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Martin Walser - Veranstaltung und Absage

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Stellungnahme des Literarischen Zentrums und Absage 7.10.03
Protestschreiben an das Literarische Zentrum 30.9.03
Text mit dem die Veranstaltung angekündigt war 5.9.03

Kurze Zusammenfassung

Für den 11. Oktober 2003 plante das >Literarische Zentrum eine Veranstaltung mit Martin Walser durchzuführen.  Moritz von Uslar (Autor/Dramatiker, Berlin) sollte Martin Walser mit der Technik seines speziellen Interviews befragen. 100 freche, unerwartete Fragen, die schnell beantwortet werden müssen und deren Beantwortung im Magazin der Süddeutschen Zeitung abgedruckt werden. U.a. hat er damit schon Mick Jagger und Hillary Clinton im Interview gehabt.

Bei der Vorstellung des Herbstprogramms schien es fast so, als ob die Veranstalter die mögliche Problematik der geplanten Veranstaltung mit Martin Walser in Göttingen nicht realistisch einschätzten. Martin Walsers hatte am 11. Oktober 1998, eine Rede anlässlich des an ihn vergebenen Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in Frankfurt gehalten. Und in bezug auf die Frage, wie heute mit der Erinnerung an den deutschen Faschismus, bzw. der Schuld  umgegangen werden solle, hat er fragwürdige Äußerungen gemacht. Ursula Apitzsch meinte dass er "als Angehöriger der intellektuellen Elite der Bundesrepublik indirekt die Deutschen zum Vergessen ermunterte" .
Im gemeinsamen TV-Gespräch zwischen Martin Walser und dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, sagte Bubis ,er verstehe das was Walser meine, das wäre aber nicht identisch mit der Wirkung die er damit erziele. Walser würde nicht bedenken, was er damit auslöse aber dafür sei er doch auch verantwortlich. Walser verschloß sich unverständlicherweise diesem Argument im Gespräch.
Die folgenden Links zeigen einen kleinen Ausschnitt aus dem Spektrum der Kritik an Walser - die härteste Form findet sich im Indymediabericht.
>> Ursula Aptizsch
>> Martin Krzywdzinski Politikwissenschaft FU Berlin
>> Indymediabericht Lesung mit Walser Oktober 2002

Gegen die in Göttingen geplante Veranstaltung wurden Proteste angekündigt und das Literaturzentrum wurde in einem Schreiben aufgefordert, die Veranstaltung abzusagen. Die Veranstaltung, so gab das Literarische Zentrum am 7.10.03 bekannt, wird nun ersatzlos gestrichen.

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Stellungnahme des Literarischen Zentrums Presserklärung 7.10.03:

Stellungnahme zu der von verschiedenen Gruppen und Personen (u.a. OLAfA/ Offene Linke – Alles für Alle) geforderten Absetzung der Gesprächs-Veranstaltung mit Martin Walser und Moritz von Uslar im Literarischen Zentrum Göttingen am Sa., 11.10.03
Die geplante Veranstaltung des Magazins der Süddeutschen Zeitung und des Literarischen Zentrums mit dem Schriftsteller Martin Walser und dem Journalisten Moritz von Uslar geht auf Initiative des Literarischen Zentrums Göttingen zurück.
Das Literarische Zentrum hat während seines dreijährigen Bestehens einen wesentlichen Schwerpunkt auf das offene Gespräch zwischen Gästen und Moderatoren, zwischen Publikum und Podiumsgästen gelegt. Wir glauben, dass solche offenen Gespräche mit und über Autoren oder Bücher, Regisseure und Filme, Wissenschaftler und Wissenschaft, Medienmacher und Medien ein zuverlässig wirksames und nachhaltiges Mittel sind gegen Intoleranz, Indifferenz und doktrinäre Systeme. Literatur und Kunst entsprechen am meisten menschlicher Vielschichtigkeit. Wir glauben an das Fröhliche in der Literatur ebenso wie an ihr Tragisches und setzen auf die heitere zerstrittene Ehe von U und E, von Unterhaltung und Ernst.
Bei der Veranstaltung mit Martin Walser und Moritz von Uslar ging es uns darum, die Gesprächsform, die von Uslar für seine "100 Fragen" zuvor u.a. an Mick Jagger, George Clooney oder auch Hillary Clinton erfolgreich erprobt hat, live und erstmals mit einem Schriftsteller erlebbar werden zu lassen. Ein Gespräch sollte ‚hergestellt’ werden, das Publikum sollte daran teilnehmen und sich ein Urteil bilden. Dieses Gespräch sollte stattfinden im Rahmen der Zentrums-Gesprächsreihe, für die zuletzt unter anderem Sigrid Löffler mit W.G. Sebald, Ruth Klüger mit Lena Kugler, Gereon Klug mit Jenni Zylka, Manfred Eichel mit Georg Klein oder auch Antje Kunstmann mit Axel Hacke und Michael Sowa sprachen.
Uns ist bewusst, dass es kontroverse Meinungen zu bestimmten Äußerungen und einzelnen Werken Martin Walsers gibt. Aber wir verstehen das Literarische Zentrum als ein demokratisches Diskussionsforum und als einen Ort der Meinungsfreiheit. Ruth Klüger, die im Zentrum zu Gast war, sagte zu den Störungsandrohungen scheinbar aufrechter Demokraten gegen diese Veranstaltung: "Man verbietet niemandem das Wort und schon gar nicht einem der prominentesten Schriftsteller Deutschlands."
Salomon Korn, der neue Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland sagte gegenüber "Die Welt" (22.09.03): "Ich halte Walser nicht für einen Antisemiten. ... Im Übrigen halte ich Walser für einen intelligenten, politischen Essayisten, denn noch im Widerspruch zu ihm kann man eine Menge lernen."
Nach einem ausführlichen Gespräch mit Martin Walser teilt uns dieser heute mit: "Ich habe keine Lust, mit Parolen brüllenden Leuten in einen akustischen Wettbewerb zu treten. Nach allem, was ich aus Göttingen gehört habe, ist mit einem ruhigen, ungestörten Gespräch nicht zu rechnen. Also überlasse ich die Szene den Schreiern."
Die Veranstaltung ist damit ersatzlos gestrichen. Wir bedauern dies und bitten unser Publikum um Verständnis.

Die unterzeichnenden Personen: Hauke Hückstädt (Geschäfts- und Programmleitung des Literarischen Zentrums Göttingen e.V.), Jean-Michel Berg, Lara Deneke, Sylvia Göthel, Ralph Winter als Volontäre des LZ, Thedel von Wallmoden, Professor Heinz Ludwig Arnold und Hilmar Beck für den Vorstand des Literarischen Zentrums; außerdem: Prof. Dr. Ruth Klüger (Californien)

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Protestschreiben an das Literarische Zentrum 30.9.03

OLAfA (Offene Linke – Alles für Alle), Marc Czichy, Lange-Geismar-Strasse (Adresse und Tel. ausgelassen / Red. goest)

An das Literarische Zentrum Göttingen e.V. Herrn Hauke Hückstädt Düstere Straße 20, 37073 Gö,  30. September 2003

"Im öffentlichen Bewußtsein ist die Verantwortung für Auschwitz nicht verankert. Jeder in Deutschland fühlt sich verantwortlich für Schiller, für Goethe und für Beethoven, aber keiner für Himmler. Ein Großteil der Bevölkerung denkt wie Martin Walser: Zeit, Schluß zu machen, nur noch nach vorne Schauen." (Ignatz Bubis im Stern-Gespräch vom 29. Juli 1999)

Sehr geehrter Herr Hückstädt,
mit Erstaunen und Unverständnis haben wir die Ankündigung für Ihre Veranstaltung mit Martin Walser am 11. Oktober 2003 aufgenommen.
Wir sind schockiert darüber, dass Sie einem latenten und in Teilen seiner Äußerungen und seines literarischen Werkes auch manifesten Antisemiten wie Martin Walser durch diese Veranstaltung ein Forum einräumen wollen.
Auch Sie werden wissen, dass Antisemitismus und gleichzeitig die Forderung nach einem Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit in den letzten Jahren in der Mitte dieser Gesellschaft hoffähig geworden sind. Martin Walser gehört, insbesondere durch seine Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche, zu den wichtigsten Vertretern dieses Denkens und dieser politischen Forderungen.
Martin Walser hat sich in dieser Rede darüber beklagt, dass niemals Schluss ist mit der, wie er es nennt, zwanghaften Erinnerung an Auschwitz. Er meint wegschauen zu müssen. Sein Nachdenken über die deutschen Verbrechen gipfelt in Begriffen wie "Routine des Beschuldigens" oder "Instrumentalisierung unserer Schande". Von Auschwitz als "Drohroutine, Einschüchterungsmittel, Moralkeule, Pflichtübung" ist die Rede: "Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen."
Genau das aber wollen wir nicht – Wegschauen. Die Zukunft von der Vergangenheit befreien.
Wer die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen als Instrumentalisierung von Auschwitz diffamiert, verhöhnt das Leiden und Sterben der Opfer.
Vielleicht fragen Sie, was das literarische Zentrum mit Politik zu tun hat? Vielleicht glauben Sie, Walsers literarisches Werk von seinen politischen Aussagen trennen zu können. Uns ist das nicht möglich, zumal nationalistische und antisemitische Stereotype immer wieder in Walsers Werk aufscheinen. Auch Ihnen kann die Debatte um den "Tod eines Kritikers" nicht entgangen sein.
Darüber hinaus kann man angesichts der Tragweite von Walsers politischem Handeln und literarischem Werk nur erstaunt sein, über die von Ihnen gewählte Veranstaltungsform. Man fragt sich, ob Walser ähnlich brisante und spannende Fragen gestellt werden, wie sie Moritz von Uslar dem Sänger der Toten Hosen Campino bereits stellte: "Wann zuletzt Nackedei-Bildchen im Internet angeschaut?" Oder an Hillary Rodham Clinton: "Wie hoch ist in New York City derzeit das Bußgeld, wenn man sich beim Taubenfüttern erwischen lässt?"
Und wie ist es zu verstehen, dass Sie einerseits jemanden eingeladen haben, der sich weigert, weiterhin an die deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus erinnert zu werden und im gleichen Programm eine Lesung der "deutschen Lyrikerin jüdischer Herkunft" Gertrud Kolmar ankündigen, deren Schaffen und Leben 1943 in Auschwitz abbricht, wie sie schreiben? Wir fragen uns: Ist dieses Programm Ausdruck ihrer Vorstellung von Pluralismus, pure Naivität oder werden jüdische Opfer als Ausgleich zum deutschen Denker aufgeführt?
Um es deutlich zu sagen: Uns ist das Gut der freien Meinungsäußerung wohl bewusst, jedoch ist Antisemitismus keine Meinung.
Damals, unter dem Eindruck des Auschwitz-Prozesses schrieb Martin Walser: "Was Auschwitz war, wissen nur die Häftlinge. Niemand sonst. (...) Weil wir uns deshalb auch von den unmittelbaren Tätern kein menschliches Bild machen können, deshalb heißt Auschwitz eine Hölle und die Täter sind Teufel. (...) Nun war aber Auschwitz nicht die Hölle, sondern ein deutsches Konzentrationslager."
Inzwischen scheint Walser die Konsequenz aus seinen Worten, nämlich Verantwortung, Erinnerung und Gedenken, zuviel geworden zu sein.
Wir fordern Sie auf, die Veranstaltung mit Martin Walser abzusagen.

Die unterzeichnenden Gruppen und Einzelpersonen
aka, Göttingen; Arbeitskreis Asyl Göttingen; Arbeitskreis Geschlechterforschung, Göttingen; Bildungswerk Stanislaw Hantz, Kassel; Buchladen Rote Strasse, Göttingen; Cafe Kollektiv Kabale, Göttingen; Geschichtswerkstatt Göttingen e.V.; Jüdisches Lehrhaus Göttingen e.V.; Offene Linke – Alles für Alle (OLAfA); Schöner Leben, Göttingen; Sozialistische Jugend - Die Falken, OV Göttingen; The Voice Africa Forum Göttingen; Theaterkeller-Kollektiv, Göttingen; Verein zur Förderung antifaschistischer Kultur, Göttingen;

Meike Böker, Göttingen; Micha Christ, Göttingen; Marc Czichy, Göttingen; Johanna Doliwa, Göttingen; Peter Dürrbeck (Sprecher VVN/BdA in Göttingen); Niklas Forreiter, Göttingen; Markus Götte, Göttingen; Florian Grötsch, Göttingen; Lisa Grow, (Geschichtswerkstatt Göttingen e.V.); Thomas Grützner, Göttingen; Sassan Kamka, Göttingen; Jan Kiepe, Göttingen; Berit Lusebrink, Göttingen; Katrin Lux, Göttingen; Sylke Meister, Göttingen; Dr. Karen Nolte (Geschichtswerkstatt Göttingen e.V.); Barbara Schauenburg, Göttingen; Ulrike Schilling, Göttingen; Arne Schröder, Göttingen; Rita Schu, Göttingen; Felix Schuppert, Augsburg; Gunnar Fabian Schuppert, Göttingen; Dr. Dietmar Sedlaczek, Göttingen; Dr. Gertrud Siller, Bünde; Michael Sturm, Göttingen; PD Dr. Ingrid Tomkowiak (Universität Zürich); Ansgar Weingarten, Göttingen; Sebastian Wertmüller (Vorsitzender der DGB-Region Südniedersachsen-Harz); Eva Wolff, Göttingen; Klaus-Peter Zachowski, Göttingen;

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Text, mit dem das Literarische Zentrum die Veranstaltung angekündigt hatte:

Sa. 11.10.03, 20:00 von Uslar findet ... Martin Walser (Autor, Nußdorf)
... dass man in diesen Tagen doch mal Ehen in Philippsburg lesen könnte.

Weil so angenehm wenig dafür spricht, dieses Buch ausgerechnet jetzt wieder zu lesen. Weil im Tamtam um den Schriftsteller Walser verloren geht, dass es ja längst sein WERK gibt, in dem alles nachzulesen ist. Ehen in Philippsburg erschien 1957. Er ist Walsers »großer Gesellschaftsroman«: Die Geschichte eines Aufsteigers, der in Stumpfsinn, kleinem Glück, trüben Gedanken endet. 1957 war Walser dreißig. Er hatte schon buschige Augenbrauen. Er war DER JUNGE MANN. Man begreift, dass es schon damals unheimlich wichtig für ihn war, sich nicht anzupassen - auf Teufel komm raus nicht! AHA! In der Jugend hat man mit dem Recht, was im Alter Gewohnheit, also Lüge, Blödsinn, Stumpfsinn wird. Im Alter, denkt man, wäre es schick, einmal nicht auf der Position des Rechthabens zu stehen oder wie sehen Sie das, Herr Walser? Er darf auch »langweilt mich« und »nächste Frage, bitte« sagen. So sind die Spielregeln.
Moritz von Uslar, Autor und Dramatiker in Berlin, interviewt Martin Walser im Rahmen seiner Interviewrubrik »100 Fragen« (SZ-Magazin), die u.a. Mick Jagger und Hillary Clinton beantwortet haben. Uslars beste Interviews erscheinen im Februar 2004 als Buch. Eine Koproduktion mit dem SZ-Magazin  Eintritt: € 12/8 Link: Für »xy findet ...« präsentieren Köpfe unseres Vertrauens gute Bekannte, gute Unbekannte ihrer Wahl P-Line: »100 Fragen« live produziert!

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