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des Goettinger Stadtinfo- GOEST Literarisches Zentrum: Joseph Vogl Anläßlich
der Veranstaltung mit Joseph Vogl im Literarischen
Zentrum 20 Uhr
am Freitag den 4.2.12:
goest-Besprechung Teil 1 / 31.1.12 / "Das Gespenst des Kapitals" - Damit der Titel keine falschen Vorstellungen weckt, sei gesagt: bei diesem Buch handelt es sich nicht um eine platte politische Abhandlung über Kapitalismus. Vielmehr untersucht Joseph Vogl, was die Wissenschaften der Philosophie, Ökonomie, Finanzen, Psychologie, Soziologie, Literatur und Politik zum Versuch beitragen können, ein Wirtschaftssystem zu erklären, das als Kapitalismus grundlegend auf der Idee der Marktwirtschaft bzw. des freien Austausches aufbaut. So verarbeitet er Aristoteles, Platon, Kant ebenso wie Milton Friedmann, Adam Smith und bis in die Moderne Deleuze, Bourdieu, Derrida und zahlreiche spezielle Fachliteratur zu finanztheoretischen, statistischen, mathematischen, chaostheoretischen Fragen. Die Analyse von Karl Marx ging selbstverständlich auch in Vogls Betrachtung ein, wurde aber nicht in dem Umfang berücksichtigt, den man evtl. bei dem Titel des Buches erwartet, der immerhin einen Bezug zum "Kommunistischen Manifest" beinhaltet ("Ein Gespenst geht um in der Welt, das Gespenst des Kapitalismus"). Dass die "Grundrisse" von Marx unerwähnt blieben, ist schon erstaunlich, insbesondere, da dort zur Methodik "vom Konkreten zum Abstrakten" usw. die zentrale Frage des Buches von Vogl berührt wird. Die Systematik, die Anmerkungen und die Literaturliste des 220 seitigen Buches von Vogl umfassen allein 40 Seiten. Dies alles deutet schon darauf hin, dass es keine allzu einfache Lektüre darstellen könnte. Diese Vermutung wird beim Einstieg in die Lektüre vollauf bestätigt. Vogl verwendet völlig ungehemmt Fremdworte, auch dort, wo es einfachere Worte getan hätten. Allerdings sind sie letztlich so passgenau, dass es bei intensiver Beschäftigung dennoch auch ein ästhetischer Genuß ist, die Lektüre fortzusetzen. Darüber hinaus gleicht das Nachschlagen wenig bekannter Begriffe einer Bildungsreise. So erfahre ich erstmals etwas über die Existenz von "Ergodizität", "Chrematistik", Theodizee / Oikodizee", "proleptisches" und "providentielles", "prokreatives", "affilieren" und "filiatives" und das alles nicht als "hypokritische Kontingenz". Ja , Latein und Griechisch - Wörterbücher können bei der Lektüre hilfreich sein. Wie gesagt - dennoch ein ästhetischer Genuss und schon daher ist die Lektüre ohne Reue möglich. Darüber
hinaus geht es aber um die Sache. Erhellend war der biographische Hinweis, dass
Vogl ab 1999 Professor für Geschichte und Theorie künstlicher Welten
an der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar war. Und nun beschäftigt
sich Vogl in "Das Gespenst des Kapitals" mit der "Unheimlichkeit
ökonomischer Prozesse [.. ] in denen zirkulierende Objekte und Zeichen einen
gespenstischen Eigensinn entwickeln." (7) Im
zweiten Schritt beschreibt Vogl die Ablösung der Finanzströme von der
Welt des materiellen Austausches. Die ökonomische Theorie, so mutmaßt
Vogl, habe eventuell eine gewisse Resistenz gegenüber der Tatsache gezeigt,
"dass sich eine genuin kapitalisitsche Struktur, d.h. der Handel mit Kredit,
Vermögenswerten, Profitaussichten und also mit Zeit, nicht mehr direkt in
elementare Tausch- und Ausgleichsverhältnisse rückübersetzen lässt."
(62). So nähert sich Vogl der Gegenwart, indem er die zunehmende Ablösung
und Abstraktifizierung der Finanzprozesse beschreibt. Die umlaufenden Banknoten
entsprechen nicht mehr Warenwerten, Gold oder Grundbesitz, sondern eine Banknote
gleicht einem Versprechen, das nur eingehalten werden kann, wenn seine Einlösung
nicht verlangt wird. "Kreditwirtschaft wird zur Voraussetzung des Geldumlaufs".
Die Marktideologie des Liberalismus, so stellt er fest, versucht nun trotz dieser
Abstraktifizierung aufs Neue eine Rechtfertigung, diesmal jedoch des Marktmechanismus
im Bereich der Finanz- und Devisenmärkte. G. Schäfer / Fortsetzung mit Teil 2 folgt ... nach der Veranstaltung als Veranstaltungsbericht
Veranstaltungsnotizen 5.2.12 / Teil 2 Joseph
Vogl verzichtete auf eine "Lesung", dazu eigne sich das Buch nicht.
Stattdessen gab er auf die Fragen und Stichworte der Moderatorin Janet Boatin
(Uni Göttingen) Antworten in druckreifer Form. Dabei auch locker und unverkrampft,
mit wesentlich weniger Fremdworten als in seinem Buch. Der wichtigste Aspekt der Diskussion wurde gegen Ende angesprochen: Die Frage "Wo bleiben in seiner Analyse die Subjekte?" bezieht sich darauf, dass er Strukturen beschreibt, System beschreibt und schließlich das System nur noch mit Zufallsereignissen die Akteure überrascht. Damit schließt sich auch der Kreis in seinem Buch, denn genau so wird am Anfang auf den Börsenroman DeLillos bezug genommen: Ein Börsenmakler verliert während einer Taxifahrt Schritt für Schritt alles was er besitzt - ständig begleitet von der Meldung "und schon wieder ist der yen gestiegen". Zunächst
kann hier noch einmal die Kritik anknüpfen, dass nicht alles Zufall und Objekt
der Chaostheorie ist, was in finanzökonomisch dominierten Sytemen auf marktwirtschaftlicher
Basis passiert. Stattdessen gilt es zu beachten, dass große Bereiche unter
einem einzigen planerischen Oberkommando stehen. Unternehmen und Konzerne mit
mehreren Zehntausend Beschäftigten und einer großen Zusammenballung
von gebundenem Kapital in Form von Immobilien, Maschinen, Materialien, halbfertigen
Produkten und Lagern bilden praktisch Bereiche innerhalb deren keine Marktwirtschaft
sondern Planwirtschaft unter der Herrschaft der UnternehmenseigentümerInnen
stattfindet. Darauf angsprochen brachte Vogl selbst als Beispiele für größte
planerische Zusammenballungen die Monopolstrukturen der Energiewirtschaft und
Finanzwirtschaft in die Diskussion. Da Vogl sich in seinem Buch jedoch ausschließlich
mit dem Marktprinzip und dessen Unzulänglichkeiten beschäftigte landete
er am Ende mit seiner Argumentation dort, wo er mit dem Roman DeLillos begonnen
hatte, nämlich mit der Beschreibung, die Finanzsysteme seien chaotisch reagierende
Systeme, die die Gesellschaft mit dem Hereinbrechen von zufälligen, willkürlichen
Prozessen bedrohen. Dies erinnert an die subjektlose strukturalistische Geschichtsbetrachtung.
Aber wo planerischer
Einfluß nicht nur innerhalb der Unternehmen unter deren Kommando sondern
auch durch ihren planerischen Einfluß auf den Markt besteht, da handeln
eben auch Subjekte. Werden die verantwortlichen Subjekte, Institutuionen bzw.
"Akteure" nicht benannt, entsteht eine Leerstelle für die politische
Betrachtung des Ganzen. Für politisches Handeln ist es wichtig, die Akteure,
die Subjekte zu benennen, die Verantwortung tragen. Auf Fragen aus dem Publikum nach seinem Verhältnis zu den Marx' schen Analysen antwortete er: Obwohl man es bei seinem Alter annehmen könnte, sei er nicht "marxistisch sozialisiert" und habe erst spät mit der Lektüre von Marx angefangen. Geradezu Loriot-Qualität hatte die Szene als sich eine Frau aus dem Publikum meldete, die dem Äußeren nach als das Gegenteil marxistisch revolutionären Outfits erschien. Ich erwartete ein bildungsbürgerliches BlaBla, aber diese Frau hatte mehr Marx als Vogl gelesen und monierte, Vogl habe versäumt, den zweiten Band des Kapitals von Marx ausreichend zu berücksichtigen obwohl der doch genau für sein Thema so viel beizutragen hätte. (Spruch fürs Kabarett: Da sieht man mal wie raffiniert sie die Marxisten sich inzwischen in der Mitte der Gesellschaft verstecken!") ----- Vogl signierte anschließend Bücher und als ich ihn bat, er möge einfach irgendetwas schreiben, woran man erkenne, dass es diesen Menschen gibt, der so was schreibt, da notierte er "Hiermit bestätigt sich das Dasein von: Joseph Vogl - denn es ist nur, was geschrieben ist." Günter Schäfer / goest / Feb. 2012
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