Strukturen beschreibt, System beschreibt und schließlich das System nur noch mit Zufallsereignissen die Akteure überrascht. Damit schließt sich auch der Kreis in seinem Buch, denn genau so wird am Anfang auf den Börsenroman DeLillos bezug genommen: Ein Börsenmakler verliert während einer Taxifahrt Schritt für Schritt alles was er besitzt - ständig begleitet von der Meldung "und schon wieder ist der yen gestiegen".

Zunächst kann hier noch einmal die Kritik anknüpfen, dass nicht alles Zufall und Objekt der Chaostheorie ist, was in finanzökonomisch dominierten Sytemen auf marktwirtschaftlicher Basis passiert. Stattdessen gilt es zu beachten, dass große Bereiche unter einem einzigen planerischen Oberkommando stehen. Unternehmen und Konzerne mit mehreren Zehntausend Beschäftigten und einer großen Zusammenballung von gebundenem Kapital in Form von Immobilien, Maschinen, Materialien, halbfertigen Produkten und Lagern bilden praktisch Bereiche innerhalb deren keine Marktwirtschaft sondern Planwirtschaft unter der Herrschaft der UnternehmenseigentümerInnen stattfindet. Darauf angsprochen brachte Vogl selbst als Beispiele für größte planerische Zusammenballungen die Monopolstrukturen der Energiewirtschaft und Finanzwirtschaft in die Diskussion. Da Vogl sich in seinem Buch jedoch ausschließlich mit dem Marktprinzip und dessen Unzulänglichkeiten beschäftigte landete er am Ende mit seiner Argumentation dort, wo er mit dem Roman DeLillos begonnen hatte, nämlich mit der Beschreibung, die Finanzsysteme seien chaotisch reagierende Systeme, die die Gesellschaft mit dem Hereinbrechen von zufälligen, willkürlichen Prozessen bedrohen. Dies erinnert an die subjektlose strukturalistische Geschichtsbetrachtung. Aber wo planerischer Einfluß nicht nur innerhalb der Unternehmen unter deren Kommando sondern auch durch ihren planerischen Einfluß auf den Markt besteht, da handeln eben auch Subjekte. Werden die verantwortlichen Subjekte, Institutuionen bzw. "Akteure" nicht benannt, entsteht eine Leerstelle für die politische Betrachtung des Ganzen. Für politisches Handeln ist es wichtig, die Akteure, die Subjekte zu benennen, die Verantwortung tragen.
Passend kam gegenüberstellend
die Frage aus dem Publikum kam, wer seiner Meinung nach denn die Träger der Veränderung sein könnten. Auch hier wurde die Diskussion in Richtung der handelnden Subjekte gelenkt und nicht ein anonymes System als moralisch verantwortlich stilisiert. (Diese Betrachtungsweise blockieren übrigens das Handeln etlicher politischer Gruppen, die sich nicht mit konkreten Verantwortlichkeiten sondern nur "ums Ganze" kümmern möchte.) Vogl eröffnete in diesem Teil des Gesprächs einen Ausblick auf die Richtung in der er das Thema weiterdenken möchte: die Suche nach Bereichen der Souveränität, Bereichen souveränen Handelns innerhalb des Systems.

Auf Fragen aus dem Publikum nach seinem Verhältnis zu den Marx' schen Analysen antwortete er: Obwohl man es bei seinem Alter annehmen könnte, sei er nicht "marxistisch sozialisiert" und habe erst spät mit der Lektüre von Marx angefangen.

Geradezu Loriot-Qualität hatte die Szene als sich eine Frau aus dem Publikum meldete, die dem Äußeren nach als das Gegenteil marxistisch revolutionären Outfits erschien. Ich erwartete ein bildungsbürgerliches BlaBla, aber diese Frau hatte mehr Marx als Vogl gelesen und monierte, Vogl habe versäumt, den zweiten Band des Kapitals von Marx ausreichend zu berücksichtigen obwohl der doch genau für sein Thema so viel beizutragen hätte. (Spruch fürs Kabarett: Da sieht man mal wie raffiniert sie die Marxisten sich inzwischen in der Mitte der Gesellschaft verstecken!")

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Vogl signierte anschließend Bücher und als ich ihn bat, er möge einfach irgendetwas schreiben, woran man erkenne, dass es diesen Menschen gibt, der so was schreibt, da notierte er "Hiermit bestätigt sich das Dasein von: Joseph Vogl - denn es ist nur, was geschrieben ist."

Günter Schäfer / goest / Feb. 2012

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