Zeiss:
Hoffnung auf weniger brutale Lösung Seit
über einem Jahr schwebt das Damoklesschwert der massiven Verkleinerung des
Zeiss-Standortes Göttingen über den KollegInnen des Traditionsbetriebes.
Noch sind ca. 635 KollegInnen bei Zeiss in der Königsallee beschäftigt.
Nach dem Willen der Geschäftsführung sollen am Ende der geplanten Umstrukturierung
nur noch 250 Arbeitsplätze übrig bleiben. Die Bereiche Entwicklung,
Vertrieb und Systemintegration sollen nach Jena verlagert werden. Von den Beschäftigten
wurde schon lange kritisiert, dass der Standort-Betriebsrat und der Gesamtbetriebsrat
diese brutalen Pläne nicht ernsthaft bekämpfen. Für die KollegInnen
blieb das Gefühl zurück, dass der Standort Göttingen im konzerninternen
Standortwettbewerb den Kürzeren zieht. Daran haben auch die erfolgreichen
Aktionen des letzten Jahres, die zahlreichen Solidaritätsbekundungen und
die 17.000 gesammelten Unterschriften für den Erhalt des Göttinger Standortes
nichts geändert. Jetzt haben Betriebsrat und IG Metall ein Zwischenergebnis
von drei Monaten Arbeit an einem Alternativkonzept vorgelegt. Insgesamt zehnmal
hat es bisher Treffen mit der Geschäftsführung gegeben. Manfred Zaffke
von der IG Metall und Betriebsrat Torsten Dreyer werten es positiv, dass die Geschäftsführung
das Konzept zumindest nicht rundweg ablehnt. Nach den Plänen von Betriebsrat,
Gewerkschaft und einem Unternehmensberater soll vor allem die Verlagerung der
Entwicklung verhindert werden, weil das mit einem massiven Know-How-Verlust verbunden
wäre und erfahrungsgemäß oft der erste Schritt für die Verlagerung
der Produktion ist. Drei Lösungsvarianten sind denkbar, um wenigstens
einen Teil der Arbeitsplätze in Göttingen zu halten: Erhaltung des
Standortes im bisherigen Umfang, aber Aufteilung in zwei Firmen. Verlagerung
von Entwicklung und Systemintegration erst nach zehn Jahren. Dadurch könnte
in Göttingen ein sozialverträglicher Übergang geschaffen und der
Weggang von KollegInnen mit wichtigem Wissen vorerst verhindert werden. Eine
Umstrukturierung der Firmenbereiche, so dass in Göttingen die Entwicklung
und Montage von Modulen erhalten bleibt. Alle drei Möglichkeiten werden
den Beschäftigten aber trotzdem sehr weh tun – einen Königsweg gibt
es für die KollegInnen nicht. Es bleibt die Hoffnung, dass die Entwicklung
eines neuen High-End-Mikroskops und die Optimierung der Produktions- und Vertriebsprozesse
die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes verbessern und damit Arbeitsplätze
sichern. Leider sind Optimierungsmaßnahmen aber erfahrungsgemäß
auch mit Einkommenseinbußen oder mit dem Verlust von einem Teil der Arbeitsplätze
verbunden. Es wird also auch in Zukunft nicht einfach für die Zeissianer
– die letzte Verhandlungsrunde am 22. April lässt da Böses ahnen.
In den nächsten Wochen und Monaten ist die Solidarität für die
KollegInnen von Zeiss auf jeden Fall wieder gefragt, denn falls die Geschäftsführung
nicht zu einem Kompromiss bereit ist, will die IG Metall "in den Kampfmodus zurückfinden".
Und das könnte dann auch für die KollegInnen eines anderen Göttinger
Betriebes von Interesse sein; schließlich sitzt der Vorstandsvorsitzende
Joachim Kreuzburg des Göttinger Sartorius-Konzerns im Aufsichtsrat der Zeiss
AG. (siehe auch >goest-Seite zu Zeiss)
IG
Metall: Unterirdisches Angebot Die
alljährliche Routine der Tarifrunden wurde zumindest in der Metall- und Elektroindustrie
jäh unterbrochen. Eigentlich lief das bisher immer nach dem gleichen Muster
ab: Forderung der IG Metall, ein Angebot der Arbeitgeberseite, das ungefähr
halb so hoch ist, dann zwei Warnstreikrunden und daraufhin die Einigung in einem
Tarifgebiet in Süddeutschland. Dieser sogenannte Pilotabschluss wurde dann
in den anderen Tarifgebieten mehr oder weniger unverändert übernommen.
Im letzten Jahr hat der Arbeitgeberverband in Niedersachsen aber den Ton verschärft:
er wollte den Pilotabschluss nicht mittragen – alles viel zu teuer. Da wurde
vielen IGM-KollegInnen klar, dass ein anständiges Tarifergebnis kein Selbstläufer
ist. Im Zweifel ist eben doch die eigene Streikfähigkeit gefragt, wenn man
nicht leer ausgehen will. In diesem Jahr haben die Arbeitgeber in Niedersachsen
von Anfang an klar gemacht, dass sie auf Krawall gebürstet sind: gegen die
Forderung der IG Metall von 5% Tariferhöhung setzen sie ein Angebot von 0,9%
plus 0,3% ohne Nachwirkung, die also nach einem Jahr wieder weg sind. Außerdem
gehe es vielen Mitgliedsfirmen so schlecht, dass sie die Möglichkeit haben
müssten, auf betrieblicher Ebene einen niedrigeren Abschluss zu vereinbaren.
Die IG Metall hat dagegen schon verlauten lassen, dass in diesem Jahr bereits
in der zweiten Warnstreikwelle 24-Stunden-Streiks mit der vollständigen Schließung
von Betrieben angestrebt werden. Wenn dieser GBE erscheint, werden die ersten
Protestaktionen bereits gelaufen sein. Die IGM-KollegInnen müssen sich dieses
Jahr sicher auf eine härtere Tarifrunde einstellen, denn gute Tarifverträge
fallen nun mal nicht vom Himmel. Insbesondere nicht, wenn kampfstarke Betriebe
wie die Zeiss-Niederlassung (siehe nebenstehender Artikel) in Göttingen durch
die aktuellen Schließungspläne von ganzen Bereichen geschwächt
sind. Da müssen dann KollegInnen Mut und Kampfkraft zeigen, in deren Betrieben
es gerade "brummt". (Siehe auch >goest-Seite zu IGM)
Öffentlicher
Dienst:Lahmer
Start in die Tarifrunde Wie
alle zwei Jahre wieder müssen auch die Angestellten des öffentlichen
Dienstes (der Kommunen und der Bundeseinrichtungen*) erneut für eine Erhöhung
ihrer Löhne streiten. Besonders pikant in dieser Runde: wie schon in anderen
Branchen und bei den Angestellten der Bundesländer 2015 wollen die Arbeitgeber
Leistungskürzungen in der Zusatzversorgung (=Betriebsrente) durchsetzen.
Angesichts dieses massiven Angriffes erscheint die Mobilisierungsfähigkeit
durch die Gewerkschaften recht bescheiden…. Die Gewerkschaften, allen voran
ver.di, fordern eine Entgelterhöhung in Höhe von 6%, eine Anhebung der
Ausbildungsvergütungen um 100 Euro, eine unbefristete Übernahme der
Azubis und einen Ausschluss sachlich grundloser Befristungen. Außerdem sollen
auch Azubis 30 Tage Urlaub erhalten und Regelungen zur Altersteilzeit über
den 31. Dezember 2016 hinaus verlängert werden. Vielleicht am Wichtigsten
(wenn auch formal noch kein Bestandteil der Tarifauseinandersetzung): Die Gewerkschaften
lehnen Kürzungen in der Zusatzversorgung (=Betriebsrente) ab. Begründet
werden die Forderungen zum Teil mit der allgemeinen Entwicklung des gesellschaftlichen
Reichtums und wie dieser verteilt wird. So argumentiert ver.di, dass der "Anteil
vom Kuchen", der an Beschäftigte geht, deutlich schrumpft.** Zusätzlich
führen die Gewerkschaften das bekannte keynesianische Argument an, dass die
Stärkung der Binnennachfrage durch eine Erhöhung der Kaufkraft volkswirtschaftlich
notwendig sei, und die Sorge, um die schwindende Attraktivität des öffentlichen
Dienstes, welcher vor der Herausforderung stünde, zeitnah 20 Prozent der
in Rente gehenden Beschäftigten durch qualifizierte Nachwuchskräfte
zu ersetzen. Reaktion der Arbeitgeber Die Arbeitgeber reagieren mit der
üblichen Antwort, dass die Forderungen überzogen seien und wirtschaftlich
nicht darstellbar. Außerdem und vielleicht am Wichtigsten in dieser Runde:
die Vereinigung Kommunaler Arbeitgeber (VKA) lässt mitteilen, dass Eingriffe
in das Leistungsrecht (betriebliche Zusatzversorgung) "unabdingbar" seien. Zwar
haben die Arbeitgeber formal den Tarifvertrag zur Zusatzversorgung noch nicht
gekündigt. FAKTISCH versuchen die Arbeitgeber die Beschäftigten jedoch
damit zu erpressen, dass sie erklären, ohne massive Einschnitte in der Zusatzversorgung
auch in anderen Bereichen (z.B. Entgelt) sich nicht einigen zu können…
Verlauf der Tarifrunde Angesichts des massiven Angriffes durch die Arbeitgeber
auf die Betriebsrente ist der Verlauf der Tarifrunde überraschend lahm. Vielleicht
ist es bei den Beschäftigten noch nicht wirklich angekommen, was die Arbeitgeber
vorhaben? Oder ist nach Jahren der Zerschlagung (Privatisierungen und Aufspaltung)
des öffentlichen Dienstes in verschiedene Sparten tatsächlich die Organisationsmacht
hinüber? Angeblich gibt es nach wie vor einen gewerkschaftlichen Organisationsgrad
von ca. 30 Prozent. Wir fragen uns: Wo sind die KollegInnen? Identifizieren
sie sich nicht mit den Forderungen (prozentuale Erhöhung statt Festgeldforderung)?
Oder meinen Sie immer noch, es werden schon Andere die Kohlen aus dem Feuer holen?
Angesichts der Rentengesetzgebung der vergangenen Jahre (begonnen durch Rot-Grün)
müssen alle Beschäftigten mit geringen und durchschnittlichen Einkommen
mit Altersarmut rechnen. Deshalb bekommt – zumindest solange nicht wieder
eine andere gesetzliche Rente erstritten wird – die betriebliche Altersversorgung
eine immer größere Bedeutung. Der aktuelle Angriff durch die Arbeitgeber
muss deshalb als aggressiver Versuch der Absenkung des Lebensniveaus im Alter
erkannt werden – und zu einer vehementen Gegenwehr führen. Wird sie noch
kommen? Wir lassen uns gerne überraschen… *) Die Arbeitsbedingungen der
Beschäftigten des öffentlichen Dienstes werden nicht mehr wie früher
durch einen einheitlichen Tarifvertrag geregelt (BAT), sondern seit 2004/2007
durch mehrere. Für die schlechter organisierten Angestellten der Bundesländer
gilt jetzt der Tarifvertrag der Länder (TVL). **) Die Realeinkommen der
Tarifbeschäftigten haben sich seit 2000 deutlich geringer erhöht, als
die Unternehmens- und Vermögenseinkommen, welche preisbereinigt um mehr als
30 Prozent anstiegen.
Sozialleistungen:
Neues von der Sozialleistungsfront
Drei
Gesetze wurden geändert bzw. werden geändert. Das Wohngeldgesetz und
das SGB XII (Die Grundsicherung) sind schon in geänderter Form ab dem 1.1.2016
in Kraft. Das SGB II (für das Arbeitslosengeld II) sollte eigentlich schon
im April 2015 geändert sein, der Änderungsentwurf hatte aber erst jetzt
am 15.4.2016 die erste Lesung im Bundestag. Mehr
Wohngeld, aber... Das Wohngeld wurde dieses Mal kräftig angehoben,
durchschnittlich um ca. 39 Prozent ( ein 2-Personenhaushalt bekam bisher 112,
jetzt 186 Euro monatlich an Wohngeld). Allerdings wurde wieder nichts für
Heizkosten und Warmwasseraufbereitung mit eingerechnet. Auch wurden insgesamt
mehr Orte und Landkreise niedriger bei den Mietstufen eingestuft als umgekehrt.
Einige Freibeträge (für Schwerbehinderte, Alleinerziehende, Kinder mit
eigenem Einkommen = auch hier ist der Mensch übrigens bis einschl. dem 25ten
Lebensjahr Kind, wie im SGB II) wurden erhöht; die Berücksichtigung
von Kindern bei getrennt lebenden Eltern ist erleichtert worden. Also schon eine
Reihe von positiven Punkten. Aber ein dicker Klops ist ebenfalls nun in diesem
Gesetz. Bisher wurden nur dann die Einkommen von mit in der Wohnung lebenden Menschen
mit erfasst, wenn diese auch eine Wirtschaftsgemeinschaft bildeten. Jetzt reicht
es, dass dort jemand mit in der Wohnung wohnt. Dann müssen die Einkommen
aller MitbewohnerInnen offengelegt werden. Wohl auch bei mehr als 2 Personen.
Das wird in naher Zukunft für reichlich Konfliktstoff in so mancher Wohngemeinschaft
sorgen. Solche Punkte ziehen sich schon seit längerem durch die deutsche
Sozialgesetzgebung. Statt für ausreichenden Ausgleich bei den Betroffenen
selbst zu sorgen, wird oft auf Biegen und Brechen versucht, andere mit in die
Pflicht zu nehmen. Das mag bei Eltern und Kindern und Ehe- und sonstigen Paaren
ja noch vertretbar sein, aber dieses Beispiel geht einfach zu weit. Die Gerichte
werden sich sicher damit befassen müssen. Ansonsten sollen die Wohngeldhöhe
und die Mietstufen künftig alle 2 Jahre anhand der Entwicklung der Lebenshaltungskosten
und der Einkommensverhältnisse überprüft werden. Das
Arbeitslosengeld II (SGB II)... erfährt seit seiner Einführung
im Jahre 2005 die inzwischen neunte Gesetzesänderung. Sie wird unter der
Bezeichnung "Rechtsvereinfachungen" geführt. Bei solchen Namen ist sofort
Vorsicht geboten. Es geht beileibe nicht nur um Vereinfachungen, Aufwandseinschränkungen,
Arbeitserleichterungen etc. Einige positive Punkte stehen auch dieses Mal weiteren
Verschlechterungen bzw. der Nichtbehandlung besonders umstrittener Punkte gegenüber.
Bereits seit Juni 2013 hatten in Tagungen und Workshops vieler Verbände (Landkreistag,
Städtetag, Bundesvorstand der Arbeitsagentur, Bundes- und Landesministerien
usw., allerdings keine Betroffenen bzw. denen nahestehende Einrichtungen) diese
Gesetzesänderung vorbereitet. Fast 200 Änderungsideen wurden zusammengetragen.
Dabei kamen auch etliche aberwitzige Vorschläge zu Tage, die nun aber nicht
mehr im Gesetzentwurf enthalten sind. So sollten z. B. die Selbstständigen
entweder gar nicht mehr leistungsberechtigt sein oder nach 2 Jahren, in denen
ihre Selbstständigkeit sie nicht aus der Leistung herausführen kann,
wieder ausgeschlossen werden. Noch etwas abstruser war der Vorschlag, die Kontoauszüge
aller Leistungsbeziehenden jeden Monat zu überprüfen. Diese Idee hatte
Herr Weise vom Bundesvorstand der Arbeitsagentur. Wir sehen, der Name ist nicht
immer Programm. Wer das wie bewerkstelligen sollte, sagte er nicht. Konkret
sind in dieser geplanten Änderung auch einige positive Punkte: -
Der Bewilligungszeitraum soll für ein Jahr gelten statt bisher nur für
6 Monate; - Anteile von Wohnungsgenossenschaften sollen als Kautionen behandelt
werden; - statt bisher 10 Euro Freibetrag pro Monat zukünftig in einem
Monat 100 Euro frei (für Zinseinahmen o. ä.); - Auszubildende und
Studenten sollen evtl. einen Teilbedarf bewilligt bekommen (bisher schließen
BAföG und Ausbildungsbeihilfe den ALG-II-Bezug aus); - bei den sog. Bildungs-
und Teilhabekosten soll der Eigenanteil von einem Euro pro Tag und Kind beim warmen
Essen in KITA oder Schule entfallen. Deutlich
mehr Negatives... ist jedoch auch dieses Mal zu verzeichnen. Am meisten
umstritten ist, dass nun doch kein Wort zu den seit vielen Jahren bekämpften
Sanktionen im Entwurf enthalten ist. Die Vorstellungen gingen von der gänzlichen
Abschaffung bis zur Einschränkung derselben. Da sich aber die CSU und Bayern
hier völlig quergestellt haben, ist um des Regierungskoalitionsfriedens willen
dieses Thema ausgespart worden. Nach wie vor können Leistungsbeziehende auf
null reduziert werden (auch die Kosten der Unterkunft fallen z. B. bei mindestens
3 "Vergehen" im Jahr weg). Das kann die Obdachlosigkeit bedeuten. Aber auch schon
bei einer ersten Kürzung um 30 Prozent des Regelbedarfes ist das Existenzminimum
bereits unterschritten. Bei den unter 25jährigen sind diese Sanktionsregeln
wir auch einige andere Dinge noch mal brutaler ausgestaltet. Das sollte auch wegfallen.
Fast noch heftiger ist aber eine neue Regelung, dass die Personen, die sich "sozialwidrig"
verhalten, eine neue Art Sanktion erleben können. Wer z.B. eine Arbeitsstelle
ablehnt oder nicht zum Vorstellungsgespräch geht, kann dann mehrere Jahre
lang Kürzungen der monatlichen Leistungen erleben. Und zwar in der Höhe
des Gehaltes, was er oder sie hätte erzielen können. Wie das umgesetzt
werden soll, darüber kann mensch sich wahrlich Gedanken machen. Auch
hochgradig schlimm ist eine geplante Pauschalierung der Heizkosten. Bisher setzen
sich die Kosten der Unterkunft aus der Bruttowarmmiete (ohne Strom, der ist im
Regelbedarf enthalten, allerdings mit nicht mal 30 Euro pro Erwachsenem) und den
individuellen Heizkosten zusammen. Zwar hat man, um diese zu deckeln, vor einigen
Jahren den Heizkostenspiegel entdeckt, der fürs Energiesparen, Wärmedämmung
etc. entwickelt wurde, aber immerhin. Keine Pauschale. Pauschalieren hieße,
jede Person z. B. in Stadt und Landkreis Göttingen bekommt monatlich 50 Euro
oder 60 Euro für die Heizkosten. Völlig egal, wie viel sie tatsächlich
bezahlt. Darin liegt wirklich die große Gefahr, dass noch viel mehr Menschen
in Zukunft Defizite bei den Kosten der Unterkunft aus dem Regelbedarf ausgleichen
müssen. Es gibt noch etliche Verschlechterungen mehr. Wir erwähnen
aus Platzgründen nur noch einige: - die "Zwangsverrentung" mit 63 Lebensjahren
bleibt im Gesetz; - Freibeträge und Absetzbeträge werden reduziert;
- Kinder in getrennt lebenden Elternhaushalten sollen konkret, also wohl tagesgenau
abgerechnet werden (ihr Bedarf wird auf beide Elternteile aufgeteilt, wenn beide
im Leistungsbezug sind, sonst bekommt nur das eine bedürftige Elternteil
einen Anteil). Gerade diese letzte Regelung ist ganz bestimmt weder eine Rechtsvereinfachung
noch eine Arbeitserleichterung für die Sachbearbeitung im Job-Center. Streitereien
sind vorprogrammiert und zusätzliche Erhebungen sind nötig, um das Geld
aufzuteilen. - Hatte man schon 2011 die möglichen Rückforderungen
der Leistungsbeziehenden bei Behördenfehlern (mittels eines Überprüfungsantrages
nach dem Sozialgesetzbuch X) von 4 Jahren rückwirkend auf nur noch 1 Jahr
rückwirkend drastisch verkürzt, so sollen Rückforderungen jetzt
noch mehr erschwert werden. Fazit Wie auch inzwischen die Linke Partei
im Bundestag und viele Initiativen stellen wir uns ein ausreichendes und bedingungsloses
Grundeinkommen als die richtige Alternative vor, die die Menschenwürde wahrt
und alle diese Gesetze überflüssig macht und dazu jede Menge Gerichtsverfahren.
In Schweden, Island, Finnland und evtl. auch in den Niederlanden wird begonnen,
so etwas in bestimmten Regionen für einen festgelegten Zeitraum auszuprobieren. Our
House OM10: Räume endlich (wieder) geöffnet Seit
dem 5. November 2015 wird das ehemalige DGB-Haus in der Oberen-Masch-Str. 10 nach
sechs Jahren Leerstand wieder genutzt. In den meisten Räumen des Doppelhauses
wird seitdem gemeinschaftliches, selbstverwaltetes Wohnen von Geflüchteten
und anderen Wohnungssuchenden gelebt. Eine Etage steht der "Fluchthilfe" zur Verfügung,
die nachts am Bahnhof gestrandeten Geflüchteten Übernachtung, Essen,
Informationen und andere Hilfen anbietet. Auch der große Saal in der 1.
Etage ist wieder zugänglich. Zahlreiche Treffen und Veranstaltungen finden
hier wieder statt. Dank der breiten Unterstützung aus Nachbarschaft, Initiativen
und nicht zuletzt dem starken Rückhalt aus lokalen und regionalen Gewerkschaftsgruppen
haben mittlerweile Verhandlungsgespräche mit dem DGB begonnen. Die Besetzer*innen
suchen eine politische Lösung für die OM10, sie wollen das Wohn- und
Aktions-Projekt legalisieren. Viele Göttinger*innen, Gewerkschafter*innen
und Gruppen aus dem linken Spektrum können sich noch gut an das Haus und
den Saal am Platz der Synagoge erinnern. Hier wurden heiße, auch Kräfte
zehrende Debatten geführt, Konflikte ausgetragen und gute Lösungen gesucht.
Im Saal wurde u.a. das Bündnis gegen Rechts geschmiedet, das bis heute einen
breiten zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen Nazis erfolgreich organisiert.
Die Obere-Masch-Str. 10 war immer ein Ort der Begegnung, des politischen Austauschs,
der Vernetzung. Bis heute bleibt unverständlich, dass die VTG (Vermögensverwaltungs-
und Treuhandgesellschaft, 100%-Tochter des DGB) das ganze Haus sechs Jahre lang
leer stehen ließ und dafür auch noch zehntausende Euro Betriebskosten
aufbrachte. Der verantwortliche DGB hat an dieser Stelle seinen politischen Auftrag
für Alle sichtbar verfehlt. Die Soziale Frage nach bezahlbarem Wohnraum
bei gleichzeitig systematischem Leerstand, die als alternativlos gehandelten menschenunwürdigen
Massenunterkünfte für Geflüchtete und nicht zuletzt die Frage nach
dem Sinn vom Brachliegen fantastischer Veranstaltungsräume bei gleichzeitigem
Bedarf veranlasste einige Göttinger*innen zu handeln. Die Besetzer*innen
sehen sich hier in der Tradition von Information, Austausch und Vernetzung zu
widerständigem und emanzipatorischem Handeln. So fanden beispielsweise Veranstaltungen
zu Sozialem Wohnungsbau in Göttingen, ein Bericht der Rojava-Delegation,
Veranstaltungen wie "Die Kraft der Migration" vom AK Asyl und dem Lampedusa-Bündnis,
Infoveranstaltungen zur aktuellen Asylpolitik oder ein Vortrag zum Zusammenhang
von Nationalstaat und Kapitalismus statt. Ein ganzes Wochenende stand das Haus
für ein bundesweites Vernetzungstreffen von Freiwilligen, die auf der Balkanroute
unterstützten oder unterstützen wollen, zur Verfügung. Hier vernetzen
sich jetzt auch Geflüchtete selbst, um u.a. gemeinsam gegen drohende Abschiebungen
aktiv zu werden. Im Saal treffen sich an drei Nachmittagen vor allem Geflüchtete
beim Offenen Café, dabei gibt es montags auch eines der wenigen Frauen-Cafés
in Göttingen. Es werden Demos geplant und Göttinger Freiwillige treffen
sich, um die vielen Kräfte im Engagement für Geflüchtete zu bündeln
und ein eigenes politisches Selbstbewusstsein zu entwickeln. Auch der Göttinger
Integrationsrat tagte im Saal, und Gewerkschaftsjugenden nutzten bereits die neuen-alten
Räume. Es gab Theateraufführungen, Solikonzerte und ein sonntägliches
Jazzfrühstück. Gerade war der (sonst im APEX beheimatete) Chor "Das
Offene Singen" mit Friedens- und Gewerkschaftsliedern zu Gast. Aktuell läuft
eine Ausstellung zur "Dritten Welt im Zweiten Weltkrieg". Nicht zuletzt findet
mittwochs um 19 Uhr das wöchentliche offene Plenum der OM10 statt, zu dem
Interessierte eingeladen sind. U.a. wird bei diesem Plenum gemeinsam über
die Nutzung des Saals entschieden. Immer wieder kommen Einzelpersonen und Gruppen
vorbei und erkundigen sich nach den Möglichkeiten, die durch die Öffnung
der OM10 (wieder) gegeben sind. Wenn weiterhin viele Menschen mit anpacken, soll
und kann auch in Zukunft hier ein Begegnungsort für Geflüchtete und
andere politisch, sozial und kulturell Aktive bestehen und weiter ausgebaut werden.
Die OM10 hat offenbar bundesweit eine Mut machende Ausstrahlung. Regelmäßig
werden die Aktivist*innen in andere Städte eingeladen, um über die Planung
und erfolgreiche Umsetzung dieser Raum-Öffnung durch Besetzung zu berichten.
Denn das Problem des Leerstands bei gleichzeitigem Bedarf der Menschen nach eben
solchen Räumen ist leider flächendeckend. Dabei fällt auf, dass
nicht nur in Göttingen ehemalige DGB-Häuser zu Spekulationszwecken leerstanden
und leerstehen. Regionale soziale Initiativen bekommen keine Chance der Übernahme.
Statt dessen werden die Häuser mit Gewinnmaximierung verkauft. Der DGB ist
aufgefordert, sich in Göttingen und anderswo zu seiner politischen und sozialen
Verantwortung auch als Immobilienbesitzer zu bekennen. Kritische Gewerkschafter*innen
sollten sich in diese Auseinandersetzung weiterhin aktiv einbringen und Our House
OM10 auch als ihr politisches Projekt begreifen.
(Siehe auch >goest-Seite zum besetzten DGB-Haus
)
Impressum
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Nikolaikirchhof 7, 37073 Göttingen Herausgeber: Göttinger
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