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Göttinger Betriebsexpress Nr 176
Mittwoch, den 16. Februar 2005

Vorbemerkung: Endlich ist es erstmalig gelungen, den gesamten Text des Göttinger Betriebsexpresses zeitnah online verfügbar zu machen > Mehr Infos zur Zeitschrift GBE . Wir freuen uns darüber, danken der GBE-Redaktion und hoffen, dass das auch zukünftig weiterhin möglich sein wird.

GBE Nr. 176 - INHALT:
Huhtamaki: Wird Huhtamaki Göttingen auch "abgewickelt"?
Mahr: Neue Chancen oder alte Fehler?
Sartorius: Geschnetzeltes oder Filet?
Haendler & Natermann: Schlecht verpackte Zumutungen
Gothaer: Gothaer – was bleibt am Ende?
Klinikum/Tarifverhandlungen: Zeichen auf Streik
Lidl: Alles Billig bei LIDL?
Hartz IV: Die 1-Euro-Jobs
Glosse: Göttinger Arbeitsmarktpolitik mit Hartz IV Volle Bauchlandung


Huhtamaki: Wird Huhtamaki Göttingen auch "abgewickelt"? (Stand Februar 2005)
Lange hatten wir keinen Bericht mehr über Huhtamaki in dieser Zeitung, welches die meisten von uns noch als 4P-Rube in Er­innerung haben. Nach wie vor werden dort Lebensmittelver­packungen hergestellt. Der finnische Konzern Huhtamaki, der Rube aufkaufte, ist noch vielfach untergliedert. Das Werk Göttingen (mit ca. 500 Beschäftigten) stellt mit dem Werk Forchheim in Oberfranken (ca. 600), Ronsberg im Allgäu (ca. 1000) und Alf an der Mosel (ca. 600) zusammen die Huhtamaki Deutschland GmbH & Co. KG dar (zusammen also ca. 2700 Beschäftigte). Diese Deutschland GmbH ist zwar weltweit der größte Profiterbringer des gesamten Konzerns, aber daran sind nicht alle 4 Werke gleichermaßen beteiligt.
Gerade das Werk in Göttingen erwirtschaftet Verluste. Und zwar echte, operative Verluste, keine künstlich erzeugten, um z.B. damit andere Konzerngebilde steuerlich zu sanieren. Seit 2003 werden Verluste mit steigender Tendenz in zuletzt zweistelliger Millionenhöhe gefahren. Warum das?
Das Management, das pennt.....
Schon seit langem hat das Gesamtmanagement des Konzerns wie auch das der GmbH die Marktentwicklung und auch die technische Entwicklung ver­schlafen. Es gab und gibt keine In­vestitionen, nicht mal in Hinsicht auf Rationalisierung, geschweige denn in bessere Technik und Zukunftstechnolo­gien. Wenn dadurch die ge­planten Zahlen nicht erreicht wurden, mussten immer mal wieder einige KollegInnen ge­hen, so hielt man sich einige Jahre über Wasser. Auch jetzt wird die Belegschaft hingehal­ten und die Controller erfinden immer neue Zahlen, die wieder in Richtung Gewinn führen sollen, bei den jetzigen Bedingungen aber gar nicht erfüllbar sind. Von einer Zusammenlegung mit einer niederländischen Firma, die ebenfalls schwächelte, versprach sich die Konzernspitze wohl, dass zwei Kranke einen Gesunden schaffen. Die niederländische Filiale wurde ganz geschlossen, 250 KollegInnen entlassen. Nur 150 Arbeitsplätze in Göttingen neu eingerichtet. Auch das hat sich alles nicht gerechnet. Es hat die Situation in Göttingen eher weiter verschlechtert.
......der Geschäftsführer rennt (weg)
Der vorletzte Geschäftsführer der GmbH & Co. KG, Thomas Wahlmeyer, ist Ende letzten Jahres zur Konkurrenz gewechselt. Mit der offiziellen Begründung, er hätte vom Konzern Huhtamaki keinen Entscheidungsspielraum für vernünftige Maßnahmen gehabt. Diese klare Aussage hat ihn allerdings nicht daran gehindert, vorher die Belegschaft unter Druck zu setzen. Er wollte ca. 5,1 Millionen Euro einsparen. Das sollte durch den Abbau übertariflicher Leistungen und Arbeitszeitverlängerung von 38 auf 40 Stunden pro Woche geschehen. Die Belegschaft war durchaus verhandlungsbereit, hat aber durch ihren Betriebsrat zu verstehen gegeben, ohne Sicherheiten läuft das so nicht. Solche gab es nicht, gab es noch nie bei Huhta­maki. Statt­dessen tourte eine Gruppe Beschäftigter durch die Hallen und sammelte Unterschriften gegen den Betriebsrat und für die Annahme dieser Verschlechterungen. Diese Gruppe bestand im Wesentlichen aus Angestellten und einigen Arbeitern und war wohl von Herrn Wahlmeyer ins Leben gerufen worden. Sie hatte aber keinen Erfolg. Da Herr Wahlmeyer nun dem Konzern das geplante Weihnachtsgeschenk von 5,1 Millionen nicht mehr machen konnte, ging er gleich ganz. Sein Nachfolger, Bernhard Kesseler, ist vernünftiger und umgänglicher, hat aber auch nicht die Macht, um die Konzernspitze dazu zu bringen, in Göttingen durch gezielte Investitionen und andere sinnvolle Ma­nahmen das Ruder herumzureißen.
Das Widersinnige an der Situation ist auch noch, dass die Göttinger Belegschaft inzwischen über­wiegend aus hochqualifizierten Arbeitskräften besteht, die trotz fle­xibler Arbeitszeit – auch an Wo­chenenden - und höherer Arbeits­verdichtung überhaupt die Produktivität und Qualität der Produk­te laufend verbessert hat. Jedenfalls soweit, wie das der lang­sam veraltende Maschinenpark zulässt.
....die Belegschaft hofft...
Im Moment läuft wieder das gleiche Spiel ab wie in den letzten Jahren. Die Controller erfinden Zahlen, die nicht erreicht werden können und im Raum steht die Ankündigung, dass insgesamt 107 der 500 Beschäftigten "abgebaut" werden sollen. 50-60 durch Entlassungen, der Rest durch Altersfluktuation etc. Das ist ja eigentlich schon schlimm genug und so sollte man meinen, die Belegschaft überlegt, wie sie sich wehren kann. Leider nicht. Im Moment hoffen wohl alle, dass es sie nicht treffen wird und nach den 50-60 Entlassungen alles weitergeht und wieder besser wird. Nur ist das mit den Wundern so eine Sache. Meis­tens passieren sie nicht und so wird es wohl auch bei Huhtama­ki sein. Leider ist viel eher davon auszugehen, dass das kom­plette Göttinger Werk plattgemacht wird. Wir schrieben in der Überschrift von Abwicklung, weil unter diesem Begriff in Ostdeutschland ja auch viele Betriebe geschlossen bzw. niedergemacht wurden, die durchaus überlebensfähig waren.
Der kleinere Betriebsteil "Coatings" (beschichtet das abzuziehende Hintergrundmaterial für Selbstklebeetiketten, Aufkleber etc.), der operativ dem Werk in Forchheim angegliedert ist, hofft ebenfalls mit seinen 70 Beschäftigten unbeschadet davon zu kommen, wird aber bei Schließung des größeren Teil des Wer­kes kaum eine Überlebenschance haben, z.B. durch zu hohe Kosten der verbleibenden Infrastruktur.
Wir gehen davon aus, dass sich spätestens dann, wenn die Werksschließung von oben beschlossen und verkündet wird, Widerstand regt. Hoffentlich ist es dann nicht schon zu spät. So wie wir es bei anderen Göttinger Firmen (Glunz etc.) erleben mußten.

 

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Mahr: Neue Chancen oder alte Fehler?
> mehr Infos zu Mahr in goest

Aus dem Göttinger Brauweg waren in letzter Zeit optimistische Töne zu hören. Seit dem 1. Dezember 2004 hat sich die Mahr Holding mit einer 56%-Beteiligung bei der Firma OKM in Jena eingekauft. Zunächst klingt das erst mal ganz logisch, denn die Firma OKM produziert mit ca. 40 KollegInnen Längenmessgerä­te – genau wie die Firma Mahr. Das klingt nach einer sinnvollen Ergänzung der Produktpalette, Vertrieb und Service können ge­meinsam genutzt werden, blaah und blubb, wir kennen das alle, was erzählt wird, wenn wieder mal ein kleinerer Betrieb von einem größeren geschluckt wird.
Für die Beschäftigten kommt unterm Strich meist nichts Gutes dabei heraus: auf die eine oder andere Art werden Stellen ein­gespart, die Arbeit wird verdichtet, Bürokratie und Kontrolle werden wieder ein bisschen unerträglicher. Im Falle von Mahr ist besondere Vorsicht ge­boten. Im Jahr 2001 hat man bei der Mahrgruppe auf ei­nen Umsatz von 180 Millionen Euro gehofft, nach­dem man die amerikanische Firma Federal Products aufgekauft hat­te. Tatsächlich lag der Umsatz etwa ein Viertel unter den Erwartungen und Mahr hat auch weiterhin mit sinkenden Um­sätzen zu kämp­fen – so hatte sich das Management den teuren Zu­kauf einer Firma nicht vorgestellt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der Zukauf von OKM viel­leicht ein ähnliches Fias­ko werden könnte. Im Jahr 2003 betrug der Umsatz nur noch 128 Millionen Euro und Geschäftsfüh­rer Thomas Keidel hatte Mitte 2004 sichtlich Mühe, den Redak­teuren des Göttinger Tageblattes das als großen Erfolg zu ver­kaufen. Aber der Bilanzartikel in der örtlichen Tageszeitung dient ja weniger der Befriedigung der Banken als vielmehr als Botschaft an die Beschäftigten. Und da hatte Keidel sehr wohl etwas zu verkünden: Ende 2004 – so die Nachricht am Ende des Artikels – sollte Schluss sein mit der Arbeitszeitabsenkung, die für die KollegInnen Einkommenseinbußen bis zu 10% bringt. Statt­dessen kündigte Keidel harte Bandagen an: 40-Stunden-Wo­che, variable Vergütung statt Weihnachtsgeld und vor allem Fle­xibilität.
Wie so viele Firmen hat natürlich auch die Geschäftsleitung bei Mahr gehofft, dass bei der IG Metall jetzt alle Hemmschwellen fallen und sie eine Sondervereinbarung mit erhöhter Arbeitszeit abschließen können. Eine ganze Palette von Sonderwünschen hatte die Geschäftsleitung dabei auf der Pfanne: Es sollten zwei Stunden länger gearbeitet werden ohne Lohnausgleich und die Überstundenzuschläge völlig gestrichen werden. Zusätzlich wollte man von den KollegInnen ein Sonderopfer in Form von 50 Stunden, die für betriebliche Fortbildungsmaßnahmen einge­arbeitet werden sollten. Und die tarifliche Sonderzahlung wollte man natürlich auf den Prüfstand stellen.
Wer sich nicht wehrt....
Wieso sich die KollegInnen und die IG Metall darauf einlassen sollten, wo sich doch zum Jahresende ein Traumergebnis abzeichnete, das weit über Plan liegt, konnte die Geschäftsfüh­rung aller­dings nicht erklären. Um sich gegen diese Zumutung zu wehren, haben die KollegInnen bei Mahr Unterschriften für ihre Forderung nach Ein­haltung der Tarife gesammelt. Und zur Übergabe der Unterschriftenlisten sind die KollegInnen zu­sammen auf den Hof gegangen, um ihren Forderung noch mal Nachdruck zu verleihen. Im Ergebnis hat es sich ausgezahlt, nicht jede Drohung allzu ernst zu nehmen. Jetzt haben sich Be­triebsrat und Geschäftsleitung auf eine Fortführung der Arbeits­zeitabsenkung geeinigt, um weiterhin Personalkosten zu sparen. Das bedeutet zwar weiterhin Einbußen beim Gehalt, aber die sind wenigstens gestaffelt nach Ein­kommen: Wer wenig verdient, arbeitet eine Stunde pro Woche weniger, wer mehr verdient, arbeitet bis zu drei Stunden weniger. Und Teilzeitkräfte sind von dieser Re­duktion gar nicht betroffen. Es gibt sicher einige, die es leid sind, bei Mahr jetzt schon im dritten Jahr kein volles Gehalt zu bekommen. Aber die Alternative wäre wohl die Entlassung von ca. 80 KollegInnen und Vollbeschäftigung für den ver­bliebenen Rest. In der aktuellen Si­tuation können die Göttinger Kolle­gInnen also froh sein, dass Keidel & Co. so vernünftig sind, dass Entlassungen vermieden werden.
.... der lebt verkehrt
Dass sie auch anders können, beweisen sie an den anderen Mahr-Standorten. Den 90 KollegInnen in Esslingen hat Keidel schon vor Jahren die 38,5 Stundenwoche beschert, indem er den Tarif von der IG Metall hin zum Großhandel, d.h. zu ver.di gewechselt hat. Jetzt wird dort gar über eine 40 Stundenwoche verhandelt – wie üblich ohne Lohnausgleich. Es wird ständig da­mit gedroht, den Standort ganz oder teilweise zu schließen. Und am Standort Wadgassen geht es noch härter her: da gibt es gar keinen Tarifvertrag sondern Einzelverträge, es wird 40 Stunden in der Woche gearbeitet und auf die Sonderzahlungen mussten die KollegInnen im Jahr 2004 verzichten. An diesen beiden Standorten macht sich der geringere Organisationsgrad bemerk­bar: die KollegInnen können sich gegen immer neue Zumu­tungen nur schwer wehren.
Die Standortkeule
Doch auch in Göttingen wird immer wieder die Standortkeule ge­schwungen. Zur Zeit werden Fertigungslinien "durch die kalte Küche" aus Göttingen weg verlagert. Erst wird die Produktver­antwortung aus Göttingen z.B. nach Esslingen verlegt. In Ess­lingen wird dann mit einem spitzen Bleistift nachgerechnet, dass die Produktion in Rumänien, Tschechien oder in China kosten­günstiger ist. Dann wird die Produktion verlagert und die Göt­tinger Geschäftsleitung wäscht ihre Hände in Unschuld: "Nix zu machen – das Produkt ist nicht mehr in unserer Verantwortung." Vertriebsleiter Buchmann äußerte sich in einer Presseinformati­on sehr offen über die Verlagerungspläne. Er will die Handferti­gung hochwertiger Bauteile ins Ausland verlagern: nach Tsche­chien für 5 Euro/Stunde oder nach China für 1 Euro/Stunde oder gar nach Vietnam für 0,10 Euro/Stunde. Und für die Software-Entwicklung ist für ihn Indien der Standort der Zukunft.
Dass solche Verlagerungen auch neue Unsicherheiten für die Lieferfähigkeit mit sich bringen, erwähnt er lieber nicht. Schon seit Jahren hatte Mahr mit Qualitätsproblemen in Tschechien und in China zu kämpfen, die dann zur Rückverlagerung von Produktionsteilen führten. Und welche politischen Unsicherhei­ten die Fertigung in Suzhou in China bedrohen können, weiß heute niemand. Ganz abgesehen davon, dass ein chinesischer Hersteller, wenn er erstmal die Technologie beherrscht, noch günstiger ist als eine deutsche Firma, die in China nur produ­ziert. Und in Tschechien steigen wie in ganz Osteuropa die Löhne und Preise deutlich stärker als hier. Die Unternehmens­leitung zieht aber anscheinend keine Lehren daraus, dass ihre Verlagerungen ins Ausland bisher nicht so viel gebracht haben. Unverdrossen glaubt sie daran, dass sie für 10 Cent pro Stunde in Vietnam die gleiche Qualität bekommt – und wundert sich dann hinterher, dass es in Göttingen irgendwie besser geklappt hat. Wir können nur hoffen, dass die Geschäftsleitung sich rechtzeitig auf die Qualitäten ihrer Mitarbeiter in Göttingen besinnt.

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Sartorius: Geschnetzeltes oder Filet?
> mehr Infos zu Sartorius in goest

Seit dem Erscheinen des letzten GBE hat sich der Verdacht erhärtet, dass das Jahr 2004 dem Göttinger Waagen- und Filterhersteller Sartorius einen neuen Rekordgewinn gebracht hat. Der Umsatz ist in den ersten neun Monaten 2004 um knapp 4% gestiegen. Der Gewinn war bereits nach neun Monaten hö­her als im Jahr 2003 nach zwölf Monaten. Und in den letzten Tagen sind erste Zahlen herausgekommen: der Jahresgewinn vor Steuern hat sich glatt verdoppelt. Nach Steuern haben die KollegInnen von Sartorius über 14 Millionen Euro in die Kassen der Aktionäre gespült – das ist ein Sprung von 230% gegenüber dem Vorjahr. Damit dürfte einer ordentlichen Dividende nichts mehr im Wege stehen. In den letzten Jahren wurde die Divi­dende ja ganz oder teilweise aus der Substanz bezahlt, da weniger verdient worden war als sich die Aktionäre auf der Hauptversammlung als Dividende genehmigten. Wir freuen uns, dass so zumindest den Sartorius-Aktionären der Gang zum Arbeitsamt erspart bleibt.
Sozialneid – Nein Danke
Nachdem die GBE-Redaktion nun klar gemacht hat, dass sie ohne Sozialneid der Kapitalseite ihr Einkommen von Herzen gönnt, muss sie aber mit Bedauern feststellen, dass die Ge­schäftsleitung bei Sartorius umgekehrt mit den Beschäftigten of­fensichtlich bei weitem nicht so gönnerhaft wie bei den Aktio­nären umgehen möchte. In immer neuen Anläufen wird massiv versucht, die örtliche IG Metall und den Betriebsrat zum Verzicht auf das tariflich garantierte Arbeitseinkommen bzw. die tarifliche Arbeitszeit für die KollegInnen in Göttingen zu "gewinnen". Die aktuellen Branchenrenner sind bekanntlich die 40-Stundenwo­che (natürlich zum gleichen Lohn wie vorher für 35 Stunden) oder alternativ die Senkung der Gehälter – am Liebsten beides und zwar sofort! Angesichts der inzwischen fast wöchentlich ein­treffenden Nachrichten von Betrieben, die auf die eine oder andere Art und Weise aus dem Metall-Tarif ausscheren, scheint es die Sartorius-Geschäftsleitung als ihre Pflicht anzusehen, auch in ihrem Laden die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern.
Neue Arbeitsverträge ...
Um die rechtlichen Rahmenbedingungen zu Gunsten der Firma vorzubereiten, versucht die Personalabteilung bei jeder noch so kleinen Änderung den KollegInnen einen neuen Arbeitsvertrag vorzulegen, in dem von Tarifvertrag oder IG Metall nicht mehr die Rede ist. Dies ist für die Firma vor allem dann nützlich, wenn sie vor hat, aus dem Arbeitgeberverband auszutreten oder den Arbeitgeberverband zu wechseln. Wer sagt denn, dass eine traditionelle Metallfirma immer bei Metall bleiben muss? Inzwi­schen wird mehr als die Hälfte des Umsatzes im Bereich Bio­technologie (Filter) gemacht. Ein Wechsel in die Chemietarife könnte für die Beschäftigten Einbußen bis zu 10% bedeuten.
... und Ausgründungen
Im Moment scheint die Geschäftsleitung aber einen anderen Plan zu verfolgen. Nach der Auslagerung des Logistikzentrums im letzten Jahr und der Abteilung "Food & Beverage" (auf deutsch heißt das Essen und Trinken und bedeutet nicht den Kantinenbetrieb, sondern die Belieferung der Nahrungsmittel­industrie mit speziellen Filtrationsanlagen) in eine eigene Firma, sollen jetzt die ca. 80 KollegInnen der Abteilung "Gleitlager" in der ersten Jahreshälfte in eine eigene Firma ausgelagert werden. Das hat natürlich erhebliche Befürchtungen bei den Gleitlager-KollegInnen ausgelöst. Schon seit vielen Jahren ist das 'Gleitlager' Thema bei Sartorius: im ständigen Wechsel ist es entweder der Profitbringer Nr. 1 oder das Sorgenkind Nr. 1. Anscheinend ist der Bereich zu klein, als dass sich das Manage­ment jemals darum gekümmert hätte, das Geschäft auf solide Füße zu stellen. Stattdessen versucht man so wenig wie möglich zu investieren und hangelt sich so von Quartal zu Quartal. Inzwischen hat Sartorius Gleitlager aber gewisse Pro­bleme, mit der kleinen Mannschaft gegen größere Konkurrenten anzustinken. Deshalb war man in den letzten zwei Jahren auf der Suche nach einem Geldgeber, der den Bereich vielleicht komplett aufkaufen möchte. Da der Börsengang der Biotechno­logie-Tochter Vivascience ins Wasser gefallen ist, wäre das möglicherweise eine willkommene Gelegenheit, an ein bisschen Bargeld zu kommen. Das Interesse am Sartorius Gleitlager war aber anscheinend nicht besonders groß und jetzt muss sich die Firma alleine durchwurschteln. Verschärft wird die Situation durch die allgemeine 'Geiz ist geil'-Mentalität, die in den Ein­kaufsabteilungen der großen Kunden schon seit langem herrscht. Gerüchten zufolge soll ein Großkunde einfach mal durchgegeben haben, welche Rabatte er dieses Jahr erwartet und Sartorius Gleitlager als 'Kleiner' im Markt hat nur die Wahl, entsprechend billiger zu produzieren oder den Großkunden zie­hen zu lassen (der das gleiche Spiel mit seinen anderen Liefe­ranten natürlich auch durchzieht). Die Beschäftigten müssen dieses dann letztlich ausbaden. Längst werden mit dem Be­triebsrat Rationalisierungspläne über höhere Maschinenlauf­zeiten, Kostenreduktion, Effizienzsteigerungsmaßnahmen und variable Vergütungssysteme verhandelt. Für die KollegInnen be­deutet das: höherer Arbeitsdruck, immer flexibel bleiben und ständige Angst, dass der Lohn gekürzt wird.
Gut für die KollegInnen, dass der Organisationsgrad im Gleit­lagerbereich ziemlich hoch ist, sonst wäre die Versuchung für die Geschäftsleitung gar zu groß, mit der Auslagerung in die "Sartorius Slide Camp Corporation" (kleiner Scherz am Rande) auch gleich den Metalltarif zu beerdigen. Aber die Vermutung, dass der Vorstand versuchen wird, "Personalkosten zu redu­zieren", ist ja wohl nicht aus der Luft gegriffen. Nur ein Zu­sammenstehen aller KollegInnen bei Sartorius kann verhindern, dass immer diejenigen, die zufällig gerade zu den schwächsten Abteilungen gehören, im Regen stehen gelassen werden und so nach und nach die Bedingungen in der gesamten Firma verschlechtert werden.
Schnetzeln ...
Dass sich jetzt die stückweisen Ausgliederungen von einzelnen Bereichen häufen, ist aber sicher kein Zufall. Steckt womöglich System dahinter? Hat der Vorstand einen Plan, der darauf hin­aus läuft, die Firma in kleine Einheiten zu zerschnetzeln und über die Chefetage dann zentral alle Fäden in der Hand zu haben? Das hätte den Vorteil, dass er es nicht mehr mit einem Betriebsrat zu tun hat, sondern mit vielen kleinen Betriebseinhei­ten, deren Beschäftigte sich kaum gegen immer neue Zumu­tungen wehren können. Die alten Lateiner haben dieses Prinzip 'Divide et Impera', d.h. 'Teile und Herrsche' genannt. Vor dem Hintergrund einer solchen Zerschnetzelung würden auch die mit viel Aufwand eingeführten neuen Arbeitsverträge einen Sinn ma­chen.
... oder Filetieren?
Genau so gut ist es aber denkbar, dass diese Auslagerungen nur die Vorbereitung für die Teilung des Konzerns sind. Noch immer sind ca. 57% der Stammaktien im Besitz der Familie Sartorius, die damit zu den 300 reichsten Familien des Landes gehört. Aber die amerikanische Firma Bio-Rad Laboratories hat inzwischen 19% der Stammaktien aufgekauft, so kann man es ganz offiziell auf der Sartorius-Internetseite lesen. Der Name der Firma lässt vermuten, dass sie hauptsächlich am Bereich Bio­technologie interessiert ist. Es ist also durchaus möglich, dass Sartorius in zwei Teilkonzerne geteilt wird, von denen der eine Teil recht zügig nach Amerika verkauft wird. Die Geschäftslei­tung lässt nichts heraus über ihre mittel- oder langfristigen Pläne, aber es wird ja wohl erlaubt sein, darüber zu spekulieren, was die Aktienspekulanten mit ihren Spekulationen so vorhaben, nämlich kräftig Kasse zu machen.
Für die Beschäftigten bedeutet das alles nur, dass der Schritt vom Familienunternehmen zum global operierenden Konzern allmählich vollzogen ist. Die Lohndrückerei findet jetzt bei Sarto­rius wie allen anderen Konzernen statt: so hart und so heftig, wie es eben geht, ohne dass die KollegInnen aufbegehren und dadurch evtl. die Produktion gefährdet ist. Und so drückt das der Konzernchef Kreuzburg im Börsendienst aktiencheck.de aus: "Die Steigerung des Profits hat oberste Priorität".

 

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Haendler & Natermann: Schlecht verpackte Zumutungen
Jede/r LeserIn, die heute schon ihr Frühstück eingenommen hat, ist wahrscheinlich mit den Produkten der H&N-Gruppe in Berührung gekommen. Bei Haendler & Natermann in Hann.­Münden werden Aluminiumfolien für die Lebensmittelindustrie bedruckt (z.B. die Halsbanderolen an Bierflaschen und die Ver­packung für die Schoko-Osterhasen). In Wiesbaden bei Ebert-Folien werden Verpackungsfolien bedruckt und hergestellt und in Kalden gehört die Firma Wanfried-Druck mit ihrem Angebot an Papier-Etiketten zur H&N-Gruppe. Damit kann H&N den Kunden eine breite Palette an Verpackungs- und Etikettierungs­möglichkeiten anbieten. In Hann.Münden arbeiten 460 Kolle­gInnen, die nach einem IG Metall-Anerkennungstarif bezahlt werden. Bei Ebert-Folien richtet man sich nach dem Che­mietarifen und in Kalden geht's nach der Druckindustrie. Da wundert es nicht, wenn man hört, dass die Geschäftsleitung von H&N ständig versucht, die Stand­orte gegeneinander auszu­spielen und noch immer etwas mehr aus den KollegInnen her­aus zu pressen.
Dabei geht es dem Unternehmen insgesamt recht gut. Seit einigen Jahren gehört Haendler & Na­termann der österreichischen "Constantia Packaging" Gruppe, die sich auf Verpackungen spe­zialisiert hat. Constantia legt Bi­lanzen wie aus dem Bilderbuch vor. Von 576 Millionen Euro 1999 ist der Umsatz im Jahre 2003 auf 976 Mio. Euro gestiegen. Und auch für dieses Jahr sieht es nach kräftigem Wachstum aus. Auch die deutsche Haendler & Natermann-Tochter kann mit 8% Umsatzrendite glänzen. Also eigentlich kein Grund, den KollegInnen ihr wohl verdientes Geld vorzuenthalten. Aber das Management sieht das natürlich ganz anders. Schon bisher hat es die IG Metall zu heftigen Kompro­missen gezwungen. Seit 2003 gibt es eine flexible Arbeitszeit, die zwar eine 35-Stundenwoche, aber 18 Schichten pro Woche (also auch Samstags) ohne Wochenend-Zuschlag vorsieht.
Diese Betriebsvereinbarung ist nun von der Geschäftsleitung ge­kündigt worden. Die jetzige Forderung lautet: 21 Schichten auf Zuruf, d.h. immer wenn die Geschäftsleitung meint, sie könnte noch ein paar Aufträge rein nehmen, soll auch noch am Sonntag gearbeitet werden. Dafür sollen die KollegInnen einfach länger arbeiten – die 40-Stundenwoche soll der Normalfall werden, na­türlich ohne Lohnausgleich. Die Personalkosten sollen auf Biegen und Brechen unter das Tarifniveau gesenkt werden. Die ewig gleiche Begründung: die Wettbewerbsfähigkeit der Firma muss erhalten werden. Jeder weiß, dass dieser Dumping-Wett­bewerb zu einer Lohndrückerschraube führt, bei der die Arbeit­nehmer immer mehr verlieren. Na­türlich werden Konkurrenzbetriebe mit der gleichen Begründung dann die 42-, 45-, 50-Stundenwoche for­dern. Und am Ende stehen die Betriebe nicht besser da und müssen selbstverständlich die ge­samte Produktion nach Feuerland oder in die Antarktis verlagern.
Die IG Metall hat mit den Öffnungs­klauseln im Tarifvertrag die Begehr­lichkeiten der Kapitalseite geweckt. Da hilft auch das "Kleingedruckte" nix, das die Arbeitszeitausweitung auf besondere betriebliche Notlagen beschränkt. Nur wenn die Kolle­gInnen hart bleiben, werden sie die Abwärtsspirale aufhalten können. Bei einer Arbeitszeitverlängerung können sie auf jeden Fall nur verlieren. Die Arbeitslosen vor dem Tor wären dann aber die noch größeren Verlierer, denn eine Ausweitung der Produktion wäre ohne Neueinstellungen möglich. Schön, wenn es immer so einfach wäre, auf der einen Seite die eigenen Interessen zu vertreten und gleichzeitig solidarisch mit den Arbeitslosen zu sein, die sich jetzt mit 1-Euro-Jobs rumschlagen müssen.

 

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Gothaer: Gothaer – was bleibt am Ende?
> Mehr Infos zur Gothaer in goest

Im letzten GBE hatten wir berichtet, dass bei den Gothaer Versi­cherungen in Göttingen im Jahre 2005 ein Personalabbau in bis­her nie gekanntem Ausmaß geplant ist. Diese Planungen des Gothaer-Vorstands nehmen nun leider konkrete Gestalt an.
Erhebliche Proteste aus der Belegschaft, Intervention von VertreterInnen aller Fraktionen aus der Politik und auch die Verhandlungen und Alternativangebote der Betriebsräte stießen beim Gothaer-Vorstand auf taube Ohren. Was unter so harmlos klingenden Namen wie "ZUG" (Zukunftsorientierung der Gothaer) und "WGA" (Wachstumsstrategie) vom Vorstand beschlossen wurde, ist für Göttingen eine Arbeitsplatzvernich­tung ohne Beispiel.
Zwei Wochen vor Weihnachten bekamen ca. 200 Kolleginnen und Kollegen der Gothaer Lebensversicherung Post von ihrem Arbeitgeber. Darin wurden sie aufgefordert, sich bis zum 23. De­zember verbindlich festzulegen, ob sie bereit sind, im Jahr 2005 eine Beschäftigung bei der Gothaer in Köln anzunehmen. Als Antwort waren nur "Ja" oder "Nein" zugelassen, verbunden mit dem Hinweis, dass ein "Nein" bedeutet, dass im neuen Jahr die Entlassung erfolgen wird. Fröhliche und friedliche Weihnachten wird es danach für viele Gothaer-Beschäftigte und deren Famili­en wohl nicht mehr gegeben haben.
"ZUG" um "ZUG"...............
Auch bei der Niederlassung Göttingen der Gothaer Allgemeine stehen weitere Entlassungen in wohl erheblichem Umfange an. Wie zu erfahren war, hat die Gothaer bei der zuständigen Agen­tur für Arbeit bereits eine Massenentlassungsanzeige erstattet. Im Februar sollen nach dem Willen des Vorstands die Kündi­gungen ausgesprochen werden.
Aber selbst damit ist das Ende dieser für Göttingen so ein­schneidenden Maßnahmen noch lange nicht erreicht. Spätes­tens bis Anfang nächsten Jahres soll das EDV-Unternehmen der Gothaer, die IDG, ihren Göttinger Betrieb schließen und nach Köln verlagert werden. Wieder ca. 100 Arbeitsplätze, die durch eine Entscheidung des Gothaer-Vorstands für Göttingen verlo­ren sind. Aber auch das ist noch nicht das Ende. Auch die Go­thaer-Kapitalanlagegesellschaft und die Gothaer-Immobilienver­waltung sollen in Göttingen geschlossen werden. Wie viele Arbeitsplätze bei der Gothaer in Göttingen mittelfristig überhaupt noch verbleiben, darüber kann im Moment nur spekuliert werden. Etliche Kolleginnen und Kollegen der Gothaer, die aus eigener leidvoller Erfahrung so manche Umstrukturierungswelle und Entlassungswelle mitmachen mussten, sind nur noch wenig optimistisch. Hinter vorgehaltener Hand, aber auch zunehmend schon öffentlich wird darüber gemutmaßt, wann die Gothaer den Standort Göt­tingen wohl vollkommen schließen wird.
........aber nicht ins Paradies
"Gothaer quo vadis?", so titelte vor einiger Zeit ein Artikel im GBE, in dem sich damals schon die drohenden Gefahren für die Arbeitsplätze in Göt­tingen abzeichneten. Leider ist es trotz aller Standortvorteile, über die Göttingen im Gothaer Konzern verfügt, nicht gelungen, diese Gefahr abzuwenden. Sachliche Gründe für die Entschei­dungen des Vorstands werden jedenfalls mehr­heitlich ausgeschlossen. Da muss es um andere, uns unbekannte Gründe gehen. Gelegentlich ist zu vernehmen, hier ginge es darum, "alte Rech­nungen" aus Zeiten zu begleichen, in denen die Gothaer Unternehmen untereinander Konkur­renten am Markt waren.
Langjährige Gothaermitarbeiterinnen und -mitarbeiter stehen schon seit geraumer Zeit fassungslos vor dem Scherbenhaufen, den der damalige Vorstandsvorsitzende Dr. Wolfgang Peiner (heute Finanzsenator der Hansestadt Hamburg und CDU-Bundesschatzmeister) mit seiner Konzernbildung hinterlassen hat. Peiner und seinem Nachfolger ist es gelungen, aus dem Flaggschiff des Konzerns, aus der Gothaer Lebensversicherung, ein Vehikel zu machen, dessen Zukunft in Göttingen ungewisser als jemals zuvor ist. Vielleicht sorgen sie sogar dafür, dass es die Gothaer in Göttingen bald gar nicht mehr geben wird.

 

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Klinikum/Tarifverhandlungen: Zeichen auf Streik
> Mehr Infos zum Klinikum und zum Streik in goest

Drei Tage vor Fertigstellung dieser Ausgabe des GBE kam es zum Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst. Mit der Einigung zwischen ver.di und Bund und Kommunen wird das bisherige Tarifsystem vollständig umgekrempelt. Für eine ausführliche Bewertung dieses Abschlusses reichte so kurzfristig die Zeit nicht mehr aus. So oder so ist das Thema Tarifverhandlungen damit aber noch nicht durch: Bekanntlich hatte die "Tarifgemeinschaft deutscher Länder" (TDL) die Arbeitszeitvereinbarungen und die Tarifverträge zum Weihnachts- und Urlaubsgeld gekündigt, war daraufhin von ver.di letztes Jahr von den Verhandlungen ausgeschlossen worden und deshalb an den aktuellen Verhandlungen über die Tarifreform nicht mehr beteiligt. Sofort nach Bekanntgabe der Einigung beeilten sich denn auch die Länder unter Federführung des niedersächsischen Innenministers Möllring vollmundig zu erklären, dass eine Übernahme völlig ausgeschlossen sei. Selbst ein Streik wird seitens der Arbeitgeber von vornherein für möglich gehalten – interessante Variante, ist es doch gemeinhin die Arbeitnehmerseite, die dieses Mittel zu Durchsetzung ihrer Forderungen ins Spiel bringt. Tatsächlich haben Möllring und einige seiner (CDU/CSU-) Innenminister-Kollegen die Zeit genutzt, um bereits fleißig Fakten zu schaffen, die bis zu 42,5-Stunden-Wochen und allerlei Kürzungsvarianten bei Weihnachts- und Urlaubsgeld reichen. Dies, sowie die Tatsache, dass allen Gewerkschaften seit geraumer Zeit bei ihren Tarifauseinandersetzungen der Wind heftig ins Gesicht bläst, verleitet einige Länder offenbar zur Siegesgewissheit: man glaubt sowohl ver.di als auch die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes mit dem Rücken an der Wand bzw. in der Tasche zu haben. Mit dem Tarifabschluss von Bund/Kommunen im Rücken hat ver.di aber nun durchaus ein starkes Instrumentarium zur Hand: Einerseits hat sich die Gewerkschaft verhandlungs- und einigungsfähig gezeigt (dabei aber leider auch einige Kröten geschluckt, wie das Lob von gegnerischer, z.B. Metallarbeitgeber-Seite zeigt). Andererseits haben erste Warnstreik- und auch Streikaktionen auf Länderebene im November und im Januar ganz deutlich offenbart, dass die Beschäftigten die einseitig von CDU/CSU-Länder-Seite verordneten Arbeitszeitverlängerungen und Sonderzahlungskürzungen nicht klaglos hinnehmen werden. Sie sind sauer und mit ihrer Geduld gegenüber den ewigen Gürtel-enger-schnallen Parolen endgültig am Ende. Zum Streik müssen die sich nicht erst von einem Niedersachsen-CDU-Möllring auffordern lassen, davon abhalten wird er sie erst recht nicht.
Es brodelt im Topf....
Schon im Herbst war bei einer von der Arbeitsgemeinschaft Göttinger Personalräte organisierten öffentlichen Podiumsdiskussion mit den Landtagsabgeordneten nicht nur das Schützenhaus gerappelt voll. Auffällig war auch das Spektrum der vertretenen Berufssparten wie z.B. KollegInnen vom Finanzamt, der JVA, Katasteramt, Gericht und diversen anderen Behörden und Einrichtungen. Die anwesenden VertreterInnen der Landesregierung bekamen in den Redebeiträgen einen ordentlichen Satz heiße Ohren verpasst, und das von Leuten aus solchen Bereichen des Öffentlichen Dienstes, die bei Tarifauseinandersetzungen bisher eher selten durch lautes aufmüpfiges Protestgebaren auffielen.
Auch bei dem landesweiten gewerkschaftlichen Aktionstag am 17.11.2004 machten sehr viele Beschäftigte deutlich, dass sie nicht gewillt sind, auf mehr als 10 % des Einkommens zu verzichten.
....schwappte im Uni-Klinikum ein erstes Mal über....
Für den 19.01.2005 rief ver.di dann in Niedersachsen/Bremen sowohl zu kürzeren Warnstreiks – wie an der Universität und im Landeskrankenhaus in Göttingen, als auch andernorts zu ganztägigen Streiks auf. Die Vertrauensleute des Klinikums hatten in den Wochen davor teilweise in Klein- und Kleinstarbeit in einzelnen Bereichen und auf einzelnen Stationen bei den KollegInnen für den Streikaufruf geworben, und auch hier zeichnete sich ab, dass der Unmut über die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen groß war. Dennoch waren dann selbst die größten Optimisten überrascht vom Erfolg des Streikaufrufes: nach Beginn des Streiks um halb sechs Uhr morgens versammelten sich 700 Beschäftigte der Klinik um acht Uhr zur Streikkundgebung in der Eingangshalle, es gab Streikposten an allen Eingängen, und auch Patienten zeigten ihre Solidarität: Eine Vielzahl an Solidaritätsschreiben von PatientInnen zeugt davon, und ein Patient gesellte sich zu den KollegInnen mit einem Schild mit der Aufschrift "Solidarität mit den Streikenden".
Als dann ab 9.00 Uhr im Rahmen der Notdienstvereinbarung ca. die Hälfte der Streikenden zurück an ihre Arbeitsplätze musste, zeigte sich, wie groß die Streikbereitschaft tatsächlich war: die KollegInnen waren richtig sauer, dass sie weg mussten. Die verbleibenden 350 Streikenden gingen dann in einem Demonstrationszug in die Stadt.
...und es kocht weiter
Für Ende Februar hat ver.di in Niedersachsen zu den nächsten Streiks in weiteren Bereichen des Öffentlichen Dienstes aufgerufen. So wie es aussieht, wird die in den letzten Tagen erneut betonte betonharte Haltung der niedersächsischen Landesregierung die Wut und die Streikbereitschaft der Beschäftigten nur weiter anreizen. Möllring will einen Streik? Er wird ihn bekommen können, wenn seitens der Arbeitgeber nicht doch in letzter Minute die Einsicht einkehrt und zumindest auf das Niveau des Bund/Kommunen-Abschlusses eingeschwenkt wird.

 

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Lidl: Alles Billig bei LIDL?

Die Göttinger DGB-Jugend hat das im vergangenen Dezember erstmals veröffentlichte "LIDL-Schwarzbuch" kürzlich zum Anlass für eine öffentliche Aktion vor einer Göttinger LIDL-Filiale genommen. Der Bericht darüber, den wir hier dokumentieren, macht dreierlei ganz deutlich: Die Beschäftigten dieser (und ähnlicher) Discounter-Ketten benötigen dringend Unterstützung von außen, um ihren berechtigten Ansprüchen auf Einhaltung der gesetzlichen Arbeitnehmerrechte künftig erfolgreicher Nachdruck verleihen zu können. Zweitens: Mit Verständnis und Unterstützung seitens der Kundschaft ist dabei durchaus zu rechnen. Und: Die Geschäftsleitungen reagieren ziemlich allergisch auf jede Form der Öffentlichkeit in dieser Frage. Wir können daraus nur eines schließen: Jetzt erst recht! Genau das hat ver.di im Rahmen gezielter Aktionen zu Billig-Discountern auch in Göttingen vor. Demnächst wird die erweiterte zweite Auflage des LIDL-Schwarzbuches erscheinen und dann in einer Lesung im Buchladen Rote Straße (am Nikolaikirchhof) vorgestellt werden. Achtet auf weitere Ankündigungen für sonstige Aktionen!
Eigentlich wollten wir nur unsere Kritik gegenüber LIDL äußern, als wir uns am 17.01.2005 vor dem LIDL – Markt im Maschmühlenweg aufstellten. LIDL ist durch die Veröffentlichung des "Schwarzbuch LIDL" durch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ins Visier der Öffentlichkeit gerückt, bei dem aufgedeckt wurde, dass die Arbeitnehmerrechte bei LIDL zum großen Teil mit Füßen getreten werden.
Wir verteilten Flyer und stellten unser Transparent genau gegenüber dem Eingang auf, sodass uns nicht nur die Konsumenten, sondern auch die Mitarbeiter von LIDL sehen konnten. Die meisten nahmen neugierig unsere Flyer an. Einige lasen direkt die Überschrift "Gegen menschenverachtende Arbeitsbedingungen bei LIDL", und fragten uns, was es damit auf sich habe. Nach einer kurzen Klarstellung wurde diese Aktion von vielen befürwortet. Einige sagten: "Das müsst ihr aber auch bei Aldi, Schlecker und Rossmann tun!"
Andere meinten, dass sie nicht viele Alternativen haben um einzukaufen und auf das Geld achten müssten, da sie jetzt Hartz IV Empfänger wären. Ein erschreckendes Bild. LIDL und andere Discounter werden durch Hartz IV sogar davon profitieren, dass sie dadurch ihren Kundenkreis ausweiten können.
Nach einiger Zeit kam dann auch die Polizei und fragte uns, sehr verständig, ob noch weiteres für diesen Tag geplant sei. Ein Polizist schilderte dabei seine eigene berufliche Situation und die seiner Kollegen, die bereits auch schon Tiefpunkte erreicht haben. Durch die Streichungen von Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Kürzungen der Bezüge (Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich: von 38,5 auf 40 Stunden pro Woche), werden auch sie oft keine Einkaufs­alternative zu den "Billig"-Discountern haben.
Nach ca. einer halben Stunde kam dann auch die stellvertretende Fillialleiterin mit einem schnurlosen Telefon. Auf der anderen Seite war ihre Chefin, die wünschte mit einem der Polizisten zu reden. Dieser aber meinte, es gäbe nichts zu besprechen, da dies eine öffentlich angemeldete Demonstration sei. Trotzdem wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass der Parkplatz auf dem wir uns befinden, sich im Eigentum von LIDL befinde und wir wurden des Parkplatzes verwiesen. Einer von uns nutzte die Gunst der Stunde und ging in den LIDL-Markt, um die Flyer unter den Mitarbeitern zu verteilen. Einige von ihnen meinten, sie dürften ihn nicht annehmen. Eine Kollegin sagte, sie kenne den Flyer bereits, aber dürfe mit ihm nicht gesehen werden. Hier wurde deutlich, dass die Mitarbeiter mit der Angst belegt sind, irgendwelche Konsequenzen daraus zu tragen.

 

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Hartz IV: Die 1-Euro-Jobs

Was ist das eigentlich? Gemeint sind damit die "Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung" nach Paragraph 16 des Sozialgesetzbuches II (SGB II). Dieses SGB II regelt alles zum Arbeitslosengeld II (ALG II). Im Paragraphen 16 sind auch noch die anderen möglichen Eingliederungshilfen im Rahmen der öffentlich geförderten Beschäftigung aufgezählt, wie z. B. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), Eingliederungszuschüsse etc.
Für alle heißt es, dass die vorrangige Zielsetzung von öffentlich geförderter Beschäftigung die Heranführung von Langzeitarbeitslosen an den Arbeitsmarkt ist. Sie diene insbesondere dazu, die "soziale" Integration zu fördern und auch die Beschäftigungsfähigkeit aufrecht zu erhalten bzw. wiederherzustellen, und damit die Chance zur Integration in den regulären Arbeitsmarkt zu erhöhen. Außerdem trage sie dazu bei, die Qualität im Bereich sozialer Dienstleistungen zu steigern und bestehende gesellschaftliche Problemlagen zu mindern.
Das klingt ja erstmal ganz nett, wobei der letzte Satz schon nicht mehr so sehr die einzelne Person im Auge hat, sondern die wahre Richtung eher andeutet.
Vor allem, wenn mensch weiß, dass die Arbeitsgelegenheiten bis zu 600.000 mal in diesem Jahr bundesweit geplant sind. Niemand wird glauben wollen, dass es 600.000 Arbeitsplätze geben wird, nur weil 600.000 Langzeitarbeitslose für einen Euro zusätzlich die Stunde die Arbeit von Vollzeitjobs machen. Ganz im Gegenteil, es ist zu befürchten, dass das viele reguläre Arbeitsplätze kosten kann!
Diesen einen Euro pro Stunde darf der/die Erwerbslose tatsächlich in vollem Umfang behalten. Er wird nicht auf das ALG II angerechnet.
Im letzten Jahr gab es sogar mancherorts 1,50 bis 2 Euro pro Stunde. Allerdings war letztes Jahr auch das SGB II noch nicht in Kraft und diese Arbeitsgelegenheiten wurden auf freiwilliger Basis angeboten. Sozusagen ein Testlauf, ein Feldversuch. Interessanterweise haben sich doch etliche Erwerbslose freiwillig dafür gemeldet. Die Begründung in den meisten Fällen war, soziale Kontakte zu haben und nicht aus dem üblichen Lebensrhythmus zu kommen und vielleicht ja doch eine reguläre Stelle dadurch zu bekommen. Das zusätzliche Geld wurde meist erst am Schluss erwähnt. Es war ja auch nicht viel.
Was die Träger, also quasi Arbeitgeber dieser Arbeitsgelegenheiten betraf, so war für diese das Anbieten durchaus lukrativer. Es wurden regional unterschiedlich 350 bis 500 Euro pro Monat von der Bundesagentur für Arbeit an die Träger ausbezahlt. Da die 1-Euro-Jobber auch nicht unendlich viele Stunden arbeiten dürfen (bis 30 Stunden pro Woche maximal), blieben den Anbietern erkleckliche Summen zur eigenen Verfügung übrig (230 bis 380 Euro bei wirklichen 1-Euro-Jobs, bei 1,50 oder 2 Euro pro Stunde entsprechend weniger).
Seit Inkrafttreten des SGB II sind diese sog. Maßnahmekostenpauschalen für die Träger in Höhe und Dauer auf lokaler Ebene festzusetzen.
Wen (be)trifft es hauptsächlich?
Die Erwerbslosen, die nun voll malochen, aber wenig dafür bekommen, sind die sog. 1-Euro-JobberInnen. Offiziell sind sie "Teilnehmer an Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung". Sie sind das übrigens nicht mehr freiwillig, denn im SGB II ist jede Form von Arbeit (außer sittenwidriger etc.) zumutbar. Wer also eine solche tolle "Gelegenheit" ablehnt, wird gesperrt usw. bis hin zum möglichen völligen Verlust des ALG II.
Zielgruppen dieser Maßnahmen sind neben den Jugendlichen insbesondere ältere Langzeitarbeitslose, erwerbsfähige Hilfebedürftige mit Migrationshintergrund (also Flüchtlinge) und Frauen mit besonderen Vermittlungshemmnissen (z.B. Alleinerziehende).
Das steht fast genau so im Originalgesetzestext. Kindeserziehung ist also ein Vermittlungshemmnis, wenn nicht in einer Beziehung betrieben. Solche Einstellung ist schon schlimm genug. Aber dass die/der Alleinerziehende dann womöglich ein Kleinkind bis zu 30 Stunden die Woche allein lassen kann, wer hat sich das ausgedacht? Hier wurden Großeltern und NachbarInnen wohl gleich mit eingeplant. Oder soll die Bezahlung einer Kindesaufsicht Bestandteil der Entschädigungsbedingungen sein? Wir haben sie nicht finden können bzw. müssen es so interpretieren, dass diese Kosten mit dem einen Euro pro Stunde abgedeckt sind.
Diese "Gelegenheiten" sind keine Arbeitsverhältnisse, auch wenn es anteilig Urlaub gibt und die Haftung und Unfallversicherung wie bei regulär Beschäftigten gehandhabt wird.
In der Arbeitslosenstatistik allerdings sind Erwerbslose, die mehr als 15 Stunden die Woche arbeiten, nicht mehr als solche anzusehen. Sie sind dann MaßnahmenteilnehmerInnen und fallen aus dieser Statistik heraus. Das ist nur in den Köpfen derer logisch, denen jedes Mittel recht ist, das ganze Ausmaß des Dilemmas zu verschleiern.
Wer darf "beschäftigen"?
Voraussetzungen auf der Trägerseite sind 5 Kriterien, die erfüllt werden müssen:
1.Öffentliches Interesse / Gemeinnützigkeit
2.Zusätzlichkeit
3.Wettbewerbsneutralität
4.Arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit
5.Konkrete Maßnahmebeschreibung / Hinreichende Bestimmtheit.
Dabei sind schon diverse Grauzonen abzusehen. Nicht nur beim öffentlichen Interesse bzw. der Gemeinnützigkeit gibt es auslegbare Fälle, erst recht beim Kriterium der Zusätzlichkeit. Darin steht nämlich u. a., dass in den nächsten 2 Jahren kein regulärer Arbeitsplatz anstelle der Gelegenheit geplant sein durfte. Wer will das wie überprüfen?
Als Träger kommen in Frage:
Z.B. alle Kommunen, Kreise und sonstigen öffentlich-rechtlichen Träger (Körperschaften, Anstalten, Stiftungen des öffentlichen Rechts), kommunale Beschäftigungsgesellschaften, Träger der freien Wohlfahrtspflege oder sonstige geeignete Institutionen können Träger von Zusatzjobs sein.
In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass das SGB II eine Einschränkung auf bestimmte Trägergruppen nicht vorsieht. Somit kommen neben den oben erwähnten kommunalen Einrichtungen, Wohlfahrtsverbänden oder Vereinen auch privatrechtlich organisierte Träger (z.B. Alten- oder Pflegeeinrichtungen) in Betracht.
Schon im letzten Jahr haben sich bei den möglichen Trägern unterschiedliche Verhaltensweisen herauskristallisiert. Viele kleinere und eher alternative Vereine, Verbände etc. lehnen dieses Instrument rundherum ab. So gibt es in Göttingen z. B. einen offenen Brief einer ganzen Reihe von potentiellen Trägern, die nicht nur begründet nein danke sagen, sondern auch alle anderen auffordern, ebenso zu handeln. Die Wohlfahrtsverbände reagieren unterschiedlich, wollen auf jeden Fall die strikte Einhaltung der Kriterien (öffentlich, zusätzlich) überwachen und versichern, kein Personal auf diesem Wege abzubauen. Das wird schon zu beobachten sein, denn die Begehrlichkeit wird wachsen, auch angesichts weiterer Zerschlagung und Kürzung öffentlicher Förderungen. Die Caritas hat schon größeren Bedarf angemeldet.
Bezeichnend, aber wohl noch etwas zu früh für die Stimmungslage in der Gesellschaft, hat die DIHK (Deutsche Industrie- und Handwerkskammer) bereits beklagt, dass private und gewerbliche Träger nicht vorgesehen sind.
"Gelegenheit macht Diebe".
Es werden sicherlich nicht wenige Träger sein, die damit weniger zusätzliche als bisher regulär bezahlte Arbeit bewältigen wollen. Zwar zweifeln viele an der Zahl von 600.000 "Gelegenheiten", aber die regionalen Diskussionen und Planungen zeigen schon ein großes Interesse. Dabei sind durchaus unterschiedliche Konstruktionen möglich. Einige Träger würden sogar freiwillig auf den Maßnahmenzuschuss verzichten und auch den einen Euro selbst zahlen, nur um an die Billigjobs zu kommen. Erste Anfragen solcher Art gab es in dieser Region. Sie haben gemerkt, wie gut sich das rechnet. Die wahrscheinlich häufigste Variante wird aber schlicht und ergreifend sein, dass eben keine reguläre Arbeitsstelle geschaffen wird, sondern mit 1-Euro-Kräften ausgestattet wird. Die müssen zwar nach einem halben Jahr gehen, aber es gibt ja genug. Vor allem in Bereichen, wo die Qualifikation und Einarbeitung keine große Rolle spielen, wird sich das auszahlen.
Wir können schon jetzt in diversen Fernsehsendungen zu dem Thema sehen, dass die Träger ganz klar sagen, dass sie selbst so gut wie keinem der TeilnehmerInnen hinterher einen Arbeitsplatz anbieten können. Nichte einmal in Teilzeit- oder Minijobform. Nichts ist es mit der Heranführung an den ersten Arbeitsmarkt. Und die Qualifizierung, die eigentlich auch vorgeschrieben ist, wird eher zur Dequalifizierung. Da ja alle jede Arbeit annehmen müssen, sind solche Ergebnisse sehr wahrscheinlich.
Wenn mensch sich dann noch vor Augen führt, dass die Finanzen für Weiterbildungen, Umschulungen etc., aber auch für ABM, drastisch zurückgefahren werden, wird klar, dass es bestenfalls um Beschäftigungstherapie (ums "Fordern", aber weniger ums "Fördern") für die Betroffenen gehen kann. Und wohl auch eine Pleitewelle im Bereich der Weiterbildungsträger ansteht, so sie nicht auf den 1-Euro-Zug aufspringen können oder wollen. Wohingegen diejenigen, die ohne eigene Strukturen 1-Euro-JobberInnen sozusagen "vermakeln", also an dritte weitervermitteln, ein gutes Geschäft machen werden. Die 1-Euro-Job-MaklerInnen werden als neue Branche entstehen.
Zwangsarbeit?!
Zu betonen ist schon noch der Charakter der Zwangsarbeit. Ein böses Wort, jaulen da viele auf. Nazijargon, kommunistischer Gulag. Nein, nein. Es gibt Definitionen, z. B. von der ILO (International Labour Organisation = Internationale Arbeits-Organisati-on), nach denen diese Art der Arbeit tatsächlich Zwangsarbeit ist. Solche ist aber verboten. Es wird Gerichtsverhandlungen dazu geben. Allerdings ist zu befürchten, dass mit juristischen und Definitionstricks auch diese Hürde gemeistert wird.
Besser ist es schon, wie viele Erwerbslosengruppen u. a. das auch tun, am Widerstand gegen Hartz I-IV, am Sozialabbau großen Stiles überhaupt, festzuhalten. Weiterhin zu fordern, dass diese Gesetze eingestampft gehören; eine angemessene Grundsicherung für alle einzurichten ist und langfristig die heutige Form des Wirtschaftens und Arbeitens überwunden werden muss. Angesichts der gewaltigen Steigerungsraten des privaten Vermögens in diesem Land und der exquisiten Gewinne, die die meisten Unternehmen machen, ist es eine Frage des politischen Willens, ob und für was Geld ausgegeben wird.
Unsere Verbündeten bei diesen Vorstellungen und Zielen könnten die Gewerkschaften sein, denn mit den 1-Euro-Jobs werden massiv reguläre Arbeitsplätze gefährdet und wird der Druck, Niedriglöhnen zuzustimmen, gewaltig erhöht. Vor Ort gibt es auch Zusammenarbeit zwischen Erwerbslosen und Gewerkschaften und auch dem DGB.
Es gibt Einflussmöglichkeiten
Erste regionale Ansätze, wie der Flut der neuen Pflichtarbeit begegnet werden kann, gibt es, wenn auch spärlich und verspätet. So hat ver.di Hamburg Ende November in einem Eckpunktepapier den Einsatz des Instruments generell abgelehnt und für Betriebs- und PersonalrätInnen eine erste Handlungsorientierung entwickelt. Obwohl es sich bei ZusatzjobberInnen nicht um Beschäftigte handelt, unterliegt deren Einstellung aufgrund der Weisungsgebundenheit ihrer Tätigkeit und der Eingliederung in die betrieblichen Strukturen der Mitbestimmung der betrieblichen Interessenvertretung. Ver.di rät den Betriebs- und PersonalrätInnen deshalb, jeden geplanten Zusatzjob genauestens daraufhin zu überprüfen, ob er im öffentlichen Interesse liegt und wirklich zusätzlich ist. Hierbei sind sehr enge Kriterien anzulegen; aus gewerkschaftlicher Sicht ist eine Tätigkeit dann nicht zusätzlich, wenn Stellenpläne und Leistungskataloge in der Vergangenheit diese Tätigkeit noch beinhaltet haben. Etatkürzungen sind kein zu akzeptierendes Argument, um aus ehemaligen Regeltätigkeiten zusätzliche werden zu lassen. Zudem sollen bei neuen Stellenbesetzungen bereits im Betrieb tätige ZusatzjobberInnen Vorrang gegenüber einer Außenbewerbung genießen usw.
Allerdings hat der DGB auf Bundesebene wie auch verdi schon wieder eher die Haltung eingenommen: wir machen konstruktiv mit, entwerfen Kriterienkataloge und wenn die eingehalten werden, dann soll es so sein. Das reicht nicht aus.
Ganz hart allerdings kommt uns der DGB in Sachsen. In einer Presseerklärung zusammen mit dem Arbeitgeberpräsidenten erklärt der dortige DGB-Landesvorsitzende, dass die lokale Selbstverwaltung in den neu gebildeten Arbeitsgemeinschaften (ARGE) zwischen Agenturen für Arbeit und jeweiligen Kommunen, durch zu schaffende Beiräte ausgeführt werden soll. Es geht in dieser Erklärung in etlichen Punkten darum, was dabei wichtig ist. Ein Punkt hält fest, dass aus diesen Beiräten die Erwerbslosen herauszuhalten sind! Wer solche Verbündeten hat, braucht keine Feinde mehr.

 

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Glosse: Göttinger Arbeitsmarktpolitik mit Hartz IV Volle Bauchlandung

Nur zur Erinnerung: Vor einem Jahr gab es noch nachvollziehbare Wege der Integration in den Arbeitsmarkt - man war arbeitslos, nach Ablauf der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes gab es Arbeitslosenhilfe (gegebenenfalls ergänzt durch Sozialhilfe). Das Arbeitsamt hatte ein bestimmtes Instrumentarium an sog. Eingliederungshilfen: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Eingliederungszuschüssen, Qualifizierungsmaßnahmen, Weiterbildungen usw. Dann gab es eine nennenswerte Anzahl von Trägern der beruflichen Weiterbildung, die für die Umsetzung dieser Maßnahmen zuständig waren und diese – mit unterschiedlichem Erfolg und in unterschiedlicher Qualität - durchführten.
Rosig waren die Zeiten auch damals nicht: Das Arbeitsamt forderte Vermittlungsquoten als Erfolgsmaßstab ein, bundesweite Ausschreibungen beförderten ortsfremde Preisdrücker, für die Beschäftigten in der Weiterbildung gab es nur befristete Stellen und die Arbeitslosen? Nun ja, Jobs für sie gab es kaum und gefragt hat sie eh keiner.
Kommunales Coming Out
Und dann kommt Hartz IV: Mit dem Arbeitslosengeld II durfte vor Ort entschieden werden, wer die neue gekürzte Arbeitslosenhilfe (das Arbeitslosengeld II) auszahlen darf und wer für die Langzeitarbeitslosen zuständig ist. Wobei mit Zuständigkeit eigentlich mehr gemeint war, als eine monatliche Geldleistung zu errechnen und diese auf ein Konto zu überweisen. Es ging also um Integration, um Vermittlung, um Beratung, um begleitende Maßnahmen.
Und damit beginnt auch der Wahnsinn: Nach dem sich volljährige Bundestagsabgeordnete in einem schier unglaublichen Kompromiss auf eine Wahlmöglichkeit zwischen "Arbeitsgemeinschaft" und "Option" eingelassen haben, war kein Halten mehr. Die besondere Kompetenz der Kommune wurde entdeckt! Selbsternannte Reformer, Erneuerer und mehr oder weniger kompetente Fachleute begaben sich auf den Weg in die neue Zeit: So entschied sich in der Arbeitsmarktregion Göttingen der Landkreis Osterode für das Zugreifen auf die kommunale Option (wie sollte man auch sonst beim Wegfall des Sozialamtes die Existenz einer Kreisverwaltung für gerade mal 80.000 Bewohner begründen?). Der Landkreis Northeim für die Bildung einer ARGE (Arbeitsgemeinschaft) aus Landkreis und Bundesagentur für Arbeit und der Landkreis Göttingen wiederum für die kommunale Option.
Die Göttinger Entscheidung und ihre Entstehungsgeschichte lässt beachtliche Einblicke in die Kompetenz und die Interessen von Entscheidungsträgern zu: Klar wollte die kommunale Beschäftigungsförderung Göttingen sich aus den "Fängen" der Arbeitsverwaltung lösen und das ganz große Rad der Beschäftigungsförderung drehen, die zuständige Sozialdezernentin wohl ebenso. Die Landkreisverwaltung - und die war als Träger der Sozialhilfe eigentlich gefragt – schätzte ihre Kapazitäten und fachlichen Kompetenzen hingegen nüchtern ein und konnte nur verschärft abraten.
Der Kreistag, ein Gremium, das sich keineswegs rund um die Uhr mit Arbeitsmarktpolitik beschäftigt, sah das einige Zeit ebenso. Dann aber kam der große Kick: Nachdem die Göttinger Politik die innovativen Ansätze einer Zerstörung der bisherigen Arbeitsmarktpolitik erkannt hatte, setzte der SPD-Unterbezirksvorsitzende Thomas Oppermann seine Mannen im Kreistag unter Druck. Die Grünen im Kreistag - immer zu haben für Innovationen zu Lasten Dritter - spürten ebenfalls den frischen Hauch des Neuen und da musste sich schließlich auch die CDU bewegen. Außerdem kam der ganze Käse eh von ihrem eigenen Mist (genauer von der Hessischen Landesregierung) und die Landesregierung in Niedersachsen machte ja auch schon Druck...
So kam der wegweisende Entschluss zustande: Auf den letzten Drücker entschied der Kreistag, auch er will das Neue, koste es was und wen es wolle und stimmte für das Ziehen der kommunalen Option.
Schnelles Rechnen
In einem Kraftakt sammelte die Agentur für Arbeit bis zum Jahreswechsel fast alle zu erwartenden Anträge auf ALG II ein, tippte die Daten in die Rechner und lies die Rechner auf dieser Grundlage Leistungen errechnen, die den Antragstellern dann in den weihnachtlichen Haushalt schneiten. Schnell musste es gehen, Überstunden wurden geschoben, Externe wurden eingeschaltet. So kamen doch fast alle Antragsteller rechtzeitig zu ihren Leistungsbescheiden und zu Geld. Verstehen tut die Bescheide keiner, Erläuterungen und Berechnungen sind Fehlanzeige. Eine neue Geheimwissenschaft deutet sich an.
Der Erfolg kann sich sehen lassen: Fehlberechnungen bei über 50 % der Bescheide singen das Lob der Geschwindigkeit. Widersprüche und Klagen in großer Zahl werden jetzt die Computereingaben und –berechnungen ergänzen.
"Angemessener wohnen!"
Damit der gesamte Vorgang nicht allzu prosaisch bleibt, versandte die Agentur außerdem noch ca. 1.500 Hinweise, in denen betroffene Haushalte beschieden wurden, dass ihre Miete unangemessen hoch sei und sie sich daher binnen sechs Monaten in preiswerteren Wohnraum zu begeben hätten. Alternativ werde die bisherige Miete nicht mehr übernommen und sie hätten den zu hohen Betrag (über der behaupteten Angemessenheit) aus ihrer Regelleistung zu bestreiten. Dazu sollten sie regelmäßig Belege abliefern über ihr Bemühen, ihre bisherige Wohnung zu verlassen.
Nachdem diese Ankündigung zum Massenauszug Furore gemacht hat, wollte es keiner mehr gewesen sein: Die Stadt Göttingen pocht auf eine Einzelfallprüfung (geradeso, als ob sie etwas zu entscheiden hätte), die Arbeitsagentur verweist auf den Landkreis, in dessen Auftrag sie gehandelt habe und der Landkreis fühlte sich nicht verantwortlich, da seine Zuständigkeit erst zum 01.01.2005 beginnen sollte.
Wer eigentlich in Stadt und Landkreis festgelegt hat, dass der Orientierungspunkt für die Angemessenheit von Wohnraum die Wohngeldtabelle sein sollte, konnte bis heute nicht geklärt werden. Ebensowenig konnten die Verantwortlichen für die Eingruppierung Göttingens in diese Tabelle ausfindig gemacht werden, stattdessen kommt es zu Verweisen auf Gerichtsurteile, die Stadt und Landkreis dazu verdonnert haben sollen, möglichst wenig Miete zu zahlen.
Wann und wie das enden wird und wer letztendlich umziehen muss, weil das "angemessen" ist, steht noch offen.
Vom Fördern und Fordern
Groß war die offizielle Euphorie: Endlich sollte auch den Sozialhilfeempfängern der Zugang zum Arbeitsmarkt und zur beruflichen Eingliederung ermöglicht werden. Die besondere Nähe der Kommunen zum örtlichen Arbeitsmarkt sollte sich befruchtend auswirken, die kommunale Flexibilität im Unterschied zur schwerfälligen und bürokratischen Bundesagentur ausgespielt werden. Der Einbruch der Realität ins dilettierende kommunale Fördern ist dann entsprechend ernüchternd:
Kenntnisse im Fallmanagement gleich null, Qualifikationen in der Vermittlung – Fehlanzeige, Rehabilitation bei Behinderten, Berufsberatung für junge Menschen – alles Neuland.
Bildungsträger stöhnen, weil sie keine Ansprechpartner mehr haben; zu verlässlichen Aussagen befugte Menschen gibt es nicht; ALG II-Empfänger sind von Eingliederungsmaßnahmen soweit entfernt wie Südniedersachsen vom Wirtschaftsboom; EU-Mittel verfallen, weil die Komplementärfinanzierung, die bisher über das Arbeitsamt kam, nicht mehr gewährleistet ist.
Das vielbeschworene Fördern verkommt zum Massenangebot an 1-Euro-Jobs, denn alles andere kostet noch mehr Geld, vernünftige Ideen zur Integration gibt es eh keine und Arbeitsplätze für die zu Integrierenden auch nicht.
Was bleibt: 1-Euro-Jobs
Und wie wird es enden – das kommunale Besserwissertum zur segensreichen Beförderung von Langzeitarbeitslosen? In einer Flut an 1-Euro-Jobs – und zwar tatsächlich ein Euro die Stunde, nicht 1,50 € wie in den Zeiten der Agentur.
Selbst die regionale Wirtschaft, die sich bisher mit den Problemen des arbeitslosen Fußvolks nicht auseinandersetzen musste, ahnt, dass bei mehreren hundert 1-Euro-Jobs alleine im Bereich Göttingen auch sie nicht verschont wird. Die einen werden sich bemühen, irgendwie auch noch in den Genuss der Billigstkräfte zu kommen (da gibt es Wege) und die anderen müssen darauf achten, dass ihnen "gemeinnützige" und kommunale Billigheimer mit Dumpingangeboten nicht die letzten Aufträge wegschnappen.
Es gibt wohl wenig Gründe, das Wirken der Arbeitsverwaltung zu sehr zu loben, aber so grottenschlecht war sie nie!
All die kreativen Schaffer in den diversen Nischen der Beschäftigungsförderung können jetzt strahlen: Keine bundeseinheitliche Arbeitsförderung mehr, stattdessen kreatives Patchwork von Landkreis zu Landkreis. Da wo die einen Behindertenintegration "nicht können" und die anderen beim Einwerben von Strukturmitteln nur Bahnhof verstehen, kann man sich doch zumindest mit der kommunalen Autonomie trösten und brüsten: Egal ob ARGE oder Option, den Mist machen wir jetzt selber!

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