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Homo Empathicus , Uraufführung im Deutschen Theater

6.10.14 / Günter Schäfer (Red. goest)
/ Mit der Premiere von "Homo Empathicus" begann die neue Spielzeit am DT unter der Leitung des neuen Intendanten Erich Sidler, der auch die Regie bei "Homo Epathicus" führte. Rebekka Kricheldorf hatte, das nun uraufgeführte Stück, im Auftrag des Deutschen Theaters geschrieben. Die Rechte dazu liegen beim Kiepenheuer Bühnenvertriebs-Verlag Berlin. Im Buchhandel ist der Text nicht zu finden, aber Textbücher können beim >>Verlag käuflich erworben werden.

Die Premiere dieses Stückes, das eine "gesellschaftliche Einheit in Harmonie" auf die Spitze trieb, fand passenderweise am Tag der "Deutschen Einheit" vor vollem Haus statt. Die Ankündigung, dass Sidler bei diesem Stück das gesamte Ensemble auf die Bühne bringen werde, eröffnete die Aussicht gleich mit der ersten Vorstellung der Spielzeit alle Schauspieler_innen kennenzulernen. Gleichzeitig, so hiess es, werde"In diesem Stück (..) ein Kanon von Figuren und Geschichten aufgefächert, die wir im Laufe der Spielzeit durch in serielles Format weiterentwickeln".

Unerträgliche Empathisiererei
Empathie wird allgemein als eine wünschenswerte, wertvolle Fähigkeit angesehen. Die Fähigkeit sich in die Gefühlswelt eines Gegenüber hineinzuversetzen ermöglicht es, den anderen besser zu verstehen. Berufe in denen pädagogische, soziale, pflegerische oder insbesondere therapeutische Arbeit geleistet wird, kommen wohl kaum ohne diese Fähigkeit aus. Landläufige Sprüche wie "Hilf dir selbst, sonst hilft dir ein Sozialarbeiter" deuten aber schon an, dass Empathie-Worker auch nerven können. Wie sehr Epathie-Gehabe nerven kann, wurde in dem Stück ausführlich dargestellt. Dankenswerterweise auch immer wieder so überspitzt, dass sich die Unerträglichkeit im Lachen des Publikums entladen konnte.

Beispiele für die an "Empathitis" erkrankte Gemeinschaft:
-- Statt Eifersucht zu zeigen, wurde Freude und Dankbarkeit darüber geäußert, wie schön es doch sei, dass der andere seine Gefühle auch weiteren Personen zuwenden könne. Woraufhin wieder große Dankbarkeit zurück signalisiert wurde mit dem Hinweis, man werde das in sein "Dankbarkeitstagebuch" schreiben.
-- Die sexuelle Verweigerung einer Frau führt zu überschwenglichen Verständnisäußerungen des frustierten Mannes. Gleizeitig äußert die Frau großes Bedauern und Sorgen über das Leid des Mannes, so dass man sich am Ende dann auf ein Masturbieren des Mannes einigt, damit alles einigermaßen im Lot bleibt. Dezent verdeckt aber lautstark auf der Bühne vollzogen.
-- Sogar übers Sterben freut man sicht, weil doch nun "das Mensch" (immer schön geschlechtsneutral !) als Nahrung für kleinere Lebewesen in der Erde dienen könne.
-- Auch Tätigkeiten im Bereich der Exkrementenverwertung wurde unter dem Label "Hygieneexpertentum" etwas positives abgewonnen.
-- Die negative Besetzung von Worten wurde in gegenseitiger Kontrolle korrigiert: Sag nicht so "Scheiße" wenn du dich ärgerst, was kann denn die Scheiße dafür, dass du dich ärgerst.

Und wenn doch jemand Unzufriedenheit zeigt, dann schickt ihn die Gemeinschaft zur Therapie zum "Wegsprechen" seiner Leiden. Dass die Wegsprech-Therapeutin dann auch noch den Namen des Bagwhan-Gurus Osho trug, regte ebenso zum Schmunzeln an, wie die gewerbliche Anzeige auf der letzten Seite des Programmheftes von einem "Zentrum für ganzheitliche Gesundheit in Göttingen" mit dem Slogan "bei uns spielt Ihr Wohlbefinden die Hauptrolle" - beim Durchblättern stutzt man und überlegt ob das nun zum Stück dazugehört.

Bühnenbild
Das Bühnenbild stammte von Gregor Müller, der schon Bühnenbilder für das Landestheater Linz, die Staatsoper Hannover, und mit Erich Sidler zusammen am Stadttheater Bern und Staatstheater Saarbrücken gestaltet hat. Die "Homo-Empathicus"-Bühne war hellgrün: eine große grüne Fläche, dahinter eine ca. 3 Meter hohe grüne Wand. Auf der Fläche ein großes grünes Kuschelkissen auf dem 5 Leute Platz finden konnten. Links und rechts an der Seite Wasserspender und Plastikbecher. Die hintere grüne Wand wurde je nach Szene etwas weiter in den Hintergrund geschoben In ihrer Mitte befand sich eine Tür mit Herzchen, "Eingang zur Exkrementverwertung" betreut vom "Hygienespezialisten".

Choreografie Video Kostüme
Das Stück hatte einen hohen Anteil an choreografierten Bewegungselementen, sei es für die ganze Gruppe oder für einzelne Personen. Der Choreograph Valenti Rocamora i Torà nutzte weidlich die Möglichkeiten von Felicitas Madl, eine an der Wiener Staatsoper ausgebildete Ballettänzerin, die mit schier unglaublichen Verrenkungen und jauchzenden Schreien etliche Male die Bühne überquerte.
Dem ganzen Ensemble forderte die Choreographie einiges an Bewegungen ab. Im Zusammenhang mit den schwarm-ähnlichen Bewegungselementen kamen auch die Visualisierungs-Beiträge von Philipp Ludwig Stangl zur Geltung: von der Decke aus aufgenommene Videoaufnahmen der Gruppenbewegungen wurden auf eine transparente vertikale Fläche projieziert, die als Vorhang vor den real sich bewegenden Personen gezeigt wurden.

Foto © Thomas Aurin / Kollektives Gehen auf der Bühne mit spontanen Richtungswechseln

Das Zusammenkommen zu gemeinsamen Körperübungen und die uniforme helle Kleidung der Akteure erinnerte an die Harmonie-Gesellschaft der >>Elois in dem Film "Die Zeitmaschine" - Sie leben in der von Wells präferierten, aber niemals selbst gelebten Form eines sozialistischen Kommunismus mit entsprechendem Allgemeineigentum. Es gibt keinen Wettbewerb, keinen Streit und keine Gewalt. .:"

Die Elois im Film "Die Zeitmaschine" (1960)

Alternativ-öko-esoterischer Dogmatismus mit Bio-Essen, Therapie-Szene und Grundeinkommen
Ja,Empathie hat was Gutes, aber sie kann in nutzloses, formelhaftes, schematisches Gefühlsduseln, in ritualisierte Empfindungsbekundungen abgleiten und in einer zur Norm erhobenen Verhaltensweise, zur Schein-Empathie-Diktatur,führen.
Den Grünen wird auch schon vorgeworfen die "Ökodiktatur" anzustreben, weil sie den Leuten angeblich vorschreiben möchten, wie sie leben sollen. Bei der Ablehnung der Atomkraft, Veränderung der Ernährungsgewohnheiten und Argrarwirtschaft z.B. streben sie aber durchaus richtige Alternativen an. Unverkennbar sind aber auch gesellschaftliche Tendenzen eines alternativ-öko-esoterischer Dogmatismus als Mischung aus Bio-Essen, Therapie-Szene und Grundeinkommen. Bei manchen Darstellungen des Stückes meint man, dass hier der Alltag von öko-alternativen Gemeinschaften abgebildet werden sollte. Möglich, dass bei Rebekka Kricheldorfs Schreiben solche Gemeinschaften wie z.B. am Prenzlauer Berg in Berlin Pate gestanden haben.

Sichtbarmachung durch Vorspielen
Eine Schlüsselszene des Stückes ist das Aufeinandertreffen von zwei extrem verschiedenen Welten. In der einen Welt also die Sprachkontrolle, die Ernährungskontrolle,die Gefühlskontrolle und der Zwang zur Beseitigung jeglicher Unstimmigkeit durch "Wegsprechen" und individuelle sowie kollektive Bewegungsübungen der Harmoniediktatur. Und auf der anderen Seite die Erinnerung an die "Wilden" einer verrohten Gesellschaft, dargestellt durch das Paar der Wilden; nicht geschlechtsneutral, die sich gegenseitiges Schmerzen zufügen, Gewaltexzesse im Fernsehen und Pornos anschauen.
Als das Paar "Adam & Eva" aus der Welt der Wilden präsentiert wird, das Alkohol trinkt, sich unflätig beschimpft, schlägt und sich einerseits machohaft und andererseits weiblich-lasziv gebärdet, kommt die Gemeinschaft ins Grübeln. Da alle Versuche mißlingen das Paar zu harmonisieren, entschließt sich die Gemeinschaft zur Eliminierung des Paares: Ausstoßen oder Umbringen des Nicht-Konformen - ein düsteres Omen für die Harmonie-Diktatur.


Foto © Thomas Aurin / Ein "Wilder", Emre Aksizoglu als "Adam", der Alkohol trinkt, Pornohefte bei sich hat, Symbole des Männlichen benutzt, seine Frau sucht ... soll in ein Harmoniewesen umgewandelt werden.

Therapiekult, Körperkult, Biokult, Sprach-Correctness Psychogruppen, Esoterik – alle bekommen ein wenig ihre Seitenhiebe ab. Dennoch wird das Stück nicht zum Lehrtheater, bei dem doziert wird, was richtig und falsch sei, sondern es wird eine Vielfalt von Beispielen mit guten und schlechten Aspekten entfaltet, so dass sich im Rückblick noch eine Weile gut darauf herumdenken lässt. Gegenseitiges Verständnis und Rücksicht ist sicherlich ein anzustrebendes Ziel, aber weder die übertriebene Empathicus-Diktatur noch eine Verharren in den Eigenschaften der "Wilden" kann eine Lösung sein. Das Theaterstück entlässt das Publikum zum Nachdenken.